Inspector Morse. 1. Staffel (DVD)
- Regie:
- Diverse
- Jahr:
- 2000
- Genre:
- Kriminalfilm
- Land:
- Großbritannien
- Originaltitel:
- Inspector Morse. Season 1
1 Review(s)
12.09.2014 | 13:25Gemächliche Ermittlungen, mit einer Ausnahme
Zwischen 1987 und 2000 produzierte der britische Sender ITV insgesamt 33 Folgen dieses Vorgängers von "Lewis - der Oxford-Krimi", die weltweit in über 200 Ländern ausgestrahlt wurde Dabei gaben sich regelmäßig die britischen Chrakterdarsteller wie etwa Michael Gough die Ehre. Die Anzahl der Morse-Anhänger soll weltweit bei etwa 750 Millionen liegen.
In Deutschland wurden zwischen 1989 und 1993 in der DDR nur acht Folgen gezeigt. Deshalb bildet die vorliegende DVD-Box der ersten Staffel quasi eine westdeutsche Premiere. Allerdings wird sie nicht synchronisiert, sondern in der O-Fassung mit deutschen Untertiteln gezeigt.
Filminfos
O-Titel: Inspector Morse. Season 1 (GB 1987)
Dt. Vertrieb: Edel Germany
VÖ: 12.09.2014
FSK: ab 12
Länge: ca. 410 Min.
Regisseur: Alastair Reid, Peter Hammond u.a.
Drehbuch: diverse nach den Romanen von Colin Dexter, u.a. Anthony Mingella
Musik: Barrington Pheloung
Darsteller: John Thaw, Kevin Whately, Michael Gough, Gemma Jones u.a.
Episode 1: (105 Min.): "Die Toten von Jericho" (The Dead of Jericho)
Hauptdarsteller: John Thaw (als Morse), Kevin Whately (als Bob Lewis), Gemma Jones (als Anne Staveley)
Drehbuch: Anthony Minghella (!), Julian Mitchell
Regie: Alastair Reid
Inspector Endeavour Morse (aber niemand redet ihn jemals mit Vornamen an) kommt mal wieder zu spät zur Chorprobe. Die Razzia in einer Autolackiererei hat ihn aufgehalten, wo gestohlene Wagen umgespritzt wurden. Wie immer erfreut ihn der Anblick seiner Mitsängerin Anne Staveley, und diesmal darf er sie nach Hause begleiten. Ihr Zuhause liegt in dem angesagten, aber bis vor zehn Jahren noch ziemlich verrufenen Arbeiterviertel Jericho, das direkt am Kanal liegt. Daher auch ihre Adresse: Canal Reach Nr. 19.
Sie arbeitet als Musiklehrerin und lebt hier ledig, wenn auch mit einem mysteriösen jungen Mann namens Ned zusammen. Er studiert Jura, komponiere aber, sagt sie. Es sieht so aus, als möge sie Ned mehr als er sie. Ned unterbindet jeden weiteren Annäherungsversuch von Morses Seite. Als Morse geht, ahnt er nicht, dass ein Nachbar ihn mit dem Fernglas beobachtet - und auch Annes Schlafzimmer...
Nach einem weiteren fruchtlosen Treffen will er sie zum Chorkonzert abholen, doch ihre Haustüre ist offen und von Anne keine Spur. Als er abends zurückkehrt, ist die Mordkommission bereits am Werk: Anne hat sich in der Küche erhängt. Morse ist bestürzt. Was mag sie dazu getrieben haben? Steckt etwa dieser Ned dahinter?
Mein Eindruck
Es verhält sich natürlich alles ganz anders, und es bleibt auch nicht bei nur einer Leiche. Die Wege der Ermittlung sind gehörig verschlungen, denn ein Profi hat das Drehbuch geschrieben: Anthony Minghella, der später "Der englische Patient" verfilmen sollte. Daher bleibt bis zum Schluss viel Verdachtspotential, aber die Beweise lassen auf sich warten. Als auch noch eine Verwechslung - dank Lewis' losem Mundwerk - aufgedeckt wird, kommt Morse aus dem Staunen nicht mehr heraus.
Für den Brit-Crime-Fan ist jedoch schon diese erste Folge ein Leckerbissen, denn sowohl Lewis als auch Morse sind Charakterköpfe. Besonders Morse tanzt aus der Reihe, ein Querkopf, der bei einer anstehenden Beförderung regelmäßig übergangen wird. Aber nur Querdenker wie er sind in der Lage und willens, hinter die wohlfeilen Indizien zu schauen und nicht gleich bei den üblichen Verdächtigen zuzuschlagen. So kommen er und Lewis darauf: "Sophocles did it!"
Besagter Sophocles ist der Autor einer antiken griechischen Tragödie mit dem Titel "Oedipus Rex", welche sich als Nachtlektüre auf Annes Nachttischchen findet. Für den gewieften Krimifreund braucht nicht mehr gesagt zu werden: Anne Staveley starb auf gleiche Weise wie Oedipus' Mutter Iokaste... Aber ist das wirklich die richtige Spur oder nur ein "red herring"? Ich würde keinen roten Heller darauf setzen.
Episode 2: "Die stille Welt des Nicholas Quinn" (The Silent World of Nicholas Quinn)
Die Prüfkommission des exklusiven Oxforder Lonsdale-Colleges entscheidet über Wohl und Wehe der Prüflinge, etwa hinsichtlich ihrer späteren beruflichen Laufbahn, beispielsweise in der Bürokratie oder an der Uni. Daher halten sich die Kommissionsmitglieder für etwas Besseres - und die Examina, von denen es stets fünf Versionen gibt, für ihren größten Schatz: Alle Examensarbeiten werden hoch gesichert verwahrt - außer an diesem Freitag, den 21. Mai.
Nicholas Quinn ist erst drei Monate Teil der Kommission, obwohl er nahezu taub ist und ein Hörgerät nutzen muss, das ständig den Geist aufgibt. Zum Glück ist er auch Lippenleser. Wie sich herausstellt, hat sich sein Vorgänger George Bland nicht ohne Grund ins arabische Scheichtum Al-Jamara abgesetzt: Bland verkaufte den Scheichs Prüfarbeiten und -fragen. Auf einer Party vermeint Quinn angesichts des Auftritts besagten Scheichs ein Komplott für einen erneuten Verkauf zu entdecken. Als er diese Entdeckung weitergibt, unterschreibt er quasi sein Todesurteil...
Mein Eindruck
Die Handlung mäandert sich durch zahlreiche Beziehungen und falsche Verdächtigungen. Vor allem Quinns falscher Verdacht, der den Stein ins Rollen brachte, richtet Unheil an. Es ist zwar interessant, dass verheiratete Leute, die nicht miteinander verheiratet sind, eine Affäre haben, aber weltbewegend ist das keineswegs.
Ganz interessant ist das Lippenlesen durch Taubstumme - diese Recherche hätte Morse schon viel früher erledigen sollen. Er hätte sich - und uns - eine Menge Mühe erspart. Recht hübsch inszeniert ist der gewalttätige Showdown in einer Küche, wo sich erweist, dass der Inspektor trotz seiner weißen Haare noch nicht zum alten Eisen gehört.
Im Gegensatz zu Episode 1, die in einem ehemaligen Arbeiterviertel spielt, schwelgt die Kamera hier bis zum Überdruss in den brüchigen Sandsteinfassaden der alten Colleges von Oxford. Da wirkt es geradezu wie eine Erleichterung, wenn mal ein altes Cottage oder ein modernes Krankenhaus ins Bild kommt.
Episode 3: "Eine Messe für alle Toten" (Service of All the Dead; Regie: Peter Hammond)
Die Kirchenglocken läuten und zwar recht laut und eindringlich, denn es gibt in St. Oswalt jede Menge davon. Das weckt einen Landstreicher auf dem angrenzenden Friedhof, wie es scheint, und er betritt die Kirche, um den Messwein als feuchte Zwischenmahlzeit zu verlangen. Dort findet gerade eine Messe statt. Der Organist spielt virtuos, zwei hübsche Frauen bewundern ihn, aber sonst sind nur wenige Besucher zugegen, als der Pfarrer das Sakrament zelebriert. Ein Messdiener lässt die Sammelbüchse herum gehen. Als Inspektor Morse eintrifft, ist er tot, erstochen mit einem Brieföffner in Form eines Kruzifixes. Wie passend. Vom Landstreicher fehlt indes jede Spur.
Bei dem Toten handelt es sich offenbar um Harry Josephs, den Kirchenvorsteher, und dessen blonde Witwe heult sich die Seele aus dem Leib, getröstet von einer Brünetten, die sich als Miss Ruth Rawlinson, die Kirchenputzfrau und Chorsängerin, vorstellt. Morse wird später noch mit ihr auf Tuchfühlung gehen.
Der Gerichtsmediziner liefert ein verblüffendes Untersuchungsergebnis: Der Brieföffner war nicht die eigentliche Todesursache. Josephs starb an einer Überdosis Morphin. Aber wer sollte einen Mann zweimal umbringen wollen, fragen sich Morse und Lewis, und wozu?
Mein Eindruck
Harry Josephs ist natürlich NICHT Harry Josephs und die Messe keine reguläre Messe. Damit fängt der ganze Ärger an und hört bis zum Schluss nicht mehr auf. Das sorgt für eine Menge Spannung und jede Menge unerwartete Wendungen. Außerdem erfahren wir hier, dass Morse unter Höhenangst leidet und in diesem Zustand schwach wie ein Kätzchen ist - ein leichtes Opfer für einen Serienmörder.
Das Beste an dieser Episode ist die innovative, einfallsreiche Kameraführung. Wir sehen vom Turm St. Oswalts hinab auf den Vorhof der Kirche, sozusagen aus schwindelerregender Höhe. Und wir schauen vom Vorplatz hinauf in die Höhe, aus der gerade der Pfarrer herab gestürzt kommt. Kein angenehmer Anblick.
Der raffinierte Einsatz von Spiegelungen in Autorückspiegeln, Windschutzscheiben, Fenstern und Brillengläsern vermittelt den Eindruck, dass es eine zweite Ebene hinter der gezeigten Wirklichkeit. Und das stellt sich als richtige Vermutung heraus. Eine Handycam begleitet die Ermittler ganz nah ans Geschehen heran, etwa beim Aufstieg im Kirchturm oder in der Gruft von St. Oswalt, das als wiederkehrende Bühne dient. Und Nahaufnahmen zeigen das Gesicht Morses bei der Konfrontation eines Verdächtigen. Die Close-ups laden die Bilder mit starker Emotion auf, und zwar nicht nur bei den Küssen zwischen Morse und Ruth Rawlinson.
Mit anderen Worten: Diese Episode ist nicht nur optisch ein Leckerbissen, sondern fesselt den Zuschauer auch emotional viel stärker als ihre Vorgänger. Der Schluss ist ziemlich verblüffend, denn alles, was wir anfangs in schönsten Farben präsentiert bekommen haben, war eine ausgeklügelte Charade - sozusagen ein Film im Film. Das passt gut zum Generalthema der unterschiedlichen Zwillingsbrüder und der zahlreichen Reflexionen. Bindeglied zwischen Wahrheit und Einbildung ist Ruth Rawlinson, eine nur scheinbar herzensgute Frau, die aber auf verschlungenen Pfaden wandelt.
Der Aufmerksamkeit von Kunstfreunden wird es zudem nicht entgehen, dass sich Mrs. Morris in den Bootskahn legt wie die legendäre "Lady of Shalott", die von dem viktorianischen Maler John William Waterhouse 1888 in schwelgerischen Farben gemalt wurde, frei nach dem Gedicht (zwei Versionen: 1833 und 1842) von Lord Alfred Tennyson (siehe dazu http://en.wikipedia.org/wiki/TheLadyofShalott). Diese Szene fand ich für einen Briten-Krimi ziemlich kitschig.
Episode 4: "Der Wolvercote-Dorn" (The Wolvercote Tongue)
Reiche Amerikaner befinden sich auf Besichtigungstour in Oxford, geführt von der Reiseleiterin Sheila Williams. Die inzwischen total genervt von den reichen Nörglern, aber dass eine davon auch noch auf ihrem Hotelzimmer stirbt, gibt ihren Nerven den Rest. Dagegen helfen nur mehrere Gin & Tonics. Morse und Lewis fallen zusammen mit dem Gerichtsmediziner Max ein. Der Todesfall war offenbar ein schwerer Herzinfarkt, doch
Mrs. Poindexter fiel beim Zusammenbrechen unglücklich gegen einen Bettpfosten - nur ein Zufall? Morse wird auch durch Tatsache misstrauisch, dass Mrs. Poindexter zusammen mit einem wertvollen Schmuckstück verschwunden ist. Dieses Schmuckstück sollte hier im Oxforder Ashmolean Museum von Dr Theo Kemp, dem Museumsdirektor, ausgestellt werden. Merkwürdig, dass auch Kemp bald als Wasserleiche einen unschönen Eindrück hinterlässt...
Mein Eindruck
Etwas geht vor sich, doch Morse hatte lange keine Ahnung, was es sein könnte (Assoziationen an Dylans Mr. Jones liegen nahe). Genauso wenig wie Bob Lewis, sein Wasserträger, der manchmal zu Geistesblitzen in der Lage ist. Nach dem üblichen Durchhecheln mehrerer Verdächtiger findet der verwickelte Fall ein Happyend - und der Zuschauer ist ebenso rechtschaffen müde wie der Täter, der von Morse und Lewis gehetzt worden ist.
Ich setze hiermit den Namen von Alastair Reid auf meine Schwarze Liste. Sein Kamerastil ist aus dem vorletzten Jahrhundert und erinnert an die Stummfilmzeit: statisch und mit kaum einer Bewegung der Kamera. Ein einziges Mal lässt er sich zum Einsatz einer Handycam hinreißen, aber diesen Ausrutscher gleichen Postkartenansichten von Oxford und dem Innern eines Pubs wieder aus.
Folge 3 und 4 unterscheiden sich also im Stil wie Tag und Nacht. Der Name "Peter Hammond" kommt also auf meine Weiße Liste.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1,85:1 (umgerechnetes 4:3)
Tonformate: Englisch in DD 2.0
Untertitel: Deutsch
Extras: keine
Mein Eindruck: die DVD
Das Bild erreicht in dieser ersten Staffel nur normales Fernsehniveau: Im Standbild ist deutlich die Körnung zu sehen. Der Ton in DD 2.0 bewegt sich hingegen auf dem eines standardmäßigen Röhren- oder LCD-Fernsehers. Die Untertitel bieten dem deutschen Zuschauer eine ziemlich genaue Übersetzung des gesprochenen Originals.
Extras gibt es außer ein paar Fotos auf der Innenseite des DVD-Covers keine. Noch nicht mal ein klitzekleiner Trailer hat sich auf eine der Silberscheiben verirrt.
Unterm Strich
Es kommt nicht häufig vor, dass ein großer Verleih wie Edel Germany eine englische Originalfassung auf den Markt bringt. Eigentlich nie. Deshalb richtet sich diese DVD-Box von vornherein an ein Publikum aus Fans und Sammlern. Die Fans sind die des Originals oder der eingedeutschten LEWIS-Serie, die Sammler sind Anhänger von britischen TV-Serien.
Unter letzteren genießt MORSE offenbar Kultstatus (siehe die Infos oben), so dass mit dieser DVD eine Scharte ausgewetzt wird, über deren Existenz in Westdeutschland man sich durchaus wundern darf: Warum haben die Westsender diese Serie nie ausgestrahlt? Dann wäre sie garantiert synchronisiert worden.
Die erste Staffel
Diese erste Staffel aus vier Fällen beansprucht den Zuschauer ob ihrer Überlänge: Wem 90 Minuten das Letzte an Sitzfleisch abverlangen, wird kaum noch eine weitere Viertelstunde dranhängen wollen. Das muss er aber, um die Auflösung des jeweiligen Falls zu erleben.
Erschwerend kommt hinzu, dass drei der vier Fälle nicht gerade vom Hocker reißen: Die Kameraführung ist in der Regel so statisch wie zu Stummfilmzeiten, die Figuren spielen hölzern, und die Handlung mäandert vor sich hin, bis einer der Ermittler irgendwann einen Geistesblitz hat.
Erfreuliche Ausnahme in diesem Schema ist Folge 3, die von Peter Hammond gedreht wurde. Seine Kameraführung ist vielseitig, emotional, zuweilen verblüffend oder erschreckend - jedenfalls "ein richtiger Augenöffner", um Samweis Gamdschie zu zitieren. Die visuelle Umsetzung passt genau zum Thema der Folge, das aus Täuschung, Irreführung und Vorspiegelung falscher Tatsachen besteht.
Die DVD-Box
Diese Staffel liegt im englischen O-Ton vor. Doch die Untertitel bieten dem deutschen Zuschauer eine ziemlich genaue Übersetzung des gesprochenen Originals. In anderen Ländern wie etwa den Niederlanden ist dies die übliche Weise, ausländische Filme zu sehen, warum also nicht auch bei uns? Weil wir Deutschen synchronisierte Filme gewöhnt sind - und deshalb schlechter Englisch sprechen als andere Nationen. Durch den O-Tom hören wir genau die unterschiedlichen Akzente der Figuren: Südenglisch von Morse, Nordenglisch von Lewis, Internats-Englisch von Theo Kemp, Amerikanisch von den Touristen und so weiter.
Dass das Aussehen der Schauspieler aus den achtziger Jahren gewöhnungsbedürftig ist, dürfte keine Überraschung sein: Mega-Schulterpolster bei den Damen und Herren, wallende Fönfrisuren und die ersten Gothic-Make-ups stellen die Geschmacksvorstellungen des Zuschauers auf die Probe.
Ich hoffe, dass die nächste Staffel von "Inspector Morse" etwas mehr Pfiff und Tempo aufweist als diese bräsige Umsetzung.
Michael Matzer (c) 2014ff
- Redakteur:
- Michael Matzer