KILL 2 THIS: Interview mit Mark Mynett

01.01.1970 | 01:00

Mit "Mass.[Down]-Sin.(Drone.)" haben die Briten von KILL 2 THIS ein verdammt vielschichtiges, intelligentes und aufregendes Werk kreiert, welches offensichtlich nicht nur meiner Meinung nach den absoluten Höhepunkt der Schaffensphase des Quartetts aus Manchester markiert.
Gitarrist Mark Mynett stellte sich - aus Zeitgründen leider nur per eMail - meinen Fragen. Hier zeigte sich dann, dass KILL 2 THIS nicht nur intelligente Mucke mit intelligenten Texten machen - sondern vor allem auch, dass Leute mit Köpfchen hinter der Sache stecken. Einen Interviewpartner wie Mark wünsche ich mir auf jeden Fall des öfteren...here we go:

Rouven:
Da ich einfach mal davon ausgehe, dass ihr auf euer neues Album so gut wie durch die Bank weg gute Kritiken erhalten habt, folgende Frage zu Beginn: Konnte auch irgendwer das Teil nicht ausstehen?

Mark:
Das einzige schlechte Review war aus dem Metal Hammer UK - bloß war das nicht wirklich eine Art Review, ich glaube, der Typ hat sich die Scheibe kein einziges Mal angehört. Die haben da Dinge kritisiert, die einfach nur noch lächerlich waren. Unter anderem wurde behauptet, wir würde nach Bryan Adams (!) klingen. Da hat das Lesen sogar Spaß gemacht, auf jeden Fall mehr, als wir uns aufgeregt haben.

Rouven:
Könntest du die Unterschiede zwischen euren Älteren Werken und "Mass..." mit eigenen Worten beschreiben?

Mark:
Ich würde sagen, wir haben unseren ureigenen Sound neu definiert, ausgefeilt, ihn zur Perfektion gebracht. Das rührt daher, dass wir als Band gewachsen sind und in diesem Wachstumsprozess Elemente über Bord geworfen haben, die wir überflüssig fanden. "Mass..." ist deutlich "organischer" als alle unseren vorherigen Releases, es ist das einzige und erste Album, welches wir komplett ohne Unterbrechungen und Störungen von außen aufnehmen konnten - wir hatten keine Deadlines und keine Plattenfirma, die uns sagte "Hey, das muss so und so klingen". Wir haben das einfach frei nach Schnauze gemacht, und ich denke, das hört man auch.
Der bandeigene Sound hat sich in großen Schritten weiterentwickelt und wird dies auch in Zukunft tun. Das nächste KILL 2 THIS-Album wird mit Sicherheit wieder anders klingen werden. Mittlerweile haben wir ein festes Line-Up, wir konnten so unsere Stärken in allen Bereichen - insbesondere beim Songwriting - bündeln, und das wird uns gerade in Zukunft sehr entgegenkommen.
Die größten Fortschritte haben wir sicherlich in der Hinsicht gemacht, dass wir dieses Mal auch Loops und Programming verwendet haben, außerdem sind die Vocals sehr vielschichtig ausgefallen, das ist gar kein Vergleich mehr zu unseren Vorgängeralben. Es gibt so viele Harmonien, Kontrapunkte oder gar zehn verschiedene Vocal-Spuren.

Rouven:
Welcher Song ist dein persönlicher Favorit auf "Mass..."? Und wieso?

Mark:
Da würde ich sagen...'Winter Green'. Wegen seiner Furcht einflößenden Vocal-Line und den zutiefst verstörten Lyrics. Das ist mein absoluter Lieblingssong von uns.

Rouven:
Um was dreht es sich den textlich bei euch? Es fällt einem nicht schwer, die Feststellung zu machen, dass es sich bei KILL 2 THIS in jedem Fall um "Thinkin' Man's Music" handelt, aber erzähl doch ein wenig mehr darüber...

Mark:
Jeder Song behandelt ein Thema für sich. Um ein Beispiel zu geben, das eben angesprochene 'Winter Green' handelt von einer wahren Geschichte. Es geht um eine Frau, deren Ehemann verstirbt. In einem Moment von unheimlicher Trauer versucht sie, eine Exhumierung anzuordnen...unter dem Vorwand, dass er noch Schmuck trüge, den sie gerne wiederhaben wolle. Das stellte sich als Lüge heraus, sie wollte ihn schlicht und einfach nochmal sehen.
Unsere Texte sind über die wahre Welt da draußen, und irgendwo gehen sie jeden etwas an. Depressionen, Zustände des "traurig seins" sind etwas, was die ganze Menschheit verbindet. Wenn mir jemand erzählen will, er wäre in seinem kompletten Leben noch nie traurig gewesen oder hätte keine Anflüge von Depressionen gehabt, dann nenne ich diese Person einen Lügner.
Die Texte schreibe ich meistens, wenn ich mir viele Gedanken über ein bestimmtes Thema mache. In solchen Momenten hat man logischerweise die stärksten Emotionen, aus denen im Normalfall die besten Lyrics werden. Viele Leute haben mir schon vorgeworfen, ich würde depressive Texte schreiben. Das finde ich nicht. Ich würde eher sagen, dass diese Texte sehr realitätsnah sind, und jeder, der sich abends die Nachrichten anschaut, wird dies bestätigen können. Ich kann einfach nichts mit Bands anfangen, die über Dungeons and Dragons oder über Satan singen. Da gibt es doch so viele wichtige Dinge, die einen inspirieren, die einen beschäftigen und doch einen direkten Bezug zur Realität haben.
Der Trick ist es, negative Dinge in positive Sachen umzukehren, und das ist definitiv etwas, was ich mit KILL 2 THIS erreicht habe. Ich bin äußerst mißtrauisch, was die Nutzung von Technologie durch die Menschheit betrifft. In einer Welt, in der ein Drittel der Weltbevölkerung Hunger leidet, während wir Raumschiffe in andere Galaxien schicken, ist es auch schwierig, das nicht zu sein. Alleine schon das ganze Blutvergießen im zwanzigsten Jahrhundert ist kaum zu glauben. Wir haben fast alles, um das Leben angenehmer und einfacher zu machen, doch ist die Menschheit dadurch glücklicher? Wenn man sich dann die Selbstmordraten, die Anzahl der Leute mit Depressionen, Amokläufe, Scheidungen etc. anschaut - dann spricht das eher dagegen.

Rouven:
Bist du mit meiner Beschreibung, dass man KILL 2 THIS auch als eine Mischung aus neueren MACHINE HEAD, FEAR FACTORY und LIFE OF AGONY bezeichnen könnte, einigermaßen zufrieden, oder sträuben sich dir da die Nackenhaare?

Mark:
Den MACHINE HEAD-Vergleich ziehen in der Tat einige Leute, und um ehrlich zu sein, das sehen wir gerne als Kompliment. Die Jungs sind eine der besten Metalbands überhaupt, wie ich finde. Aber wir werden in jedem Review mit anderen Bands verglichen, das reicht von den NINE INCH NAILS über WHITE ZOMBIE bis hin zu FAITH NO MORE. Ich würde allerdings nicht sagen, dass wir wie FEAR FACTORY klingen. Vielleicht ein wenig nach dem älteren Zeug...aber das beschreibt "Mass..." in meinen Augen nicht ausreichend gut.

Rouven:
Wie würdest du denn dann eure Musik beschreiben?

Mark:
Heavy, kompromisslos, aber dennoch herausfordernd für den Hörer. Vielschichtig mit einer Menge unterschiedlicher Emotionen.

Rouven:
Wenn man einen Blick auf die sehr Trend-orientierte und schnelllebige britische Musikszene wirft, so stellt sich doch die Frage, inwiefern KILL 2 THIS dort Erfolge feiern können. Sicherlich wäre es schön, eine nicht am Mainstream orientierte Band z.B. in den Top 10 zu sehen, aber wie siehst du die Realität?

Mark:
Wieso eigentlich nicht? Es ist zwar - wie immer - recht schwierig für "harte" Bands aus England, aber immerhin bekommen wir auch in unserem Land sehr gute Reviews. Nebenbei sind wir im Moment gerade auf Headliner-Tournee. Dazu kommen dann noch ein paar große Shows mit TYPE O NEGATIVE und ANTHRAX, diese werden uns auf jeden Fall die Chance geben, unsere Musik einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Ansonsten stimme ich dir da zu - da muss man sehen, was die Realität zu uns sagt. Aber dir soll versichert sein, dass wir unser Bestes geben werden.
In Großbritannien ist man in der Tat sehr Mode/Trend-orientiert, da ist mal eine Band in oder sogar "the next big thing" - und spätestens nach ein paar Monaten will dann keine Sau mehr was von dir wissen...

Rouven:
Werdet ihr auch außerhalb der Insel auf diversen Bühnen zu besichtigen sein?

Mark:
Ja, wir hoffen, dass wir im September oder Oktober dem Rest von Europa einen Besuch abstatten können. Infos dazu gibt es dann auf unserer Homepage , sobald wir Daten haben. Im Moment sieht es so aus, dass wir mit PARADISE LOST und MOONSPELL auf Tour gehen. Das wäre dann im November in Deutschland.

Rouven:
Die Gretchenfrage: Online-Mags oder Print-Zines?

Mark:
Ich lese am meisten und auch am liebsten das Kerrang!. Da ist einfach am meisten über die UK-Szene drin, die interessiert mich mehr als der Rest.

Rouven:
Wären KILL 2 THIS eine Pizza - welche Beläge müssten drauf sein? Und - würdest du dich trauen, sie dann auch zu essen?

Mark:
Also...wenn die Band eine Pizza wäre...dann müssten wohl alle Beläge drauf, die es gibt. Von allem ein bisschen. Und vor allem scharf.

Rouven:
Okay - welches war die dämlichste Frage, die du jemals beantworten musstest?

Mark:
Öh...die letzte? (Na Danke - d. Verf.)

Rouven:
Wie würde deine Traum-Band aussehen?

Mark:
Meine All Star-Band wären wohl AEROSMITH mit mir an der Gitarre. Das wäre ein Leben...
Ach ja, und Layne Staley am Mikro wäre auch nicht schlecht.

Rouven:
Wo siehst du KILL 2 THIS in fünf oder zehn Jahren?

Mark:
Am liebsten würde ich es so haben, dass wir Musik machen, bis wir umfallen. Oder bis uns keiner mehr hören mag. Musikalische Ziele habe ich viele, zu viele, um sie alle hier aufzuzählen. Aber es wäre schon einmal ein Anfang, finanziell unabhängig Musik machen zu können. Und eine Tour im Nahen Osten, Asien, Russland oder den USA wäre klasse.

Rouven:
Welches sind momentan deine fünf Lieblingsalben?

Mark:
MACHINE HEAD - Hellalive
KILLSWITCH ENGAGE - Alive Or Just Breathing
FEEDER - Comfort in Sound
MASSIVE ATTACK - 100th Window
ALICE IN CHAINS - Jar Of Flies

Rouven:
So, die letzten Worte an die Leser gehören dir...

Mark:
"Ein Skorpion will einen Fluß überqueren. Da er nicht schwimmen kann, fragte er einen Frosch, ob dieser ihm nicht auf seinem Rücken über das Gewässer tragen würde. Der Frosch erwidert, in dem Wissen, dass die beiden Todfeinde sind, dass er dies nicht tun würde, da er sicher war, dass der Skorpion ihn stechen würde. Der Skorpion verspricht dem Frosch daraufhin, dass er das nicht tun werde, schließlich würden dann beide ertrinken. Nach einer Weile überredet er den Frosch schließlich, ihn rüberzutragen, mit dem Versprechen, dass er sich für diesen Gefallen mindestens doppelt revanchieren werde. Auf dem halben Weg über den Fluß fühlt der Frosch plötzlich einen stechenden, warmen Schmerz in seinem Rücken und realisiert, dass er gestochen wurde. Er schreit den Skorpion an: "Was hast du getan! Jetzt werden wir beide sterben!", woraufhin der Skorpion antwortet: "Ich konnte nicht anders. Es liegt in meiner Natur." (Diese Parabel gibt es auch in Deutsch, ich musste hier mit einer sinngemäß übersetzten, englischen Version vorlieb nehmen - Anm. d. Verf.)

Wieso sollte der Parasit den Wirt töten? Was für ein trauriger Gegensatz zur Selbsterhaltung dies zu sein scheint. Für mich ist die Moral der Geschichte, dass die Selbstzerstörung der Menschheit vorprogrammiert ist.

Im zwanzigsten Jahrhundert spotten die technischen Fortschritte jeglicher Beschreibung. Und doch war es das blutigste und grausamste Jahrhundert der gesamten Menschheitsgeschichte. Die Statistiken des Blutvergießens der letzten einhundert Jahre sind erschreckend. Es ist heftig, mit anzusehen, wie effizient die Menschen darin geworden sind, einander umzubringen. Die politischen Führungsfiguren - ebenso wie diejenigen, welche die großen Firmen dieser Welt regieren - sind wie Zwerge, die an den Kontrollen von riesigen Robotern sitzen, die alles töten und plattwalzen, was ihnen in den Weg kommt, und damit fügen sie der Welt eine weitere Narbe nach der anderen zu. Der heutige Barbar ist gut organisiert und trägt einen Anzug. Das wichtigste im Moment sollte doch eine Änderung des menschlichen Charakters sein. Wir wissen mehr über den Krieg als über Frieden, mehr über das Töten als über das Leben. Die Menschheit hat brillantes geleistet, ohne Weisheit zu zeigen oder zu lernen, hat Macht erlangt, ohne ein Gewissen zu haben. Wir haben es geschafft, Menschen auf dem Mond landen zu lassen und Sonden in andere Galaxien zu schicken, was Billionen gekostet hat, während ein Drittel der Weltbevölkerung am Hungern ist. Manchmal kommt es mir so vor, dass über der gesamten Welt das berühmte Damoklesschwert hängt, und zwar nur noch an einem seidenen Faden, während ich auf der anderen Seite davon träume, wie schön diese Welt sein könnte, wenn die verfluchte Menschheit sie nicht so zu Grunde richten würde.

Es ist schon komisch: Wir haben alles, was das moderne Leben uns bietet, um es einfacher, schöner und angenehmer zu machen. Und trotzdem sind wir, wie ich schon vorher gesagt habe, nicht glücklicher. Selbstmord, Depressionen, Scheidungen, Amokläufe und so weiter und so fort. Anscheinend helfen uns all diese technischen Fortschritte nicht wirklich mit dem Leben an sich.
Wir haben all diese tollen Kommunikationsmöglichkeiten: Handys, eMail, Pager, Internet...aber irgendwie denke ich, dass wir dadurch die Fähigkeit, "normal" miteinander zu kommunizieren, eingebüßt haben. Die Summe der materiellen Dinge, die man in den Überfluß-Ländern sein eigen nennt, ist auf einem absoluten Höhepunkt angelangt. Und ebenso die Anzahl der Leute, die eine Leere in ihrem Leben fühlen.
Könnte es sein, dass es gar keinen Sinn in der Ironie des menschlichen Daseins gibt? Dass wir die am weitesten entwickelte Lebensform auf diesem Planeten sind und doch tief in unserem Inneren wissen, dass wir traurig sind, weil wir wissen, was kein anderes Tier auf dieser Welt weiß - dass wir eines Tages sterben werden? Suchen wir nach einem Sinn und einer Sicherheit in einem Universum, in dem es weder das eine noch das andere gibt? Ist die einzige Sicherheit, die wir haben, dass der Tod unausweichlich ist, und dass das komplette Sonnensystem eines Tages in Trümmern liegen wird?
Meine persönliche Erfahrung lehrt mich etwas anderes, und um mit diesem Gedanken abzuschließen, noch folgende Geschichte:

"Eines Tages erhält ein Steinmetz einen riesigen Brocken Gestein, ungefähr zwei Meter hoch und drei Meter breit. Damit möchte er sein Lebenswerk schaffen - einen riesigen, aus Stein geschnitzten Hengst. Als er mit der Arbeit anfängt und Steinsplitter um Splitter abschlägt, kommt ein Junge vorbei, der den Steinmetz fragt, wonach er denn in dem Stein suche. Dieser antwortet "Komm ich drei Wochen nochmal vorbei, dann wirst du sehen.". Als der Junge nach drei Wochen nochmals vorbeischaut, sieht er eine wunderbare Skulptur und fragt den Steinmetz erstaunt: "Woher wusstest du, dass das da drin war?".

Die Moral dieser Story ist, dass die Antworten und Lösungen zu den Fragen, die uns das Leben stellt, immer da sind. Man muss sie nur finden - auch wenn das bedeutet, dass man ein wenig herumfeilen muss.

Redakteur:
Rouven Dorn

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