Gruppentherapie: CHAPEL OF DISEASE - "Echoes Of Light"

23.02.2024 | 23:21

Hier locken Dich Hooklines aus dem Himbeer-Geschwader ins Nirvana der Sinnlosigkeit.

Willkommen zu den Februar-Therapien! Bei der ersten gibt es viel zu lesen, deshalb sei mir verziehen, dass die Intro deswegen kurz bleibt. Wir werfen "Echoes Of Light" von CHAPEL OF DISEASE den Alligatoren zum Fraß vor und das stößt auf sehr reges Interesse aus allen Ecken der Redaktion. Es hagelt Traumnoten - wie zum Beispiel Tobias' Zehner im Hauptreview, aber auch so einiges an Kritik. Los geht's!


Welch ein massives, schweres, aber auch sehr faszinierendes und in den Bann ziehendes Album! CHAPEL OF DISEASE ist einmal mehr meilenweit vom 08/15-Death Metal entfernt und zeigt sich auf Album Nummer vier so facettenreich und scheuklappenlos wie schon auf dem genialen "…And As We Have Seen The Storm…"-Vorgänger. "Echoes Of Light" mit diesem wunderschönen Artwork macht seinem Namen alle Ehre und bringt ein helles Licht in den oft so düsteren Death Metal. Es ist das letzte Album mit den Gründungsmitgliedern Cedric und David, die ihren Sänger und Gitarristen Laurent vor der Veröffentlichung verlassen haben, was enorm schade ist, wenn man sich die Klasse und Mystik dieses Bollwerkes anhört.

Die todesmetallische Wucht trifft auf den Spirit des Retro Rocks, hat einige enorm epische Elemente, ein paar Blues-Nuancen und die Gewissheit, dass alles Unerwartete erwartbar ist. "Echoes Of Light" klingt noch mehr aus einem Guss, homogener, spielwitziger und so gibt es selbst nach dem dutzendsten Durchgang noch Dinge, die hinter der Ecke lauern, überraschen, begeistern und für Durchzug im ab und an so muffigen Death-Metal-Zimmer sorgen. Soll heißen, dass CHAPEL OF DISEASE für einen superb frischen Wind sorgt, diese neue Platte mit herausragenden Nummern wie 'Shallow Nights', 'Gold/Dust' und 'An Ode To The Conqueror' für majestätisch große Ausrufezeichen sorgt, und es einfach schade ist, dass diese durch und durch besondere Band nicht mehr in dieser Konstellation auftritt. Ein großartiges Album, das dem ohnehin schon fantastischen Vorgänger nochmals die Schranken aufzeigt – von vorne bis hinten ein Ohrenschmaus vom Allerfeinsten.

Note: 9,0/10
[Marcel Rapp]

Ich hatte gerade mal wieder einen dieser "Haben wir das gleiche gehört?"-Momente. Mit großen Erwartungen aufgrund der Vorschusslorbeeren in die Therapie gestartet, hat mich "Echoes Of Light" sehr schnell geerdet. Alles in allem schreit mir CHAPEL OF DISEASE das Wort "UNFERTIG" entgegen. Für mich knarzt und holpert die Combo in einer unausgegorenen Mischung aus Retro und Extrem, wie der kleine hässliche Bruder von TRIBULATION, dem zudem noch das Gespür für echte Hooks fehlt.

Zu keinem Zeitpunkt weiß die Band, wo sie hin will: Da wird hier mal im Funkteich gefischt, dort zwirbeln sich schräge Melodien über hochgezogene Fußnägel, hier wird plötzlich der Geist von ALCEST heraufbeschworen, der im Nirvana der Sinnlosigkeit verpufft. Die Band stellt nur vermeintlich gute Ideen nebeneinander, ohne einen tieferen Sinn herauszuarbeiten. Heraus kommt ein Panoptikum aus Gothic, Prog-Retro-Rock, Metal und weiß Gott was. In Bayern würde man dazu auch Wolpertinger sagen. Oder Frankensteins Monster, wenn man aus anderen Regionen stammt. Am Ende bleibt eine musikalische Kuriosität, die mich überhaupt nicht abholt und große Ausrufezeichen hinterlässt, wie unterschiedlich Geschmäcker doch sein können.

Note: 4,0/10
[Julian Rohrer]



Auch wenn ich nicht der allergrößte Fan dieser deutschen Kapelle bin und mich nicht mit jedem Album im Detail auseinandergesetzt habe, war mir bewusst, dass ich hier kein Album in meiner Lieblingsspielart des Metal erwarten darf. Wenn man nur "Echoes Of Light" ohne Kontext auf die Ohren bekommt, würde man auch nicht wirklich darauf kommen, dass die Band mal ganz finsteren, sumpfigen Death Metal gespielt hat. Deshalb wird hier auch kein Verriss folgen, nur weil die Band sich von den ursprünglichen Wurzeln bis auf die wirklichen starken und mitreißenden Growls und ein paar Blastbeat-Momente entfernt hat. Hier klingt gar nichts sumpfig oder düster oder abgrundtief. Irgendwie verbreiten diese 40 Minuten Hoffnung, und das vor allem durch eine Masse an genialen und einfühlsamen Gitarrenleads, die man in dieser Weise auch von Mark Knopfler kennt.

Immer wieder schießt dieser Gitarrengott einem durch den Kopf, wenn CHAPEL OF DISEASE zwischendurch mal aus dem engen Songkorsett ausbricht und den Gitarren einfach Zeit gibt, etwas rumzuklimpern, platt gesagt. Oft geht das absolut schief, aber hier in diesem Kontext funktioniert das gut. Insbesondere wenn diese lockeren Licks und Melodien sich im Mittelteil von 'A Death Though No Loss' langsam aufbauen, größer werden, um dann in einem großen Höhepunkt aufzugehen. An diesem Punkt denke ich wirklich, dass Julian und ich nicht das gleiche Album gehört haben. Denn für meinen Geschmack bieten die Jungs supereingängige Hooklines im Gesang, als auch an der Gitarre, aber auch daneben noch Solo-Eskapaden, die keinesfalls ins Nirgendwo führen, sondern meinen Ohren immer einen klaren Höhepunkt bieten.

Beispiel gefällig? Wie der Satz "I'm chasing light" immer wieder im Titeltrack von dieser simplen, aber hocheffektiven und schönen Melodie gefolgt wird, das nimmt mich immer wieder mit. Zum Ende des Songs findet dieses Lick in wenig veränderter Form ein weiteres Mal Anwendung und hält für mich so den übrigens stärksten Track der Scheibe zusammen. Darüber hinaus ist 'A Death Though No Loss' lyrisch ganz groß. Besonders der episch-melancholische Refrain hängt mir seit Tagen im Ohr und lässt mich rätseln, was für ein Sinn dahinter steht.

Nichtsdestotrotz finde ich es absolut verständlich, dass sich die Geister dann an 'Shallow Nights' scheiden werden. Einige werden vor allem die einfühlsame Schönheit dieser Ballade hervorheben, doch auf der anderen Seite kann dieser säuselig-brüchige Klargesang (besonders im Gegensatz zu den kräftigen Growls) den anderen auf die Nerven gehen.

Ohne jetzt weiter auf jeden Track eingehen zu wollen, schließe ich diesen Beitrag damit, dass "Echoes Of Light" auf keinen Fall ein Überflieger ist. Auch in unserer Redaktion sieht man, dass ein derart gewagter stilistischer Schritt nicht immer auf Liebe stößt, was auch völlig okay ist. Mir persönlich sagt der mittlerweile vierte Langspieler voll zu, was ich vor der Beschäftigung damit nicht gedacht hätte, da es hier letztendlich keinen Ausfall gibt. Unauffälligere Nummern wie 'Gold/Dust' und 'An Ode To The Conqueror' erschließen sich vielleicht nicht ganz so schnell wie andere Songs, haben mich inzwischen aber vollends überzeugt.

Note: 9,0/10
[Kenneth Thiessen]

Nach dem Vorgänger, einem echten Meilenstein, konnte "Echoes Of Light" von CHAPEL OF DISEASE natürlich nur verlieren. Aber halt: Ist das wirklich eingetroffen? Mein Player wurde tagelang völlig einseitig blockiert. Das entspricht normalerweise nicht im Ansatz meinem Hörverhalten. Aber "Echoes Of Light" ist hypnotisierend. Es ist tief im Prog Rock der Siebziger verwurzelt, es gibt massive PINK FLOYD-Einflüsse, es gibt wunderbar singende Gitarren. Und sporadisch finden sich auch noch Death-Metal-Einflüsse. Aber mit dem Sound von "Summoning Black Gods" hat die Band kaum noch was gemeinsam. Auch zum Vorgänger ist der Bruch gewaltig, der Death-Metal-Anteil (der schon reduziert war) ist auf wenige Prozente heruntergefahren worden.

Ich war zuerst etwas ernüchtert. Mittlerweile liebe ich es. Nein, "Echoes Of Light" kann mit "...And As We Have Seen The Storm, We Have Embraced The Eye" mithalten. Somit ist es bisher klar das beste Album des Jahres. Aber warum endet es nicht mit 'Selenophile'? Für mich der beste Albenabschluss seit langem - und dann kommen seltsamerweise noch zwei Tracks, die man weiter vorne hätte platzieren sollen.

Note: 9,5/10
[Jonathan Walzer]



Ich bin ja nun nicht bekannt als Freund todesmetallischer Grunzwürfel, aber seit ich die Band live erleben durfte und irgendwas von "PINK FLOYD ohne Fisherman's Friends" im Kopf abgespeichert habe, bin ich ziemlich begeistert vom Output der Kölner. Und bereits die ersten Takte vom eröffnenden Titelsong haben mich komplett am Haken. Die Energie ist von Beginn an so unfassbar hoch, dass ich meine altersschwachen Gliedmaßen zum Wippen bringe und völlig euphorisiert unter meinem Kopfhörer ausraste. Der druckvolle, sehr organische Klang, der allen Instrumenten wunderbar viel Freiraum einräumt, sorgt dafür, dass die Chose durch die Bank weg feist nach vorne rockt und eigentlich nur durch den rüden Gesang in der Todesblei-Ecke verortet werden kann. Ansonsten ist das nämlich frisch-freches Stilistik-Patchworking der allerfeinsten Sorte.

Was in den jungen Ohren des hoch geschätzten Kollegen Rohrer dort nicht zusammenpassen soll, will mir auch beim x-ten Durchlauf nicht einleuchten. Die Übergänge sind allesamt butterweich, nichts wirkt aufgesetzt. Außerdem hageln die Hooklines wie ein Himbeer-Geschwader auf mich nieder und ich grunze die ganze Spielzeit lang fröhlich grinsend mit. Für Death-Metal-Freunde ist das sicherlich zu wenig Gehuste und auch rhythmisch rattert hier kein Bolzenwerfer im sechsten Gang durch den Morast. Vielmehr sehe ich vor dem geistigen Auge ein Sumpfboot durch die nächtliche Tampa knattern, umringt von Alligatoren, die nur darauf warten, dass bei der wilden Fahrt etwas Abendessen ins Wasser purzelt. Dies wird aber nicht geschehen, denn die drei Steuermänner wissen, wie man durch so ein unwegsames Gelände gleitet, ohne dabei nass zu werden. Very well done!

Note: 9,0/10
[Holger Andrae]

Große Worte schüren oftmals große Erwartungen, führen aber nicht selten auch zu etwas größeren Enttäuschungen. Denn auch wenn CHAPEL OF DISEASE mit Einflüssen aus verschiedenen musikalischen Zeitebenen weiterhin versucht, sich innerhalb der Szene einen Ruf als fortschrittliche Extrem(?)-Metal-Combo zu sichern, sind die Schritte dorthin weniger aufregend, als es der Großteil meiner Vorredner hier propagiert. Die Truppe aus der Domstadt verliert sich viel zu sehr in ihren ewig langen Soli, tritt zwar summa summarum melodischer denn je zuvor auf, kommt aber in keinem der sechs neuen Songs so richtig auf den Punkt, weil offenbar immer der Zwiespalt zwischen zurückgehaltenem Tatendrang und propagierter Experimentierfreude im Hinterkopf herumschwirrt.

Dass man sich mittlerweile ein ganzes Stück von der derberen Gangart verabschiedet hat, kann man der Band auf jeden Fall abkaufen, da die Interessen ganz offenkundig über den Prügelsektor hinausreichen und man in der Vergangenheit hier schon genügend deutliche Statements abgegeben hat. Den Anspruch, künftig als echte Prog-Band durchzugehen, darf man sich aber zumindest für den Moment und damit auch auf "Echoes Of Light" abschminken, weil die vermeintlich komplexeren Passagen eher erzwungen als spontan erarbeitet wirken und über der ganzen Platte eine Form von Orientierungslosigkeit schwebt, die mich immer wieder ratlos zurücklässt.

Machen sich hier eventuell sogar schon die ersten Anzeichen des mittlerweile vollzogenen Line-up-Karussells bemerkbar? Die Performance ist sicherlich nicht übel, und was die Truppe an den Gitarren liefert, wird sogar Freunde von MAIDEN und Co. phasenweise begeistern, aber beim Songwriting schlägt die Unentschlossenheit zu sehr durch und setzt auch den Energielevel mächtig herunter. Denn wenn man sich schon entschließt, hin und wieder die Brücke zu vergangenen Tagen zu schlagen, sollte hier einfach ein bisschen mehr Pfiff am Start sein als beispielsweise im trägen 'A Death Though No Loss', welches sinnbildlich für den oftmals fehlenden Biss steht. "Echoes Of Light" hat rückblickend sicherlich viele gute Momente und wächst bedächtig; von einem Meisterwerk ist die Platte aber schlussendlich weiter entfernt, als es den Anschein macht.

Note: 6,5/10
[Björn Backes]


Danke Soundcheck. Einfach nur Danke. Was wäre mir hier aus persönlicher Ignoranz mal wieder für eine Perle durch die Lappen gegangen, wenn ich nicht gezwungen gewesen wäre mich mit der neuen CHAPEL OF DISEASE-Platte auseinanderzusetzen. Zu sehr hat mich das Frühwerk der Kölner kalt gelassen und die mittlerweile maßlose Anhimmelei als Rettung des nationalen (progressiven) Death Metal irritiert. SULPHUR AEON, ich hör dich klopfen. Dieses merkwürdige Label "muss man gut finden" sorgt tendenziell immer für eine große Abwehrhaltung, welche sich entweder in allzu negativen Einschätzungen widerspiegelt oder in einer Lemming-artigen Lobhudelei, obwohl man am Ende eigentlich gar nicht weiß, warum das Gehörte so stark gewesen sein soll. War halt Prog – muss schon gut sein. Nähert man sich Album Nummer vier nämlich aus einer rein analytischen Perspektive an, kann man alle ach so progressiven Elemente getrost in die Tonne werfen. Da hat Julian absolut recht. Da hat allein dieser Monat mit NORTH SEA ECHOES und BORKNAGAR qualitativ mehr zu bieten. Enttäuschter wird wahrscheinlich nur der Death-Metal-Maniac sein, welcher auf der verzweifelten Suche nach liebgewonnenen Charakteristika sich eingestehen muss, dass der Nährstoffanteil in Frühstückscerealien prozentual höher ist als das, was sich an Todesstahl auf "Echoes Of Light" wiederfindet. Soweit, so kritisch.

Geht man aber gänzlich ohne Erwartungen an diese Scheibe ran und ersetzt Prog durch Stiloffenheit, dann könnte man genauso weggeblasen werden wie ich. Mit einer Liebe für moderne OPETH, einem Faible für alles Okkult-rockige und einem großen Interesse an Shoegaze (nicht alles ist immer gleich ALCEST) trifft die Kapelle direkt in mein Herz. Nein, nicht in den Kopf, sondern genau dahin, wo halt 10-Punkte-Alben entstehen. Das hat nichts mehr mit Gänsehaut zu tun – mir wachsen schon Federn. Vom ersten Klang des göttlichen Titeltracks bis zu dem kongenialen Ende von 'An Ode To The Conqueror' möchte ein Teil von mir davonfliegen, während sich die andere Hälfte an die Boxen klammert um auch keine noch so kleine, wunderschöne Nuance zu verpassen. Nennt mich ruhig Bella, aber "Echoes Of Light" funkelt für mich mehr als Edward in der Sonne und ist der haushohe Favorit auf das Album des Jahres 2024.

Note: 10/10
[Stefan Rosenthal]

Aaaaalso: Wir haben hier sechs Traumnoten (inklusive Tobias' Zehner im Hauptreview) und zwei starke Abweichler nach unten. Das ist oft ein Charakteristikum für künftige "Klassiker", denn ich meine, um ein solcher zu werden, bedarf es auch einer Anzahl von Leuten, die dies gar nicht so sehen. Nur so entsteht eine spannende Diskussion.

Hier noch kurz eine Meinung eines oftmals "komischen" Ohres. Also ich habe wohl ähnlich wie Julian und Björn doch ein paar Probleme, mich in die Musik einzufinden, mir fehlt ebenso ein wenig die Orientierung im Gehörten. Ob Julian die passende Erklärung dazu liefert, steht für mich aber noch offen. Was ich aber ebensowenig finde wie er, das sind die Hooks. Und wer generiert in der Regel Hooks?

Ja genau, der Gesang. Gesang? Stimmt, es gibt hier Gesang, und an dem hat hier erstaunlicherweise noch keiner gekrittelt, doch der ist für mich einfach total unscheinbar. Growls sind das nicht, vielleicht Grunzerchen, aber warum? Warum installiert man - wenn man eh schon so weit entfernt ist vom Death Metal - keinen wirklich prägnanten Sänger? Dann diese verhallten Shoegaze-Vocals wie bei 'Shallow Nights', ja die sind tatsächlich, na ja, flach eben. Übrigens, hab ich schon mal gesagt, dass ich ALCEST total langweilig finde?

Ich höre aber auch viele schöne Passagen auf dem Album, 'Gold/Dust' fällt zum Beispiel auf. Die Gitarren sind auch cool, müssen sie das nicht auch sein, wenn die Therapeuten sowohl IRON MAIDEN als auch MARK KNOPFLER heraushören, oder? Doch ich komme beim Hören oft wieder zu meinem Hauptpunkt zurück: Für ne Neun oder Zehn will ich hier 'nen geilen Sänger, einen der mich mitreißt, mich an den Eiern packt, nicht so ein Fröschlein. Den Rest der musikalischen Darbietung finde ich aber durchaus ansprechend.

Note: 7,0/10
[Thomas Becker]

Redakteur:
Thomas Becker

Login

Neu registrieren