Gruppentherapie SKÁLMÖLD - "Vögguvisur Yggdrasil"

17.10.2016 | 22:30

Hier krachen Geschmackswelten zusammen.

Selten hat ein Album die Powermetal.de-Redaktion so gespalten wie der Soundcheck-Letzte des Septembers: "Vögguvisur Yggdrasil" von SKÁLMÖLD. Für den einen ist die Scheibe der universale Sündenbock für alles Unheil auf der Welt, für den anderen öffnen sich beim Hören ganz neue Welten. Und während der eine bei der Musik bestenfalls an Toiletten-Aktivitäten denkt oder aber am liebsten in die Tischkante beißen würde, feiern andere eine höchst gelungene musikalische Verneigung vor der isländischen Edda. Anderen wiederum kommt hierzu eher heiteres Schunkeln in den Sinn, wohingegen ein weiterer Teil des Teams die Musik als eher sperrig einsortiert. Und dann kommen auch Vergleiche zu solch grundverschiedenen Bands wie BÖHSE ONKELZ, SABATON, KORPIKLAANI und DIO! Ja was ist denn hier los? Um das möglichst erschöpfend zu klären, lassen wir nichts unversucht, und zwangsverpflichten sogar besonders leidensunwillige Kollegen zu einem weiteren Hördurchgang. Sie haben das Wort, Herr Meyer!

Manchmal empfinde ich meine Mitstreiter hier wirklich als einen sadistischen Haufen. Nun muss ich mir die Platte nochmals anhören (hoffentlich zum letzten Mal), muss mit Ohrenbluten klarkommen, meine Freundin und mein Sohn dürfen nun den ganzen Tag meine schlechte Laune ertragen. Vielen Dank! Aber nützt ja alles nix, schließlich sind wir ja nicht zum Spaß hier. Wie soll ich anfangen? Ich bin ja jemand, der der Meinung ist, dass Bands wie THE BOSS HOSS, VOLBEAT, BÖHSE ONKELZ und Typen wie STEVEN WILSON für alles Elend dieser Welt zuständig sind, seien es Kriege, sei es die Umweltverschmutzung oder auch nur mein schon lange nicht mehr geputzter Grill auf dem Balkon. Nun haben die Genannten tatsächlich einen Mitstreiter gefunden, der es liebt, mich noch mehr fertig zu machen, so dass ich noch mehr am Zustand unserer desolaten Welt zweifeln muss. Nicht Merkel ist schuld, liebe AfD. Wenn man sich ein Album wie "Vögguvisur Yggdrasils" anhört, wie kann man dann tatsächlich darauf kommen, die ganze Schuld der Bundesregierung in die Schuhe zu schieben? Es braucht nur ein paar Isländer, die unter dem Pseudonym SKALMÖLD um die Ecke kommen und bei mir nichts als verbrannte Erde hinterlassen. Und das meine ich hier ausdrücklich nicht positiv! Gott, wie kann einem das ganze Gefiedel und Heididei nicht auf den Sack gehen? Wieso kann man den Nöl-Chor bei 'Nidavellir' nicht einfach ausschalten? Wieso kann man dem Flötenheinz nicht einfach sein Instrument wegnehmen? Warum muss der Kevin Russell von den ONKELZ einen Bruder in Island haben, der mich mit seiner Stimme erzürnen lässt? Und wieso muss man auf dem Klo unbedingt Riffs komponieren, statt einfach ein Buch zu lesen? Wenn jemand die Antwort darauf hat, bitte schnellstens Bescheid geben!

Note: 1,5/10
[Michael Meyer]

Die Isländer von SKALMÖLD veröffentlichen mit "Vögguvisur Yggdrasil" ein Album, das stark polarisiert hat. Natürlich hat mich interessiert: Was ist denn so besonders an diesem Scheibchen? Außer, dass wohl keiner den Titel richtig schreiben oder gar aussprechen kann? Es gibt neun Songs auf 50 Minuten, deren Titel zwar alle nur aus einem Wort bestehen, die ich aber trotzdem quasi nach dem Durchlesen schon wieder vergessen habe. Musikalisch gibt es Folk Metal der Marke KORPLIKLAANI, vielleicht mit etwas weniger Humppa-Faktor, dafür aber mit mehr SABATON-lastigen Keyboards, ordentlichen Gitarrensoli und Mitsingchören etwa auf ENSIFERUM-Niveau. Für viele ist das sicher die schlimmste Form des Plastik-Metals, für andere dagegen die optimale Partybeschallung. Nach mehrmaligem Hören kann ich beide Gruppen irgendwie verstehen. Ja, diese Isländer sind mitreißend, sie haben ordentlich Spaß, das glaube ich zumindest zu hören. Der Faustfaktor ist erkennbar, und aus meiner Sicht handelt es sich eindeutig um eine Metal-Combo. Aber: Es klingt zu vieles auch einfach unheimlich glatt. Wenn ich mir beim Anhören denke, wie hart frühe ENSIFERUM- oder SABATON-Scheibchen waren, spricht das nicht für SKALMÖLD. Der Gesang von Fronter Björgvin Sigurdsson ist zudem furchtbar eindimensional. Da kann er mit Joakim Broden nicht mithalten. Insgesamt bleibt ein ordentlich eingespieltes, leider sehr langweilig produziertes Metal-Album, das nicht wehtut, aber auch nicht begeistert. Damit hebt sich SKALMÖLD zwar deutlich vom dilettantischen Bodensatz der Szene ab, aber bleibt da, wo eigentlich keiner stecken möchte: In der Belanglosigkeit.

Note: 5,0/10
[Jonathan Walzer]

Ja, was der Kollege Walzer schreibt, deckt sich ziemlich mit meiner Wahrnehmung. Allerdings bin ich natürlich von der Zielgruppe so weit entfernt wie der Pluto von der Sonne und damit für so ziemlich niemanden, der solche Musik mag, in irgendeiner Form ein Maßstab. Meine generelle Abneigung gegen diese ganzen Schunkelkapellen hilft jetzt natürlich nicht ausgerechnet "Vögguvisur Yggdrasil" gut zu finden. Gerade die Flötentöne lassen mich auch schon mal mit pulsierender Halsschlagader in die Tischkante beißen. Aber: So viel schlechter als KORPIKLAANI und andere Suffköpfe ist das hier auch nicht. Und im Vergleich zu Joakim Broden ist jeder Sänger ein wahrer Hochgenuss. Eindimensional und langweilig ist Sigurdssons Performance natürlich dennoch. Das ist durchaus erstaunlich, denn auf dem Vorgänger "Með Vættum" war das in dem Maße noch nicht der Fall und auch das Songwriting war dort in meinen Ohren abwechslungsreicher. Anyway, "Vögguvisur Yggdrasil" wiegt mich eher in den Schlaf, als dass ich fröhlich schunkele. Ziel verfehlt.

Note: 4.5/10
[Peter Kubaschk]

Also manchmal sind die Ohren und Hirne der Herren Kollegen für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Des einen Löffel vernehmen akustische Umweltverschmutzung, und der anderen Lauscher folkigen Schunkelkram zwischen KORPIKLAANI, ENSIFERUM und SABATON. Es tut mir ja leid, die Herrschaften, aber exakt nichts davon kommt hier bei mir an, sondern eine Band, die sich musikalisch kompetent - teils gar genial - und lyrisch sehr ernsthaft und sachkundig anschickt, dem geneigten Hörer einen Wegweiser durch die neun Welten des Baumes Yggdrasil zu liefern und zwar in Form der besagten Wiegenlieder Neun. So zieht sich eine faszinierende Perlenkette von 'Muspellheim' über Wurzel, Stamm, Ast und Zweig bis 'Vanaheim' und zu jeder Stätte des alten Weltbilds unserer Ahnen findet das Sextett die passende Stimmung, die passenden Töne, die passenden Worte und die passenden Weisen, die für mich tatsächlich die besungenen Welten sehr treffend einfangen und vor dem inneren Auge erstehen lassen. Klar, es tauchen folkoristische Elemente auf, doch die sind gerade nicht bierselig schunkelig, Kamerad Jhonny, sondern ganz im Gegenteil, meist dunkel, finster und dramatisch, eben so, wie es sein muss, durch mystische Welten zu streifen, woran auch der Flötenschlumpf bei 'Niðavellir' nichts ändert. Die Keyboards etwa bei 'Miðgarður' erinnern mich dann auch weit mehr an alte DIO-Sachen als an SABATON, die Gitarrenleads sind stets faszinierend, manchmal fast magisch, und der Sound insgesamt klingt in meinen Ohren so überhaupt nicht zu glatt oder gar nach Plastik. Nein, das will ich nicht verstehen, was das geschätzte Kollegium hier vom Stapel lässt, und dem Fass den Boden schlägt's dann zum bösen Ende hin aus, wenn die Herrschaften euch zu allem Überfluss auch noch erzählen wollen, dass der Gesang eindimensional sei. Hier beteiligen sich tatsächlich alle sechs Bandmitglieder an der stets in Isländisch gehaltenen Vokalakrobatik, die ausgiebig mit eddischem Versmaß und den zugehörigen Alliterationen arbeitet, und das hört man auch in einer massiven Bandbreite von Growlen, Keifen, Shouten, klarem Gesang und Chören; selbst wenn das prägende raue und grölende Organ von Frontmann Björgvin Sigurðsson zugegebenermaßen gewöhnungsbedürftig ist. Nö, Leute, bei aller Liebe, da liegt ihr einfach voll daneben, "Vögguvísur Yggdrasil" ist ein bärenstarkes Album, aber vielleicht muss man doch eine ausgeprägte Ásatrú-Affinität mitbringen, um darin richtig versinken und ergriffen sein zu können. Bei mir funktioniert es jedenfalls auf ganzer Linie, und ich danke den Herren Isländern für ein weiteres grandioses Album für Freunde der firnen Sitte.

Note: 8,5 Punkte
[Rüdiger Stehle]

Ich kann die äußerst kritischen Töne meiner Kollegen hinsichtlich "Vögguvisur Yggdrasils" zum Teil verstehen und auch ich tat mich anfangs schwer mit den sperrigen Tönen von SKALMÖLD. Für die einen, wie es Jhonny passenderweise gesagt hat, ist es am Rande der Erträglichkeit, für die anderen ein gelungener Soundtrack zu kommenden Humppa-Partys. Was macht für mich den Reiz aus? Nun, zum einen fasziniert mich SKALMÖLD bereits seit "Baldur"; ich hab die Band zwei, drei Mal live sehen können und stets beschenkte sie mich mit neuen Ohrwürmern und rundum tollen Songs. Gänzlich objektiv ging ich also an das nunmehr vierte Album der Isländer nicht heran. Zum anderen enttäuschte mich "Vögguvisur Yggdrasils" auch keineswegs: Die Songs gehen gut ins Ohr, sind nicht so aufdringlich und ekelhaft penetrant wie von genreähnlichen Konsorten. Die leichten Ecken und Kanten, die speziell die Gesangsfraktion von sich gibt, runden paradoxerweise das Gesamtbild gut ab. Hinzu kommt eine Atmosphäre, die mich in den Stunden der Sonnenstrahlen in ihren Bann zieht und dadurch diesen Rundling zu einem Album avanciert, mit dem ich noch wochenlang meine Freude haben werde. Kann man teilen, muss man aber nicht. Es gibt ja genügend Mitstreiter, die anderer Meinung sind.

Note: 8,5/10
[Marcel Rapp]

Bei den Göttern, da weht den Skalden aus dem hohen Norden hier bisweilen aber ein rauer Wind entgegen! Um es gleich ganz am Anfang loszuwerden: "Vögguvisur Yggdrasils" auch nur in die Nähe von heiter-folkigen Tavernen-Schlagern wie KORPIKLAANI zu rücken, grenzt in meinen Ohren schon an Blasphemie! DAS hier, liebe Kollegen, ist Pagan Metal, wie er klingen sollte, und eine musikalische Verneigung vor der isländischen Edda. Fingerfertige Gitarrenläufe und ein grollender Björgvin Sigurdsson führen mit dramatisch-düsterem Grundton durch den Weltenbrand 'Muspell', beinahe heroisch klingen Saiteninstrumente und der klare Gesang zum Sitz des stolzen Göttergeschlechts 'Asgardur'. Es wird gegrowlt, gescreamt, fast schon sakrale Chöre unterstützen Björgvin - auf der mystischen Reise zieht SKÁLMÖLD so ziemlich alle musikalischen Register, um der Epik der nordischen Sagenwelt gerecht zu werden. Nichts mit Schunkelfolk, sondern düster, dramatisch und - ja, ich gebe es zu - ein klein wenig sperrig. Aber dieses Thema in seiner ganzen Bandbreite auf ein Album zu packen und dann noch einigermaßen leicht anhörbaren Metal zu machen... da müssten schon die Götter ihre Hände im Spiel haben.

Note: 9,5/10 Punkte
[Leoni Dowidat]

Redakteur:
Thomas Becker

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