Gruppentherapie: CRYPTA - "Shades Of Sorrow"

28.08.2023 | 22:06

Vier-Frauen-Hype oder beste Death-Metal-Scheibe des Jahres?

Ein wenig kontrovers werden im brandneuen August-Soundcheck die Mädels von CRYPTA gesehen. Es gibt hier Fans, wie unseren Hauptrezensenten Tobias, die hier einen Anwärter aufs Jahrestreppchen sehen, zumindest im Bereich Death Metal (zum Review von "Shades Of Sorrow"). Andere tun sich aber schwerer und vermissen Feinschliff und Spannung.

Empfand ich schon das Debüt "Echoes Of The Soul" (2021) der vier Brasilianerinnen als ein ziemlich gelungenes Death-Metal-Album und deshalb als echtes Ausrufezeichen, so wirkt "Shades Of Sorrow" auf mich nochmal eine ganze Ecke stärker. Das liegt daran, dass man an dem Gesamtsound etwas geschraubt hat, indem man Einflüsse aus benachbarten Genres zulässt, die auf dem Vorgänger wenig bis gar nicht vorhanden waren. Klar, das Fundament ist noch immer sehr abwechslungsreicher Death Metal, der in einigen Momenten an Bands wie MORBID ANGEL erinnert, was auch an den superben dissonanten, aber manchmal auch melodischen Soli festgemacht werden kann. Aber dazu kommt dann heuer eine gute Portion einer schwarzen Suppe, die das Gesamtwerk düsterer, aber auf ihre Weise auch melancholischer wirken lässt. Natürlich bleibt dabei die Aggressivität auf keinen Fall auf der Strecke. Diese wird vor allem durch den brettharten Sound des Schlagzeugs von Luana Dametto und das angriffslustige Gekeife der Fronterin Fernanda Lira an den Tag gelegt, während dahinter die vielen Riffs und Ideen der beiden Gitarristinnen ihren Platz finden. Bemerkenswert ist auch der Bass, dem besonders viel Platz im Mix eingeräumt wird.

Dabei hat sich für mich vor allem die B-Seite der Scheibe in Sachen hoher Qualität hervorgetan, wobei auch die A-Seite absolut keinen Stinker aufweist. Aber wenn dann zum Ende des Albums Geschosse wie 'Trial Of Traitors', 'Lullaby For The Forsaken', 'Lift The Blindfold' oder der beste Track der Scheibe 'Lord Of Ruins' abgefeuert werden, gibt es kein Halten mehr. Feine Black-Metal-artige Melodien ziehen sich durch die Tracks, die dann noch mit epischen Refrains aufwarten können und so die wenigen schwachen Momente der Scheibe in Vergessenheit geraten lassen. Insgesamt wird uns hier ein sehr gutes Death-Metal-Werk serviert, das glücklicherweise nicht komplett in die melodische Belanglosigkeit abdriftet und immer noch seine Garstigkeit und Aggressivität behält, während man trotzdem ein Gespür für originelle Melodieführungen beweist.

Note: 8,5/10
[Kenneth Thiessen]

Nun, ich muss zugeben, dass ich mit "Echoes Of The Soul" nicht richtig warm wurde. Zwar hatte CRYPTA auf dem Debüt durchaus Eigenständigkeit bewiesen und nicht nur eine lieblose Sammlung an Death-Metal-Songs an den Mann gebracht. Nein, hier ein paar Black-Metal-Feinheiten, dort ein bisschen am Thrash-Rad gedreht und so blickten die Südamerikanerinnen mutig über den Tellerrand. Doch fehlte mir damals wie auch heute dieser gewisse Punch, dieser Schlag in die Fresse oder zumindest Magengrube, eine letzte Konsequenz. Zwar haben 'Dark Clouds', 'The Outsider' oder 'The Other Side Of Anger' - cooler Titel nebenbei - sehr starke, wütend-wüste Ansätze, allerdings können diese nicht über die Ziellinie gebracht werden. Und mit üppigen 13 Stücken ist das "Shades Of Sorrow"-Zweitwerk auch ein sperriger, zu massiver Brocken, der sich meinem Hörvergnügen versucht in den Weg zu stellen. Mit kraftvollem, unheilvollem Gesang, besagten Lichtblitzen und technischen Sahnehäubchen hat CRYPTA zwar allerlei Weichen zum Erfolg gestellt, doch mir persönlich ist das Teil oftmals zu unausgereift, zu grün hinter den Ohren. Doch darf man die Tatsache nicht außer Acht lassen, dass es hier erst das zweite Album der Brasilianerinnen ist, sodass künftig definitiv noch mit CRYPTA gerechnet werden kann und mich die Band sicher noch abholen kann. So zumindest meine Hoffnung.

Note: 6,5/10
[Marcel Rapp]

Marcel vermisst den gewissen Punch? Gerade den würde ich den Brasilianerinnen von CRYPTA überhaupt nicht absprechen wollen. Es handelt sich um einen brutalen Hassbatzen, der die Schärfen beinhaltet, die die Nordländer von ARCH ENEMY irgendwann unterwegs liegengelassen haben. Dabei ist der Todesmetall aus Amazonien wesentlich heftiger als der Melodeath mit Alissa am Mikro. Und das ist gut so. Mir gefällt die Scheibe nach einigen Spins bisher, und ich bin da definitiv näher an Kenni als an unserem Cheffe. Fernanda und Co. ballern uns hier ein feines Album um die Ohren. Die Songs bleiben im Ohr hängen, die Produktion ist hochklassig, dabei klingt alles weiter schön roh. Man mag dem Label (Napalm) ja manchen Vorwurf machen, aber CRYPTA ist (wie auch NERVOSA davor) einfach keine Hype-Band, sondern musikalisch wirklich hochklassig unterwegs. Ich hatte wirklich Freude an dem Album. Natürlich würde ich mir die Band live ansehen. Natürlich würde ich mir da auch eine CD ins Regal stellen. Natürlich freue ich mich auf weitere Werke - und da bin ich dann bei Marcel: Es kann mit CRYPTA gerechnet werden, und da geht auch noch mehr.

Note: 7,5/10
[Jonathan Walzer]

Irgendwie ist mir CRYPTA grundsätzlich sympathisch. Diese vier Ladies brauen ein pikant-scharfes Chili con Carne zusammen, das keine Gefangenen macht und mit gradliniger Härte ebenso punktet wie mit dynamischen Songstrukturen. Auf die Fresse mit Niveau - wie man so schön sagt. Trotzdem komme ich mit "Shades Of Sorrow" nur bedingt zurecht. Dabei stört mich nicht mal die fiese kompositorische Kantigkeit; die könnte sogar mal zum Trademark der Band werden, wenn man denn lernt, sie gezielt einzusetzen und kreativ auszubauen. Dazu sollte auf Belanglosigkeiten wie 'Stronghold' in Zukunft komplett verzichtet werden. Anstrengend finde ich tatsächlich eher die von Jhonny gelobte Produktion, die im klinisch-kalten und sterilen Klanggewand gerade in den Knüppel-Passagen atmosphärische Feinheiten und die charismatischen Nuancen der Musik wegschneidet. Mir gefällt CRYPTA ehrlich gesagt besser, wenn ich mir das eine oder andere Online-Live-Video mit organischerem Sound anschaue und anhöre. Eindeutig zustimmen möchte ich Kennys MORBID ANGEL-Betrachtungen. Tatsächlich gibt es da einige interessante Parallelen zu hören. Letztlich bleibt ein zwiespältiger Eindruck von dieser Platte zurück. Das intensive, unter die Haut gehende Death-Metal-Grundgerüst der CRYPTA-Klangwelt kann sicher noch weiter ausgebaut werden. Viele gute Ansätze sind da, aber der große Durchbruch gelingt mit "Shades Of Sorrow" noch nicht.

Note: 7,0/10
[Martin van der Laan]

Es ist aktuell schon ein kleiner Hype um CRYPTA und die Frontfrau Fernanda Lira. Eine All-Female-Death-Metal-Band hat halt enormes kommerzielles Potential. Platz 23 der deutschen Albencharts für so einen Hassbrocken (welcher eher an MORBID ANGEL-Großtaten erinnert, als an kommerziell zugänglichere Todesblei-Spielarten), spricht eine deutliche Sprache. Und so sehr ich den Damen diesen Erfolg mit Album Nummer zwei auch gönne, so sehr ärgere ich mich, dass es nur dem All-Female-Faktor (dass es sowas 2023 überhaupt noch gibt) und den enormen Social-Media-Aktivitäten von Fernanda geschuldet ist, dass diese Mucke aktuell so überdurchschnittlich durch die Decke geht. Paradoxerweise gar nicht, weil ich der Meinung wäre, dass hier Songs überbewertet würden, sondern weil die Musik nämlich wirklich hervorragend ist und wir den Fokus zu sehr weg nehmen von der Qualität ebendieser. Es ist doch Jacke wie Hose, ob Männer, Frauen oder andere Individuen solche Perlen wie 'Poisonous Apathy' oder 'Trail Of Traitors' auf die Menschheit loslassen. Hauptsache, man kann sich glücklich schätzen, solch großartig ausgearbeitete Schädelspalter genießen zu dürfen. Und auch wenn Fernanda hier eine wunderbar garstige Performance an den Tag legt, ist der heimliche Star des Albums doch Jéssica Falchi, welche mal eben okkulte Gänsehautleads aus ihrer Gitarre feuert, als hätten wir alle nur auf diesen melodischen Flächenbrand gewartet. Und bitte CRYPTA, hört nicht auf Herrn Thunderlaan und verzichtet nicht auf einen Überohrwurm wie 'Stronghold', welcher sich klangheimlich zu meiner angeschwärzten Death-Metal-Hymne des Jahres entwickelt. Das ist tatsächlich eine Festung von Song und solch Kritik hat gegen dieses Mauerwerk eh keine Sonne. Wenn, dann nehmt euch lieber seinen Vorschlag mit einem organischeren und gegebenenfalls noch roheren Sound zu Herzen, denn da ist in der Tat noch Luft nach oben – genauso dürfte es bei der ein oder anderen Nummer im Refrain etwas prägnanter sein. Davon abgesehen ist "Shades Of Sorrow" ein fantastisches Album, welches bei mir im Death-Metal-Bereich sicherlich in den Jahrescharts ein Wort mitgrowlen wird.

Note: 8,0/10
[Stefan Rosenthal]



Ihr Lieben, ich höre hier nichts Besonderes. Im Gegenteil, die Musik ist durchzogen von jeder Menge hektischer, irgendwie auch holprig wirkender Hakkfleisch-Metal-Passagen, der kehlige Gesang sägt spätestens nach dem dritten Lied am Gehörnerv, der blecherne Snaresound tritt dann noch nach. Somit bleibt auch nach drei Durchläufen kaum etwas hängen. Natürlich haben meine Vorredner keinen Quatsch geschrieben, die eingestreuten melodischen Schmankerl an der Gitarre nehme ich wohlwollend wahr, rein technisch ist CRYPTA sicherlich Oberklasse, auch die Mühen um Abwechslung möchte ich gerne honorieren. Dass Tobi in seiner Hauptrezension den DEATH-Vergleich wagt, kann ich rein theoretisch auch noch verstehen, in meinem Ohr sind hier aber kompositorisch Welten zwischen CRYPTA und Chuckies Finest. Ich fühle hier beim Hören absolut gar nichts und stelle fest, dass es trotz der positiven Aspekte kaum einen Reiz für mich gibt, die Platte nach dieser Gruppentherapie nochmal auflegen zu wollen.

Note: 5,0/10
[Thomas Becker]

Nichts Besonderes, sagt Kamerad Becker. Kenni und Stefan sind begeistert, während Marcel und Martin eine durchwachsene Leistung im Zweitwerk der Basilianerinnen zu finden glauben. Jhonny mag speziell den Sound, andere Kollegen sehen in diesem Punkt noch deutliche Luft nach oben. Nun, ich muss sagen, dass ich mich in Sachen CRYPTA am ehesten bei Herrn Walzer einreihe. Ja, der Sound ballert in einer Weise, die Traditionalisten möglicherweise abschrecken könnte, doch im Vergleich zu anderen härteren Scheiben in ähnlichem Klanggewand tönt "Shades Of Sorrow" dann doch verhältnismäßig transparent und differenziert, und das ist hier besonders wertvoll, denn immer wieder flackert durch den Wuchtrammensound ein flammendes Solo auf, ruhigere, gezupfte Parts oder ein fieses Riff wie bei 'The Outsider' zu hören, oder ein tolles Basslick wie bei 'Poisonous Apathy'. Die Band ist also sehr wohl in der Lage, in einem stark frequentierten Genretümpel feine Akzente zu setzen. Martin findet nun das von einer Air-Raid-Siren-Gitarre eingeleitete 'Stronghold' eher belanglos, ich würde es bei schnörkellos belassen, wobei der fast poppige Refrain hier ein wenig die Grundhärte konterkariert. Was mir an dem Album tatsächlich am besten gefällt, das sind zum einen die melodischen Leadgitarren von Tainá und Jéssica, die trotz ihrer Versiertheit und Verspieltheit nie in den mir doch eher fremden Melodic Death Metal abdriften, sondern in Gefilden zwischen traditionellem und technischem Death Metal, sowie an der Grenze zum harten Thrash Metal verbleiben. Dass Sängerin Fernanda zum anderen durch ihre Stimme immer wieder ein gutes Stück gen Black Metal blickt, tut ein Übriges, um Band und Album als einigermaßen eigenständig und überzeugend zu goutieren. Doch, mit Sicherheit eine Band, die man auf dem Rader haben sollte. Wäre das Klangbild noch ein wenig organischer und dynamischer, dann wäre eine noch höhere Wertung locker drin.

Note: 7,5/10
[Rüdiger Stehle]

 

Photo Credit: Estevam Romera / Napalm Reords

Redakteur:
Thomas Becker

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