Ab-Normal Beauty - In jedem lebt das Böse
- Regie:
- Oxide Pang
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Hong Kong / Thailand
- Originaltitel:
- Sei mong se jun
1 Review(s)
13.06.2006 | 17:32Im Visier: der Moment des Todes
Die junge Kunststudentin und Hobbyfotografin Jiney (Race Wong) ist besessen vom Anblick toter Menschen und Tiere, seitdem sie einen tödlichen Autounfall beobachtet hat. Auch vor ihrer besten Freundin und Liebhaberin Jas kann sie ihre seltsame Leidenschaft nicht verbergen. Diese fürchtet sogar, dass ihre Obsession Jiney zu einer zwanghaften Mörderin machen könnte. Als den beiden ein Snuff-Video zugespielt wird, eskaliert die Situation. Und Jiney findet sich bald in derselben Folterkammer wieder, in der zuvor vor ihren Augen ein wahnsinniger Killer sein Opfer zu Tode gequält hat. (Verlagsinfo)
Filminfos
O-Titel: Sei mong se jun / Ab-Normal Beauty (Hong Kong/Thailand 2004)
Dt. Vertrieb: Koch Media
VÖ: 12.05.2006
FSK: ab 18
Länge: ca. 88 Min.
Regisseur: Oxide Pang
Produzenten: Pang Brothers, die Macher von "The Eye"
Drehbuch: Oxide Pang, Pak Sing Pang
Darsteller: Ekin Cheng, Race & Rosanne Wong, Anson Leung u.a.
Handlung
Jin (Race Wong) und Jas (Rosanne Wong) sind eng miteinander befreundet. Beide fotografieren gerne, doch Jin scheint einen tieferen Blick, eine andere Sichtweise zu haben. Vielleicht liegt es daran, dass sie an der Kunstakademie Aktzeichnen studiert. Sie hat sogar schon einen Preis bekommen. Der Mitstudent Anson ist verliebt in sie und lobt sie. Dass er sie auch heimlich mit seiner Minikamera filmt, findet sie erst später heraus.
Als Jins Mutter für einen Monat auf Geschäftsreise in die USA geht, bleibt Jin wieder einmal einsam zurück. Einzig Jas ist ihr ein Trost in der Langeweile und Kälte. Doch als Jin eines Tages einen Verkehrsunfall beobachtet, kommt es zu einem Aha-Erlebnis. Sie kann nicht anders: Sie muss den Toten knipsen. Sie entwickelt alle Fotos selbst in ihrer Dunkelkammer. Jas ist beunruhigt: So etwas darf man nicht fotografieren, findet sie. Aber Jin ist begeistert: Sie hat das "ideale Bild" entdeckt.
Als sie sich eine weiße Gesichtsmaske auflegt, hat sie eine erste Bewusstseinsstörung: eine Überlagerung. Sie sieht für Sekundenbruchteile aus wie eine Todesfee. Ihr Blick verändert sich generell: Erstmals sieht sie, wie dem Aktmodell ein Tropfen Blut aus der Stirn über den Torso bis zu den Füßen rinnt. Sie malt das Rinnsal in ihr Gemälde. Es existiert nur dort … Ihr Lehrer ist erstaunt, beklommen, doch Jin lächelt.
Auf dem Geflügelmarkt lässt sie einen Verkäufer alle seine Hühner frisch schlachten, ja, sie gibt ihm sogar Regieanweisungen, damit er den Akt des Tötens richtig ins Bild rückt. Nun macht sich Jas ernsthaft Sorgen um Jins geistigen Zustand. Tatsächlich glaubt Jin, dass von ihren Fotos Blut trieft. Sie erinnert sich an die traumatische Szene aus ihrer Kindheit:
Ihr Cousin und ein weiterer Junge überwältigten sie, hielten sie fest und zogen sie aus, um sich an ihrem nackten Anblick zu weiden. Wahrscheinlich geschah dies nur aus Neugier, doch die Gewalt hinterließ tiefe Spuren. Hinzukam, dass ihre Mutter nicht glauben wollte, was Jin ihr erzählte. Jin wurde zurückgewiesen. Einen Tag später stürzte ihr Cousin die Treppe hinunter und kam zu Tode. Stürzte er – oder wurde er gestoßen?
Als ihr Verehrer Anson sie nächtens besucht, um sie zu filmen, zwingt sie ihn zur Strafe, sich halb entblößt auf den Boden zu legen, damit sie ihn fotografieren kann. Sie scheint besessen zu sein. Sie überschüttet ihn mit blutroter Farbe und hält ein Küchenmesser an seinen Bauch. Die Erinnerung an ihr Trauma droht sie zu überwältigen und sie hat Angst, die Kontrolle zu verlieren. Sie verbietet ihm, sie zu lieben und blickt aufs Messer. Er versteht und geht ihr aus dem Weg. In einem furiosen Anfall von zerstörerischer Kreativität bemalt sie Ansons Fotos und erschafft ein seltsames Gemälde. Als sie glaubt verrückt zu werden, ruft sie Jas zu Hilfe.
Die Hilfsmaßnahmen ihrer Freundin führen aber nur zum Schein zu einer Heilung. Wenige Tage später findet sie in ihrem Spind an der Akademie schreckliche Fotos in ihrem eigenen Stil, die aber nicht von ihr sind. Offenbar weißt jemand, was sie bevorzugt. Wer kann es sein? Die Paranoia ergreift wieder von ihr Besitz.
Sie bekommt eine Videokassette zugespielt. Darauf steht: "Take a look". Sie schaut es zusammen mit Jas an. Das Video zeigt ein Mädchen, das, auf einen Stuhl gefesselt, in einem grünlich beleuchteten Keller sitzt und durch einen Unbekannten gefoltert wird. (Dies wird nur in sehr kurzen Ausschnitten gezeigt.) Offenbar handelt es sich um ein Snuff-Video, denn das misshandelte Mädchen stirbt. (Dies wird nicht gezeigt.)
Jin und Jas stellen Anson zur Rede. Er gibt zu, ein Video angefertigt zu haben. Aber nach einer Weile des Missverständnisses stellt sich dessen Harmlosigkeit heraus. Danach erhält Jin ein weiteres Snuff-Video: Es zeigt Jas im Todeskeller! Eine Hand greift nach Jin, sie wird bewusstlos geschlagen und erwacht – na, wo wohl?
Mein Eindruck
Die Spannung steigert sich nur allmählich, bis es zu einer ersten Krise kommt. Kaum hat man sich an die Entspannung gewöhnt, geht der Horror von Neuem los. Dies geht bis zum Finale, das ziemlich lang ist. Doch die Entspannung, die danach folgt, ist ebenfalls trügerisch, denn wieder folgt ein Hammer des Horrors. Das Gestaltungsprinzip ist also ziemlich stressig für den Zuschauer, und man sollte sich auf einiges gefasst machen.
Bemerkenswert ist vor allem, wie hier das Prinzip der Fotografie mit einer düsteren Seite versehen wird. Die morbide Seite des Knipsens besteht darin, einen Moment durch "Abdrücken" festzuhalten und erstarren zu lassen. Es ist ein Moment des virtuellen Todes. Doch Jin belässt es nicht bei Virtualität oder passivem Zugucken, sondern sorgt dafür, dass wirklich ein Tod stattfindet: zuerst nur bei Hühnern und Fischen, dann beinahe auch bei Anson. Dies lässt sich entweder so verstehen, dass sie sich angesichts des überwundenen Todes lebendiger fühlt oder dass sie das Trauma zu überwinden sucht, das sie als Kind erlitten hat, indem sie selbst Gewalt ausübt. Wir erfahren, dass sie nicht mit Männern verkehren kann und lesbisch ist. Jas ist ihre eifersüchtige Geliebte.
VORSICHT, SPOILER!
Als sie im Folterkeller erwacht, bekommt sie eine Probe ihrer eigenen Medizin verabreicht: Sie ist umzingelt von Foto- und Videokameras. Der Fotograf, der sie auf den Stuhl gefesselt hat und sie heftig schlägt, trägt eine Maske. Zu ihrer und unserer Überraschung findet sich Jin in dieser misslichen Lage durchaus zurecht. Sie weiß, was der Fremde will: Fotos von ihr machen. Jeder Schlag löst ein Blitzlichtgewitter und ein Rattern von Auslösern aus. Doch sie kann die Dosis des Reizes steigern. Warum soll ihr Folterer sie nicht küssen? Die Folgen sind für beide Seiten überraschend …
ENDE SPOILER
Wie in jedem Horrorfilm spielen die Musik, die Soundeffekte und die Geräusche eine große Rolle. Zu Anfang erklingt ein entspanntes Piano, das einen Akkord auf den nächsten folgen lässt. Romantische Kadenzen sind angesagt. Doch schon bald drängen sich bedrohliche Untertöne in den Vordergrund, die nach dem katastrophalen Unfall zu einem dramatischen Crescendo anschwellen. Fortan gilt eine unterschwellige Spannung, die man nur selten bewusst wahrnimmt, die aber fortwährend da ist. Dieses Prinzip von Intensivierung und Abklingen wird laufend wiederholt, je nachdem, wie es die Situation erfordert. Die Instrumente werden häufig elektronisch erzeugt und ihre Klänge sekundengenau (per Computer) auf die Bilder abgestimmt. (Und die Töne sind zu laut abgespeichert.)
Der Computer spielte, wie der Regisseur verrät, auch eine Rolle beim Einsatz der Farben. Viele Bilder sind in schwarzweiß dargestellt, genau so, wie er es in den westlichen Fotomagazinen gesehen hat. Sie stellen typischerweise Szenen des Sterbens und des Todes dar, häufig auch der Qual, die damit verbunden ist.
Das krasse Gegenteil erleben wir jedoch, wenn Jin in ihrem Fotolabor ausrastet und ihre Fotos neu einfärbt. Die Farben sind überhöht und intensiviert, als würden sie gleich explodieren. Auch dieser psychedelische Effekt ist natürlich beabsichtigt. Dieses Malen ist ein Exorzismus.
Der Höhepunkt in der Farbchoreografie erfolgt zweifach. Im Folterkeller ist alles Licht grünlich eingefärbt, als würde man die Dinge durch ein Nachtsichtgerät betrachten, wie man es am Schluss von "Das Schweigen der Lämmer" sehen kann. Der Kontrast dazu ist eine Naturlichtaufnahme, in der ein Gemälde voll Harmonie und Frieden gezeigt wird.
Wie der Titel schon sagt, dreht sich alles um eine besondere Sichtweise: Schönheit liegt im Auge des Betrachters, heißt es. Die hier zu sehende Schönheit ist jedoch morbid, so als hätte der deutsche Arzt Gottfried Benn eines seiner Morgue-Gedichte verfilmt. Dennoch hilft es nichts, die Augen davor zu verschließen und den Horror zu leugnen. Denn genauso wenig könnte man die Bilder aus Abu-Ghraib leugnen und wegschließen. Sie sind in der Welt, und wir müssen uns mit ihrer horriblen und abstoßenden Wirkung auseinander setzen. (Andere Filmemacher haben das ebenfalls getan.)
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1,78:1 (anamorph)
Tonformate: D in DTS und DD 5.1, Kantonesisch in DD 5.1
Sprachen: Deutsch, Kantonesisch
Untertitel: D
Extras:
- Trailer
- Making-of (12:30 Min.)
- Deleted Scenes (durchgehend, mit Regiekommentar und Untertitel; 7:30 Min.)
- Trailershow
Mein Eindruck: die DVD
Ist der Hauptfilm zu laut aufgenommen, so ist das Making-of das genaue Gegenteil: Hier musste ich die Lautstärke ordentlich aufdrehen, um etwas verstehen zu können. Die Doku beginnt mit einer seltsamen Szene: Jin sitzt auf einem Stuhl in einem völlig weißen Zimmer in einem weißen Kleid. Doch in ihrem Kopf erlebt sie die traumatische Beinahevergewaltigung immer wieder.
Race Wong erzählt die Story, doch dann tritt Verwirrung ein. Plötzlich ist nicht von Jin und Jas die Rede, sondern von Race und Cheung Wing-kei. Der Regisseur redet sogar von einer Ah Baak. Offenbar herrscht hier eine babylonische Sprachverwirrung zwischen thailändischen und chinesischen Namen, die nicht mit den Film-Namen in Einklang stehen. Dass die Figur Anson einmal von Ga Bo gespielt wird, der dann wieder ganz anders heißt (Anson Leung vielleicht?), wundert mich schon nicht mehr. Am besten vergisst man die Namen gleich wieder. Die beiden Mädels sind übrigens im echten Leben Sängerinnen und das passt zu ihrem Auftreten als lachende und tanzende Girls in den Deleted Scenes (s.u.).
Nicht so leicht zu vergessen ist eine geschnittene Szene, die zwar im Making-of (12:30), aber nicht in den Deleted Scenes auftaucht: Anson sitzt im Folterkeller, mit einer lebensgefährlichen Plastiktüte über dem Kopf, und eine junge Frau (Jin?) tritt mit einem Messer auf ihn zu. Kein Wunder, dass diese Szene nicht im Film auftaucht, denn erstens käme sie bei Jins Angriff auf Anson zu früh – das Snuff-Video ist noch nicht eingeführt – und zweitens wird er später von jeglicher Schuld freigesprochen. Täter ist ein ganz anderer. Dennoch kann man gut verstehen, dass "Anson" eine Menge Angst vor Jin und ihrem Messer hatte, als die Szene gedreht wurde.
Die Deleted Scenes (7:30) werden vom Regisseur, übersetzt in deutschen Untertiteln, kommentiert. Etwas verblüfft registriert man hier zwei lachende Mädels, die dann auch noch höchst angeregt zu tanzen anfangen. Offensichtlich gehört in Thailand synchronisiertes Tanzen zum Singen.
Schließlich gibt es noch eine fiese Überraschung vom Regisseur. Bevor uns der Trailer wieder in den Alltag entlässt, behauptet der Regisseur, in Hongkong würde immer weniger Filme gemacht und das biete kaum Überraschungen. Gleichzeitig ist jedoch zu bemerken, dass eine superkurze Einblendung von einem Messer erfolgt, der dann zwei ultrakurze Einblendungen folgen, die vom bloßen Auge kaum wahrzunehmen sind. Sie wirken also unterschwellig. Bitte wegschauen.
Unterm Strich
Möglicherweise wurde dieser Film über das Fotografieren des Todes von den Bildern aus Abu Ghraib inspiriert – zuzutrauen wäre es dem intellektuell angehauchten Regisseur mit dem seltsamen Namen Oxide Pang. Ich bezweifle aber, ob der Film den Zuschauer zur der Frage veranlasst, ob er sich zutrauen würde, selbst solche Bilder zu schießen, sei es vom Tod oder von der Erniedrigung irakischer Häftlinge.
Die Dämonisierung der Fotografin – hinter ihrer Maske versteckt sich eine Todesfee – erzeugt jedoch einen gewissen Abstand zum Betrachter. Das Kunststück, das der Regisseur jedoch fertig bringt, besteht darin, dass er in uns dennoch Sympathie für die Dämonin weckt. Wird sie dann gefoltert, stehen wir unbewusst auf ihrer Seite und freuen uns, wenn sie ihren Folterknecht überlistet. Der Horror kann also weitergehen …
Dieser Streifen hat recht wenig mit den gewohnten japanischen, chinesischen und koreanischen Gruselstreifen über den Fluch der bösen Tat in der Vergangenheit zu tun, der sich dann in Todesfee-Phantasien und gemeuchelten Schuldmädchen an der Gegenwart rächt. Vielmehr ist "Ab-Normal Beauty", das erst ab 18 freigegeben ist, eine Erforschung der morbiden Neugier am Tod. Und das ist leider ein in der westlichen Kultur verbreitetes Phänomen. Der Regisseur kritisiert das nicht selbst, sondern stellt das Thema zur Kritik, auf raffinierte Weise.
Das DVD-Material ist nicht besonders hilfreich, und es empfiehlt sich ein Blick ins Internet auf einschlägigen Seiten wie www.imdb.com, um mehr über die Macher zu erfahren.
- Redakteur:
- Michael Matzer