Kompass: Wie der Heavy Metal in den Leitmedien abschneidet

01.06.2013 | 15:17

Inwieweit ist Heavy Metal eigentlich in der Wahrnehmung der sogenannten Leitmedien dieses Landes im Zeitungsbereich angekommen? Gilt der typische Metal-Hörer nach wie vor als Exot? Welches sind die gängigen Klischeebilder, die man immer wieder lesen darf? Und überhaupt: Wie fundiert ist die Berichterstattung in den großen Zeitungshäusern zu diesem Thema und welche Schwerpunkte werden gesetzt? Ein kritischer Blick auf die gesammelten Ergüsse der Print- und Onlinemedien.

Vorbemerkung: Dieser Artikel erhebt bzgl. der aufgeführten Referenzen natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll, ganz subjektiv gefärbt, einen Streifzug durch die Massen- bzw. Leitmedien beinhalten und dabei gewonnene Eindrücke zusammenfassen und exemplarisch belegen, wie das Musikgenre "Heavy Metal" (als Oberbegriff für die sich auf diesen Seiten wiederfindenden Subgenres) dargestellt wird. Dabei stellt sich zunächst einmal die Frage, wann ein Thema von einem Massenmedium als wichtig genug erachtet wird, um daraus einen größeren Artikel zu stricken (News als Replikat von Agenturmeldungen seien mal außen vor gelassen). Das ist selten losgelöst von irgendeinem tagesaktuellen Ereignis. Jüngstes Beispiel war - natürlich - der Tod von Jeff Hanneman, der über alle Kanäle, auch und gerade die der nicht-metallischen Presse, ging. Nachrufe auf verstorbene Metal-Musiker liest man in den großen Print- und Onlinemedien eher nicht (allenfalls noch mit Ausnahme von Ronnie James Dio vor drei Jahren), doch wenn der SLAYER-Gitarrist stirbt, ist das ein Thema von ausreichend öffentlichem Interesse. Hier war nun zu beobachten, dass zunächst einmal nur die Geschwindigkeit der Erstveröffentlichung zu zählen schien und der Sorgfalt nachrangiges Interesse zuteil wurde (ein Phänomen, das generell mehr und mehr Einzug hält, seit die großen Zeitungshäuser permanent ihre Onlinesektionen füttern müssen). "Be first" ist dabei das einzig wichtige Motto. So schien es dann auch weniger wichtig, einen bestenfalls berührenden Nachruf nachzureichen, solange man nur die eigentliche Meldung zügig verarbeitet hatte (am Morgen des 3. Mai kurz nach 9 Uhr gingen die meisten Meldungen online, nur bei der Bildzeitung war die Online-Redaktion offenbar sogar nachts besetzt). Die mangelnde Sorgfalt (oder fehlendes Fachwissen) wurde an diesem Beispiel besonders deutlich, da die Agenturmeldung der dpa mehrere Fehler enthielt, die munter weiter verbreitet wurden.


So war es nicht nur Spiegel Online, der in dem rasch zusammengebastelten News-Artikel den ewig jungen Fehler übernahm, von Trash Metal und zudem gleich auch noch von MEGADEATH zu schreiben. Natürlich kurze Zeit später nach Hinweisen der zahlreichen Kommentarschreiber korrigiert, leider aber völlig intransparent und zudem auch nicht mal an allen Stellen. Alles noch nicht wirklich bemerkenswert, doch gibt es da noch einen Nachruf (einen halben Tag später veröffentlicht), der eine sehr eigenartige Wendung nimmt. Der Clou ist nämlich, dass man den Nachruf auf Hanneman für eine Schuldzuweisung in Richtung dpa-Meldung missbraucht, die die Schreibfehler in die Welt setzten und sich an dieser - mal ehrlich - völlig unpassenden Stelle von der eigenen Verantwortung rein wäscht. Zudem sieht Spiegel Online darin auch noch einen Beweis für die "spöttelnde Ignoranz", die dem Genre Thrash Metal angeblich entgegengebracht würde ("vielleicht muss das so sein, denn die Metal-Szene bezieht ja einen Teil ihrer Identität daraus, gering geschätzt zu werden"). Dabei ist Thrash Metal sicherlich das Metal-Genre, das am wenigsten Spott von außen ertragen muss, woran nicht unwesentlich die erfolgreichen Flaggschiffe, allen voran METALLICA, aber auch bodenständige Bands wie KREATOR oder ANTHRAX ihren Anteil haben. Man denke im Vergleich dazu nur mal an truen Power Metal oder, noch schlimmer, an Black Metal als Synonym für brennende Kirchen in Norwegen (immerhin sind die 90er Jahre schon eine Weile vorbei). Bei diesen Metalgenres trifft - so sie denn mal Gegenstand einer Berichterstattung sind - medial aufgebauschte Süffisanz viel häufiger auf pures Unverständnis. Sorry, aber selber denken ist durchaus erlaubt. Das sollte der Spiegel besser können oder zumindest den Fehler in einer weniger entwürdigenden Weise eingestehen. Peinlich. Hinzu kommt, dass im Text nach ein paar einleitenden Würdigungen vor allem der Songwriting-Künste von Jeff Hanneman die obligatorischen Nazi-Vorwürfe gegen SLAYER abgehandelt werden und man schließlich recht zusammenhanglos ein paar historische Fakten aus der Klamottenkiste kramt. Alles in allem habe ich selten (trotz einer eigentlich vielversprechenden Einleitung) einen so schlechten, wie unpersönlichen Nachruf gelesen, bei dem es eigentlich gar nicht um den Musiker geht. Chance vertan.

Und wie ging die Konkurrenz mit diesem Thema um? Zumindest Zeit Online hat ihren Nachruf in eine angemessene Form gegossen, lässt die damalige Zeit viel authentischer und detailverliebter wieder aufleben. Der Artikel der FAZ besticht vor allem durch sprachliche Finesse ("Grummelhoppelbohrer"), ist aber sonst eher eine typische SLAYER-Kurzbeschreibung. Focus Online schien es in mehreren Artikeln primär um die Todesursache zu gehen (siehste, es war doch der Alkohol!), für einen Nachruf war hingegen kein Platz. Die Süddeutsche bekam es immerhin auf die Reihe, den Schreibfehler Trash Metal und ein falsches Foto transparent mit einer Anmerkung unter dem Artikel zu korrigieren, macht es sich aber ansonsten leicht und listet statt eines Nachrufes einfach Twitter-Reaktionen von bekannten Bands und Musikern auf. Und bei Bild.de steht der Fehler aus der dpa-Mitteilung nach wie vor in voller Schönheit; ein weiterer, sehr unterkühlt und zusammengestückelt wirkender Kurzartikel wurde wie bei Spiegel Online nach Leserhinweis klammheimlich korrigiert.


Welche Rolle spielt nun die harte Stromgitarrenmusik namens Heavy Metal in den Medien?
Die Bestandsaufnahme stellt sich in Bezug auf die Print- und Onlinemedien im Zeitungsbereich - gerne auch Leitmedien genannt - sehr differenziert dar (in einem zweiten Teil dieses Artikels wird dies für Fernsehen und Radio näher beleuchtet). Bei vielen fristet die Kulturredaktion gerade kein untergeordnetes Dasein, wobei natürlich generell ein breites Spektrum an kulturellen Themen und musikalischen Spielarten im Speziellen abgedeckt wird. Auch Heavy Metal spielt darin durchaus hin und wieder eine Rolle. Dessen thematische Behandlung beschränkt sich dabei allerdings weitgehend auf eine Berichterstattung über die Musik und deren Protagonisten (Musiker als auch Fans), eine Auseinandersetzung mit "Heavy Metal als Lebensstil" findet so gut wie nicht statt. Dennoch weisen die Publikationen außerhalb der Fachpresse durchaus eine akzeptable Qualität auf. Interessant sind jedoch insbesondere die Randerscheinungen, beispielsweise Gemeinsamkeiten hinsichtlich Pauschalisierung und Klischeebildung.

Man kann sicher nicht behaupten, es sei (zumindest in den ohne Zeitnot verfassten Texten) fehlendes Fachwissen zu konstatieren oder auch nur Unlust sich mit dem Musikgenre Heavy Metal auseinander zu setzen. Dennoch ist vielen Artikeln anzumerken, dass sie offenbar gerade mit der Intention geschrieben wurden, den Lesern etwas ihnen Fremdes, gewissermaßen Exotisches oder Abseitiges, näher zu bringen. Dabei werden jede Menge Klischees und "kraftvolles" Vokabular verwendet. Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Beitrag aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der (obwohl er aus dem Jahr 2006 stammt) einige immer noch typische Aspekte gut illustriert. Anlässlich des Erscheinen einer neuen MOTÖRHEAD- sowie SLAYER-Platte schrieb die FAS sogar einen der wenigen Feuilleton-Artikel überhaupt zum Thema zusammen. Man findet darin durchaus fundierte Beschreibungen und allerlei "historische" Bezüge, außerdem vermittelt man dem Leser sehr deutlich, dass er/sie - musikalische Vorlieben hin oder her - beide Alben kaufen solle, dennoch dürfen allerlei Verweise und Metaphern nicht fehlen, die das Ganze dann doch etwas distanziert wirken und stellenweise in eine belustigende Darstellung abgleiten lassen. Da ist die Rede von "Kriegs-, Folter- und Fegefeuer-Phantasien" und dem "Rütteln an den Toren der Hölle", von Gitarrensoli, die klingen, "als ob jemand mit Salzsäure gurgelt", die Musik wird mit Dampfloks, Motorengeräuschen und Baumaschinen verglichen. Der Hinweis, dass Lemmy hobbymäßig Nazidevotionalien sammelt, darf ebenso wenig fehlen wie der, dass SLAYER Satanisten seien (da fallen mir spontan eher ein paar andere Bands ein) und albernerweise wird sogar suggeriert, dass der typische Vertreter des Publikums auf einem MOTÖRHEAD-Konzert offenbar ein schwerkrimineller Motorradrocker sei (der nach Genuss der ruppigen Songs dann zu einer ganz lieben, schwelgerischen Seele mutiert). Ganz sicher ist dies alles nicht ernst gemeint und mit einem mehr als offensichtlichen Augenzwinkern zwischen den Zeilen versehen - dennoch stellt sich die Frage, warum insbesondere bei Darstellungen der Metalszene respektive -musik immer wieder auf solch ausgenudelte und teilweise unzutreffenden Klischeebilder zurück gegriffen werden muss. Klar, grobes Vokabular passt zu grober Musik, eine Differenzierung stört da freilich nur. Will man vielleicht einfach nicht zugeben (oder ist es sogar peinlich), dass man durchaus auch ernsthaft über die Musik und deren Protagonisten schreiben kann ohne das Ganze mehr oder weniger bewusst durch den Kakao zu ziehen? Nun ist dies kein untypisches Phänomen - und es teilt sich der Heavy Metal mit anderen gern (und teilweise zu Recht) bei jeder sich bietenden Gelegenheit verballhornten Gruppierungen: seien es FDP-Politiker, Holländer oder die katholische Kirche. Dennoch scheint es, dass Heavy Metal in dieser illustren Runde die Spitzenposition inne hat.

Festzustellen ist dennoch: Heavy Metal steht nicht mehr außerhalb jeglicher Wahrnehmung der in den deutschen Leitmedien praktizierenden schreibenden Zunft, ist in gewisser Weise sogar als Rand- oder Minderheitengruppe und "exotisches" Phänomen gesellschaftlich akzeptiert - solange man sich darüber lustig machen kann. Und so ist das transportierte Bild bei aller akzentuierten Auseinandersetzung immer noch recht begrenzt. Die Stereotypen sind Lautstärke, Lärm, Bier, Drogenkonsum (wenn auch keine harten), aber auch Freigeisterei und Unangepasstheit der Metal-Hörer (dies immer auch mit einer gewissen Bewunderung oder Anerkennung für "deren" Lockerheit oder ich-mach-worauf-ich-Bock-hab-Mentalität verbunden). Und natürlich Wacken. Immer und überall. Ein Stück weit ist auch die Metal-Kreuzfahrt "70.000 Tons Of Metal" als "Event" ins Visier der Leitmedien gerückt (zumindest in puncto "News-Schwemme"), aber nichtsdestoweniger: Wacken ist omnipräsent und produziert mit Abstand die meisten Treffer bei Suchanfragen mit dem Stichwort "Heavy Metal" auf den Onlineseiten der einschlägigen Medienvertreter.

Die Süddeutsche hat im Zusammenhang mit völlig sinnlosen Klischees diesen Teaser zu einer Buchrezension parat: "Sie sind Heavy-Metal-Fan und können trotzdem lesen und schreiben? Dann ist das hier das Richtige: Eine Liebeserklärung an den Heavy Metal und seine Veteranen. Natürlich mit Bildergalerie." Das ist selbstredend ironisch verpackt (ein reißerischer und damit perfekter Aufmacher), damit man sich nicht vorwerfen lassen müsste, Heavy-Metal-Hörer ernsthaft als ungebildet und dumm zu bezeichnen. Als Einstieg in einen Artikel, der sich mit dieser Musik beschäftigt, ist es aber scheinbar dennoch gerne genommen (man fragt sich, warum?). Plakativ geht es auch bei der erwähnten Bildergalerie mit dem Titel "Tod allen Feinden des Heavy Metal" zu, die laut Subtitel die "unsterblichen Poser des Heavy Metal" zeigt. Es folgt eine völlig willkürliche Zusammenstellung, die nicht einmal, wie der Titel vermuten lässt, MANOWAR beinhaltet, sondern neben GUNS N ROSES und einem brennenden Till Lindemann auch des Posens unverdächtige Vertreter wie NAPALM DEATH und MOTÖRHEAD umfasst und schließlich bei LED ZEPPELIN und ERIC CLAPTON landet. Weniger wäre in dem Fall mehr gewesen, muss man sagen. Aber zugegeben, das ist überaus typisch für Bildstrecken, deren Inhalt fast nie hält, was der Titel verspricht - hier handelt es sich lediglich um auf einfachste Weise generierte Klicks.

Es ist für die meisten Onlinebereiche der überregionalen Medien charakteristisch, dass man neben festen Formaten viel auf Bildstrecken setzt (denn das bringt Klicks und ist schnell zusammengeschustert). Impressionen von Wacken, die Warzen von Lemmy aus allen erdenklichen Blickwinkeln, scharfe Musikerinnen in Metalbands usw. - klar, es ist eben auch ein optisch ausdrucksstarkes, ja bildgewaltiges Musikgenre. Satte 45 Bildstrecken findet man zum Beispiel auf den Onlineseiten der Süddeutschen Zeitung, wenn man nach "Heavy Metal" sucht, darunter aber auch "Reisebilder aus Island" und ähnliches, wo zufällig mal "Heavy Metal" in den Bildtexten vorkommt. Vor allem aber: ganz viel Wacken. Also alles wie gehabt zusammengedampft auf eine griffige Kategorie.

Dass mediale Aufmerksamkeit immer auch sehr stark nach Bildern giert, lässt sich anhand eines gerade aktuellen Themas sehr gut beobachten, welches einmal im Jahr sogar "Wacken" in den Schatten stellt. Ein geradezu gefundenes Fressen ist das zu Pfingsten in Leipzig stattfindende Wave Gotik Treffen. Futter für die Bildergalerien. Etliche Medien wie Spiegel Online, Bild.de, Focus Online und die Welt teasern diese Fotostrecken mit Kurztexten (oder gleich 1:1 mit der dpa-Agenturmeldung) an, die lediglich ein paar allgemeine Infos enthalten sowie häufig die jedes Jahr wieder "originelle" Frage, wie viel Zeit die WGT-Teilnehmer zur Vorbereitung wohl vor dem Spiegel - nicht dem gedruckten, wohlgemerkt - verbringen müssen. Dabei klingen immer wieder Häme und Spott, oder bestenfalls Unverständnis gegenüber diesen "Andersartigen" durch - und funktioniert damit nach dem gleichen Strickmuster, wie bereits im Zusammenhang mit Metal-Hörern beschrieben.
Anders in der Berliner Zeitung, in der ein von hohem Fachwissen zeugender Artikel erschien, in dem das Treffen in seiner gesamten Bandbreite (vor allem bezogen auf die Musik und unter Erwähnung etlicher Bands) beschrieben wurde. Die FAZ und die Süddeutsche unternehmen den Versuch, dem Leser diese sehr vielschichtige Szene zu erklären, auch wenn es bei der FAZ (es heißt übrigens Electronic Body Music und FIELDS OF THE NEPHILIM) bei einem überwiegend oberflächlichen Blick bleibt ("Schwarz ist die bestimmende Farbe", "großes Schaulaufen", "Es wird getanzt, gerockt, gefeiert und getrunken"). Die Süddeutsche macht das besser, und greift dabei interessanterweise in den Artikeln verschiedener Jahre auf die Expertise desselben Kulturwissenschaftlers (Alexander Nym, der auch im FAZ-Artikel zu Wort kommt) zurück. Dennoch schafft man es, nicht nur an der Oberfläche zu kratzen und das "Phänomen" WGT ausgewogener darzustellen. Ausgewogenheit ist natürlich nicht unbedingt die Sache von Bild. Auf Bild.de findet man neben der umfangreichsten Bildergalerie nur die Geschichte des DAS ICH-Sängers boulevardesk voller Pathos und Dramatik aufbereitet, der sich nach schwerer Krankheit nun wieder auf die Bühne "zurückgekämpft" hat. Es geht eben nicht um die Szene, es sind Einzelschicksale, mit denen man meint punkten zu müssen. Aber das trifft auf diese Zeitung ja themenübergreifend zu.

Durchaus bemerkenswert ist hingegen, wie umfassend man sich dem Thema "Heavy Metal" bei der Zeit widmet. Auf den Onlineseiten des Blattes kann man die größte Dichte an Artikeln zum Thema entdecken, zugleich findet eine fundierte Auseinandersetzung statt, die auch Hintergründe beleuchtet. Teilweise werden sogar wissenschaftliche Themen angeschnitten - ein Aspekt, der selbst in den auf Metal fokussierten Medien viel zu kurz kommt (vielleicht können wir ja in einer späteren Ausgabe dieser Reihe unseren eigenen Beitrag leisten und einmal ein wissenschaftlich angelegtes Thema aufgreifen). Ein schönes Beispiel hierfür ist der Artikel über Heavy-Metal-Forschung, der musikwissenschaftliche Analysen in Bezug auf Songstrukturen aufgreift. Der Wissenschaftler Dietmar Elflein untersuchte Heavy-Metal-Songs im Hinblick auf "Virtuosität und Komplexität" (also Kompositionsstrukturen) im Vergleich zu dem Rock-Genre zugeordneter Musik (wobei hier beispielsweise AC/DC unter Metal subsummiert wurde). Das Ganze wird in einen musikhistorischen als auch soziokulturellen Kontext gesetzt und verknüpft mit Aspekten wie der "rebellischen Grundhaltung", dem Wunsch nach Abgrenzung, "Wertschätzung für handwerkliches Können", aber auch die Einordnung und Bewertung des zentralen Elements der "Aggression". Die Zeit widmet Elfleins Forschungen einen ausführlichen, sehr interessanten Artikel und tritt damit den Nachweis an, dass es sich mitnichten um "Prollmusik" handelt. Auch der Kongress "Heavy Metal and Gender" von 2009, der Geschlechterforschung im musikgeschichtlichen Zusammenhang zum Thema hatte, war der Zeit einen Artikel wert. Zusammenfassend kann man feststellen, dass bei der Zeit mit Klischees aufgeräumt wird, sogar für den Black Metal werden die gängigen Vorurteile auseinander genommen (weil es hier so herrlich auf den Punkt gebracht wurde: "brennende Kirchen in Norwegen, faschistoides Gedankengut, Mord und Totschlag, Pentagramme") und musikalische Entwicklungen des Genres an Hand von drei Alben detailliert und fachlich hochwertig beschrieben. In der Tonträger-Rubrik des Zeit-Blogs, in der aktuelle Veröffentlichungen besprochen werden, tauchen zwar nur etwa 2-3 Metal-Alben pro Jahr auf, doch irgendwie ist das glaubwürdiger, als es Spiegel Online sowie Bild.de mit ihren zusammengewürfelten Rezensions-Reihen "Amtlich" und "Metal Hammer Album der Woche" machen (siehe unten). Und wie man Metal humorvoll beschreiben kann, liest man beim Selbsttest des Brettspiels (ja, wirklich) "Rock Science". Der analytische Ansatz der Zeit-Artikel, die ein hohes Fachwissen erkennen lassen, nicht zutreffende Klischees Lügen strafen und den Heavy Metal musikgeschichtlich als auch soziokulturell einordnen, bietet einen echten Mehrwert für den am Metal interessierten Leser und leistet in gewisser Weise sogar Aufklärungsarbeit.

Man kann also durchaus feststellen, dass in Zeitungen überwiegend Szenekenner zu Wort kommen (wenn auch nicht überall so fundiert und umfassend wie bei Zeit Online), die sich ordentlich bis sehr gut im Metalbereich auskennen. Auch bei einfachen CD-Kurzreviews hat man in der Regel den Eindruck, dass die Schreiber mit Band-Discografie und Hintergründen vertraut sind - inzwischen kriegt man ja ein einigermaßen fundiertes SIX FEET UNDER-Review sogar in der breit aufgestellten Tagespresse, die nicht auf eine bestimmte Zielgruppe hinsichtlich politischem Spektrum, Bildungsgrad oder ähnlichem ausgerichtet ist. Um beim Beispiel zu bleiben: Selbst die Leipziger Volkszeitung, neben der Bild-Zeitung die einzige relevante Tageszeitung vor Ort mit regionaler Berichterstattung (was dann gerne mal Dinge sind wie die Eröffnung eines neuen Altenheims oder Berichte über Kleingartenvereinsfeiern), bemerkte die leichte Metamorphose im "Gesangsstil" von Chris Barnes auf der neuen SIX FEET UNDER-Platte.

Dennoch wird auf plakative Stereotypenreiterei kaum verzichtet. Doch es gibt auch Ausnahmen. Die "Amtlich"-Rubrik bei Spiegel Online zum Beispiel, die monatlich die (aus ihrer Sicht) wichtigsten Neuerscheinungen im Heavy-Metal-Universum behandelt. Für dieses Format hat man sich sogar mit Boris Kaiser einen Gastautor vom RockHard an Bord geholt (und das ist nicht der einzige Name mit Vergangenheit in der Metal-Presse) und lässt es sich auch nicht nehmen, auf die RockHard-App hinzuweisen. Der Kooperation sei Dank. Das sorgt natürlich für die notwendige Credibility und lohnenswert ist dabei auch, dass häufig ein aktuelles Album als Stream zum Reinhören angeboten wird (zuletzt zum Beispiel KYLESA, CLUTCH, VOIVOD, LONG DISTANCE CALLING). Ansonsten schafft es aber auch der Spiegel wie die meisten Kollegen recht plakativ zu Werke zu gehen und sich auf die populären Themen Wacken und Metal-Kreuzfahrt zu stürzen. Allerdings gibt es hin und wieder auch ein paar interessante Musiker- oder Bandporträts zu lesen (solange die nicht wie kürzlich mit "Die Schlampen-Schwaben" betitelt sind).
Was an "Amtlich" aber ein bisschen stört, ist die Tatsache, dass zu viel in einen großen Topf geworfen und umgerührt wird - unter dem Subtitel "Die wichtigsten Metal-Alben des Monats" werden dann zum Beispiel auch Retro- und Wüstenrocker wie KADAVAR, DEAD LORD und CLUTCH subsummiert. Am Beispiel von KADAVAR zeigt sich dann auch, dass man zwar auf die plakativsten der allgemeinen Metal-Klischees verzichtet, innerhalb des Subgenres sich aber mit Bezeichnungen wie "Zausel", "Zotteln" und "Haare... Mein Gott, überall nur Büsche" (letzteres soll ein fiktives Udo Walz-Zitat sein) genau darauf stürzt. Ob das witzig ist, bleibt natürlich Geschmacksache.

Offensichtlicher als in der "Amtlich"-Rubrik ist die Kooperation zwischen Bild.de und dem Metal Hammer. Dort wird regelmäßig ein "Metal Hammer Album der Woche" gekürt, inklusive Livestream, Metal Hammer-Coverpic und Verlinkung der Reviewseite von metal-hammer.de (im Übrigen wird analog auch ein "Rolling Stone Album der Woche" besprochen). Für die Betrachtung im Rahmen dieses Artikels spielt das aber keine Rolle, da sich die Leute von Bild.de hier externe Hilfe seitens der Fachpresse einholen. Eigenleistung Fehlanzeige, diese beschränkt sich nämlich auf wenige, etwas aufgepeppte Newsmeldungen. Jüngst waren das etwa diese: METALLICA beleidigen Justin Bieber - wobei sich das Ganze dann als Artikel über Justin Bieber entpuppt und ein launiger Kurzkommentar des METALLICA-Managers (!) hier als Aufmacher diente, der mit dem tatsächlichen Thema aber eigentlich gar nichts tun hatte, weil METALLICA damit gar nichts zu tun hatten. Außerdem: Dave Lombardo bei SLAYER raus - im Bild-typischen Stil wird aus der Lombardo-Demission gleich eine mit überschaubaren Fakten gespickte Mutmaßung, dass SLAYER damit endgültig vor dem Aus stehen würden (für Szenekenner sicherlich eine gewagte These, woran auch der Tod von Jeff Hanneman nichts ändert). Alles keine Überraschung, so kennt man das von diesem Blatt ja. Das hat System und ist somit nicht "Heavy Metal"-spezifisch.

Auffällig bei der Themensetzung insbesondere in der regionalen Tagespresse: Es hat den Anschein, als würden die Themen häufig sehr selektiv herausgepickt. Man kann durchaus den Eindruck gewinnen, dies erfolge recht willkürlich, also lediglich auf dem persönlichen Interesse der berichtenden Redakteure beruhend. Besonders auffällig ist dieses Phänomen im Rahmen von Konzertberichten, wo dann auch gerne mal über Hardcore-, Doom- oder Black-Metal-Bands aus der zweiten Reihe berichtet wird. Und der häufig sehr positive Tenor dieser Reflexionen legt die Vermutung des persönlichen Interesses nahe. So wurde beispielsweise in der Berliner Zeitung die kanadische Noise/Punk-Band METZ abgefeiert, während 99% der übrigen Konzerte im Stromgitarren-Universum unberücksichtigt bleiben. Das ist beileibe keine Kritik, schließlich handelt es sich ja nicht um ein Heavy-Metal-Fachblatt, die Auswahlkriterien wären dennoch interessant. Nur wenn MOTÖRHEAD "in town" sind, muss ebenfalls und immer berichtet werden - Lemmy ist ja inzwischen (für die "Leitmedien") so etwas wie das Maskottchen des Heavy Metal, und das obwohl das Trio ironischerweise ja überhaupt keinen Heavy Metal spielt. Eine ähnliche Beachtung dürfte nur MANOWAR, METALLICA, SLAYER, IRON MAIDEN und vielleicht noch NIGHTWISH (mit nachlassender Tendenz) zu teil werden. Ein Konzertbericht von letzteren in der Hamburger Morgenpost ist aber ein gutes Beispiel dafür, wie es aussehen kann, wenn die "Außensicht" auf die Metalszene über Gebühr zur Schau getragen wird. Der Artikel startet mit dem Satz: "Metal-Fans gelten ja als sehr aufgeschlossen und tolerant". Da ist sie wieder, die gnadenlose Pauschalisierung. Am Ende zeigt sich die MoPo enttäuscht. Vermutlich verursacht durch die Erwartungshaltung, dass es ordentlich rummst. Bei NIGHTWISH. Jeder hat natürlich das Recht NIGHTWISH als "Möchtegern-Metal" zu bezeichnen und kitschig zu finden, allerdings eine gebotene "Stilvielfalt" unter anderem dadurch zu kritisieren, man hätte "doch ein Metal-Konzert erwartet", verwundert dann doch etwas, gerade bei dieser Band. Auch das wilde Wacken-Wochenende von Reporterin Anastasia entpuppte sich eher als laues Lüftchen - investigativer Journalismus pur. Man kann also durchaus behaupten, dass die Berichterstattung über Heavy Metal mit dem generellen Anspruch durchaus proportional ist. Oder anders: Boulevard bleibt Boulevard.

Fazit: Die generelle Thematisierung findet in den Leitmedien des Print- und Onlinebereichs insgesamt in einem überschaubaren Rahmen statt, und wenn, dann muss man sich häufig die allgegenwärtigen Klischees um die Ohren hauen lassen. Die Gleichsetzung von Heavy Metal mit Gewaltverherrlichung findet allenfalls unterschwellig statt und wird stattdessen häufig überspitzt dargestellt (nach dem Motto: "Die meinen das ja eigentlich gar nicht so"), in diesem Zusammenhang ist sicherlich ein entkrampfterer Umgang als noch vor zehn Jahren zu konstatieren. Die Thematisierung von rechtsextremen Auswüchsen im Heavy Metal beschränkt sich auf einige wenige Genres und Bands, im Allgemeinen wird die Metal-Szene als unpolitisch und allenfalls vergnügungssüchtig wahrgenommen.
Generell ist das Phänomen "Metal-Berichterstattung" jedoch harmloser als man vermuten könnte, und in Bezug auf die Spannweite der Themensetzung weitgehend begrenzt. Eine Auseinandersetzung mit "Metal als Lebensstil", die Einordnung als Kunstform oder gar das Begreifen dieser musikalischen Ausdrucksform als Ventil und gesellschaftliche Problemverarbeitung finden kaum statt. In diesem Punkt kann jedoch - das sei an dieser Stelle deutlich erwähnt - auch in der sogenannten Fachpresse noch einiges an Boden gutgemacht werden.

Teil 2 befasst sich mit der Berichterstattung über Heavy Metal in Fernsehen und Radio.

Redakteur:
Stephan Voigtländer
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