Gruppentherapie MOONSPELL - "1755"

23.12.2017 | 22:54

Die aktuelle MOONSPELL-Scheibe "1755" hatte in unserem November-Soundcheck nicht gerade einen leichten Stand. Manche Kollegen fanden die Platte überraschend gelungen und vielschichtig, während andere den Metal-Anteil in der Musik der Portugiesen vermissten. Unter dem Strich reichte es damit nur zu Platz 11, was unseren Gruppentherapeuten Anlass dazu gab, den Silberling noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

"Extinct", das letzte Album der Portugiesen (2015), traf mich total unvorbereitet und begeistert mich nachhaltig - ich lege es immer noch sehr gerne auf und feiere Songs wie 'Breathe', 'Domina' oder 'The Future Is Dark'. Ganz tolles Album! Umso gespannter bin ich auf "1755"; auch das Konzept - es wird das Lissaboner Erdbeben von 1755 thematisiert - finde ich spannend. Gar nicht gut jedoch will mir die Entscheidung gefallen, dass man komplett auf portugiesisch vorträgt. Hier wäre etwa eine Bonus-CD mit englischen Vocals gern gehört gewesen oder aber ein Mix der Sprachen, wie es bspw. LUCA TURILLIS RHAPSODY mit italienisch und englisch vormacht. Apropos RHAPSODY: Die Orchester- und Chor-Arrangements von "1755" würden auch den Stiefel-Metallern gut stehen. Was mir gut gefällt ist, dass "1755" anders klingt als andere MOONSPELL-Alben: Das Kopfkino liefert die Bilder zur Musik und man findet sich mitten im Chaos von 1755 wieder. Nicht nur der Bombast, auch der fast komplette Verzicht auf Fernandos Gesangsstimme und das famose, düstere Riffing lässt das zwölfte Album in der Diskografie hervorragen. Nein, "1755" wird "Extinct" nicht ablösen, aber es ist ein gelungenes Experiment, welches dennoch Potential gehabt hätte.

Note: 7,0/10
[Jakob Ehmke]

Es tut mir leid, aber das macht hier alles keinen Sinn. Ich versuche zum dritten oder vierten Mal ein paar sinnvolle Sätze zu diesem Album zu schreiben, aber es lässt mich so fürchterlich kalt. Was äußerst erstaunlich ist, denn eigentlich ist an Jakobs Beschreibung nicht viel auszusetzen. Somit müsste "1755" voll in mein Beuteschema passen. Ich kann dieses Album aber einfach nicht fühlen. Mich erreichen die Orchester-Arrangements nicht, weil sie einfach über den Dark-Metal-Sound drüber gelegt wurden, anstatt mit diesem zu verschmelzen. Mir bleibt keine einzige Melodie, kein einziges Riff wirklich nachhaltig im Ohr hängen, die Songs flutschen links rein und recht wieder raus. Außerdem: Wenn ich an MOONSPELL etwas wirklich geliebt habe, dann diese SISTERS OF MERCY-goes-Metal-Momente, wie sie auf dem Vorgänger "Extinct" so reichlich und großartig vorkamen. Die Gesangsdarbietung auf "1755" finde ich nun aber sehr eindimensional und allerhöchstens durchschnittlich. Wirklich schade, dass das mit MOONSPELL und mir nicht wirklich langfristig was geworden ist. Ich mache jetzt ganz schnell das schrecklich schräge Ende von 'In Tremor Dei' aus und höre noch eine Runde "Extinct".

Note: 6,0/10
[Martin van der Laan]

 

Mein Güte, so viele Durchläufe wie für "1755" habe ich schon lange nicht mehr gebraucht, um mir eine endgültige Meinung zu einer MOONSPELL-Platte zu bilden. Dabei war mein erster Eindruck dem von Martin gar nicht so unähnlich, denn auch mich hat der Silberling nach den ersten Durchläufen im Gegensatz zum Vorgänger erst einmal überraschend kalt gelassen. Vielleicht liegt es daran, dass die Platte durch die portugiesischen Vocals in ihrem Konzept erst einmal schwer zugänglich ist, vielleicht liegt es auch daran, dass die Platte, wie Jakob schon anmerkte, wie kein anderes Album der Südeuropäer klingt. Gibt man der Scheibe aber ein paar Durchläufe, dann graben sich die pompösen Kompositionen mit den ausladenden Chören und fetten Orchestrationen langsam in den Gehörgang und vor allem die herrlich düstere Atmosphäre entfaltet langsam ihre gesamte Wirkung. Bestes Beispiel ist hier der Titeltrack '1755', der sich mit der Zeit zu einem echten Epos mausert, sodass ich das Album auch nach mehreren Wochen noch gerne mit einem erneuten Spin würdige. Einziges Manko bleiben für mich daher die sich mir nicht direkt erschließenden Texte, denn ich glaube, dass die Langrille mit englischen Vocals ihren konzeptuellen Kontext zumindest für Hörer, die nicht aus dem Heimatland der Musiker stammen, noch deutlich besser entfalten könnte. Trotzdem ist "1755" unter dem Strich ein packendes und vielschichtiges Album geworden, das sich nicht im übrigen MOONSPELL-Backkatalog verstecken muss.

Note: 8,0/10
[Tobias Dahs]

Redakteur:
Tobias Dahs

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