Für alle Fälle Fitz / 3.Staffel
- Regie:
- Tim Fywell, Jimmy McGovern
- Jahr:
- 1995
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Grossbritannien
- Originaltitel:
- Cracker - Season 3
1 Review(s)
17.11.2006 | 08:53Dr. Fitzgerald ist ein Schwein. Ein vom Menschen enttäuschter, ein Gefühle hassender, kluger Alkoholiker. Verzweifelt daran, dass der Mensch sich nicht stets unter Kontrolle hat. Und lebt genau davon. Stößt er auf Schwächen, nimmt er kein Blatt vor die nach Malt stinkende Psychologenschnauze und giert danach, in der erdiskutierten Wunde herumzustochern. Wohl wissend, selbst genug davon zu haben. Er fordert und verweigert selbst: Vertrauen, Verschwiegenheit, Treue, Verantwortung. Er fängt erst da an, wo es weh tut. Sein soziales Leben ist zerrüttet. Die Familie ist eher ein Forschungsobjekt im Umgang mit Ummenschen. Es wird analysiert und verbal getreten, psychologisiert und je nach Bedarf die Moralknute gewedelt. Die ihm nächsten sind zumeist Verdächtige oder Kollegen von Scotland Yard.
Dass ein im weitesten Sinne Bulle so menschlich ist, verwirrt von Anfang an, aber diese Offenheit mit dem Subjekt Fitz macht den Erfolg dieser Fernsehserie aus. Bis hin zur kleinsten Nebenrolle sind sämtliche Personen dieser nun erschienenen dritten Staffel der englischen Psychokrimiserie mit erstklassigen Charakterdarstellern besetzt. Der trottelig anmutende Chef ist liebenswert bemüht, der eigene Sohn ein ganz lieber, die befreundete Psychologie-Professorin hat den Kampf der Deutung und Hilfe schon aufgegeben, ein junger Mittelscheitelbeamter ist eigentlich nur zum Anschnauzen da. Das ist die Figurenebene, welche die Stories unterfüttert und weitertreibt. Folgen die Irgendwie-mal-nicht-mal-doch-Geliebte mit dem roten Schopf, die irgendwie auch in geistige Mitleidenschaft gezogene Ehefrau, Typ Gymnasiallehrerin. Da gibt es den Bullen, den es nur zu hassen gilt - er ist selbst eines der größten Wracks im grauen England. Da sind jene Leute, die auf der nächstliegenden Welle Fitz entgegenschwimmen dürfen. Bleiben noch Dr. Fitzgerald selbst und diejenigen, die anhand von Morden Antworten suchen oder ihrer Wut freien Lauf lassen.
Auf roter Augenhöhe in Sphären der menschlichen Obsessionen bewegen sich nur die Täter und Fitz. Auch ein Täter? Zumindest in dieser Staffel wird da kein großer Unterschied angedeutet. Da die Brüchigkeit im Emotionsgerüst der teilnehmenden Beamten vollends dargestellt wird, da unter den Ermittelnden keine Heldenhaftigkeit oder Opferbereitschaft festzustellen ist, verschwimmen die Grenzen zusehends. Die Gesichter sind grau bis hässlich, verhärmt und zerfurcht, kaum einmal sehen wir attraktives Serienpersonal. Den Figuren sind ihre seelischen Zerfurchungen und Zerwürfnisse deutlich anzusehen, was wie gesagt vor allem am ausgezeichneten Akteurspersonal liegt. Die Figuren nehmen kein Blatt vor die müden Münder, was abweicht vom pseudospannenden Krimibrei der allermeisten Auswürfe dieses Genres.
Aber was ist diese Serie eigentlich? Klassische Krimielemente finden sich in Form von Besprechungen im Hauptrevier, hektisch geschnittenen Beredungen, die nicht selten im Anschreien untereinander enden. Psychogramm? Die Dialoge – vorwiegend mit Fitz als Lenker der Thematik – künden vom Wissen humaner Abgründigkeiten. Vor allem werden reale Bedrohungen und Hintergründe als diejenigen identifiziert, die Menschen zu Mördern lassen werden. Nicht selten ist das Gefühl des Mitleids mit Täter oder Verdächtigen vorherrschend. Nicht selten schnürt es einem ob des offensichtlichen Verletzungseifers des Psychologen Fitz die Kehle zu. Nicht selten hat man den Eindruck, das kein Mensch auf der Welt diese ganzen Belastungen, die der Eingriff in Mordfälle oder das Erleben fremden privaten dunklen Leids hervorruft, überhaupt ohne „Knacks“ wegstecken kann. Das schafft auch niemand in dieser Staffel. Alle haben einen eigenen Weg, mit dieser unglaublichen Belastung umzugehen, und es ist ein Vorteil dieser Serie, dass der Zuschauer genau diese Hintergründe und Folgen nicht auslässt.
Der Weg der Verarbeitung fordert hier bei jedem Opfer. Alle mit heftigen Folgen und zum Teil tödlichen. Robbie Coltrane geht in dieser Rolle auf, jedoch ist er trotz des namensgebenen Titels eigentlich nur eine der Figuren. Besser wäre es fast, dieser Serie einen Namen in Form von „Die Begebenheiten im Umfeld des Dr. Fitzgerald“ zu geben. Ein akademischer Psychotyp ist eben mindestens auf die Existenz des menschlichen Umfeldes angewiesen, auch wenn er die Hilfe desselben nicht zugeben will. Aber es fallen Späne, und die arrogante Vermutung hat Einzug gehalten, anhand von Gesprächen, Verkündigungen, Provokationen und Einfühlungstaktiken in jeder zwischenmenschlichen Konfrontation „vorne“ zu sein. Oft verliert sich der Psychologe in der eigenen Vorstellung und Deutung von Situationen, wird dann unsanft vom Menschen in der Ecke verbal abgestraft. Die Zerrissenheit verstärkt sich bei dem Alkoholiker Fitz dadurch immer mehr. Die als Balzrituale und jugendlichen Spinnereien daherkommenden Ansagen an die Studentenschaft und an die Polizeikollegin beweisen dies immer mehr. Denn auch hier werden grosse Konflikte beschwört, da der redegewandte dicke Mann mit seinem vorgeschalteten Selbstbewusstsein immer Anziehungen auf das andere Geschlecht ausübt. Es ginge noch so weiter und man bemerkt, wie sehr sich der Zuschauer in diese Serie gedanklich einfindet, auch nachher gibt es viele Nachgedanken und Auswertungen im Zuschauerumfeld.
Die vielfach preisgekrönte Serie ist genau dies auch völlig zurecht. Was sich teilweise heute als Kriminalgeschichte verkaufen lassen will, schreit hingegen hinauf zum verhangenen Nebelhimmel.
Zum Einzelnen: 1995 lief diese Staffel im Fernsehen und hat trotz der vergangenen Optik von vor 10 Jahren keine Intensität eingebüßt. Der Stil ist egal, diese Serie lebt vom Dialog und von den Nahaufnahmen der Figuren. Einfach ist auch die Menüführung, nur die drei einzelnen Teile nach kurzer Schwarz-Weiß-Eingangssequenz. Drei DVDs, drei Teile und die etwa achtminütigen Featurettes des ZDF über die Synchronarbeiten. Mehr nicht und man vermisst auch nichts. Der Zuschauer/Zuhörer kann sich jeder von ihnen nicht entziehen und der Verzweiflung und inneren Intensität im Kampf mit sich selbst und seinem Dämon „Ich“ ebenso wenig.
"Bruderliebe" handelt von einer Reihe von toten Prostituierten und der Hatz auf einen Täter mit der klaren Aussage: Bestrafung, weil sie für Sex Geld nehmen. Das Bild des Täters ist von vielen Seiten schon vorformuliert. Sei es die Öffentlichkeit, die befreundeten Huren, Schwarz-Weiß-Polizeibeamte oder eben ein sich als wissend darstellender Psychounterstützer, wie es Fitz einer ist. Dieser Teil ist der erste dieser dritten Staffel, und verläuft über 150 Minuten, auch um die zweite Geschichte in der Geschichte weiter und zu Ende zu erzählen. Diese handelt von der menschlichen Morbidität von Polizeibeamten und dem erschreckenden Fakt, wie sich dieser schwarzer Stau freie Bahn reißt.
"Racheengel" ist eine sehr ungewöhnliche Männerfreundschaft, in der der eine der beiden ohne den jeweils anderen nicht mehr kann. Die Geschichte ist sehr bedrohlich und nüchtern bis ungeheuerlich erzählt. Aber bald bemerkt man, dass eine Verteufelung der Gestalten überhaupt nicht möglich ist. Sie sind so, weil sie zu so etwas gemacht wurden. Der Zwang zur Unterordnung, zur Annahme willkürlicher fremder Festlegungen, was das eigene Leben betrifft, führt dazu, innerlich auszuticken und zu explodieren. Das Ganze ist ein weiterer Hinweis auf die Gewalt, die von nicht nur jungen Männern ausgeht, wenn diesen die Ventile aberzogen oder verboten werden sollen. Falling down.
In "Liebesfalle" hingegen greift auch Fitz zur Gewalt. Verbaler Gewalt. Er hält Vorlesungen sehr unkonventioneller Art und kann trotzdem mit den Auswirkungen seiner Lehre ganz und gar nicht umgehen. Er selbst ist ein heftig psychologisierender Redner. Das Missverhältnis zwischen dieser Fiktion des „Immer-Deuten-Müssens“ und der recht einfach gestrickten Realität ist es, was die seelische Verkrüppelung einer zu kurz Gekommenen gerade biegt. Denkt sie zumindest. Die Liebe zu diesem Versteher Fitz lässt die junge Frau geradezu austicken. Der Sex wird benutzt, um den Opfern ihre eigene Einfachheit anzuzeigen. Leider nimmt das für die jungen Kerle nie ein gutes Ende. Auch der Konflikt mit den beiden Kontrahentinnen, welche um des Doktors Zuneigung rangeln, bricht wieder auf. Ist doch nun eine Dritte dazu gestoßen, die den Misanthropen ihr Eigen nennen will.
Am Ende dieser dritten Staffel bleibt die Erkenntnis, ein Stück bestes intelligentes Fernsehen erlebt zu haben. Einige Dialoge und Szenen an sich bleiben lange im Gedächtnis. Ebenso die aschfahlen, fast hässlichen Gesichter, die die Abgründe achso zivilisierter moderner Menschen vor Augen halten. Gespräche und Auseinandersetzungen, die schon nur als Zuschauer weh tun. Ein Helfer, dem selbst geholfen werden muss, der aber von niemand anderem Hilfe erwarten kann als von sich selbst. Er weiß es und dafür hasst er leider nicht nur sich, sondern die gesamte Welt.
- Redakteur:
- Mathias Freiesleben