Im Rückspiegel: AMORPHIS (Teil 1 - "The Karelian Isthmus" - "Elegy")

12.04.2018 | 07:09

AMORPHIS' Weg von der Death-Metal-Kombo zum Chartstürmer der Neunziger.

Am 18.05.2018 erscheint mit "Queen Of Time" das mittlerweile 13. Studioalbum der finnischen Ausnahmeband AMORPHIS. Für mich ist das Anlass genug, einen Blick in den Rückspiegel zu werfen und die illustre Karriere der Finnen noch einmal Revue passieren zu lassen. In jedem Teil werde ich mir in chronologischer Reihenfolge drei Studioalben von AMORPHIS zur Brust nehmen und so den musikalischen Weg nachzeichnen, den die Band auf ihren zwölf Studioalben beschritten hat. Mir fallen nur wenige andere Künstler im Bereich Metal ein, die über ein derart breit gefächertes Spektrum an musikalischen Einflüssen verfügen und ihren Stil ähnlich drastisch und vor allem so häufig verändert haben, wie eben AMORPHIS. Teil II erscheint am nächsten Donnerstag, die Teile III & IV sollen im Wochenabstand folgen.

Wir beginnen unsere Reise natürlich zur Anfangszeit der Band: Begonnen haben die Finnen als Death-Metal-Combo, um dann mal eben die Blaupause für ein Melodic-Death-Album rauszuhauen, in einer Zeit, als es diesen Musikstil namentlich noch gar nicht gab. Doch anstatt auf Nummer Sicher zu gehen und zu versuchen, den Erfolg zu wiederholen, wurde der eigene Stil immer weiter verändert und ein eigenständiges Album nach dem anderen veröffentlicht. Dass damit nicht immer alle Fans zufrieden gestellt werden konnten, versteht sich von selbst. Nicht nur deshalb lohnt sich bei dieser Band der Blick in den Rückspiegel, sondern auch, weil AMORPHIS so viele Perlen herausgebracht hat, die teilweise untergegangen sind oder nicht die Beachtung erhielten, die sie verdienen. Ein Schicksal, dass leider viele Alben von Bands mit Meilenstein-Alben ereilt.

The Karelian Isthmus (1992)

Das erste größere musikalische Lebenszeichen von AMORPHIS, das Debütalbum "The Karelian Isthmus" wurde Ende 1992 veröffentlicht. Zuvor gab es noch ein Demo und eine Single. Stilistisch ist das Ganze noch als reiner Death Metal einzuordnen, allerdings mit starken Doom-Einflüssen. Denn anders als es zu dieser Zeit Trend war, zockte AMORPHIS nicht den schnellen Death Metal, wie er bevorzugt von Bands aus Amerika gespielt wurde, sondern ging damals schon eigene Wege und entwickelte einen langsamen und schleppenden Stil. Doch damit nicht genug, es kamen auch akustische Gitarren und atmosphärische Keyboard-Elemente zum Einsatz, was für eine Death-Metal-Scheibe schon reichlich ungewöhnlich war.

Obwohl "The Karelian Isthmus" damals kein Verkaufsschlager war, so konnte sich die noch junge Band (alle Mitglieder waren noch Teenager) damit bereits eine stabile Fangemeinde aufbauen und erhielten sogar vereinzelt Beachtung aus anderen europäischen Ländern. Dazu muss ich anmerken, dass Finnland damals in Bezug auf Heavy Metal maximal als Entwicklungsland durchgegangen ist, an diese Flut von talentierten und erfolgreichen Bands aus diesem Land wie wir sie heute kennen, hat damals noch nicht einmal in Traum jemand gedacht. Eine Entwicklung, an der AMORPHIS sicher auch nicht ganz unschuldig ist, denn noch bevor NIGHTWISH überhaupt gegründet wurde, hatte AMORPHIS bereits ein Meilenstein-Album auf der Habenseite stehen.

Ein Jahr später, also 1993, wurde die EP "Privilege Of Evil" herausgebracht, die alte Songs aus der Anfangszeit der Band enthält, welche extra dafür neu aufgenommen wurden. Für die Aufnahme und das Mastering der Tracks ist übrigens kein geringerer als Timo Tolkki (Ex-STRATOVARIUS) verantwortlich, die Aufnahmen fanden auch in seinem Studio statt. Ursprünglich war das Material für ein Split-Album mit der amerikanischen Death-Metal-Band INCANTATION gedacht, welches aber nicht veröffentlicht wurde. Von "The Karelian Isthmus" gibt es eine Wiederveröffentlichung, auf der die komplette EP enthalten ist. Wer beide noch nicht hat, greift am besten zu dieser Version. Beide gelten zwar nicht als Meilensteine, beinhalten aber dennoch hochwertige und innovative Songs, die den Test der Zeit mehr als gut überstanden haben und auch heute noch gerne gehört werden.

Tales Of The Thousand Lakes (1994)


Mit dieser Scheibe habe ich AMORPHIS damals kennen und lieben gelernt. Seht euch nur mal dieses tolle Coverartwork an, das heute meiner Meinung nach immer noch zu den schönsten Albumcovern aller Zeiten gehört. Und daran dürfte sich auch so schnell nichts ändern, das Motiv ist einfach zeitlos und wurde perfekt umgesetzt. Fragt man zehn Leute nach der ultimativen AMORPHIS-Scheibe, dann dürften wohl mindestens acht diese hier nennen. Und das nicht ohne Grund, denn das Teil ist nichts anderes als ein verdammter Meilenstein. Musikalisch deutlich melodischer und verspielter als der Vorgänger, kommen hier auch erstmals Klargesang und umfangreiche Keyboard-Elemente zum Einsatz. Mit diesem Album hat AMORPHIS praktisch die Blaupause für den Melodic Death Metal erschaffen, wobei es diesen Stil damals eigentlich namentlich noch gar nicht gab. Verarbeitet wurden verschiedenste Einflüsse, von arabischer Musik bis zu 70er-Jahre Rock, und das alles verpackt in ein Death-Metal-Gewand. Etwas Vergleichbares gibt es bis heute nicht, selbst die Musik der kurz danach florierenden Göteborg-Szene klingt gänzlich anders. Textlich orientierte man sich hier zum ersten Mal am Kalevala, dem finnischen Nationalepos. Das Album ist in seiner Gesamtheit nicht nur einzigartig, sondern auch sehr nahe an der Perfektion, für mich ein glatter 12er (von 10). Damals gab es aber trotzdem nicht wenige, die sich vor allem am Klargesang störten.

Kurz danach, im Jahr 1995, wurde die Single "Black Winter Day" veröffentlicht, die auch mit einen sehr schönen Artwork daherkommt und die aufgrund ihres Umfangs schon fast als EP bezeichnet werden kann. Auf der Wiederveröffentlichung von "Tales Of The Thousand Lakes" ist die Single übrigens ebenso enthalten, wie eine durchaus gelungene Coverversion des THE DOORS-Klassikers 'Light My Fire'. Sollte es also tatsächlich noch jemand geben, der dieses Meisterwerk immer noch nicht im Schrank stehen hat, rate ich zu dieser Version. Jeder, wirklich jeder, sollte dieses Album mindestens einmal gehört haben, wobei man es mit nur einem Durchgang wohl noch nicht in seiner ganzen Genialität erfassen kann.

Elegy (1996)


Für eine Band in so jungen Jahren ist es natürlich alles andere als einfach, nach einem so hochgelobten und abgefeierten Album einen würdigen Nachfolger abzuliefern. Klar, man könnte versuchen, die Formel des Vorgängers zu wiederholen und schnell eine ähnliche Scheibe nachschieben und hoffen, dass diese genauso erfolgreich ist. Nicht so AMORPHIS. Die Änderungen springen einem schon beim Blick auf das Artwork förmlich ins Gesicht. Zuerst fällt auf, dass das Bandlogo komplett umgestaltet wurde, und auch der Rest kommt wesentlich rudimentärer und komplett anders daher als es bei "Tales Of The Thousand Lakes" der Fall ist. Auch musikalisch hat sich einiges getan, der Anteil an Klargesang wurde nicht nur deutlich erhöht, mit Pasi Koskinen wurde sogar ein zusätzlicher Sänger dafür verpflichtet. Auch die restlichen Death-Metal-Elemente im Sound, die auf dem Vorgänger noch reichlich vorhanden waren, wurden deutlich zurückgefahren. Dafür wurden die Songs insgesamt noch melodischer und auch die arabischen und 70er-Jahre-Einflüsse wurden intensiver verfolgt.

Hierfür war wohl hauptsächlich der neue Keyboarder Kim Rantala verantwortlich, der leider nach der Veröffentlichung von "Elegy" schon wieder ausstieg. Als Death Metal kann man das nicht mehr bezeichnen, auch nicht als melodischen. Auch wenn damit viele Fans der Band vor den Kopf gestoßen wurden (ich damals eingeschlossen), konnte "Elegy" sich als erstes Album der Bandgeschichte sowohl in den finnischen (Platz 8) als auch in den deutschen Charts (Platz 67) platzieren.

Spätestens ab dieser Scheibe war eigentlich klar, dass man bei AMORPHIS jederzeit mit allem rechnen muss, außer wohl mit Stillstand. Drei Alben, bei denen jedes von Grund auf verschieden und einzigartig ist, sprechen eben eine deutliche Sprache. Es gibt auch nicht wenige, die "Elegy" sogar noch vor "Tales..." sehen, da es noch abwechslungsreicher und vielfältiger ausfällt. Letztendlich sind beides verdammt starke Scheiben, die für jeden Metalfan ein absolutes Pflichtprogramm darstellen.

Damit sind wir am Ende des ersten Teils angekommen, ich hoffe, ihr hattet mindestens genauso viel Spaß beim Lesen wie ich beim Schreiben. Wenn ich dem einen oder anderen das Schaffen dieser tollen Band etwas näherbringen konnte, dann habe ich mein Ziel erreicht. Im nächsten Teil werden dann die Alben aus den Jahren 1999 bis 2003 besprochen, die natürlich wieder viele Überraschungen für die Fans parat hatten. Diese Phase war eine sehr experimentelle, so wurden beispielsweise zum Unmut vieler Fans die Death-Metal-Wurzeln zeitweise komplett aus dem Sound der Band eliminiert. Selbst auf gutturalen Gesang wurde verzichtet. Das einzige, was bei dieser Band über die Jahre gesichert erscheint, trifft aber natürlich auch auf diese Phase zu: starke Alben! Ich hoffe, wir sehen bzw. lesen uns beim zweiten Teil.

Redakteur:
Hermann Wunner

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