DREAM THEATER Special Teil I: Interview mit James LaBrie & John Petrucci (erster Teil)

19.09.2013 | 09:56

Die Prog-Ikonen veröffentlichen ihr zwölftes Studioalbum - mehr Gründe für ein Interview braucht man nicht, oder?

Die Veröffentlichung des nunmehr zwölften, selbstbetitelten DREAM THEATER-Albums ist ein Großereignis für Fans, Presse und Plattenindustrie. Wir auf Powermetal.de widmen uns diesem Thema ausführlich und stellen Euch hier den ersten Teil des ausführlichen Interviews mit Sänger James LaBrie und Gitarrist John Petrucci vor, in dem es natürlich vorrangig um "Dream Theater" geht. Neben diesem Interview erwarten Euch in den nächsten Tagen und Wochen weitere Texte zu DREAM THEATER. Was genau wir im Bandspecial vorstellen werden - lasst Euch überraschen!


Wie es sich für den Status der Band gehört, werden wir Anfang August zum Interview ins edle Hyatt Hotel in Berlin gebeten. Während des einstündigen Interviews diskutieren wir natürlich über das neue Album, aber auch über den Einstand Mike Manginis, künftige Welttourneen und die nicht enden wollenden Gerüchte um Mike Portnoy und einen vermeintlichen Wiedereinstieg.

Nils: Als ich das Album vor zwei Wochen zum ersten Mal gehört habe, hatte ich den Eindruck, dass "Dream Theater" wie ein durchkomponierter Konzertabend klingt. Mit der instrumentalen 'False Awakening Suite' habt ihr euer eigenes Intro für Live-Shows, dann kommt direkt eine sehr harte Nummer ('The Enemy Inside') und gegen Ende dann ein Epos ('Illumination Theory'). War das eure Absicht, als ihr das Material für die Platte geschrieben habt?

John: Das ist ein fabelhafter Vergleich! Du triffst den Nagel damit auf den Kopf. Wenn wir Songs zu einem neuen Album zusammenstellen, hoffen wir, dass die Leute sich das Ergebnis genau so anhören wie ein Konzert - also vom Anfang ohne Unterbrechung bis zum Ende. Uns war der musikalische Spannungsbogen dabei sehr wichtig. Der Hörer soll die ganze Zeit interessiert bleiben und dem Verlauf folgen, dem stimme ich absolut zu.

Peter: Als ich das Album die ersten ein, zwei, drei Male gehört habe, ist mir gleich der Unterschied zum letzten Album "A Dramatic Turn Of Events" aufgefallen. Denn das war so etwas wie eine Werkschau, die zurückblickt. "Dream Theater" ist aber Ausdruck dessen, was die Band derzeit ausmacht. Und was sie in Zukunft vielleicht auszeichnen soll. Habt ihr das Album deswegen so genannt?

James: Du bekommst auch ein Häkchen für die Analogie. Ihr beide wisst ja schon alles, ich weiß gar nicht, wieso wir überhaupt noch hier sitzen.

John: Eigentlich könnten wir auch gehen … (lachen)

James: Natürlich hast du Recht, es gibt einen Grund wieso wir das Album schlicht "Dream Theater" genannt haben. In der Band waren wir uns alle einig, dass wir ein Statement machen wollen und dass dieser Schritt mit dem selbstbetitelten Album genau der richtige ist. Für uns ist es als würden wir ein neues Kapitel aufschlagen. Wir sind immer noch dieselben, aber unser Ausdruck ist mittlerweile ein anderer. Die Musik sollte sich mehr mit dem identifizieren lassen, wo wir uns als Band gerade sehen und wo wir hin wollen. Es ist ein guter Ausblick auf die Zukunft.

John: Du hast ja auch das Cover angesprochen, das Hugh Syme für uns entworfen hat. Das Artwork zeichnet sich in erster Linie durch seinen Minimalismus aus. Es sollte nicht zu viel Preis geben, sondern mehr um das gehen, was sich darin befindet. Es gibt nicht einmal den Bandnamen oder den Titel des Albums, lediglich das Majesty-Symbol.

Nils: Wie kann ich mir das vorstellen: Habt ihr euch den Backkatalog angesehen und geschaut, was DREAM THEATER ausmacht? Mir kommt es so vor als hättet ihr an verschiedenen Stellen kleine Dinge ausgemacht und aus diesen Charakteristika oder Stärken das neue Album geschaffen.

John: Als es darum ging, die neue Platte anzugehen, hatten wir ein Bandmeeting. Und da haben wir uns überlegt: Was sind unsere Stärken? Was haben wir in der Vergangenheit gut gemacht? Was wollen wir auf jeden Fall vermeiden, das in letzter Zeit nicht so gut funktioniert hat? Während dieses Prozesses hatten wir eine sehr klare Vorstellung davon, wie das neue Album zu klingen hat. Wir haben uns die Marschroute also selbst vorgegeben. Beim Songwriting bleibt es ja auch gar nicht aus, dass sich Bezüge zu älterem Material einschleichen. Wir haben einige Passagen während des Komponierens sogar nach alten Songs benannt. Das bedeutet nicht, dass wir etwas altes replizieren, sondern dass das neue Material bestimmte Stimmungen hervorruft oder schnell vermitteln kann, was wir ausdrücken wollen. So geht es uns übrigens mit allem, was wir schreiben und die Bezüge reduzieren sich nicht nur auf DREAM THEATER-Songs. Es kommt vor, dass jemand eine Akkordfolge schreibt und man sofort denkt: ah, das klingt nach GENESIS. So in etwa arbeiten wir mit Songideen, was aber nicht bedeutet, dass die Nummer tatsächlich wie GENESIS klingt. Insofern haben wir uns sehr bewusst mit unserer Vergangenheit auseinandergesetzt, das aber nicht an bestimmten Songs festgemacht. Wir wollten nicht diese oder jene Nummer neu aufnehmen, sondern nach vorn blicken.

Nils: Ich mag am neuen Album die Tatsache am meisten, dass man nicht wie auf "Systematic Chaos" oder "Octavarium" genau raushören kann, welche Bands ihr zurzeit mögt. Diese Alben waren für meinen Geschmack sehr von äußeren Einflüssen geprägt, die ihr dann aber natürlich zu DREAM THEATER-Musik verarbeitet habt. "Dream Theater" hingegen bezieht sich nur auf euch selbst.

John: Klasse Wahrnehmung! Dem kann ich nur zustimmen (James nickt ebenfalls). James und ich haben schon in anderen Interviews gesagt, dass wir während der Aufnahmen gar keine neue Musik gehört haben. Es geht uns nicht darum, wie jemand anders zu klingen. Das wichtigste für eine Band ist ein ihr eigener Sound. Eine gewisse Einzigartigkeit. Wir brauchen nicht etwas anderes nachzuahmen, wir haben unsere eigene Identität. Wenn man sich genug von Einflüssen abschottet, gelingt das nunmal am besten.

Peter: Ist das nicht auch ein Risiko? Wenn man ganz für sich ist, blendet man vielleicht die Welt aus und muss die ganze Zeit ausschließlich selbst kreativ tätig sein. Ich könnte mir vorstellen, dass man damit auch Gefahr läuft, sich selbst zu wiederholen.

John: Ja, vielleicht (lacht).

James: Genau so läuft es bei uns!

John: Außerdem spielen wir immer so viele Noten, da fällt das doch gar nicht auf (herzhaftes Gelächter von allen Seiten).

James: Natürlich bekommen wir mit, was in der Musikwelt so abgeht. Aber wenn wir das Studio buchen und pünktlich am 4. Januar die Aufnahmen starten, hören wir uns doch nicht bei iTunes an, was es alles für Neuheiten gibt. Das ist meiner Meinung nach auch nie ein großes Problem bei uns gewesen, Material und Ideen für Songs gab es immer im Überfluss. Vor allem sind wir uns bewusst, was wir in der Vergangenheit bereits geschaffen haben, wer wir sind und was Menschen mit dem Begriff DREAM THEATER verbinden. Der Anspruch, zeitgemäße Musik zu erschaffen, bleibt davon unberührt, solange wir unsere Identität und Integrität nicht verlieren.

Nils: Wie sehr konnte sich Mike Mangini dieses Mal in den kreativen Prozess einbringen? Bei "A Dramatic Turn Of Events" war er noch der neue Typ in der Band und hat größtenteils vorproduziertes Material eingespielt. Wie passt er in das Puzzle der Band, die mit ihrem neuen Album die eigene Identität erklären möchte?

James: Zunächst muss man sagen, dass Mike Mangini ein fantastischer Musiker ist! Er ist genau so erfahren als Profi wie wir es sind, was Live-Shows und die Arbeit im Studio angeht. Das konnten wir schon am Anfang seiner Audition sehen, wo er uns alle direkt überzeugt hat. Gleich vom ersten Song, den wir zusammen gespielt haben, an war klar, dass er versteht, wer wir sind, wie wir arbeiten und was unsere Musik ausmacht. Wir mussten ihm nicht erklären, in welche Richtung sich eine Idee entwickeln soll, er hat einfach ganz intuitiv gespielt und es hat gleich gepasst. Dass es jetzt im Studio so wunderbar harmoniert, haben wir auch der Welttour zu verdanken, die uns als Band noch enger zusammengeschweißt hat. Mike wurde von jedem Publikum direkt als vollwertiges Mitglied anerkannt und das hat die Integration in die Band natürlich umso leichter gemacht. Davon mal abgesehen ist er einfach ein Rhythmus-Genie, der so ziemlich alles spielen kann, was man sich vorstellen mag.

John: Absolut! In einer erfolgreichen Band muss jeder auf dem gleichen Niveau sein und nicht erst von den anderen mitgenommen werden müssen. Mike ist halt aus dem gleichen Holz geschnitzt wie wir. Wenn wir zusammen aufgewachsen wären, hätten wir uns schon damals angefreundet, da bin ich mir sicher. Seine Sozialisation war unserer einfach sehr ähnlich, er ist auch mit RUSH und MAIDEN aufgewachsen, mochte GENESIS und hat gerne Metal gespielt. Das spiegelt sich dann auch in seinem Stil wieder. Absolut die gleiche Wellenlänge wir wir vier.

Nils: Wie schnell hat er sich das Vertrauen der Fans erarbeitet, was würdet ihr sagen? Ich kann mich noch gut an euer allererstes Konzert mit Mike Mangini erinnern, zu dem ich extra nach Rom geflogen bin, um es zu sehen. Die Leute sind ab dem ersten Takt regelrecht ausgeflippt, und das bei einer Band, bei der man sich sehr mit den einzelnen Mitgliedern identifiziert.

James: Er ist auch fast ausgeflippt!

John: Ich bin immer noch überwältigt wenn ich daran denke, wie gut es gelaufen ist. Ich meine, man muss sich die Situation noch einmal vor Augen halten: Da verlässt ein Gründungsmitglied die Band nach 25 Jahren. Eine Person, die in den Augen vieler Menschen so viel zur Band beigetragen hat, und damit meine ich nicht nur den musikalischen Aspekt. Und dann kommt ein Mike Mangini und wird ausnahmslos in jedem Land, in dem wir gespielt haben, als neues Familienmitglied anerkannt. Dabei hätte alles passieren können, so eine Situation lässt sich nicht vorhersehen. Seine Qualitäten als Schlagzeuger sind herausragend, niemand wird ihn beim Spielen beobachten und sagen: "der kann nichts". Das wird einfach nicht passieren. Sein Gemüt ist dazu auch einfach einzigartig, weil er so herzlich ist. Er ist immer bemüht, dass alles gut läuft und sein Umfeld ist ihm sehr wichtig. Ihm war bewusst, dass von Anfang an Fans wie du ihn kritisch beäugen würden. Er hat sich dieser Verantwortung angenommen und all unsere Songs gelernt bis zur Perfektion. Auf dem neuen Album kann er endlich sein Potenzial voll ausschöpfen! Wir sind sehr glücklich, dass er bei DREAM THEATER spielt.

Peter: Es war ein kluger Schachzug auf der Tour, erst ein paar Songs zu spielen und ihn dann erst vorzustellen. Niemand konnte bestreiten, dass er der richtige für den Job ist.

James: Ja, ganz genau. Das war unser Ziel.

John: Richtig, niemand kann sagen, dass er nicht großartig wäre.

James: Obwohl er schon so viel erreicht hat, ist er immer noch hungrig und übt jeden Tag zwei bis drei Stunden. Ich frage ihn immer, was er überhaupt noch übt. Wenn er es mir dann erklärt, bereu ich es fast, gefragt zu haben (lacht).

Peter: Wobei ich das eigentlich von euch allen erwartet hätte.

John: Das ist wahr, "use it or loose it" gilt auch auf unserem Niveau noch.

Nils: Kommen wir zurück zum Album. Die Bezüge zur klassischen Musik in 'Illumination Theory' sind neu für DREAM THEATER, passen aber sehr gut zum Song. Ich nehme an, die Barock-Parts kamen von Jordan? Klingt beinahe wie eine Fuge von Bach.

John: Jordan hat von uns natürlich den offensichtlichsten Bezug zur E-Musik, aber auch John (Myung) und ich können mit dieser Musik sehr viel anfangen. Diese kurze instrumentale Passage ist so etwas wie Barockmusik in Rock-Form, wie man es auch von Steve Morse und den DIXIE DREGS kennt. Der Zwischenteil im gleichen Song stammt auch aus Jordans Feder, ich rede von dem wunderschönen Teil mit dem Streichquartett. Die Melodie zum zweiten Teil stammt von mir, wird aber von den Streichern gespielt. Unsere Musik hat sowieso schon seinen sehr cineastischen Charakter, der durch diese Instrumentierung eher noch bestärkt wird. Wir mögen es!

Peter: Ja, doch, wir mögen es auch. Nicht gerade schlecht (alle lachen). Aber lasst uns doch kurz über die Texte reden. Wer war dieses Mal an den Texten beteiligt?

James: John Myung hat 'Surrender to Reason' geschrieben, die anderen Texte hat alle John Petrucci geschrieben.

Peter: Dann musst du mir deine Texte erklären, John. Ich habe nämlich gar keine Ahnung, in welche Richtung das Album in dieser Hinsicht geht.

John: Für mich müssen die Texte auch immer zu dem passen, was ein Song musikalisch aussagt. Wenn ich das Gefühl nicht habe, funktioniert es nicht. 'The Enemy Inside' ist beispielsweise eine Nummer über posttraumatischen Stress. Der Song hat eben diese paranoide, gestresste Atmosphäre und der Text passt einfach dazu. Natürlich müssen die Texte auch gut von James gesungen werden können. Um das zu testen, singe ich immer ein paar Gesangsmelodien als Idee ein, und dann müssen sie für James passen. Gelegentlich ändern wir dann zusammen einzelne Wörter, weil eines beispielsweise zu hart für den jeweiligen Kontext klingt. Thematisch sind die Texte aber sehr unterschiedlich. Den Text zu 'Along for the Ride' habe ich schon vor der Musik geschrieben, da gab es also keine direkt Verbindung auf den ersten Blick. Während wir im Studio waren, sind in der Welt einige schreckliche Sachen passiert. Die Bombenattentate in Boston oder Fälle von Kidnappern, die eine Frau mehr als zehn Jahre lang gefangen gehalten haben beispielsweise. Solche Dinge schlagen sich bei mir auch in den Texten nieder, denn bei mir geht es oft darum, wie Menschen mit solchen Ereignissen umgehen und sie versuchen zu verarbeiten. Das können sowohl positive als auch negative Dinge sein. Mein Ziel ist es immer, dass die Hörer sich auch mit den Texten identifizieren können. Esoterische Texte sind nicht so meine Sache, die Leute sollen schon merken, was ich aussagen möchte und wie Ereignisse aus ihrem Leben dazu passen.

Nils: James, ist es für dich einfach, John Petruccis Texte zu singen oder müsst ihr euch im Vorfeld viel damit auseinandersetzen und Kleinigkeiten anpassen?

James: Ich fand es immer leicht. Der erste Schritt ist jedes Mal, dass wir uns zusammensetzen und er mir die Geschichte erzählt. Ich muss die Texte verstehen und für mich annehmen, damit sie mir auch etwas bedeuten und ich sie wirklich mit voller Überzeugung singen kann. Wenn ich die Texte verinnerlicht habe, kann ich sie auch für den Hörer glaubhafter singen. Das ist mir sehr wichtig.

Nils: Ist das mit den Texten von John Myung anders?

James: Oh ja, die beiden sind sehr unterschiedlich. Seine Texte sind manchmal poetisch, vielmehr aber doppeldeutig und verschachtelt. In den meisten Fällen muss er mir seine Texte sehr deutlich erklären, damit ich eine Ahnung davon habe, was er ausdrücken möchte. Was den ganzen Prozess etwas langsamer macht, aber letztendlich funktioniert es immer. Die Unterschiede kommen auch daher, dass ich auf eine ähnliche Art und Weise texte wie John Petrucci, wir schreiben gerne Geschichten, die man verfolgen kann, die einen Ablauf haben und nicht von einem Gedanken zum anderen pendeln. Die Herangehensweise von John Myung ist zwar anders, wir kommen dennoch immer zum Ziel.


Das Interview führten Peter Kubaschk und Nils Macher.

Fotos: Warner Promo / Jasmin Kazi

Im zweiten Teil des Interviews erzählt uns James alles über den kommenden Konzertfilm "Live at Luna Park", die Vorfreude auf die "An Evening With …"-Tour und sein persönliches Lieblingsalbum der Band.

Redakteur:
Nils Macher

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