Im Rückspiegel: AMORPHIS (Teil 2 - "Tuonela" - "Far From The Sun")

19.04.2018 | 14:54

Mit vielen Experimenten auf dem Weg zur Selbstfindung.

Schön, dass ihr wieder dabei seid, beim zweiten Teil der Zeitreise durch die Geschichte der finnischen Metalband AMORPHIS. Auch dieses Mal erwartet uns ein ebenso spannendes Kapitel der Band wie im ersten Teil, vielleicht sogar noch spannender. Denn die Phase von "Tuonela" bis "Far From The Sun" stellt nicht nur die experimentellste, sondern auch die bei den Fans umstrittenste Zeit in der langen Bandgeschichte dar. Doch auch bei der Presse stießen die Alben dieser Phase (zumindest zwei davon) meist nur auf wenig Gegenliebe. Das lag sicher auch daran, dass der eingeschlagene musikalische Weg nur noch wenig bis gar nichts mehr mit den Anfängen der Truppe zu tun hatte. Die Death-Metal-Elemente wurden kurzerhand über Bord geworfen, dafür gewann die experimentelle und progressive Seite von AMORPHIS die Oberhand. Eine interessante Zeit, die uns drei nicht weniger interessante Alben bescherte.

Tuonela (1999)


Weiter geht es auf der spannenden Reise mit Album Nummer vier, "Tuonela". Und wieder ist das Erstaunen bei vielen groß, denn fast schon traditionell klingt auch "Tuonela" wieder komplett anders als die Vorgänger, aber nicht weniger interessant. Die Growls wurden fast komplett eliminiert, und auch sonst ist mittlerweile eigentlich nichts mehr von den einstigen Death-Metal-Wurzeln übrig geblieben. Vielmehr wurden vor allem die 70er-Jahre-Einflüsse weitergesponnen und weitere Rock-Elemente ergänzt. Auch traditionelle Instrumente wie Flöte oder Saxophon kommen hier verstärkt zum Einsatz und fügen dem Sound der Band gänzlich neue Facetten hinzu. Auffallend ist auch der häufige Einsatz der Hammond-Orgel, die zwar auch auf früheren Scheiben schon eingesetzt wurde, allerdings nicht in einem solchen Ausmaß. Auch haben die Songs auf "Tuonela" alle eine melancholische Grundstimmung.

Obwohl der eingeschlagene musikalische Weg durchaus nachvollziehbar war und ist, war der Gegenwind damals schon immens. Von "Ausverkauf" und "Verweichlichung" konnte man in vielen Magazinen lesen, und selbst bei eingefleischten Fans kommt "Tuonela" oft nicht besonders gut weg. Dabei hat dieses Album doch so viel zu bieten, man muss sich halt eine Weile damit beschäftigen. Klar, es ist kein zweites "Tales Of The Thousand Lakes" und auch kein zweites "Elegy", es ist aber auch musikalisch eine völlig andere Baustelle. Bei mir persönlich ist die Scheibe über die Jahre hinweg immens gewachsen, mittlerweile möchte ich sie nicht mehr missen. Wer es nicht immer ganz hart haben muss, und sich von den verschiedenen Einflüssen nicht abschrecken lässt, der sollte hier unbedingt mal reinhören. Vor allem die verträumt-melancholischen Elemente machen "Tuonela" für mich zu einem Highlight in der zugegeben recht bunten Diskographie von AMORPHIS.

Am Universum (2001)


Nachdem "Tuonela" schon mit sehr gemischten Gefühlen sowohl von den eigenen Fans, als auch von der Presse, aufgenommen wurde, könnte man meinen, dass die Band beim nächsten Album wieder mehr zu ihren Wurzeln zurückkehrt, um die Wogen etwas zu glätten und die erhitzten Gemüter zu besänftigen. Weit gefehlt, denn "Am Universum" setzt den eingeschlagenen Weg unbeirrt fort, und kann als die experimentellste Platte in der Diskographie von AMORPHIS bezeichnet werden. Vor allem die bereits auf den Vorgängern angedeuteten Psychedelic-Rock-Einflüsse wurden stark erweitert und auch der Anteil an progressiven Elementen wurde weiter erhöht. Dafür hat man die Death-Metal-Wurzeln nun komplett über Bord geworfen und auch die Texte beziehen sich nicht mehr (wie noch bei den Vorgängern) auf die finnische Mythologie. Interessanterweise kam die Scheibe bei den Kritikern erstaunlich gut weg und konnte in Finnland mit Chartposition vier sogar die bis dahin höchste Platzierung in der Bandgeschichte einfahren. Die ausgekoppelte Single 'Alone' erreichte sogar die Spitzenposition in den finnischen Charts (und konnte diese für zwei Wochen behaupten), was auch einen bisher noch nie dagewesenen Erfolg für die Band darstellt.

Und obwohl die Musik irgendwo zwischen Psychedelic und Progressive Rock einzuordnen ist, wurde das Album trotzdem hauptsächlich in der Metal-Welt wahrgenommen. Sicher hat man durch die Entwicklung manchen Fan verloren, aber vor allem mit "Am Universum" konnten auch nicht wenige neue Anhänger gewonnen werden. Wer den Jungs in dieser Zeit die Treue hielt, konnte immerhin seinen musikalischen Horizont deutlich erweitern, das war bei mir beispielsweise der Fall. AMORPHIS und insbesondere dieses Album hat mich gelehrt, dass es neben Death und Black Metal noch so viel andere interessante Stile im musikalischen Kosmos zu entdecken gibt. Für mich markiert "Am Universum" den Einstieg in die Welt der progressiven Musik, noch bevor ich mich für Bands wie DREAM THEATER, THRESHOLD oder FATES WARNING begeistern konnte. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, dass es alleine deshalb eine unheimlich wichtige Scheibe für mich ist, die ich immer wieder gerne höre.

Far From The Sun (2003)


Den Erfolg des letzten Albums konnte "Far From The Sun" nicht wiederholen, in den finnischen Albumcharts wurde lediglich der siebte Platz erreicht und auch die beiden ausgekoppelten Singles 'Day Of Your Beliefs' (3) und 'Evil Inside' (20) konnten sich nicht die Pole-Position sichern. In anderen Ländern schafften es weder Album noch Singles in die Charts. Dabei ist die musikalische Entwicklung von "Am Universum" zu "Far From The Sun" gar nicht so groß wie es in der Vergangenheit schon öfter der Fall war. Die Scheibe fällt wieder etwas metallischer aus als der Vorgänger, setzt aber immer noch stark auf psychedelische und progressive Elemente. Auf den Einsatz des Saxophons, das auf "Am Universum" häufig Verwendung fand, wurde diesmal komplett verzichtet. Dafür orientiert sich die Melodieführung wieder mehr am finnischen Folk als der Vorgänger, auch wenn die Texte nach wie vor keinen Bezug zur finnischen Mythologie haben.

Die Kritiker haben "Far From The Sun" (mal wieder) nicht gerade mit Lob überhäuft, aber auch bei den Fans hat die Scheibe einen ähnlich schweren Stand wie "Tuonela". Vermutlich liegt das auch daran, dass das Album keinen wirklichen Hit zu bieten hat. Zwar auch keinen Ausfall, vielmehr bewegen sich die Songs auf einem ähnlichen Niveau. Aber ein Kracher wie 'Alone' hätte der Scheibe schon gut zu Gesicht gestanden, denn auch bei mir ist "Far From The Sun" das AMORPHIS-Album, welches ich am wenigsten höre. Und jedes Mal denke ich mir wieder, dass ich es eigentlich öfter hören könnte, da es doch richtig gut ist. Aber in der umfangreichen und hochkarätigen Diskographie von AMORPHIS geht es eben irgendwie unter. Es ist auch die letzte Scheibe mit Sänger Pasi Koskinen, also markiert es auch irgendwie das Ende einer Ära.

Diese Phase hatte für AMORPHIS, wie wir gesehen haben, von Hochs bis Tiefs alles zu bieten, und endet mit dem Weggang des langjährigen Sängers Pasi Koskinen. Über ein halbes Jahr hat die Band nach einem passenden Ersatz gesucht und mehr als 150 Demos von potentiellen Kandidaten wurden angehört. Es sollte jemand gefunden werden, der sowohl die alten als auch die neuen Songs singen kann, was sich als schwieriger herausstellte, als man gedacht hatte. Im Jahr 2005 wurde man dann schließlich fündig und holte mit Tomi Joutsen den scheinbar perfekten Mann für diese Position ins Boot, der bis zum heutigen Tage für den Gesang bei AMORPHIS zuständig ist. Auch musikalisch beginnt damit eine neue Ära in der Bandgeschichte, denn die Songs wurden wieder härter und auch die Death-Metal-Vergangenheit floss wieder etwas mehr in die Tracks ein. Es bleibt also spannend, ich hoffe ihr seid beim dritten Teil, der in genau einer Woche erscheint, wieder mit dabei. Bis dahin wünsche ich euch viel Spaß beim (Wieder-)Entdecken der eben besprochenen Alben.

Redakteur:
Hermann Wunner

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