GRUPPENTHERAPIE: JEX THOTH - "Blood Moon Rise"

03.06.2013 | 10:26

Von verschwurbelt ambient über käsig-schrammelig bis authentische Rock-Musik mit dunkel schimmernden, langen Schlangengesanglinien reicht die redaktionsinterne Wahrnehmung des neuen JEX-THOTH-Werks "Blood Moon Rise".

Die Therapeuten diskutierten sich hier schon im Vorfeld die Köpfe heiß. Spontanreaktionen reichten von "voll toll!" nach Anhören zweier Songs bis hin zu wiederholter Einnickgefahr angehör des Albums. Es fielen illustre Begriffe wie "Schwabarbel", "fluffige Organistendüsterromantik", "waldorfschulenartig" und "Rock-Vakuum", aber auch "im Banne des Konzertes". Im Forum darf fleißig mitdiskutiert und auch berichtet werden, ob euch die gewandelte stilistische Richtung der Band eingeschlafene Füße oder süße Träume beschert. Die Meinungen unserer Redakteure diesbezüglich liegen sowohl bei Neuentdeckern als auch bei altgedienten JEX-THOTH-Hörern weit auseinander. Um zur Rezension von Nils Macher zu gelangen, bitte hier klicken. Es folgt unsere Gruppentherapie:

Coverartwork JEX THOTH



Wer auf Spätsechziger/Frühsiebziger Kram steht, namentlich auf Psychedelik ebenso wie Okkultrock jener Zeit, insbesondere auf Bands wie JEFFERSON AIRPLANE, HAWKWIND, COVEN und BLACK SABBATH, wer noch einmal nachvollziehen möchte, wie sich seinerzeit abgespaceter Blues- und Hardrock mit den ersten Anfängen des Heavy Metal und Doom die Klinke in die Hand gaben, liegt mit dem Kauf von JEX THOTHs neuestem Album "Blood Moon Rise" absolut richtig. Eine gehörige Portion Pathos gibt es obendrein; mal episch und zerrissen, mal fast schon hippiesk oder verschwurbelt ambient - bisweilen sogar mit traumselig säuselndem Gesang, der glatt an PAATOS oder gar die Loungemeister von MORCHEEBA erinnert. Damit bewegen sich einige Songs dann jedoch nicht mehr in der eingangs erwähnten Retro-Schiene, sondern driften gen AOR oder gar in Richtung gitarrenbasierter Dreampop ab. Eine Entgleisung? Wenn man True Doom oder puren Heavy Rock erwartet, sicherlich. Wenn man unter Authentizismus die immer gleiche Retrosoße erwartet, auch. Wenn man sich hingegen mit einer deutlich seichteren Variante von ROSE KEMPs folkig inspiriertem Progressiv-Doom anfreunden kann, keineswegs. Zugegeben: Manchmal klingt das anstrengend. Doch dann wieder traumhaft gut. Bei 'Ejhä' lässt sich sogar ein Postrockeinfluss ausmachen. Man könnte das Werk also unentschlossen nennen - oder einfach sehr, sehr offen. Entscheidet selbst! Aber lasst euch darauf ein, sofern ihr zur Zielgruppe gehört. Denn so etwas gibt es wirklich nicht alle Tage auf die Ohren.


Note: 8/10

[Eike Schmitz]


Lieber Eike, gitarrenbasierter Dreampop klingt für mich in etwa so anziehend wie Spinateis mit Tomatensoße. PAATOS und ROSE KEMP gehen mir meistens auf den Zeiger. Und ich wollte mir auch noch nie vorstellen, wie Frühsiebziger-Space-Doom den psychedelischen Okkult-Blues bumst. Somit gehöre ich definitiv nicht zur Zielgruppe von JEX THOTH. Ich finde es ja eigentlich nicht besonders ritterlich, eine zugegebenermaßen eigenwillige und kauzige Underground-Band mit ein paar mickrigen Pünktchen abzustrafen, weil ich ohne breitgekifftes Hirn keinen Zugang zu dieser Musik finde. Aber in einer Gruppentherapien kann das auch mal in Ordnung sein - nämlich dann, wenn eben diese Band dabei ist, einen aus meiner Sicht zweifelhaften Kult-Status zu erlangen, und die Lobdudler sowieso in der Mehrheit sind. Ich kann zwar ansatzweise verstehen, worin für den einen oder anderen die Faszination dieser Truppe liegen mag, aber mir selbst schlafen bei dem käsig-schrammeligen "THE DOORS auf Doom Metal"-Sound nach ein paar Minuten zuerst die Füße und dann der Rest ein. Und auch wenn es die JEX THOTH-Aficionados nicht wahrhaben wollen: Eine Nummer wie 'The Places You Walk' klingt eben doch wie eine LoFi-Valium-Ausgabe von THE DEVIL'S BLOOD. Bezeichnenderweise ist das dann auch noch der beste Song der Platte (neben 'Keep Your Weeds'). Ich drücke jetzt jedenfalls die Stopp-Taste und höre lieber wieder Musik mit Esprit und spannendem Songwriting.

P.S.: MORCHEEBA ist großartig, mindestens drei Klassen besser als das hier!!

Note: 5/10

[Martin van der Laan]


Fünf Jahre war schon immer eine lange Zeit zwischen zwei Alben. Diverse Live-Auftritte konnten mich zwar bei der Stange halten, ließen das Warten aber auch langsam zur Zitterpartie werden, zumal die gesamte Bandbelegung in der Zwischenzeit gleich zwei Mal ausgewechselt wurde. Die eingeschobene EP "Witness" war zwar gut, aber auch deutlich reduzierter, was kommt also diesmal? Walzenden Doom suche ich mittlerweile meist vergebens, dafür umhüllt mich von der ersten Sekunde von 'To Bury' an ein wärmender, organischer, mit wundervollen kleinen Facetten durchsetzter Klangwattebausch, dessen unangefochtenes Zentrum der dunkel schimmernde Gesang von Frontfrau Jex ist. Dem oftbeschworenen Streifzug durch eine warme Sommernacht gleich begleitet mich eine zeitlupenartig schreitende Schwere, durchtränkt mit der von Eike erwähnten ambient schwurbelnden Epik, begegnet mir heftig schräge, feedbacklastige Psychedelik wie in 'Ehjä' und pirschen sich nahezu a capella vorgetragene Wohlfühlmonsterchen ('Into A Sleep'!) an meinen Bauch, um dort wohlige Gefühle zu verursachen. Wenn ich einen Bandvergleich herunterbrechen müsste, kämen mir THE WALKABOUTS in den Sinn, deren Melancholie-Folk Anfang der 2000er ähnlich finster-entrückt klang. Ein Werk, dem man zuhören muss, um es erkunden zu dürfen. Wer hier wie unser Martin die stählerne Axt oder steinerne Faustkeile sucht, kann deshalb nur herb enttäuscht werden, denn beides lässt man mit wenigen Ausnahmen konsequent in der Waldhütte; und das ist gut so. Wo er LoFi-Schrammeln sieht, finde ich HiFi-Stoff zum Träumen und geborgen wegfliegen - ganz ohne Substanzzuführung.

Note: 9,5/10


[Simon Volz]


Fünf. 5. Fünf. Eine Fünf. So das erste innere, tagelang immer wieder geflüsterte Reaktiönchen, als ich JEX THOTHs neues Album auf der täglichen Ergometerstunde verdrücke. Es passt alles: Draußen regnet es, es ist viel zu kalt für diese Jahreszeit und eine Melancholie drückt mich. Das muss mindestens eine Fünf sein. In unserer POWERMETAL.de-Skala. Dachte ich. Muss nun aber die Enttäuschung unterdrücken, denn die ist groß. Angewachsen auch nach dem etwa siebenten Versuch. Wo verorten? Womit soll es fesseln? Warum hat sie den Weg des grandiosen Debüts verlassen? Es drängen sich Fragen auf. Immer mehr. Das Hören schmerzt sogar, lange Schlangengesanglinien kriechen um die Füße. Aber sie zwicken mich nicht. Keine wohligen Schauer, auch keine kalkulierte Kälte. Es wabbert dahin, was sie singt, ab und zu wallt ein Gitarrengewürz auf, das gefällt, ansonsten gruppiert sich das gesamte Musikantenteam um die launisch-gleichförmige, Nerven nagende, vor sich hin sinnierende Stimme der Sängerin herum, deutlich wird auf die undiskutiert schöne Stimme als Hauptelement gesetzt. Und das Kalkül geht nicht auf. Tendenziell habe ich auch keine Ahnung, wie ich mich an der hier redaktionsintern tobenden Genrediskussion beteiligen soll. Hexenpop? Schweelend-schwadige schwurwelnde Schwulst. Ich bin ratlos ob der Veränderung und werde JEX THOTH vergessen. Müssen.

Note: 4,5/10

[Mathias Freiesleben]


Logo JEX THOTH


JEX THOTH war mein Einstieg in den okkulten Retrorock, noch bevor eine gewisse Band aus Holland plötzlich die Titelseiten aller metallischen und unmetallischen Postillen zierte und jeden Monat drei Alben mit Frauengesang und Texten zwischen Zahlenmystik, Bäume kuscheln und Kosmos vernichten erschienen. Dementsprechend gespannt war ich auf das neue Werk von Frontfrau Jex und ihrer Begleitband. Die bisherige Entwicklung der Band schien ja von dem recht breit aufgestellten Debütalbum über die "Witness" EP hin zu straighterem, reduzierterem Material zu verlaufen und die ersten Töne des neuen Albums scheinen diesen Trend zu bestätigen, doch dann ab Lied numero 3 reibe ich mir die Ohren, denn plötzlich regiert die musikalische Freiheit. Die Elemente sind zwar gleich geblieben, dumpfe Gitarren, Orgeln und der wunderschöne Gesang, doch Songstrukturen werden weit nach hinten geschoben und ich fühle mich auf eine wunderbare Entdeckungsreise mitgenommen, an diesen regnerischen Tagen die Klangwelten von "Blood Moon Rise" zu erkunden, innezuhalten, zu staunen und einfach zu träumen. Wer hier einzelne Lieder erwartet, wird tatsächlich nur an ein, zwei Stellen fündig, stattdessen ist es diese magische Atmosphäre, die das ganze Album ausstrahlt, die mich in ihren Bann zieht und dafür sorgt, dass ich mit dem Album immer und immer wieder gerne Zeit verbringe, darin eintauche und meine Gedanken schweifen lasse. Ein gar wundervolles Stück Musik, dass JEX THOTH noch fester als einen einzigartigen Fels in den immer schnelleren Gezeiten des aktuellen Retro-Rock-Trends verankert.

Note: 9,0/10

[Raphael Päbst]


Ich bin auch zwei Tage nach dem Konzert noch völlig berauscht von der Liveperformance von JEX THOTH. Ich bin ja dorthin gegangen, weil ich vorab "Blood Moon Rise" hören durfte (JT-Erstkontakt) und es mir schon vor dem Gig sehr gut gefallen hat. Danach jedoch, mit dem visuellen Eindruck von Sängerin Jessica Toth, hat "Blood Moon Rise" noch mal einen deutlichen Gefallensschritt nach vorne gemacht. Aber warum gefällt mir die Musik so gut? Ganz einfach, es ist diese Stimme! Die Frau singt mit ihrer Seele. Da tut mir Martins Eindruck, die Musik habe keinen Esprit, sogar ein kleines bisschen weh. Ich habe ROSE KEMP, meine absolute Lieblingssängerin, ja nie live gesehen, aber in etwa so wie Jessica habe ich mir sie vorgestellt. Aber die KEMP mag er ja auch nicht, der Kollege van der Laan. Vielleicht haben wir grundverschiedene Sensoren für Esprit. JEX THOTH verabreichen mir davon eine Überdosis. Ich fühle eine Sucht nach der Musik, und wenn sie läuft, kann ich nichts mehr nebenher machen, außer vielleicht einen Gruppentherapiebeitrag zu ihr schreiben. Ich liebe zudem diesen raumgreifenden Klang wie z.B. beim völlig verschwurbelten 'The Divide' sowie diesen herrlichen Steve-Rothery-on-hard-drugs-Leadgitarrensound (das Schlusssolo von 'Psyar' geht tief, tief unter die Haut). Die CD hat einen phänomenalen Sound. Ich liebe es zudem, wie die Band sich Zeit lässt, ihre Klänge zu enfalten, in ihnen zu baden, tief in ihnen zu versinken. Das tut sie wirklich. "Blood Moon Rise" ist also wieder mal eines der Alben, zu deren Genuß man körpereigene Naturdrogen braucht, und die habe ich bekanntlich in Hülle und Fülle in mir. Und eines hat Martin auch nicht erwähnt: Zu JEX THOTH einzuschlafen ist toll, man hat die süßesten Träume danach.

Note: 9,5/10

[Thomas Becker]


Redakteur:
Eike Schmitz

Login

Neu registrieren