MOTÖRHEAD: Ein vierzig Jahre alter "Bomber" sorgt auch heute noch für einen musikalischen "Overkill"

25.10.2019 | 23:19

Im Rahmen einer Werkschau erscheint nun eine liebevolle Aufarbeitung des 79er Jahrgangs aus dem Hause MOTÖRHEAD. Ein turbulentes Jahr, welches gleich zwei wegweisende Alben in petto hält. Aber das ist noch nicht alles ...

Da ist sie also: Die lange angekündigte MOTÖRHEAD-Werkschau des Jahres 1979!  Sie beinhaltet die beiden Studioalben "Bomber" und "Overkill" in überarbeiteten Versionen, sowie zwei Livemitschnitte und allerlei Single-B-Seiten. Additiv bekommt der Warzenfreund noch ein paar feine Gimmicks mit in den Gabenkorb gelegt, sodass man schon mal völlig nüchtern betrachtet von einer mehr als gelungenen Veröffentlichung schreiben kann. Da diese obendrein auch noch in einer schicken Aufmachung daher kommt, wird man als Fan kaum an einer Version dieser Veröffentlichung vorbei kommen. So viel sei als Fazit schon mal vorweggenommen und dürfte dem nicht kleinen Freundeskreis des musikalischen Outputs des damaligen Trios als Kaufinformation wohl auch schon ausreichen.


Da es aber vielleicht noch Unentschlossene, Zuspätgeborene oder Neueinsteiger gibt, möchte ich ein paar Sätze mehr absondern. Dabei muss ich nichts über den Status eines Lemmy Kilmisters herunterbeten, denn kaum ein Musiker aus unserem Dunstkreis ist über eben jenen hinaus so bekannt (gewesen), wie er.  Lemmy ist eine ikonische Figur, die unsere Lieblingsmusik maßgeblich beeinflusst und geprägt hat. Ich weiß noch, wie ich mir 1981 eine "No Sleep Til Hammersmith"-Musikkassette – das waren die unpraktischen Magnetbänder, die aus unerfindlichen Kultheitsgründen gerade wieder "in" werden – gekauft habe und völlig sprachlos in meinem Kinderzimmer saß, als die ersten Akkorde aus meinem tragbaren Radiorecorder drangen. Bis dahin kannte ich "Back In Black" und "Killers" und war völlig baff, wie roh und gleichzeitig mitreißend Musik klingen konnte. Das war weder mit AC/DC noch mit IRON MAIDEN wirklich vergleichbar. Die brachiale Urgewalt, die Schnoddrigkeit und auch der Wortwitz sprachen mich sofort an und schnell wurde ein "Overkill"-Shirt bei Bullshirt geordert. Das gleichnamige Album kannte ich zwar noch gar nicht, aber das war egal. Das Motiv war super und diese Livescheibe lief rauf und runter. Als mit "Bomber" dann das erste Studioalbum in meiner Sammlung landete, war ich tatsächlich zuerst etwas enttäuscht, da es nicht so wuchtig klang wie die Livescheibe. Diese Enttäuschung verflog natürlich schnell und weitere Alben fanden Asyl in meinem Scheibenregal.  Unnötig zu erwähnen, dass diese alle großartig waren. So großartig, dass ich MOTÖRHEAD als eine der wenigen Bands meiner frühen Sozialisierung auch noch während der Speed- und Thrash-Phase kontinuierlich gehört und gekauft habe. Die Musik war einfach zu groß für irgendeine Schublade oder irgendein Subgenre. Der Zeitgeist nagte nicht an der Klasse der Musik. Obendrein war die Band immer cool genug, um auch bei reinen Underground-Gurus hoch angesehen zu bleiben.


Da ist es jetzt müßig detailliert auf die Klasse von "Overkill" einzugehen.  Allein die Tatsache, dass die Hälfte der Songs auf der oben erwähnte Livekonserve zu hören ist, spricht eine deutliche Sprache. Wenn man bedenkt, dass diese Musik 40 Jahre alt ist, mag man sich vorstellen, welchen Kulturschock der unverwüstliche Orkan mit dem programmatischen Titel 'Overkill' damals ausgelöst hat. Philthy Taylor klöppelt hier alles in Grund und Boden. Wer sich also fragt, woher sein Spitzname "Animal" kommt, wird in diesem Song schnell die Antwort hören. Aber auch 'No Class' und 'Stay Clean' gehören zum Einmaleins eines jeden Stromgitarrenfreundes. Was für Außenstehende erstaunlich sein dürfte, ist der Umstand, dass die Band bereits zu diesem Zeitpunkt unglaublich variabel unterwegs war. Die beiden ruhigeren Stücke 'Metropolis' und 'Capricorn' zeigen ganz eindeutig, dass man weit davon entfernt war, immer nur mit Vollgas durch die Wüste heizen zu wollen. Gerade in diesen Stücken kommt auch der unverwechselbar-charismatische Gesang von Lemmy besonders gut zum Ausdruck. Und wer dann auch noch genauer hinhört, merkt, wie klug und voller Pointen seine Texte sind. Ganz großes Ohrenkino. Aber diese fünf Titel sind nur die Spitze des rostigen Notenberges, den das Trio hier auftürmt. In 'I'll Be Your Sister' und 'Damage Case' gibt es den gewohnt lässigen Swing, der vor allem durch den voll aufgedrehten Bass des Vordenkers so wunderbar funktioniert, während man in 'Tear Ya Down' und '(I Won't) Pay Your Price' mit der heißen Klampfe dem Hörer den Scheitel zieht. Fast Eddie's gonna get you! Wiederum aus völlig anderem Holz geschnitzt, ist die bluesige Abschlussnummer 'Limb From Limb', in der die musikalische Früherziehung von Mister Kilmister sehr deutlich zum Vorschein kommt. All' dies ergibt in Summe ein Album, welches auch 40 Jahre später noch begeistern kann.


Von ähnlicher Qualität ist dann der etwa ein halbes Jahr später erschienene Nachfolger namens "Bomber", von welchem es nur der Titelsong auf die Livekonserve schafft. Rückblickend vielleicht sogar nachvollziehbar, denn nach meinem persönlichen Geschmack, ist die Scheibe minimal schlechter als ihr Vorläufer.  Das liegt eventuell daran, dass sie weitaus entspannter aus den Boxen brummelt. So hat man mit 'Sweet Revenge' eine wunderbar entspannte Schlürfnummer im Programm, die eine weitere Seite von MOTÖRHEAD aufzeigt. Als weitere Überraschung darf man 'Step Down' ansehen, denn hier singt Gitarrist Fast Eddie und gibt der ganzen Scheibe damit eine weitere Farbnuance. Dass die zackigen Nummern auf "Bomber" natürlich auch wieder rattenscharf sind, muss nicht explizit erwähnt werden, oder? Nun, halten Sie Ihre Ohren in den Opener 'Dead Men Tell No Tales', das völlig übersehene Perlchen 'Talking Head' oder den Schlüpfer-Entzünder 'Sharpshooter'. Dass ich die verbleibenden Titel etwas weniger zwingend finde, werden etliche Leser jetzt irritierend finden, aber ich kann nichts für meine Ohren. Entschuldigung schreibe ich der Höflichkeit halber trotzdem.  
Beide Scheibe sind klanglich aufgebessert worden, ohne irgendwie "modern" zu klingen. Eine authentische Restauration, würde ich sagen. Man merkt, dass hier mit Liebe zum Detail vorgegangen wurde und deshalb macht das Anhören auch so viel Freude.


Wenden wir uns den beiden Liveaufnahmen zu. Während eine Aufnahme aus Aylesbury stammt, ist die andere in Frankreich festgehalten worden. Hier sind die eh schon extrem unterhaltsamen Ansagen noch unterhaltsamer, da die Jungs ganz offensichtlich viel Vergnügen daran hatten, die Franzosen ein bisschen auf die Schippe zu nehmen. Ich sage nur: "Bollocks!" Die Setlisten unterscheiden sich ein bisschen, was die ganze Angelegenheit doppelt spannend macht. Ebenso wie die Coverversion von 'Train-Kept-A-Rollin', welches der eine oder andere schon als Coverversion von den YARDBIRDS oder AEROSMITH kennen dürfte. Ursprünglich stammt die Nummer aber aus dem Jahr 1951 und ist eine Bluesnummer, was die Wurzeln von Lemmy erneut gut wiederspiegelt.


Was gibt es noch auf die Ohren? Ein Album mit Single-B-Seiten und raren Titeln aus dem Jahr 1979. Hier fallen besonders die alternativen Versionen durch mehr Dynamik im Klang positiv auf. Aber auch eine Rhythm'n'Blues-Nummer wie 'Treat Me Nice' zaubert ein entspanntes Grinsen auf jedermanns Lippen, weil man dabei den Godfather of Rock'n'Roll vor dem geistigen Auge mit einem schelmischen Grinsen musizieren sieht.

Inhalt des Box-Sets:


1) Die beiden Originalalben "Overkill" und "Bomber" half-speed mastered auf 180g Vinyl
2) Zwei Doppel-Live Alben mit bisher unveröffentlichten Konzert-Material von den Touren aus 1979.
3) Zeitgemäßes Musik Magazin (40 Seiten) mit unveröffentlichten Fotos und neuen Interviews bezogen auf diese Ära.
4) 79 Vinyl, mit B-Sides, Outtakes und seltenen Tracks
5)"No Class" 7 Single mit Gatefold Cover
6) "Bomber" Tour-Programm
7) "Overkill" Notenheft
8) '79 Badge Set.

Redakteur:
Holger Andrae

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