In der Gruppentherapie: AHAB - The Divinity Of Oceans

22.07.2009 | 12:06

Ein Funeral-Doom-Album, das gleich drei unserer Soundchecker überragend finden und das im Gesamtranking auf dem beachtlichen (geteilten) dritten Platz einläuft. Wie geht das? Ab zur Einzelbetrachtung von "The Divinity Of Oceans"...



Für ein so extremes und unkommerzielles Genre wie Funeral Doom haben die deutschen Seefahrer von AHAB in unserem Soundcheck mit einem dritten Platz und durchschnittlich acht Punkten sehr ordentlich abgesahnt. Das mag auf den ersten Blick überraschen und "True Doom"-Puristen auf die Barrikaden bringen, doch wenn man genauer hinsieht und hinhört, dann hat das Ergebnis seinen Grund und vor allem seine Berechtigung. AHAB verzapfen eben auf ihrem zweiten Scheibchen nicht das übliche Trauerkloß-Szenario, das viele Genrebands so klischeehaft und kitschig macht, sondern sie singen das gemarterte, aber doch trotzige Lied über die Gefahr der See, die oft in Hoffnungslosigkeit umschlagen mag, aber eben keine sich selbst ritzenden und bleich getünchten Jammerlappen mit Kirchenorgel-Synths hinterlässt, sondern gestandene, vom Schicksal gebeutelte Matrosen, die dem Tod ins Antlitz schauen, und ihm notfalls auch ins Auge spucken. Nur wenige Bands vermögen es, die extrem langsamen, perseverativen Riffs des Funeral Dooms und die abgrundtiefen Growls extremsten Death Metals durch verschiedenartige Einsprengsel (wie unter anderem auch sparsam dosierte klare Gesangspassagen) so facettenreich und natürlich in gelungene Kompositionen zu gießen, wie AHAB, die sich damit fraglos zu einer der führenden Bands des Genres gemausert haben. "The Divinity Of Oceans" ist für mich auf jeden Fall eines der überzeugendsten Funeral-Doom-Alben überhaupt.

Note: 9,0/10
[Rüdiger Stehle]



Es muss für alles ein Label geben, aber wer die Schublade "Nautik Funeral Doom Metal" erdacht hat, war trotzdem nicht ganz klar in der Birne - oder dürfen die Jungs nur auf Kähnen auftreten? Ist aber egal, das soll nicht stören, denn was zählt, ist der Inhalt, nicht die Katalogisierung. Denn das einzig Nautische an AHAB ist der lyrische Kontext, in den sie ihre zwei Vorgängerwerke und das aktuelle Scheibchen eingebunden haben. So basiert das Album auf der Geschichte der "Essex", eines Walfängers mit tragischem Schicksal. Musikalisch dominiert die Verzweiflung und die Tragödie, atmosphärisch vertontes Verhängnis, das zwischen angenehm melodischen Teilen und gutturalem Gesang pendelt. Hauptdarsteller ist nicht die See, wie man denken könnte, sondern der menschliche Verstand, die Ausweglosigkeit, das Leiden der Seeleute, die während ihres Schiffbruchs in die tiefsten menschlichen Abgründe schauen, so sehr, dass es fraglich ist, ob die Gestorbenen oder die Überlebenden das bessere Los hatten. Dieses Leiden haben AHAB überzeugend in schwerfällige Akkorde gegossen, so dass "The Divinity Of Oceans" ein Fest ist für Doom-Jünger. Der Kritikpunkt an dem Album ist daher nur, dass es schwerfällt, sich mehr als eine Stunde diesem Strudel der Verzweiflung auszusetzen. Deswegen wird es, obgleich von großartiger Intensität, nur selten den Weg in meinen CD-Spieler finden. Trotzdem: Wer Doom mag, muss AHAB kaufen.

Note: 7,5/10
[Frank Jaeger]


Kollege Frank hat den einzigen humoristischen Aspekt dieser Veröffentlichung bereits genannt: die Stilbezeichnung. Aber okay, man muss dem Kind ja einen Namen geben. Wobei Eltern schon darüber nachdenken, ob der Nachwuchs später in der Schule gehänselt werden könnte. Heutzutage kommen daher wenige auf eine Namensgebung aus dem Bereich "Adolf, Kunibert, Augustine oder Edeltraut". AHAB werden im Segment Doom Metal geführt und wir alle wissen, dass es gerade die Freunde dieses Subgenres teilweise ziemlich eng sehen, was denn nun diese Bezeichnung tragen darf. Insofern wird auch gelästert werden. Dieser Umstand wird den Herrschaften AHAB aber sicher einige Seemeilen am Löchlein vorbei gehen, denn die gebotene emotionale Tiefe dieses Rundlings ist schlicht und ergreifend niederschmetternd. Sieben vorwiegend überlange Kriechbiester quellen zähflüssig aus der Anlage und hinterlassen Melancholie und Depression. Kein Platz für verklärte Romantik. "The Divinity Of Oceans" ist eine sehr intensive Hörerfahrung, die man sich vornehmen muss. Man wird regelrecht erdrückt. Kein Zustand, den man permanent durchleben möchte. Zu dieser Problematik addiert sich bei mir noch der teilweise recht grummelige Gesang von Daniel Droste, der an vielen Stellen allerdings sehr stimmungsvoll mit tiefen Tönen herum gurgelt. Jetzt sollte jeder wissen, ob er sich von der Stimmung dieser Musik einfangen lassen möchte.

Note: 8,0/10
[Holger Andrae]



Eine träumerische Melodie eröffnet den Reigen, bevor der Funeral-Doom-Brocken "The Divinity Of Oceans" langsam und dunkel seine Bahnen zu ziehen beginnt. Schleppend und unheilvoll dröhnend nehmen AHAB die musikalische Reise auf, die sich thematisch mit der Seefahrt bzw. den dunkelsten Abgründen derselben auseinander setzt, musikalisch das Thema aber nur marginal aufgreift. Episch und hymnisch sind dabei alle Doom-Walzen, die Platz auf diesem Album gefunden haben. Der eindringliche, beinahe hypnotische Gesang (der sich sowohl in abgrundtiefem Growling als auch in verzweifelt klingenden Clean Vocals manifestiert) setzt dem hervorragend intonierten bedrohlichen Treiben die unheilvolle Krone auf.

Die besten Momente von ESOTERIC würden auf diesem Album qualitativ nicht hervorstechen. AHAB gelingt das Kunststück, trotz der stoischen Schwerfälligkeit, die den Funeral Doom charakterisiert, ein von der ersten bis zur letzten Sekunde spannendes und mitreißendes Album erschaffen zu haben. Ich weiß nicht, ob Funeral Doom jemals besser geklungen hat. Wird es AHAB also am Ende gar gelingen, die Pforten des Funeral Doom mit diesem Album einer breiten Hörerschaft zu öffnen? Das erscheint durchaus möglich angesichts der Klasse von "The Divinity Of Oceans".

Note: 9,0/10
[Stephan Voigtländer]


Bei Doom Metal bin ich ziemlich fixiert auf die kraftvoll-epische Variante. CANDLEMASS, SOLITUDE AETURNUS, FORSAKEN, das ist Doom wie ich ihn mag. AHAB gehen einen anderen Weg. Jeder Beat erfolgt in Zeitlupe, die Songs sind ausufernd, dabei aber oftmals auch sehr repetitiv. Es vergehen gefühlte Minuten, bis Änderungen zu Tage treten. Muss ein ziemlich ruhiger Wellengang auf der hohen See sein. Wild rauschend oder stürmisch ist an "The Divinity Of Oceans" nämlich nur wenig. Der Aspekt fehlt mir aber sehr. Selbst ein verhältnismäßig harter Ausbruch wie ihn der Opener 'Yet Another Raft Of The Medusa (Pollard's Weakness)' zutage fördert, ist mir noch deutlich zu unaufgeregt. Mir persönlich passiert hier einfach in viel zu viel Zeit viel zu wenig. Ich weiß, dass es so sein soll, aber mich packt das emotional halt überhaupt nicht. Genrefreunden ist "The Divinity Of Oceans" aber dennoch zu empfehlen.

Note: 6,5/10
[Peter Kubaschk]

Ich habe einen Onkel, bei dem ich die ein oder anderen Ferien verbracht habe. Dieser lebte an der Ostsee und war das, was ich in meinen jungen Jahren als alten Seebären bezeichnen würde. Es ist nicht so, dass er jahrelang über die Ozeane dieser Welt getuckert wäre - nein, das nicht. Er hatte allerdings eine Sache, die mich von Beginn an faszinierte: ein Segelschiff. Wenn es also hieß: Diese Ferien geht's an die Ostsee, war ich nicht nur begierig darauf, mit dem Schiff die Wellen zu kreuzen, durch die türkisfarbene Ewigkeit zu stechen, sondern auch den Geschichten und Märchen ebenjenen Onkels zu lauschen.

AHAB liefern mit ihrem großartigen, epischen und melodiösen Album "The Divinity Of Oceans" rückwirkend den perfekten Soundtrack zu diesen Erlebnissen. Wenn es um die urwüchsige Schönheit des Meeres im Seemannsgarn geht, schwingt auch immer die Bedrohlichkeit der schier endlosen und geheimnisvollen Tiefe der See mit. Wenn es um die frohen Gesichter der Angehörigen tapferer Matrosen geht, die am Pier dem heimkommenden Schiff entgegen winken, fallen einem im gleichen Gedankengang die einsamen Kerzen im Nebel ein, die von Frauen und Kindern ebenjener Seeleute angezündet wurden, deren Männer und Väter nicht mehr nach Hause gekommen sind. AHAB spiegeln diese Ambiguität auf erstaunlich eindrucks- und sehnsuchtsvolle Weise in einem Doom-Metal-Stück höchster Güte wider. Diese Gratwanderung ist für mich das Album des Monats und richtet sich nicht nur an Fans dieser Gattung, sondern bietet für alle - wie unser Leser Fabian im Forum zurecht erwähnt hat - einen perfekten und zugänglichen Einstieg in die lähmenden Welten des Dooms.

Note: 9,5/10
[Julian Rohrer]

Redakteur:
Stephan Voigtländer

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