GATHERING, THE: Interview mit Hans, Marjolein

11.10.2006 | 20:25

Nachdem die geplante Tour im Frühjahr dieses Jahres wegen einer Erkrankung von THE GATHERING-Frontlady Anneke van Giersbergen abgesagt werden musste, bekamen wenigstens die Berliner Fans einen kleinen Ersatz geboten: Die Holländer absolvierten einen einstündigen Auftritt im Rahmen des Popkomm-Festivals (siehe Bericht). Vor der gewohnt bezaubernden Show traf ich Schlagzeuger Hans Rutten und Bassistin Marjolein Kooijman an diesem lauen September-Abend im Innenhof der Berliner Kulturbrauerei zum Gespräch über Metal, den Begriff "zu Hause", Kirchen, Tod, Plattenlabels, Kleinkinder, Musikmessen, Videoclips und NAPALM DEATH.

Elke:
Das Rock Hard hat in einem Bericht über die Listening-Session zum Album "Home" ein Gespräch zwischen Hans und einer Journalistin skizziert. Sie fragte: "Wie kommt es, dass euer neues Album so wenig Heavy Metal ist?" Hans daraufhin echauffiert: "Du kennst die Geschichte unserer Band nicht wirklich, oder?" Werdet ihr noch oft mit solchen Fragen genervt?

Hans:
Ich war über diese Frage einfach nur ziemlich enttäuscht. Ich habe später mit dieser Journalisten nochmals darüber gesprochen und wir haben uns nicht gestritten oder so etwas. Aber sie kam den ganzen Weg von Spanien nach Berlin, um sich das neue Album anzuhören, und dann fragte sie eine derart blöde und provokative Frage! Ich war vielleicht auch nicht besonders gut drauf in dem Moment, aber ich fand es einfach dumm.

Elke:
Denkst du trotzdem, die Metal-Magazine würden sich heute in dem Maße für euch interessieren, wenn ihr nicht einen etwas metallischeren Hintergrund hättet?

Hans:
Keine Ahnung. Die meisten Magazine wissen, dass wir mehr sind als "nur" Metal. Und wir haben ja heute immer noch Metal-Elemente in unserer Musik.

Marjolein:
Manchmal ist es positiv, dass uns die Leute immer noch mit Metal in Verbindung bringen, denn wir spielen gelegentlich auch auf Metal-Festivals. Manchmal ist es aber auch ärgerlich, dass man immer noch denkt, THE GATHERING sind Metal - es hat zwei Seiten.

Hans:
Aber was ist Metal? Und warum ist das so wichtig, was für eine Musik wir spielen? Wir lieben einfach Musik! Wenn du Metal zu definieren versuchst, dann denke ich, dass viele Power-Metal-Bands, die ich persönlich überhaupt nicht mag, nicht einmal wirklich Metal sind. Das ist "Happy Music". Wie definiert man Metal? Ist Metal CELTIC FROST oder STRATOVARIUS? Es ist dumm, so etwas zu diskutieren, wenn noch nicht einmal klar ist, worüber man genau spricht. Mich interessiert dieses Thema nicht mehr.

Elke:
Das neue Album "Home" ist stilistisch nicht so weit von "Souvenirs" entfernt, wie man es vielleicht von anderen Alben von THE GATHERING gewohnt ist.

Hans:
Das stimmt. "Home" liegt sogar deutlich näher an "Souvenirs", als wir ursprünglich geplant hatten. Wir wollten ein organisches Album machen, und ich denke, "Home" ist organischer als der elektronischere Vorgänger. "Home" ist auch songorientierter. Es gibt schon einige Unterschiede, und das Album ist definitiv ein Schritt in eine andere Richtung. Wir wollten auf jeden Fall ein gitarrenorientiertes Album machen, was es ebenfalls ist. Aber so läuft das immer mit THE GATHERING-Alben: Du fängst bei den Aufnahmen irgendwo an und hast keine Ahnung, wo es hinführen wird. Besonders wenn du mit Attie Bauw, unserem Produzenten, zusammenarbeitest.

Elke:
Die Aufnahmen zu "Home" wurden überschattet vom Tod deines und Renes Vater. Hat dies das Album in irgendeiner Form beeinflusst?

Hans:
Ja, es wurde dadurch logischerweise emotionaler. Erst nach dem Tod meines Vaters haben wir Annekes Gesang aufgenommen, und ich denke, es hat sie auf positive Weise tief berührt und sie singt besser als je zuvor. Sein Tod wirft immer noch einen Schatten auf das Album. Die Aufnahmen waren bis zu diesem Zeitpunkt so wundervoll und endeten auf eine derart schreckliche Art. Daher habe ich sehr gemischte Gefühle, was das Album betrifft. Ich bin einerseits sehr stolz darauf, aber es war auch eine sehr dunkle Zeit. Ich hoffe, am Ende wird diese dunkle Seite schwächer werden. Einige Songs kann ich mir momentan nur schwer anhören.

Elke:
Was bedeutet der Titel "Home" in Bezug das Album?

Hans:
Wir hatten uns schon sehr früh für diesen Titel entschieden.

Marjolein:
Wir saßen anfangs vor einem großen Blatt Papier und fragten uns, was für einen Titel wir uns vorstellen könnten. Wir hatten jedoch keine Ahnung, also fragten wir anders herum: Was wollen wir nicht? Also haben wir viele Worte aufgeschrieben und dabei festgestellt, dass wir einen "echten" Titel wollten, nichts künstlich Konstruiertes. Er sollte ursprünglich sein und nicht glatt poliert. Es sollte ein Titel sein, der uns nahe steht und nicht kompliziert ist. Das Wort "Home" passte auch gut zu den Texten. Jeder muss einen solchen Ort finden durch die Dinge, die er tut.

Hans:
Wir haben das Album in einer Kirche aufgenommen, die für diese Zeit unser "zu Hause" darstellte. "Home" war das Schlüsselwort, und als der Begriff fiel, war klar, dass dies der Titel würde.

Elke:
In der Biographie auf eurer Homepage gibt es eine wie ich finde sehr treffende Aussage zu "Home". Dort heißt es: "Es bleibt dem Hörer überlassen, ob er sich einzelne Lieblingssongs aus dem Album picken will oder das gesamte Werk wie einen ganzheitlichen Garten oder eine monolithische Skulptur wahrnehmen will." Ich selbst habe "Home" - im Gegensatz zu euren früheren Alben - auch immer als Gesamtwerk betrachtet.

Hans:
Das war auch unsere Absicht. Die einzelnen Stücke unterscheiden sich zwar voneinander, aber sie interagieren miteinander, und genau das wollten wir erreichen.

Elke:
Hans hat bereits erwähnt, dass ihr "Home" in einer Kirche aufgenommen habt. Das letzte Mal, wo ich euch live gesehen habe, war ebenfalls in einer Kirche, nämlich im Rahmen der Semi-Akustik-Tour in der Berliner Passionskirche. Du, Marjolein, hast vor dem Interview bereits erwähnt, dass dieser Auftritt zu den fünf besten der gesamten Tour gehörte. Zu diesem Zeitpunkt warst du die "Neue" in der Band. Fühlst du dich mittlerweile "zu Hause" bei THE GATHERING?

Marjolein:
"Zu Hause" trifft es sehr gut. Anfangs war natürlich alles neu für mich und etwas ganz Besonderes. Jetzt ist es eher etwas, was man einfach tut. Das ist cool! (Hans nickt zustimmend.)

Elke:
Du hast sicher auch beim neuen Album aktiv mitgewirkt, oder?

Marjolein
Ja, ich habe natürlich die Basslinien eingespielt sowie ein paar kleinere Gitarren-Parts und die Background-Vocals übernommen. Auch in die Gespräche über diverse Detailfragen war ich involviert. Später habe ich herausgefunden, dass beim Mix nicht alle meine Vorschläge berücksichtigt wurden (lacht), aber bei den Diskussionen war ich völlig gleichberechtigt.

Elke:
"Home" erschien zwar wieder bei eurem eigenen Label Psychonaut Records, wurde aber von Sanctuary Records lizenziert. Habt ihr dadurch wieder ein Stück eurer Unabhängigkeit aufgegeben?

Hans:
Nein, wir geben dadurch gar nichts auf. Es ist eine Lizenz-Sache, und nach einigen Jahren bekommen wir die Rechte zurück. Wir haben das gemacht, weil es einfach zu viel Arbeit bedeutet, eine Plattenfirma zu haben und gleichzeitig Musiker zu sein. Es war eine gute Sache bei "Souvenirs". Damals lief unser Vertrag bei Century Media aus und wir wollten unser eigenes Album unter eigener Regie herausbringen. Dieses Mal wollten wir das Album jedoch lizenzieren, und bei Sanctuary hatten wir ein gutes Gefühl. Sie sind für die Veröffentlichung und Promotion zuständig und beherrschen das einfach viel besser als wir, denn wir sind nur ein kleines Label. Wir können aber jederzeit wieder alles nur über Psychonaut Records laufen lassen, und ich denke, wir haben bei "Souvenirs" auch gute Arbeit geleistet.

Elke:
Wie läuft es mit dem Label? Habt ihr auch andere Bands unter Vertrag?

Hans:
Nein, das wird nicht passieren. Die ursprüngliche Idee war zwar, ein Label zu gründen, um dort gute Bands zu veröffentlichen und ihnen dadurch zu helfen. Aber wir haben keine Bands gefunden, die unseren Kriterien 100%ig entsprochen hätten, irgendwas hat immer nicht gepasst. Wir haben daher irgendwo aufgegeben und konzentrieren uns nur auf THE GATHERING.

Elke:
Es gab Pläne für eine Tour im vergangenen Frühjahr, die jedoch krankheitsbedingt abgesagt werden musste. Wird sie irgendwann wiederholt?

Hans:
Ja, aber wir suchen immer noch nach einer Booking-Agentur und einem Promoter für die einzelnen Gigs. Es gibt da diverse Probleme, und wir wollen nicht einfach irgendetwas unterschreiben. Daher wird wohl vor 2007 nichts mehr passieren.

Elke:
Warum spielt ihr heute auf dem Popkomm-Festival?

Hans:
Das ist eine gute Frage - ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich denke, es ist eine gute Werbung, nicht nur für uns. Wir haben ja noch einige andere holländische Bands dabei, die in Deutschland noch nicht so bekannt sind, und dienen ein wenig als Zugpferd, um auch diesen Bands ein Publikum zu bieten.

Elke:
Ist ein Auftritt im Rahmen einer solchen Musik-Messe generell eine gute Werbung für eine Band?

Hans:
Darüber lässt sich streiten. Wir haben das schon öfter gemacht, aber noch keinen wirklichen Beweis dafür, dass es etwas bringt. Wir haben dadurch zum Beispiel noch keine interessanten Tour-Angebote bekommen oder wurden auch nicht von Managern angesprochen.

Marjolein:
Die größeren Messe-Festivals sind ziemlich gut organisiert. Aber auf dem South-West-Festival in Amerika gab es noch nicht mal ein PA-System, sondern nur ein sehr merkwürdiges Mischpult. Normalerweise investieren wir sehr viel Zeit, um einen guten Sound zu haben, denn der Sound ist uns sehr wichtig. Und dann spielst du da wie eine Punk-Band! Wir haben versucht, das beste draus zu machen, aber es waren nicht wirklich THE GATHERING, die all diese wichtigen Menschen zu sehen bekamen.

Elke:
Anneke ist ja kürzlich Mutter eines Sohnes geworden. Wird es dadurch in naher Zukunft schwieriger werden, eine internationale Tour zu organisieren?

Hans:
Ja, wir werden vermutlich weniger touren. Wir haben alle Familien, wir werden halt älter. Es wird keine Tour über einen Monat mehr geben, sondern vielleicht zwei Shows in der Woche.

Elke:
In einem anderen Interview habe ich gelesen, dass Anneke einen Wohnwagen für sich, ihren Mann und das Baby mit auf Tour nehmen möchte.

Hans:
Ja, das haben wir bereits vor zwei Wochen auf einer Tour in der Schweiz so praktiziert. Aber das Baby wurde bereits nach einem Tag krank. Ich denke, mit einem Kind im Alter von einem oder eineinhalb Jahren ist es sehr schwer, auf Tour zu gehen. Wenn es dann drei oder vier ist, kann es fernsehen oder ein bisschen herumlaufen, das wird vermutlich einfacher. Aber es ist generell schwierig, mit Kindern zu touren - das haben wir schon nach einem Tag gelernt.

Elke:
Auf eurer Homepage gab es kürzlich einen Wettbewerb für Nachwuchs-Regisseure. Es ging darum, einen Musikclip zu 'Alone' oder 'Your Troubles Are Over' zu drehen (siehe unsere News vom 10.07.2006). Habt ihr viele Zuschriften bekommen?

Hans:
Ja, wir haben sehr viel Post bekommen!

Marjolein:
Wir haben uns die Sachen leider noch nicht anschauen können, weil wir auf Tour gingen, aber es wurden bereits 14 oder 15 Filme eingeschickt.

Hans:
Ich warte mit Spannung darauf, sie mir anzuschauen. Wenn wir von der Tour zurückkommen, werden wir uns darauf stürzen.

Elke:
Was genau soll damit passieren?

Hans:
Wir verwenden sie für Videoclips. Vielleicht ändern wir ein paar Kleinigkeiten, wenn die Urheber uns das gestatten. Vielleicht kommen sie auf eine DVD oder ins Internet. Wir werden sehen.

Elke:
Gibt es schon Pläne für das nächste Album?

Hans:
Nein, noch nicht. Wir werden bald mit dem Songwriting beginnen. Ich denke, wir fühlen alle den Drang, wieder kreativ zu werden. Für mich ist das der schönste Aspekt von allen, wenn man in einer Band ist - Songs zu schreiben und sie zu arrangieren.

Elke:
Wird Barney von NAPALM DEATH als Gastsänger auf dem nächsten Album erscheinen - so wie Anneke gerade auf deren aktuellem Album?

Hans:
(lacht) Nein. Wir haben ihn bisher nie persönlich getroffen, auch Anneke nicht. Sie bekam lediglich ein Tonband, nahm ihre Gesangsspuren zu Hause auf und schickte das Ganze zurück. Viele Leuten denken vermutlich, dass Anneke zu einem großen NAPALM DEATH-Fan geworden ist und mit ihnen zusammen Parties feiert, aber das ist nicht der Fall. Es war einfach eine sehr originelle Idee, mit der niemand gerechnet hätte.

Elke:
Was man andersherum aber genauso behaupten könnte - Barney auf einem THE GATHERING-Album wäre auch nicht schlecht!

Hans:
Nein, das denke ich nicht, nein, nein, nein. (Mit sehr viel Nachdruck) Nein! Ich denke, er ist ein sehr netter Kerl, aber...

Redakteur:
Elke Huber

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