Gruppentherapie: KVELERTAK - "Endling"

27.09.2023 | 13:20

Klanggebilde mit innerem Freiheitsdrang oder die Grenze zur Unhörbarkeit? KVELERTAK sorgt für Wirbel!

"Endling" landet im brandneuen September-Soundcheck auf Platz acht. Beachtlich hierbei ist die Notenspanne, die die Musik der verrücken Norweger hier herbeiführt. Von Tobias gab es die Höchstnote, die er hier schon mit tollen Worten erläutert hat (zum Hauptreview). Auf der anderen Seite steht aber eine 5,5 von Mario. Das fordert also geradezu dazu auf, eine Gruppentherapie anzubieten. Und auch hier könnten die Meinungen kaum weiter voneinander entfernt sein. Was macht die Wahrnehmung dieser Musik so unterschiedlich?



'Des einen Leid ist des anderen Freud'. So könnte man das Ergebnis für KVELERTAK in September-Soundcheck bei solch einer beachtlichen Notendiskrepanz gut zusammenfassen. Ich zähle mich dabei eher zur wohlwollenden Kategorie, wenn es um "Endling" geht, denn sowohl optisch als auch musikalisch gefällt mir das neue Album der Norweger doch ausgesprochen gut. Zum einen bläst mich die Dynamik der Platte förmlich gegen die Wand, zähle ich 'Krøterveg te helvete', 'Skoggangr' und 'Likvoke' locker-flockig zu den besten Songs, die die Stavanger-Mannschaft jemals herausgebracht hat. Die Stücke sind so dermaßen arschtretend, dass ich davon Nasenbluten bekomme und sogleich die nächsten Tritte herbeisehne. Ja, das Album ist auf Dauer dann doch etwas anstrengend, doch trotz vier bereits bekannter KVELERTAK-Alben, überrascht das Ding durch die Bank weg. Zum anderen ist Ivar auch am Mikro eine Bank, hat eine gigantische Präsenz am Mikro und verleiht bereits angesprochenen Gassenhauern oder auch 'Motsols' und dem Titelstück das gewisse Extra. Hier tanzen Engelchen und Teufelchen gleichermaßen zum wilden Metal 'n' Punk 'n' Roll. Entweder man liebt oder man hasst sie eben, diese musikalisch extrovertierten, verrückten Skandinavier. Daran wird auch "Endling" definitiv nichts ändern.

Note: 9,0/10

[Marcel Rapp]

 

Ich erinnere mich noch genau an meinen Erstkontakt mit KVELERTAK: Kollege Jakob und ich waren zu einer Listening-Session von EVOCATION eingeladen und wir waren früh dran. Deren Promoter war ganz aus dem Häuschen, als er uns von dieser Band aus Norwegen erzählte, die er gerade entdeckt hatte. Kurzerhand spielte er das Debüt "Kvelertak" über die große Anlage - und ich konnte seinen Enthusiasmus sofort verstehen. Ebenso das große Fragezeichen: Welche Musikrichtung ist das eigentlich? Vielleicht Punk Black Metal? Black 'n' Roll? Oder etwas völlig Eigenes? Vergleiche zu KVELERTAK waren Fehlanzeige und das ist bis heute so geblieben. Das Debüt jedenfalls hat mich maßlos überzeugt - besser kann man es nicht machen. Der erste Dämpfer kam mit dem Zweitling "Meir", der wie eine B-Seite des Debüts wirkte. Mit "Nattesferd" verlor ich KVELERTAK dann endgültig aus dem Fokus und in "Splid" habe ich zwar reingehört, überzeugt hat es aber nicht. Umso gespannter war ich, als ich von den 10/10 Punkten des Kollegen Tobias las und mir dachte: Da muss ich doch mal wieder ein Ohr riskieren. Und es hat sich endlich mal wieder gelohnt, KVELERTAK zu hören. Nach wenigen Sekunden beginnen die Tanzmuskeln rhythmisch zu zucken. Da ist wieder dieses Gefühl von absolutem Groove. Der Rausch der Geschwindigkeit, der gerne im Schlagzeug aufgebaut wird, während die Leadgitarre lässig und unbeeindruckt nebenher rockt (siehe 'Fedrekult'). Die Norweger bestechen wieder mit dem Zusammenspiel der Gegensätze. "Endling" ist düster, aber gleichzeitig beschwingt. Auf der einen Seite bedient sich KVELERTAK ordentlich im Black Metal, auf der anderen wird gerockt, was das Zeug hält. Diese Kombination lässt mich unweigerlich an IMMORTAL denken und mir drängt sich der Gedanke auf: KVELERTAK ist eine moderne Version ihrer Landsleute und klingt dabei doch völlig eigenständig. Das ist besonders und macht einfach Spaß!

Note: 9,0/10

[Pia-Kim Schaper]



Kennt ihr das, wenn man sich auf die Zunge beißen muss? So sehr, dass es fast blutet? Um diesen einen Satz, diesen einen schlechten Witz, dieses eine Wortspiel zu viel zu unterdrücken? Na ja, neben der Gesamtqual, in die mich die Norweger mit ihrer Musik ohnehin stürzen, kommt diese besondere Herausforderung hinzu. Aber ich probiere es. Also: Quälert…, ach Mist, schon passiert, auch egal. Also, Quälertak liefert mit dem neuen Album eine so dermaßen zerfahrene und fehlkomponierte Genre-Achterbahn ab, dass man diese Leistung fast schon honorieren könnte. Doch wir bleiben mal beim Konjunktiv. Mich macht die sinnlose Aneinanderreihung von Zitaten quer durch die Musikgeschichte nur aggressiv - aber nicht auf die gute Art. Da beginnt 'Fedrekult' mit einer klassisch norwegischen Eröffnung - wie ich sie vielfach besser gehört habe, etwa von DJERV - und verliert sich dann in... ja, in was eigentlich? Genau! Es bleibt nichts als der Blick in den gähnenden Abgrund der Bedeutungslosigkeit. "Endling" liegt für mich an der Grenze zur Unhörbarkeit und kratzt dermaßen an den Nerven, dass ich mir in Zukunft auch nicht mehr auf die Zunge beißen werde. Einen Bonuspunkt gibt es für die Verwendung der norwegischen Sprache.

Note: 3,5/10

[Julian Rohrer]



Ein bisschen schmunzeln muss ich - bei allem gebührenden Respekt - schon über Julians Wutausbruch zur neuen KVELERTAK. Ist der geschätzte Kollege doch sonst sehr empfänglich für unkonventionelle Klänge. Dieser schamlos freche, norwegische Chaoten-Haufen wirft einfach mal alle unsere lieb gewonnenen Hörgewohnheiten über den Haufen. Da kracht rotzig-punkiger Rock 'n' Roll in eine exzentrische Mischung aus Folklore und Black Metal, inklusive Banjo und Blastbeats. Erstaunlicherweise entsteht in einem solchen anarchischen Schmelztiegel kein abstruser Quatsch, sondern ein wunderbares, leicht entrücktes Klanggebilde, das Herz, Seele und Tanzbein in ekstatische Schwingungen versetzt. Bei 'Skoggangr' habe ich sogar das Gefühl, ein übrig gebliebener SHINING/Kvarforth-Song sei durch den "MOTÖRHEAD-goes-Sludge"-Scheißegal-Wolf gedreht worden. Am besten auf den Punkt bringt den Spirit dieser großartigen Scheibe das herrlich hypertrophe 'Døgeniktens Kvad', das vermutlich auch Piggy (R.I.P.) und Away von VOIVOD gefallen würde. Die Musikszene braucht mehr Bands wie KVELERTAK, die sich einen Dreck um Schubladen scheren, sondern einfach ihren kreativen Visionen freien Lauf lassen und ihre Musik nicht auf einen bestimmten Markt zuschneiden. Ich liebe KVELERTAK, einfach nur so, den inneren Freiheitsdrang, den dieser Sound verkörpert, vermutlich am meisten. HELLFUCKINYEAH!!

Note: 9,0/10

[Martin van der Laan]

Redakteur:
Thomas Becker

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