Gruppentherapie: CANDLEMASS - "Sweet Evil Sun"

01.12.2022 | 23:05

Wir haben wieder einige Gruppentherapien für euch, also Alben, die wir auf Herz und Nieren für euch getestet haben. Den Anfang machen die Doom-Heroen CANDLEMASS, die im vergangenen Monat ein richtiges Sahneschnittchen abgeliefert haben. Doch "Sweet Evil Sun" bot vereinzelt auch Anlass zur Kritik. Lest selbst, was wir zum neuen Doom-Epos zu sagen haben.

Checkt auch gerne die Hauptreview unseres geschätzten Frank Wilkens, die ihr hier nachlesen könnt.

 

Irgendwie muss ich davon ausgehen, dass mein Kollege Frank und ich zwei verschiedene Versionen von "Sweet Evil Sun" gehört haben, denn von den Feststellungen in seiner Hauptrezension kann ich nur sehr wenige nachfühlen. Einen wichtigen Punkt möchte ich allerdings unterschreiben, denn auch für mich ist die Rückkehr von Johan Längquist kein Grund zur Freude. Ja, der ursprüngliche CANDLEMASS-Fronter macht auch auf dem neuen Langspieler eine solide Figur, trotzdem haben mir Mats Léven und vor allem Robert Lowe zum Beispiel deutlich besser in dieser Rolle gefallen. Längquist fehlt in meinen Ohren einfach das gewisse Etwas, das mich aufhorchen lässt und auch mal den einen oder anderen Überraschungsmoment bietet. Dafür holt das Songwriting auf "Sweet Evil Sun" die Kohlen locker aus dem Feuer, denn mit 'Wizard Of The Vortex', 'Black Butterfly' oder 'Scandinavian Gods' haben Bandboss Leif Edling und seine Mitstreiter einige echte Perlen im Gepäck, die mich den Silberling auch nach der Begutachtung für den Soundcheck einige Male haben auflegen lassen. Klar, CANDLEMASS ist schon ein wenig das Pendant zu AC/DC im Doom Metal, denn musikalisch bewegt sich die schwedische Institution seit Jahren immer im selben Fahrwasser, aber solange der bekannte Sound in so "zwingenden" Songs (wenn man von solchen im Doom-Bereich überhaupt sprechen kann) zelebriert wird, geht das für mich mehr als in Ordnung. Franks Kritikpunkt in Bezug auf das etwas sterile Schlagzeug kann ich hingegen durchaus nachvollziehen, denn selbiges wirkt in der anonsten sehr organischen und lebendigen Produktion irgendwie etwas fehl am Platz. Dennoch ist mir "Sweet Evil Sun" in der Endabrechnung 9 Punkte wert, da wir es hier mit einem sehr starken Spätwerk der Doom-Titanen zu tun haben, das locker die Nase vor dem Vorgänger "The Door To Doom" hat. Und auch wenn "King Of The Grey Islands" mein Favorit in der Phase nach 2000 bleibt, wird der dreizehnte Langdreher bei mir sicher noch die eine oder andere Runde drehen.

Note: 9/10
[Tobias Dahs]

 

Wir sind mittlerweile in jener Jahreszeit angekommen, in der ich Doom Metal sehr viel abgewinnen kann. Das beginnt bei SORCERER, geht über PURIFICATION und ATLANTEAN KODEX, wenn es etwas epischer werden soll, bis meine Stimmung letztendlich bei CANDLEMASS angekommen ist. Und in den wirklich letzten Sonnenstrahlen dieses Jahres erwacht diese süße, kleine Evil-Sonne zum Leben. Die Songs auf Rundling Nummer 13 sind heavy, majestätisch und haben diesen fiesen Unterton, der zum November und Titel hervorragend passt. Auch wenn ich mit dem neuesten Artwork herzlich wenig anfangen kann und "Sweet Evil Sun" selbstverständlich auch nicht an "Epicus Doomicus Metallicus" und "Nightfall" herankommt, so entwickelt sich die Platte dennoch zu einem richtig bockstarken Album: Das beginnt schon beim heftigen Riff von 'Wizard Of The Vortex', wird dank des tollen Gastbeitrags von Jennie-Ann Smith (AVATARIUM) bei 'When Death Sighs' weitergeführt, hat mit 'Scandinavian Gods' ein richtiges Bollwerk am Start und wird mit dem göttlichen 'Goddess' wie aus dem Epic-Doom-Bilderbuch zu Ende gebracht. Dazwischen sorgen Längquists Beiträge für eine bleischwere, düstere Stimmung, 'Devil Voodoo' für diese gewisse Magie und dezente Melancholie-Anflüge für das Salz in der Suppe. Unterm Strich müssten wir unseren jüngst hervorgebrachten CANDLEMASS-Diskografiecheck nochmals auf links drehen, ist "Sweet Evil Sun" doch zumindest in der Europa-League der Band einzusortieren.

Note: 8,5/10
[Marcel Rapp]

 

Es ist so eine Sache mit den Meisterwerken. Hat eine Band welche im Backkatalog, wird sie immer wieder an diesen Großtaten gemessen. Das lässt sich gar nicht vermeiden. Bei mir rangiert "Epicus, Doomicus, Metallicus" unter den zehn besten Langspielern aller Zeiten, "Nightfall" schafft es auch locker in die Top 20. Kann das aktuelle Album da mithalten? Natürlich nicht. Bin ich deshalb von "Sweet Evil Sun" enttäuscht? Keinesfalls. Ich kenne nicht viele Veröffentlichungen im Genre Doom der letzten Jahre, die die schnuckelige fiese Sonne deutlich in den Schatten stellen würden. Ja, da sind aus hiesigen Landen CROSS VAULT und WHEEL und natürlich SOLSTICE (UK) mit dem Hammer "White Horse Hill", der ganz neue Maßstäbe gesetzt hat. Aber ansonsten fällt mir kein Album ein, das deutlich besser wäre als "Sweet Evil Sun". Das Artwork ist auch nicht verkehrt, auch wenn es ein wenig wie ein edles Rasierwasser für Biker aussieht. Der Drumsound scheint in der Tat nicht ganz optimal zu sein, aber erinnern wir uns doch daran, dass "Ancient Dreams" in dieser Beziehung auch nicht gerade ein Ruhmesblatt war. 'Wizard Of The Vortex' schafft gleich die passende Stimmung, und ich vertraue mich gerne den famosen Gitarren an, dass sie mich gut durch das neue Material führen. Das funktioniert einwandfrei. Auch das flottere 'Angel Battle' kann überzeugen. Mit dem Titelsong ist dann ein waschechter Hit am Start, den ich immer wieder gerne höre. Auch 'Scandinavian Gods' hat Klasse. Mit 'When Death Sighs' werde ich zwar noch nicht warm, aber das kann sich ja noch ändern. Natürlich vollbringt Johan Längquist heute keine Heldentaten mehr, aber seine Stimme hat Persönlichkeit und passt gut zu den neuen Songs. Diese zum Sterben schöne Melancholie der ersten beiden Alben fehlt auf "Sweet Evil Sun", aber das ändert nichts an der Tatsache, dass CANDLEMASS ein wirklich gutes Doom-Album mit ausgezeichneter Gitarrenarbeit gelungen ist.

Note: 8,5/10
[Jens Wilkens]

 

CANDLEMASS bietet mit "Sweet Evil Sun" business as usual. Das mag manche nicht mehr vom Hocker reißen, und natürlich werden keine Bäume mehr ausgerissen. Doch wie auf den letzten beiden Alben (der Sänger-Wechsel brachte ja keinen Qualitäts-Wechsel) gibt es hochklassigen Doom, der jedem Genre-Freund nicht nur munden sollte. Man muss auch wirklich intensiv suchen nach Bands, die die Klasse der letzten CANDLEMASS-Outputs deutlich übertreffen. LORD VIGO wäre vielleicht ein Kandidat, oder ISOLE. Den Thron besteigt Leif Edling wohl nicht mehr - das letzte Mal, dass die Kerzenmesse alles überstrahlte, war aus meiner Sicht bei "Death Magic Doom" vor mittlerweile 13 Jahren. Aber die Band macht spätestens seit dem selbstbetitelten Album wieder durchgehend hochklassigen Doom, der die Konkurrenz nicht scheuen muss. Der Vergleich, der hier natürlich gezogen werden muss, ist im Moment DOOMOCRACY. Da würde ich behaupten: Trotz etlicher Ohrwürmer liegt CANDLEMASS leicht hinten. Das sollte Freunde des Stils aber nicht daran hindern, beide Scheiben ins Regal zu stellen.

Note: 8,5/10
[Jonathan Walzer]

 

Doom Metal hat es bei mir von Haus aus schwer, da ich mit der Summe aus den vielen repetitiven Motiven, der grundsätzlichen Zurückhaltung, was Geschwindigkeit betrifft, und dem Schwerpunkt auf Riffing schneller gelangweilt bin, als die Band braucht, um auf den Punkt zu kommen. Somit konnte ich bisher auch mit "Nightfall" und dem Debüt nicht wirklich viel anfangen – gehört habe ich sie trotzdem, da man ja nicht auf dem Mond lebt und die Stellenwerte dieser Alben unbestreitbar sind. Doch seit einigen Jahren wird CANDLEMASS immer interessanter und der Grund heißt AVATARIUM. Diese Band liebe ich tatsächlich abgöttisch und so stark wie nie zuvor habe ich das Gefühl mit "Sweet Evil Sun" ein Album des legitimen Zwillingsbruders zu hören. Es macht nämlich von der Gesangsstruktur, den Gesangslinien und -harmonien fast keinen Unterschied, ob man Johan Längquist oder Jennie-Ann Smith hört. An allen Ecken und Enden scheint Songschreiber Leif Edling durch. Und selbst wenn dieser bei AVATARIUM mittlerweile eine untergeordnete Rolle spielt, hat sich das Ehepaar Smith und Jidell doch seine Songwriting-Art zu eigen gemacht und schreibt im gleichen Stil weiter. Häufig kann man lesen, dass diese Beiden mittlerweile sogar die besseren Edling-Songs schreiben als der Meister himself. Doch spätestens mit dem Titelstück (geiler Refrain), 'Scandanavian Gods' oder 'Black Butterfly' ist diese Sichtweise hinfällig. Das sind richtig starke Ohrwürmer, welche ich so im Doom-Bereich nicht ständig serviert bekomme und somit plötzlich auch gar keine Probleme mehr mit den eingangs erwähnten Grundzutaten habe. Hinzu kommt nämlich, dass die Band sich auf ihre Riffs auch fokussieren kann, da sie durch die Bank fett und memorabel sind. Ich würde behaupten, dass ich seit BLACK SABBATHs "13" nicht mehr so viel Spaß (darf man das sagen?) an dieser Art der Musik hatte, auch wenn die Band gegen Ende etwas die Ideen verlassen. Trotzdem richtig klasse! Kurze Anmerkung noch zum Artwork, da dieses ja durchaus kontrovers aufgenommen wird. Ich finde es vollkommen in Ordnung und verstehe es durch seine Simplizität und den Fokus auf den Schädel als Hommage an "Epicus, Doomicus, Metallicus", welches nach der Rückkehr des Ursängers auch Sinn macht. Dass dabei ein cooles T-Shirt-Motiv bei rumkommt, ist ein netter Nebeneffekt, würde ich sagen.

Note: 8,5/10
[Stefan Rosenthal]

 

Wenn man sich so durch der Kollegen Texte und deren Noten blättert, dann bleibt doch ein wenig Verwunderung darob zurück, dass es die "Sweet Evil Sun" im November-Soundcheck nicht aufs Stockerl geschafft hat. Nun, Micha und Fränky wollten ihr die Acht und die Sieben nicht gönnen, obwohl die Scheibe ansonsten stabil im oberen Bereich lag. Ist das alles so nachvollziehbar? Nun, teilweise ja, würde ich sagen, und zwar beides. Das stabil gute Abschneiden bei der Mehrheit auf jeden Fall, denn im Prinzip hat auch Langspielplatte Nr. 13 alles, was ein CANDLEMASS-Album so mitbringen muss: tonnenschwere Riffs, eingängige Hooklines, sowohl an der gesanglichen als auch an der instrumentalen Front, Leif Edlings fraglos unverkennbares Songwriting, das reihenweise Songs mit hohem Wiedererkennungswert zu Tage fördert, und mit Johan Längquist eine Stimme, die den dunklen, melancholischen Texten ordentlich Ausdruck und Tiefgang verleiht. Alles gut, also? Nun, einen Hauch von Verständnis kann ich tatsächlich auch der Gegenrede entgegen bringen, die den Schweden im achtundreißigsten Jahr der Bandgeschichte das Siegel der Brillanz versagen möchte, denn bei den ersten paar Durchläufen klingt die süße, böse Sonne doch ein kleines bisschen zu routiniert, mag man meinen. Es scheinen sowohl die großen, theatralischen Gesten zu fehlen, als auch der Mut zu den kleinen Überraschungen und außergewöhnlichen Twists. Doch sind die Schweden wirklich zu satt geworden? Spielen sie zu sehr auf Nummer sicher? Eine schwierige Frage, so scheint es, doch mit jeder Runde, die "Sweet Evil Sun" dreht, fällt mir die Antwort leichter, denn sie sind sehr wohl alle beide da, sowohl die kleinen, besonderen Spielereien, die wir so von CANDLEMASS noch nicht allzu oft hatten, als auch die großen Gesten mit Theaterdonner. Für letztere sorgt insbesondere Lars Johansson mit seinen Gitarrensoli, die einerseits einen richtig schön dreckigen Sound haben, und andererseits auch gerne mal sehr fies in die doomige Elegie hineinschneiden und sich so sehr prominent präsentieren, ohne allzu ausufernd zu sein. Von der einen oder anderen lässigen Divebomb will ich gar nicht erst anfangen zu schwärmen. Die kleinen Wundermomente liefert dagegen vor allem die Gesangsarbeit, die Johan Längquist gerade dann brillieren lässt, wenn die Töne um ihn herum etwas leiser werden und der Gesangslinie das volle Spotlight gönnen. Da zeigt sich seine ganze Vielseitigkeit, die eben nicht nur den leicht angerauten, anklagenden Doom-&-Dirge-Rezitativ kennt, sondern auch ganz andere Facetten. Daher ist am Ende der Tenor meines Beitrags insbesondere der Dissens zu all jenen, die - ganz gleich, ob bei insgesamt eher wohlwollender oder eher zurückhaltender Notengebung - den guten Johan als vermeintlichen Schwachpunkt von CANDLEMASS 2022 ausgemacht haben wollen: Ein solcher ist er mitnichten!

Note: 8,5/10
[Rüdiger Stehle]

 

Ein neues Album meiner Doom-Helden CANDLEMASS ist immer eine freudige Angelegenheit, auch wenn die letzte Scheibe rein musikalisch etwas unspektakulär für mich war. Dafür habe ich den Support-Auftritt von GHOST noch sehr lebhaft vor dem geistigen Auge. Das war eine klitzekleine Sensation, denn mir war vorher nicht klar, ob Johan noch immer gut bei Stimme sein würde. War und ist er natürlich auch immer noch. Wo andere hier einen vermeintlichen Schwachpunkt im Gesamtbild hören wollen, erschließt sich mir nicht. Sein rauchiges Timbre passt für mich ganz ausgezeichnet zum kraftvoll-voluminösen Klangbild der Kerzenmesse im Jahr 2022. Mit den Songs an sich habe ich allerdings leichte Schwierigkeiten. Nicht, dass diese nicht allesamt mindestens gut wären, es ist vielmehr die Nähe zu AVATARIUM, die vor allem in Highlights wie dem mächtig schweren 'Black Butterfly' sehr deutlich zum Vorschein kommen. Da habe ich manchmal den Eindruck, Leif würde seine Kompositionen je nach zeitlichem Bedarf mal hier und mal da verwerten. Bei der Klasse könnte mir eigentlich egal sein, unter welchem Banner das erscheint, aber mir fehlen außerdem die wirklich großen, fast schon hymnischen Melodien oder Tempovariationen. Jeder Song für sich ist sehr gut, aber dieses konstante Wiederverwerten sehr ähnlicher Riff-Ideen ist auf Albumlänge leider ein kleines Manko. Klar, es gibt sie, die Momente mit Variationen, die ruhigeren Passagen und sogar auch einen kurzen Moment an Geschwindigkeitszunahme, aber mir ist das etwas zu wenig, um komplett begeistert zu sein. Die überraschende Rhythmus-Unterlegung beim sonst tollen 'Scandinavian Gods' ist in meinen Ohren ziemlich misslungen. Da hätte man deutlich mehr draus machen müssen. So klackert es einfach nur stoisch und stumpf vor sich hin. Nichts, was ich von so einer Legenden-Band erwarte. Da ergibt sich unterm Strich für mich ein Album, welches ich gern weiterhin auflegen werde, welches mich aber nicht komplett begeistern kann.

Note: 7,5/10
[Holger Andrae]

 

Redakteur:
Marcel Rapp

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