GEIST: Interview mit Alboin

12.08.2006 | 12:20

GEIST heißt die neue Black-Metal-Hoffnung der Republik. Die fünf Jungs um die beiden Masterminds Alboin und Cypher D. Rex füllen den schwarzen Metal auf ihrem neuen Album "Kainsmal" mit vielen neuen Ideen auf - und hängen ein düsteres Textkonzept in deutscher Sprache über ihre Klänge. Über ihre Einstellung, ihre Vorbilder und das Verständnis für ihre Musik stellte Henri Kramer per E-Mail einige Fragen an Alboin, einen der beiden Bandköpfe.

Henri:
Hallo GEIST-Team, hallo Alboin. Mal ganz ehrlich: Hat sich schon einmal jemand über den Namen eurer Band lustig gemacht? Er ist ja recht simpel gehalten...

Alboin:
Grüße dich, Henri. Klar haben sich schon Leute darüber lustig gemacht - aber vor allem Leute, die einen Namen nicht einen Namen sein lassen können und wirklich permanent an allem rumzumeckern haben. Das sind dann die, die aus MYRRTHRONTH ein "Myrrgay" und aus "Christhunt" ein "Christlover" machen müssen. Manche jedenfalls. Nicht, dass man sich nicht darüber lustig machen sollte, zumindest über Zweiteres... Aber ich denke, das ginge auch ein bisschen subtiler.
Herrlich fand ich aber die GEIST-Abwandlung "Gayest". Das zeugt sogar schon wieder von Kreativität. Über die Tatsache, dass es ein deutsches Wort ist, hat sich allerdings noch niemand bei mir beschwert. Auch nicht darüber, dass der Bandname simpel sei. DUNKELGRAFEN ist simpel. GEIST ist dagegen vielleicht nicht das definitive Meisterwerk in Sachen Bezeichnung: Aber das Wort ist griffig, hat Atmosphäre, ist vielseitig und gut zu merken. Außerdem, und das ist ja das Wichtigste, passt der Name zu dem, was wir machen.

Henri:
Definitiv. Zum hier und jetzt: Eure aktuelle CD heißt "Kainsmal" und wird in allen Magazinen abgefeiert. Was soll der Titel der CD in Bezug zu dem gebotenen Black Metal ausdrücken? Wie stehen beide Dinge im Zusammenhang?

Alboin:
Der Titel steht eher im Zusammenhang mit den Texten als mit der Musik. Die Texte handeln von Empfindungen und Erfahrungen, selber "Kainsmale" oder ihre Folge sein zu können. Diese Male folgen, so empfinde ich das, aus der gesamten Schlechtigkeit des Menschen, aus seiner fehlenden Moral, seinen Schwächen und Grausamkeiten. Zusammen mit dem permanenten Empfinden von Zyklen, von Niedergang, Verlust und Verfall auf der einen und von Neuanfang, Schönheit und Hoffnung auf der anderen Seite haben diese Emotionen und meine Erschütterung über die Abgründe im Menschen diese Texte ergeben. Wie auch "Patina" beim letzten Album ist "Kainsmal" ein stimmungsvoller Titel, der mir schon seit langer Zeit vorschwebte. Nach einer gewissen Zeit und mit Abstand merkt man, dass es der richtige Titel ist, und dass er alles, was dieses Album ausmacht, perfekt zusammenfasst. Warum? Dass kann man dabei gar nicht mehr richtig erklären.

Henri:
Wo steht ihr denn heute in der Welt "Kainsmale"?

Alboin:
Überall. Die meisten Menschen tragen eines auf der Stirn, das ist ja das Erschreckendste daran. Als Kind glaubt man, der Mensch für sich sei gut, im Kern gut und unverdorben. Das stimmt wahrscheinlich sogar. Es muss aber etwas geben, das ihn dann doch verdirbt und das ihn dazu bringt zu quälen, zu morden, zu vergewaltigen, zu verletzen, sadistisch zu handeln und so monströse Ausmaße anzunehmen, dass sein menschlicher Kern kaum noch erkennbar ist. Ich will nicht übertreiben, es gibt glücklicherweise noch genug Menschen, auf die das ganz und gar nicht zutrifft. Aber ein kleiner Kain schlummert vielleicht in uns allen, um es mal pathetischer als ohnehin schon zu sagen.

Henri:
Ein "Kainsmal" unseres Landes ist die Nazizeit. Würdest du dem Recht geben?

Alboin:
Nein, der Nationalsozialismus ist der Brudermord unseres Landes. Wobei ich nur darauf hinweisen möchte, dass gerade aktuell die Nachfahren der getöteten Brüder mächtig auf die Kacke hauen und sich ihre Kainsmale sowieso schon lange verdient haben. Da sind sie aber auch nicht die Einzigen: Fast jedes Land der Erde trägt so ein Mal, jedes Land hat sich irgendwann schuldig an jemandem gemacht, damit steht Deutschland nicht alleine da. Übrigens natürlich auch nicht mit dem Nationalsozialismus, da hat es einige interessante geschichtliche Begebenheiten gegeben! Ich sehe zum Beispiel nicht ein, warum ich ein Zeichen dafür tragen soll, dass meine Vorfahren die Menschenwürde mit Füßen getreten haben. Sicherlich bin ich nicht unschuldig, aber ich lasse mich nicht für Dinge verurteilen, die ich nicht getan habe - genauso wenig wie ich auf etwas stolz sein kann, das ich nicht vollbracht habe. Prinzipiell aber, was du im Grunde meintest, ist der Nationalsozialismus selbstverständlich ein Schandfleck.

Henri:
Das ist eine Betrachtungsweise, über die sich streiten lässt: Schließlich gibt es immer noch die Verantwortung, Verbrechen wie den Nationalsozialismus nie wieder geschehen zu lassen...

Alboin:
Man kann über alles streiten, gar keine Frage. Das ist sicher auch nicht schlecht, aber bei all dem Streiten sollte man auch nicht vergessen, sich dann irgendwann auch mal um irgendetwas zu kümmern. Diese Verantwortung existiert und die nehme ich als moralischer Mensch auch an. Es ist aber ein Irrglaube, dass es diese Verantwortung nur wegen des Nationalsozialismus gibt. Jeder Mensch jedens Landes und jeder Zeit sollte dafür sorgen, dass keine Verbrechen geschehen, oder? Das ist es, was ich meine, ich übernehme Verantwortung, aber nur für das was ich tue, nicht für Dinge, die andere getan habe. Die Foltermethoden in China sind auch nicht ohne, und trotzdem fühle ich mich nicht schuldig daran.

Henri:
Ok, bleiben wir bei dem Thema: Ihr spielt dieses Jahr beim Rock For Roots-Festival in Brandenburg. Das vergangene Festival wurde als ein Treffen von vielen Mitgliedern der rechtsextremen Black-Metal-Szene beschrieben (vgl. http://www.turnitdown.de/484.html und http://www.turnitdown.de/536.html ). Ist euch das bekannt? Wie positioniert ihr euch, damit ihr nicht in eine solche Ecke gestellt werden könnt - auch in Bezug auf die vielen NSBM-Gruppen aus Deutschland?

Alboin:
Ja, das ist mir bekannt. Vergessen darfst du allerdings auch nicht, dass der Herr Dornbusch [der die Vorwürfe gegen das Festival erhoben hat - Anm. d. Verfassers] an diesem Bericht beteiligt ist, der ja ohnehin hinter jeder Laterne den nächsten Nationalsozialismus vermutet. In seinem Buch "Unheilige Allianzen" bin ich sogar genannt, weil ich 1999, als es NSBM in dieser Form noch gar nicht gab, NOKTURNAL MORTUM in einem Ablaze-Interview nicht radikal abgestraft habe. Generell finde ich es absolut löblich, sich gegen den NSBM einzusetzen, auch vehement. Es wird nur dann problematisch, wenn der Ruf von Menschen geschädigt wird, die damit wirklich nichts zu tun haben. Und dazu zähle ich uns. GEIST ist eine Band, wie sie unpolitischer nicht sein könnte, wir distanzieren uns wo immer es geht von dieser musikalischen Abart und setzen alleine durch die Art und Weise unseres Auftretens und Veröffentlichens, die sich schon im Niveau um einiges von dem NSBM-Einheitsabfall unterscheidet, ein Statement gegen den NSBM. Mehr werde ich nicht tun: Ich rechtfertige mich nicht für etwas, dass ich selbst verurteile.
Was nun dieses Festival angeht... Ich habe davon gehört und gelesen und bin mir der Problematik bewusst. Andererseits ist das Billing dieses Mal so viel unpolitischer, dass wir unsere Teilnahme zugesagt haben. Ich sehe das auch so: Wenn alle vernunftbegabten und intelligenten Metaller nicht mehr zu Konzerten gehen, weil fünf unter 100 Besuchern ABSURD-Anhänger sind, dann wird der Prozentsatz an Idioten nur noch größer. Das gilt für Bands in gleichem Maße. Wenn keine guten unpolitischen Bands mehr auf Festivals spielen, aus der Furcht heraus, in die falsche Ecke gesteckt zu werden, gibt es bald nur noch Nazifestivals.
Ich finde die hinter dem Festival steckende Idee, dieses historische Dorf Gannahall aufzubauen, durchaus interessant. Und es ist auch nichts dagegen einzuwenden, solange das auf geschichtlichen Tatsachen basiert und unpolitisch bleibt. Das nehme ich stark an. Ich kenne einen der Organisationshelfer des Festivals und schätze ihn als intelligenten Menschen, der zwar mit seinen sehr offenen Ansichten manchmal aneckt, aber nicht unbedingt Unrecht hat. Hätte ich festgestellt, dass es sich bei den Organisatoren um Nazis handeln würde, wären wir nicht dabei.
Übrigens findest du auf fast jedem Konzert ein paar kahle Schafe. Solange dies nicht überhand nimmt, denke ich nicht daran, nicht meinen Spaß zu haben. Darum geht es mir auch bei dem Rock For Roots-Festival, ich freue mich aufs Grillen, Trinken, auf NEGURA BUNGET und ANGANTYR. Idioten hast du immer dabei, wenn zehn Menschen zusammen kommen. Wenn GEIST nicht hingehen, wären es aber fünf anständige Kerle weniger.

Henri:
Ok. Anderes Thema: Ihr benutzt als Black-Metal-Band - wie auch LUNAR AURORA - deutsche Texte. Und euch verbinden mit dieser Band ja noch andere Gemeinsamkeiten, oder?!

Alboin:
Ja, ich denke schon. Und dies kann ich nicht nur sagen, weil unser Label Cold Dimensions von einem ehemaligen LUNAR AURORA-Mitglied geführt wird. Zwar sind wir eine sehr viel jüngere Band als LUNAR AURORA, aber unsere Herangehensweise an den Black Metal ähnelt sich, wie ich finde. Wir sind beide fest in der Tradition verwurzelt, streben aber trotzdem immer fort nach vorn und lassen uns nicht einengen. Beide Bands sind überdurchschnittlich kreativ und in ihrer Musik eher zeitlos als gebunden. Außerdem, das ist mein Eindruck, ist Rock'n'Roll ein wesentlicher Bestandteil unserer Lebensweise, auch wenn das auch auf den ersten Blick nicht so erkennbar ist. Ich bin gespannt, ob sich der Eindruck bestätigt, wenn wir am 9. September das erste Mal gemeinsam auftreten, zusammen mit GRAUPEL und HAATSTRIJD in Arnheim.

Henri:
Würdest du denn soweit gehen und LUNAR AURORA bzw. GEIST als eine Art neue Black-Metal-Generation in Deutschland sehen, mit einer innovativen Herangehensweise an diese Musik?

Alboin:
Ja, durchaus, zumindest für LUNAR AURORA würde ich das in jedem Fall bestätigen. Es ist dieses Zeitlose: Wir binden uns weder an irgendeine Szene, noch irgendein Land oder einen bestimmten Stil, wir beschäftigen uns mit tieferen Dingen als mit Satan und Odin. Ob da aber eine ganze Generation heranwächst, das weiß ich nicht, das wird sich erst in den nächsten Jahren zeigen. Mit Bands wie WEIRD FATE oder ATRAS CINERIS kommt aber einiges Interessantes aus Deutschland in den nächsten Jahren. Und ich glaube, auch MORTUUS INFRADAEMONI, neue Labelkollegen von uns, werden nicht zu verachten sein. Leider scheint es trotzdem noch so zu sein, als ob Bands, die über sieben oder acht Alben konstant fantastische Leistungen abliefern, nicht nur rar, sondern vielleicht sogar einmalig sind. Ob wir so etwas jemals schaffen werden, darüber will ich jetzt kein Urteil abgeben. Vorerst wähne ich uns mal auf einem guten Weg.

Henri:
Inwiefern spielen bei eurer Art von Musik die alten norwegischen Heldenbands wie EMPEROR eine Rolle - Ideengeber für die eigene Kreativität oder nur die übliche Fangeschichte?

Alboin:
Was mich angeht, so bin ich niemals explizit ein riesiger Fan von EMPEROR gewesen - sondern eher von Bands, die um 1995 ihre besten Platten veröffentlicht haben, wie COVENANT, TROLL, GEHENNA, ARCTURUS, BORKNAGAR oder ULVER. IMMORTAL, ENSLAVED, MAYHEM, DARKTHRONE oder eben EMPEROR mochte ich zwar damals auch schon sehr, sie haben mich aber nie so tief berührt oder geprägt wie eben etwa BORKNAGAR. Bei vielen Bands dieser Zeit werde ich tatsächlich schon vom bloßen Zuhören kreativ: Nicht in dem Sinne, dass ich ihren Stil zu kopieren versuche, sondern weil mich die Art und Weise, Musik zu machen, einfach sehr anspricht. Wenn du Musik wirklich beim Zuhören erlebst, kannst du Ideengebung und bloßes Fansein auch nicht mehr unterscheiden. Das ist die Musik, mit der ich groß geworden bin, die mich über Jahre begleitet und sozialisiert hat. Davon kann und will ich mich nicht loseisen, dafür bedeutet sie mir einfach zu viel.

Henri:
Und die letzte Frage: NARGAROTH hatten ja mal den Titel "Black Metal ist Krieg". Was ist Black Metal für dich?

Alboin:
Ein Musikgenre, das ungewöhnlich viel spirituelles Potenzial für nachdenkliche, kritische und intelligente Menschen birgt und das, wie alles, von bildungsfernen Schichten ausgenutzt, unterwandert und ausgehöhlt wird. In diesem Genre sind einige der wundervollsten Platten erschienen, die ich kenne, in der klassischen Musik, im Pop, Rock oder Ambientbereich aber ebenfalls. Black Metal ist weder Krieg, noch ist er eine Lebensform, dafür oft genug Kindergarten. Wer glaubt oder praktiziert, Black Metal sei etwas, das man ausschließlich leben und verkörpern müsse, dessen Leben muss wahrlich arm sein. Er ist aber auch mehr als ein Hobby und mehr als nur "Ein-bisschen-Musik-machen", sondern eine eigenständige, extreme Kunstform, die nur wenige zur Perfektion gebracht haben.

Redakteur:
Henri Kramer

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