Haze
- Regie:
- Shinya Tsukamoto
- Jahr:
- 2005
- Genre:
- Horror
- Land:
- Japan
1 Review(s)
20.11.2006 | 10:21Hintergrund
Shinya Tsukamoto ist für seine surrealen, avantgardistischen und höchst unkonventionellen Filme bekannt. Mit jedem Werk verfolgt er eine Intention, die sich nicht direkt greifen lässt. Die meisten Motive müssen wie ein Gedicht interpretiert und analysiert werden, wodurch Tsukamotos Werke auf jeden Zuschauer unterschiedlich wirken. Bis zu seinem 2005-er Output "Vital" konzentrierte sich Tsukamoto auf das Verhältnis der Menschen zur Großstadt. Mit diesem Film änderte er jedoch seine Intention und rückte seinen Fokus auf die Natur.
"Haze" ist der erste digital aufgenommene Spielfilm Tsukamotos. Statt seiner klassischen 35-mm Kamera, nutzte er praktische, weil kleine digitale Videokameras, die ihm die Verwirklichung seines schon vor langer Zeit geplanten Projekts ermöglichten. "Haze" ist als Kurzfilm konzipiert, das (bei Tsukamoto generell niedrige) Budget ist minimal. Neben diesem Film hat Tsukamoto noch zwei weitere Kurzfilmprojekte in der Hinterhand, die er gerne mittels digitaler Videotechnik realisieren würde. Wie auch bei "Haze", stammen die Ideen für diese Filme aus der "Vital"-Phase. Wie schon in "Tokyo Fist" oder "Bullet Ballet" übernahm Shinya Tsukamoto persönlich die Hauptrolle.
Handlung
Ein Mann (Shinya Tsukamoto) erwacht in einem verlassenen, beklemmenden und dreckigen Betonlabyrinth. Ohne jegliche Erinnerung, wo er ist und wie er in diese ausweglose Situation gelangen konnte, versucht er einen Weg aus dieser Hölle zu finden. Größtenteils kriechend oder robbend versucht er, den Ausgang zu finden. Die Decken sind niedrig, die Wände nah beieinander und zusätzlich mit allerlei Fallen gespickt. Wer hat ihn nur in diese Betonhölle gesteckt? Nach einer kräftezehrenden Odyssee durch das Labyrinth trifft er schließlich auf eine Frau (Kaori Fujii, "Tokyo Fist"). Werden sie gemeinsam einen Ausweg finden?
Kritik
"Haze" ist ein ziemlicher Tritt in die Eingeweide des geneigten Zuschauers. Trotz der knappen Spieldauer von 48 Minuten schafft es der Regisseur, Skriptschreiber und Hauptdarsteller Shinya Tsukamoto, einen intensiven und grauenhaften Trip durch die menschliche Existenz zu erzeugen. Klaustrophobisch, grausam und verstörend sind wohl die drei treffendsten Adjektive, um diesen Film zu beschreiben. Wie von Tsukamoto gewohnt, wird bewusst sehr viel im Dunkeln gehalten. Die beiden Protagonisten haben weder Namen, noch eine Vergangenheit. Der Zuschauer weiß zu keinem Zeitpunkt mehr als die Protagonisten selbst. Von der ersten, schauderhaften Minute, bis zum verwirrenden Ende ist man damit beschäftigt, die spärlich eingestreuten Informationen zusammenzuknüpfen. Dazu zählen sowohl Wahnvorstellungen, als auch Flashbacks und Zukunftsillusionen.
Die Stimmung ist so düster wie die Gänge des Labyrinths, das direkte Filmverständnis so niedrig wie die Decken dieser Betonhölle. "Haze" fordert den Zuschauer mehr denn je auf, mitzudenken. Doch selbst der aufmerksamste Zuschauer wird Probleme haben, diesen Film zu greifen! Tsukamoto spielt mit Urängsten, reduziert das menschliche Sein auf den Geist und den Überlebenstrieb und zeigt, wie verloren der Mensch ohne seine Mobilität ist. Ohne physische Bewegung wird zunehmend der Geist aktiv. Weder das Wie, noch das Warum sind von Bedeutung. Diese Reduktion des menschlichen Seins führt dazu, dass jeder Mensch die lückenhafte Geschichte mit eigenen Erfahrungen und seiner eigenen Identität kombiniert. Das Ergebnis sind multiple Interpretationen des Gezeigten, die immer im Bewusstsein des jeweiligen Zuschauers begründet sind.
Tsukamotos 48-minütiger Alptraum fordert aber nicht nur durch seine Intention. Die düsteren, beklemmenden Bilder sorgen ebenso für Schrecken wie die schauderhaft gute Soundkulisse. Der Klang von Zähnen, die über ein Metallrohr schleifen, dürfte den meisten in Mark und Bein fahren. Immer wieder wird der Zuschauer durch die tolle Inszenierung mitten ins Geschehen gezerrt - was bei der Härte des Films kein ausgesprochenes Vergnügen ist!
Die DVD
r-e-m lässt sich auch bei dieser Veröffentlichung nicht lumpen und spendiert Tsukamotos Kurzfilm das gewohnte Digipack, samt Schuber und Poster. Das Bild (1,85:1 anamorph) ist dank der digitalen Aufnahme überaus gut. Sowohl die Schärfe, als auch der Kontrast weiß zu überzeugen. Die Farben sind themengerecht untersättigt, das Schwarz ist nicht besonders kräftig, fügt sich aber sehr gut ins visuelle Konzept ein.
Der Ton überzeugt in gleicher Weise. Drei Tonspuren stehen zur Auswahl, Deutsch DTS und DD 5.1 und Japanisch in DD 2.0. Der erstgenannte Track ist hierbei die beste Wahl, bietet er doch das dynamischste und intensivste Klangbild. Der Bass ist unerhört kräftig, alle Lautsprecher werden zur richtigen Zeit gefordert und reißen den Zuschauer förmlich in das Betonlabyrinth hinein. Der deutsche DD 5.1 Track ist ein wenig leiser und nicht so basslastig, liefert aber auch einen guten Raumklang. Der japanische 2.0 Track kann da erwartungsgemäß nicht mithalten. Dennoch gefällt auch hier die Soundkulisse. Störendes Rauschen tritt zum Glück bei keinem der drei Tracks auf.
Die Extras runden die gelungene Veröffentlichung ab. Das 24-minütige Making Of ist informativ und gibt in Form eines Produktionstagebuchs reichlich Einblick in den nur 13 Tage langen Dreh. Das knapp 20-minütige Interview mit Regisseur Shinya Tsukamoto sollte allen ans Herz gelegt werden, da er dort seine Intentionen und seine allgemeine Sicht des Filmemachens offenbart. Das 16-minütige Featurette "Kaori Fujii in Locarno" zeigt nette Einblicke in den Premierenalltag, liefert schöne Interviewsequenzen mit den beiden Filmprotagonisten und zeigt außerdem noch das hübsche Städtchen Locarno in voller Pracht. Der Filmtrailer rundet das sehr gelungene und ca. 60-minütge Extraspaket ab.
Fazit
"Haze" ist eine weitere filmische Perle des japanischen Extremkünstlers Shinya Tsukamoto. Düster, dreckig und brutal, intensiv und aufwühlend inszeniert er einen kurzen, aber heftigen Alptraumtrip und spielt dabei mit menschlichen Urängsten. Wer sich auf einen solchen Trip einlassen kann und die Arbeit Shinya Tsukamotos bereits kennt, wird mit einem 48-minütigen Kurzfilm belohnt, der sich tief ins Hirn frisst und den Zuschauer zur Reflektion zwingt. Ein experimentelles Meisterwerk!
- Redakteur:
- Martin Przegendza