CELESTIELLE: Im Düster-Doom liegt die Kraft

16.12.2025 | 22:15

"Requiem" ist mehr als nur die Debüt-EP einer fantastischen Musikerin. CELESTIELLE hat es sich zur Aufgabe gemacht, die alltäglichen Herausforderungen von Frauen in unserer Gesellschaft mit Black- und Doom-metallischen Tönen zu inszenieren, eine dichte Atmosphäre zu schaffen und damit Musik zu kredenzen, die sich gekonnt von den 08/15-Veröffentlichungen des Genres abhebt. Deshalb sprachen wir mit Michelle, die sich hinter dem Projekt CELESTIELLE verbirgt, über ihre Einflüsse, die Aufgaben in Eigenregie, ihre Pläne mit CELESTIELLE und so manche Kreuzigungen.

Hi Michelle, grüß dich, wie geht es dir? Aufregende Zeiten für dich und CELESTIELLE, nicht wahr?
Hey, vielen Dank für deine Fragen! Mir geht es gut, danke der Nachfrage, es ist wirklich eine sehr aufregende Zeit. Zwei­einhalb Jahre habe ich mich nun intensiv diesem Projekt gewidmet, und dass die EP jetzt draußen ist, fühlt sich surreal an. Ich habe es immer noch nicht ganz realisiert und bin gleichzeitig natürlich super froh und erleichtert.

Dein Soloprojekt heißt CELESTIELLE. Hast du dir den Namen selbst ausgesucht? Welche Bedeutung hat dieser für dich?
Ja, den Namen habe ich mir selbst ausgesucht und auch schon relativ früh im Entstehungsprozess im Kopf gehabt. Ich fand das Wort "celestial" immer sehr passend für meine Musik und habe es dann mit meinem Namen Michelle kombiniert. Für mich entstand dadurch eine Art entmenschlichtes Über-Ich.

Wie weit hast du denn vor CELESTIELLE bereits Musik gemacht? Deine Musik geht in die Black-/Doom-Metal-Richtung, welche Bands sind und waren für dich der größte Einfluss?
Tatsächlich habe ich erst relativ spät angefangen, Metal zu hören! Viele wundert das, weil man sich Metal mittlerweile kaum noch von mir wegdenken kann. Aber ich glaube, das war so 2019, dass ich überhaupt das erste Mal Metal gehört habe – und Black Metal sogar erst Anfang 2023, also kurz bevor ich selbst angefangen habe, Songs zu schreiben. Musik hat mich aber schon immer begleitet. Ich hatte als Kind Klavierunterricht und habe in der Schulband und Ähnlichem mitgespielt. Es gab mal eine kurze Phase, in der eine Freundin und ich ein paar deutsche Indie-Songs geschrieben haben, aber wir haben uns schnell in unterschiedliche Richtungen entwickelt. Als ich 2019 angefangen habe, Gitarre zu lernen, habe ich eine Zeit lang Gitarrencover auf Instagram hochgeladen – einfach, weil es mir Spaß gemacht hat. Ich würde sagen, dass ich mit CELESTIELLE das erste Mal wirklich eigene Musik gemacht habe. Es war auch das erste Mal, dass ich mich gesanglich so ausgetobt und selbst produziert habe.

Mit "Requiem" steht deine erste EP nun in den Startlöchern, mit der du die alltäglichen Herausforderungen von Frauen in unserer Gesellschaft thematisierst. Gibt es auch hier Künstlerinnen, die dich zwar nicht stilistisch, aber gedanklich und thematisch derweil inspiriert oder maßgeblich beeinflusst haben?
Absolut! Da fällt mir sofort DELILAH BON ein. Ich kenne kaum Künstler*innen, die sich so konsequent für Frauen- und LGBTQ+-Rechte einsetzen wie sie. Auch wenn es kein Metal ist, klingen für mich wenige Songs so unfassbar wütend wie ihre. Die Atmosphäre bei ihren Liveshows ist kathartisch und gleichzeitig ein absoluter Safe Space für FLINTA-Personen.

Vor allem mag ich die dichte, düstere, aber dennoch schöne Atmosphäre auf der EP. Wie hast du diese ins Studio bringen können?
Gute Frage! Ich glaube, ich habe einfach extrem viel Zeit in meinem "Studio" verbracht – meiner kleinen 16-Quadratmeter-Studierendenwohnung mit Laptop, Interface, Instrumenten und Mikrofon. Es war ein sehr introspektiver Prozess. Mit der Zeit hatte ich aber eine klare Vorstellung davon, in welche Richtung es gehen soll. Es ist letztlich ein Requiem, eine Totenmesse. Ich liebe zum Beispiel Mozarts "Requiem" sehr! Auch das Projekt LINGUA IGNOTA hat mich stark inspiriert, vor allem die Art, Wut mit liturgischen Elementen zu verbinden. Liturgische Ästhetik hat mich schon immer fasziniert.

Du hast das gesamte Projekt in Eigenregie umgesetzt – lediglich an den Drums und beim Mix hattest du Unterstützung. Kannst du diese Herangehensweise jedem empfehlen? Welche Vor-, aber auch Nachteile birgt das?
Es war natürlich anstrengend, aber ich würde es (zumindest für das erste Projekt) jederzeit wieder so machen. Für mich war es etwas Besonderes zu wissen: Das habe ich alleine geschaffen. Das war mein größter Akt der Selbstbestätigung. Ich konnte meine Vision zu hundert Prozent so umsetzen, wie ich sie wollte. Gleichzeitig dauert alles viel länger, weil man unglaublich viel lernen muss, Hürden überwinden muss und sein Team erst einmal zusammensuchen muss, mit dem man weiterarbeiten möchte. Zum Glück habe ich dafür fantastische Menschen gefunden! Trotzdem ist es extrem kostspielig und zeitintensiv, gerade wenn man studiert und kein festes Einkommen hat. Ich glaube, man realisiert erst, wenn man es selbst einmal durchmacht, wie viel Zeit so etwas verschlingt und wie viele Kleinigkeiten täglich auftauchen, über die man vorher nie nachgedacht hat. Dieser Release war definitiv mehr als ein Vollzeitjob.

Was hat es mit 'Crucify Him' auf sich? Wen würdest du kreuzigen und warum?
Der Titel ist natürlich metaphorisch gemeint. 'Crucify Him' ist für mich ein imaginärer Racheakt an Menschen, deren Wohlbefinden auf Kosten anderer entsteht. Damit meine ich zwar bestimmte Einzelpersonen, aber grundsätzlich ist der Song eine Kritik an patriarchalen Strukturen, unter denen Frauen bis heute leiden. Im Rahmen meiner Bachelorarbeit über Weiblichkeit im Black Metal bin ich auf den Begriff "Vigilant Feminism" gestoßen – und ich finde, er fasst sehr gut zusammen, was ich hier tue. Bands wie CANNIBAL CORPSE haben sich schon immer daran erfreut, Gewalt an Frauen zu fantasieren; deshalb dachte ich mir: Das kann ich genauso.

Vor allem 'The Huntress' hat mir gefallen. Worum geht es in dem Song, was wird gejagt?
Die Jägerin ist eine mystische Figur, eine Art Hexe. Mit dieser Metapher möchte ich eine Täter-Opfer-Umkehr darstellen und gleichzeitig stereotype Zuschreibungen verändern. Jagen wird eher Männern zugeschrieben; hier erschaffe ich eine Figur, die für die FLINTA-Community steht und all diese Eigenschaften ebenso verkörpern kann. Sie kann wütend, brutal und gefährlich sein – und gleichzeitig sich selbst und andere schützen. Sie ist aber auch eine beschützende Mutterfigur, die nur dann gefährlich wird, wenn Unrecht geschieht. Gleichzeitig soll der Song an die Hexenverfolgungen erinnern, bei denen unzählige Frauen aufgrund ihres Geschlechts verbrannt wurden.

Hast du Pläne, mit deiner "Requiem"-EP auch live aufzutreten?
Definitiv! Wir spielen am 19.12. bei der THIRD WAVE-Anniversary Show im Rind (Rüsselsheim) als Opener – das wird das CELESTIELLE-Debüt. Ab Januar werde ich ein halbes Jahr in Norwegen studieren, aber es war mir wichtig, das Projekt nicht aufzuschieben. Wenn ich wieder zurück bin, machen wir auf jeden Fall weiter. Ich freue mich auf alle kommenden Gigs!

Was wird 2026 für dich bereithalten, was sind deine Pläne für die kommenden zwölf Monate?
Wie gesagt, bin ich die erste Jahreshälfte im Ausland – aber das ist vielleicht gar nicht schlecht. Ich habe mich so lange intensiv mit "Requiem" beschäftigt, dass kaum Raum für Kreativität blieb. Ich freue mich darauf, viele neue Eindrücke zu sammeln und sie später ins Projekt einfließen zu lassen. Besonders freue ich mich auf weitere Shows. Man kann mich und meine Liveband also gerne für die zweite Jahreshälfte buchen! Die EP hat so lange auf sich warten lassen, dass ich sie jetzt ausgiebig live präsentieren möchte.

Liebe Michelle, ich danke dir sehr, dass du meinen Fragen Rede und Antwort standest. Was möchtest du unseren Lesern und deinen Fans noch mit auf den Weg geben?
Danke dir für die Möglichkeit! Was ich unbedingt weitergeben möchte: Ihr müsst keine Profis sein, um Musik zu machen. Die Angst, nicht gut genug zu sein, hält viele Menschen davon ab, fantastische Dinge zu erschaffen. Aber vielleicht muss es gar nicht gut sein, sondern echt. Musik ist dann besonders, wenn sie authentisch ist und euch selbst bewegt.

 

Fotocredit: Lina Welsch

Redakteur:
Marcel Rapp

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