Gruppentherapie: ELUVEITIE - "Ànv"
07.05.2025 | 23:29Dönerpizza mit zuviel von alles?
Beim Begriff "Folk Metal" rollen die einen oder anderen die Augen. Allzu oft steht hier der Party-Aspekt im Vordergrund, während einer damit verbundenen traditionellen Volkskultur gerade im Metalbereich nur selten Rechnung getragen wird. Doch ist das der Grund, warum "Ànv", das neue Album von ELUVEITIE, nur auf Platz 19 im April-Soundcheck landet? Die Damen und Herren aus dem Land von Wilhelm Tell zählen ja eigentlich zu den leidenschaftlichsten Folk-Metal-Bands, was auch unser Interview mit Bandsprachrohr Chrigel belegt. Und auch unser Tobi ist im Grunde ziemlich glücklich mit "Ànv". Wo sind hier also die Probleme? Nun, in den Kurzkommentaren der Soundchecker ist etwas von "anstrengend", "knatternd" und auch von "zu poliertem Sound" zu lesen. Einige dieser Punkte können von unseren Therapeuten zwar erläutert werden, doch die positiven Aspekte zu "Ànv" überwiegen hier doch deutlich. Therapie erfolgreich?
Wenn "Ànv" läuft, fühle ich mich vor allem in der ersten Hälfte etwas überfordert. Insbesondere die schnelleren und härteren Songs machen auf mich einen vollgestopften und überladenen Eindruck. Das Wechselspiel zwischen den Growls und dem Klargesang sowie den harten Riffs und den Folk-Elementen geht nicht auf. Was für mich vor allem auf "Origins" und "Ategnatos" super funktioniert hat, läuft hier emotionslos an mir vorbei. Mir fehlen - bis auf bei 'Premonition' - Struktur und Wiedererkennungswert. Das ändert sich erst in der zweiten Hälfte des Longplayers. Mit dem sich langsam aufbauenden 'Aeon Of The Crescent Moon', mit 'The Prophecy' oder mit 'Epona' finden sich dann doch noch schöne Folk-Metal-Hits für mich.
Während also die härteren Parts schwächeln, können mich die Interludes und ruhigen Lieder wie der Titeltrack oder 'Anamcara' voll überzeugen. Sie sorgen für die atmosphärischen Momente auf "Ànv". Am überraschendsten ist jedoch, dass kein erkennbarer und etwas massenkompatiblerer Hit, der vielleicht auf eine Öffnung oder Erweiterung des Publikums zielt, wie es auf den Vorgängeralben mit 'The Call Of The Mountains' oder 'Ambiramus' der Fall war, vorhanden ist.
Letztlich bietet "Ànv" alle Trademarks, die ELUVEITIE ausmacht. Nicht immer kann an die Stärke der vergangenen Alben angeknüpft werden, aber am Ende komme ich durchaus auf meine Kosten.
Note: 7,0/10
[Dominik Feldmann]
Ich weiß genau, was du meinst, mein lieber Dominik. Ich bin per se zwar ein großer Freund von schnellen, zügigen Tönen, doch im Falle von ELUVEITIE, einer Band, die fraglos ihre immensen Stärken in der anmutigen Epik, in der Dramatik des Folks, in der Schönheit der Natur hat, kommt der Tritt auf das Gaspedal oftmals viel zu überfordernd und überfrachtet vor. Tatsächlich war das auch der Grund, weshalb die letzten Alben das letzte Etwas nicht erreichen konnten.
Trotzdem, und das sieht man schon an diesem zauberhaften Artwork, birgt die Muttergöttin einige hervorragende Kompositionen, die mich sogar an die einstigen "Helvetios"- und "Origins"-Momente erinnern, und im Falle von 'The Prodigal Ones' haben wir fraglos einen der besten ELUVEITIE-Tracks der gesamten Bandhistorie. Wer hätte das gedacht, doch im Falle von "Ànv" liegt in der Ruhe die Kraft und die kann im vorliegenden Falle tatsächlich äußerst gewaltig sein, wenn sie nicht durch zu viel Tempo, zu viel Klimbim, zu viel Input über ihre eigenen, massiven Beine stolpert und droht, das doch so schöne Gleichgewicht aus Metal und Folk zu verlieren. Meckern auf hohem Niveau, definitiv, gibt es doch unter anderem mit 'Memories Of Innocence' oder dem eleganten Abschluss 'The Prophecy' noch weitere Highlights, die sehr grelle Sonnenstrahlen ins Walddickicht bringen.
Note: 7,5-8,0/10
[Marcel Rapp]
Auf dem Papier müssten die Schweizer mit ihrer Mischung aus Melo-Death und Folk eine meiner absoluten Lieblingsbands sein. Doch statt einer musikalischen "Dönerpizza" zu lauschen, fremdel ich mit dieser "überbackenen Currywurst mit Pommes". Viele gute Komponenten wirken teilweise wie ein Flickenteppich zusammengesetzt, und die über die Jahre immer präsentere, glattere RTL-Produktion erschwert den Genuss zusätzlich.
Natürlich kann ich nicht aus meiner Haut und finde trotzdem Gefallen an vielen Aspekten von "Ànv". Bei einem Jig wie 'Memories Of Innocence' kann ich nicht stillsitzen und die Melodien bei 'Premonition’ und 'The Prodigal Ones' passen wie ein 1A-Maßanzug aus irischen Leinen. Somit komme ich zu dem Fazit, was genauso auch unter "Ategnatos", "Origins" und jedem weiteren ELUVEITIE-Album hätte stehen könnten: "same same but different".
Alle bekannten Stärken sind da und auch weiterhin alle bekannten Schwächen – es gibt halt einfach neue Songs. Wem dieser repetitive Faktor auf den Keks geht und wer Probleme mit diesem teilweise kitschigen Folk-Gedudel hat, der sollte mal locker einen bis zwei Punkte bei meiner Note abziehen. Aber was soll ich machen? Ich mag ja sogar SANTIANO.
Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]
Ja, im Herzen bin ich ein Softie. Deshalb ist "Damnation" auch mein Lieblings-OPETH-Album und im Falle der eidgenössischen Kelten eben "Evocation I - The Arcane Dominion". Wir erinnern uns: ELUVEITIE überraschte uns damals mit einem Akustikalbum mit der bezaubernden Anna Murphy als Leadsängerin!
Umso positiver überrascht war ich jetzt beim Hören von "Ànv", das mich in den richtigen Momenten mit genügend Zeit und schönen Arrangements ins Jahr 2009 zurückversetzt. Auf der anderen Seite stehen kraftvolle Rocknummern mit Melodic-Death-Metal-Einschlag. Im Gegensatz zu Marcel und Dominik bin ich nicht auf der Suche nach DEM EINZIGEN Hit: Ein homogen geschriebenes Album, das durch die Summe seiner Teile - in diesem Fall Songs - einen guten Gesamteindruck hinterlässt, ist doch ein wunderbares Statement in der Spotify-geprägten Zeit moderner Hörgewohnheiten.
Und den Vergleich mit SANTIANO, mein sonst so geschätzter Harzer Uso-Bruder Stefan, verbitte ich mir auch im Scherz, dafür ist das Können der einzelnen Musikerinnen und Musiker zu herausragend. Ich bin gerne wieder zu ELUVEITIE zurückgekehrt und würde die Band sogar nach einer mehrjährigen Pause, die ich mir selbst auferlegt habe, auch live wieder besuchen, auch wenn ich vielleicht nicht jeden (Pop-)Moment abfeiern werde.
Note: 8,5/10
[Julian Rohrer]
Selten wurden meine Eindrücke zu einem Album schon so gut von meinen Vorrednern zusammengefasst, sodass ich mich schwer tue noch etwas Neues beizutragen. Ja genau, auch ich fühle mich bei den ersten Tracks ein wenig überfordert, wenn die Uptempo-Drums tackern, der Metalcore-Sänger brüllt und dazu dann die Fiedel noch eine flotte Melodie über Sequencer-Sounds fegt. Uff.
Das ist aber schon mein einziger großer Kritikpunkt. Ansonsten gefällt mir die Musik, vor allem die Ausflüge in poppige Gefilde und der prägnante Frauengesang sind genau mein Ding. Dazu fühlt sich der Folk-Anteil der Musik viel angenehmer an als bei vielen Party-Metal-Bands, die ins Trinkhorn blasen. Hier steht die Erzählung noch im Vordergrund. Zudem präsentiert sich die Band vor allem in der zweiten Hälfte sehr variantenreich, nicht nur im Instrumentarium oder der Stilistik, sondern auch in der Singsprache. Das sind alles Pluspunkte für mich, außer wenn die Band versucht, alles gleichzeitig zu machen. Da bin aber wohl nicht nur ich raus.
Note: 7,5/10
[Thomas Becker]
- Redakteur:
- Thomas Becker