Killer von Wien, Der
- Regie:
- Sergio Martino
- Jahr:
- 1971
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Italien / Spanien
1 Review(s)
11.03.2006 | 15:22Schöne Frauen – blutige Tode – antike Mythen
Das Wichtigste, was man über diesen Thriller wissen muss: Quentin Tarantino hat den Soundtrack in seinem Film "Kill Bill Vol. 2" verwendet!
Die Story: Wien zittert vor einem Rasiermessermörder, der es auf junge Frauen abgesehen hat. Auch Julie Wardh, Frau eines wohlhabenden US-Geschäftsmannes, wird von dem Schlitzer bedroht. Julie hat einen Verdacht: Könnte es sich bei dem Gesuchten um ihren früheren Geliebten Jean handeln, dem sie einst in masochistischer Zuneigung zugetan war? (abgewandelte Verlagsinfo)
Filminfos
O-Titel: Lo strano vizio di Signora Wardh (wörtlich: Das sonderbare Laster der Sg. Wardh; Italien/Spanien 1971)
Dt. Vertrieb: Koch Media (03.02.2006)
FSK: ab 16
Länge: ca. 97 Min.
Regisseur: Sergio Martino
Drehbuch: Vittorio Caronia, Ernesto Gastaldi, Eduardo Manzanos Brochero nach einer Geschichte von Eduardo Manzanos Brochero
Musik: Nora Orlandi
Darsteller: Edwige Fenech, Ivan Rassimov, George Hilton, Conchita Airoldi, Alberto de Mendoza, Manuel Gil, Bruno Corazzari u. a.
Handlung
PROLOG. In der Nähe des Wiener Flughafens Schwechat tötet ein Freier eine hübsche Prostituierte mit einem Rasiermesser. Danach folgt ein ominöses Zitat von Sigmund Freud, wonach die Menschen alle etwas auf dem Kerbholz haben, was Mord anbelangt – schon wieder die Erbsünde?
Haupthandlung.
An ebendiesem Flughafen trifft das amerikanische Ehepaar Neil und Julie Wardh (E. Feneche) ein. Der wohlhabende Neil Wardh tätigt in Wien Geschäfte, während Julie sich selber darum kümmern muss, wie sie ihre Zeit verbringt. Zum Glück hilft ihr bei dieser anstrengenden Aufgabe ihre Freundin Carol Baxter (Conchita Airoldi), die sie zu einer Party in ihrem Haus einlädt.
Dort begegnet Julie Carols Cousin George Corro (George Hilton), der sie sogleich heftig anbaggert. Er sieht ja auch einfach umwerfend aus und legt keinerlei Mangel an Selbstbewusstsein an den Tag. Anscheinend stehen die Wiener und vor allem die Wienerinnen auf Sexspiele, die dann auch auf dem Wohnzimmerboden ausgetragen werden. Doch als Julie ihren früheren Geliebten Jean (Rassimov) erspäht, nimmt sie sofort Reißaus. Sie hatte zu ihm eine masochistische Beziehung (die Anlass zu sehr schönen Szenen gibt). Neil taucht auf und verpasst Jean ein Ohrfeige, doch dieser lacht bloß und verschwindet.
Während sich Julie nachts in Albträumen von Jean wälzt, meuchelt der Schlitzer weiter. Diesmal ist es eine blonde Schönheit, die in der klassischen Duschszene aus Hitchcocks "Psycho" ihr Leben lassen muss. Auch diesmal bekommt Julie aus der Zeitung mit, was in Wien Schreckliches vor sich geht. Um sich abzulenken, lässt sie sich von George zu einer Motorradspritztour einladen, aber bevor mehr daraus wird, gehen sie lieber zu ihm. Das Liebespaar, das sich auf Georges Sofa vergnügt, wird von einem Spanner beobachtet.
Dieser erpresst anderntags Julie mit seinem peinlichen Wissen und verlangt zunächst 20.000 Dollar Schweigegeld. Um ihrer Freundin zu helfen, geht Carol Baxter zum vereinbarten Übergabeort im Palmengarten von Schloss Schönbrunn. Sie soll nicht lebend von dort zurückkehren.
Für Julie ist der Fall klar: Es muss Jean gewesen sein, der sowohl sie und George beobachtet als auch Carol getötet hat. Wie sonst wäre der Zusammenhang zu erklären? Doch ein Angebot Georges wegzufahren lehnt sie ab und fährt alleine in ihr Hotel – ein schwerer Fehler, wie sich schon bald zeigt …
Mein Eindruck
Dies ist noch nicht einmal der halbe Film! Die Handlung ist durch drei Autoren so verdichtet gestaltet worden, dass die Spannung bis zur letzten Szene aufrechterhalten wird. Der doppelte Schluss hält noch einige Überraschungen bereit, die die gesamte Handlung in ein neues Licht stellen, aber dennoch ein Happy-End für Signora Wardh bereithalten. Man möchte den Streifen gleich noch einmal ansehen, um alles in diesem neuen Lichte zu begutachten.
Zuvor kommt jedoch der Verdacht auf, dass die meisten weiblichen Opfer des Schlitzers nur deswegen zu sehen sind, weil sie a) Fotomodelle sind und b) nackt am besten zur Geltung kommen. Sie sind alle wohl gebaut, und es sterben bemerkenswerterweise nur die Blondinen unter den Angegriffenen. Dass auch Carol den Weg allen Fleisches geht, ist schon am Beginn ihrer ziemlich langen Szene abzusehen. Insofern wäre die Szene eigentlich langweilig – sie ist es aber nicht. Denn als der Killer nicht auftaucht, will sie schon wieder den Park verlassen, grüßt noch kurz einen Gärtner – wird aber dann kurz vorm Ausgang abgefangen.
~ Blut, Gewalt und Sex ~
Der Giallo, dieses uritalienische Thrillergenre voll Sex und Blut, feiert in "Der Killer von Wien" einen ersten künstlerischen Höhepunkt. Dabei ist der Giallo keineswegs frauenfeindlich eingestellt, sondern kolportiert nur entsprechende Klischees, um primitive Erwartungen zu bedienen. Es ist am Ende dieses Streifens die Frau, die über die Männer triumphiert. Dass diese Moral recht einfach gestrickt ist, ist unübersehbar. Aber das Ende der Handlung ist es keineswegs. Vielmehr wird der Zuschauer lange Zeit aufs Glatteis geführt, um dann umso verblüffter über die zwei Schlüsse zu staunen. Diese Plot-twists darf man natürlich nicht übertreiben, sonst erscheinen sie beliebig. Das erklärt Autor Gastaldi ganz ausgezeichnet und sehr schlitzohrig.
Wie der Kritiker Christian Keßler (siehe "Extras") verrät, machte Regisseur Sergio Martino fünf solcher Giallo-Meisterwerke. Da diese Filme vom Beginn der siebziger Jahre allerdings meist in schlechtem Zustand waren, sind sie bis heute kaum auf einer VHS oder DVD zu sehen gewesen. Die vorliegende restaurierte und ungekürzte Fassung weist jedoch ein ausgezeichnetes, schier makelloses Bild auf und einen guten Sound in Dolby Digital, wenn man mal von fehlenden Stereoeffekten absieht. Insofern bringt diese DVD die alten Werke wieder in neuem Glanz voll zur Geltung – für Sammler und Filmhistoriker ein gefundenes Fressen.
~ Kulturaustausch ~
Es ist ja nicht so, dass diese Gialli in einer abgelegenen Provinz des Römischen Reiches produziert worden wären. Nein, wie Edwige Fenech, der Regisseur und der Produzent erzählen, bestand in ganz Europa reges Interesse an diesen Streifen. Besonders die Fenech erfreute sich, nach eigenen Angaben und denen ihres Regisseurs, einer großen Beliebtheit in Deutschland. Das verhalf ihr zu einer Karriere in anspruchsvolleren Produktionen. Ich meine, sie schon ein paarmal in Historienschinken gesehen zu haben. Im Interview ist festzustellen, dass sie für ihr Alter sehr gut erhalten ist. Übrigens wurden auch deutsche Stars nach Italien exportiert, darunter Klaus Kinski, der in Spaghetti-Western z. B. von Riccardo Fredda und Sergio Leone auftrat. Der Kulturaustausch fand also gegenseitig statt.
~ Auferstehung des Mythos ~
Höchstwahrscheinlich wurden in der gekürzten Fassung zwei Szenen herausgeschnitten, in denen sich die angeblich masochistische Seite von Julie Wardh offenbarte. Beide sind als Rückblenden realisiert und somit leicht einzufügen oder zu entfernen, kommen außerdem recht früh im Film und haben null Konsequenzen für die Handlung. Dafür charakterisieren sie die Hauptfigur. Dass dies überhaupt in einem Genrefilm stattfindet, ist an sich schon eine bemerkenswerte Tatsache.
In der ersten Szene lieben sich Julie und ihr Lover Jean im Regen auf einem nassen Bett aus Waldlaub. (Für die Darstellerin dürfte das recht ungemütlich gewesen sein, aber sie erzählt von einer viel schlimmeren Szene, zu der sie Martino in einem anderen Film zwang.) Der Regen sieht sehr ästhetisch aus, genau wie die Frau, die von Jean / Rassimov entkleidet wird, doch die Assoziation an den Regen, dessen Gestalt der Obergott Zeus annahm, um die schöne Danae zu schwängern, liegt nicht fern. Danae war die Mutter des Helden Perseus. Zeus / Jupiter war Regengott und somit Fruchtbarkeitsgott.
Auch in der zweiten Szene taucht das Motiv des Regens auf: Es regnet Glassplitter, die sich wie Kristallregen auf Julies Haut ergießen. Da Glas schneidet, ist alsbald auch Blut auf Julies Haut zu sehen. Jean / Rassimov gleicht in dieser Szene, vor einem schwarzen Hintergrund, noch mehr als zuvor einer mythischen Gestalt. Es ist, als wäre plötzlich die antike Sagenwelt lebendig geworden.
In diesen Eindruck passen denn auch seltsame Begebenheiten wie ein Scheintod, das Auftauchen der Totgeglaubten am hellichten Tag und der Untergang der Übeltäter, als hätte die strafende Hand der Gerechtigkeit eingegriffen. Wenn also im O-Titel von einem "strano vizio", einem sonderbaren Laster der Julie Wardh die Rede ist, so wird diese geheimnisvolle Bezeichnung nur durch diese zwei Sexszenen gerechtfertigt. Sollten sie fehlen, wird der Titel unerklärlich.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 16:9 (1:2,35)
Tonformate: D und Italienisch in DD 2.0
Sprachen: D und Italienisch
Untertitel: D, Italienisch
Extras:
- 8-seitiges Booklet
- Dark Fears Behind the Door: Interviews mit Fenech, Hilton, E. Gastaldi sowie Sergio und Luciano Martino (32 Min.)
- La bellissima musica della Signora Orlandi (13 Min.)
- Austrofred: Tu felix Austria nude (6 Min.)
- Ital. O-Trailer (ca. 3:00)
- Bildergalerie mit Postern, Szenenfotos und deutschen Pressetexten
~ Das Booklet ... ~
... enthält einen Artikel von Christian Keßler über den Film: sein Genre, die Entstehung, die Macher und die Darsteller. Das Genre ist der Giallo-Thriller. "giallo" = gelb, das war die Farbe der Pulp-Fiction-Groschenhefte in Italien. Die Plots sind meist einfach gestrickt, aber "Der Killer von Wien" überrascht am Schluss gleich zweimal. Natürlich kommen erotische Schauwerte nicht zu kurz, und Schauder wird allenthalben erzeugt. Aber es gibt zwei erotische Szenen mit Fenech und Rassimov, die doch recht stilvoll inszeniert sind und viel über die Sado-Maso-Beziehung verraten. Keßler lässt sich sehr lobend über die Veröffentlichung der restaurierten und ungekürzten Fassung aus.
~ Quasi ein Making-of ~
“Dark Fears Behind the Door” ist gewissermaßen der halbstündige Ersatz für ein Making-of. Zwei Hauptdarsteller (s.o.), der Drehbuchautor – ein wahrer Gemütsmensch – und die beiden Macher Sergio und Luciano Martino geben ihre Ansichten zu Protokoll und erinnern sich, wie alles zustande kam und am Ende auf das Premierenpublikum wirkte. Der Applaus war laut ihren Aussagen sehr positiv.
Gastaldi weist auf eine strukturelle Ähnlichkeit hin: Den doppelten Schluss gibt es auch bei "Die Teuflischen". Er erwähnt auch die scharfe Zensur, der man beim Schnitt zu gehorchen hatte. Kein einziges Mal ist daher zu sehen, wie das Rasiermesser durch menschliche Haut schneidet – diese Assoziation muss der Zuschauer selbst herstellen, genau wie bei Hitchcocks "Psycho".
Eine kuriose Sache wird von mehreren Interviewten erläutert, nämlich die welterschütternde Frage, ob es zwischen George und Jean eine homosexuelle Beziehung gibt. Das würde vielleicht zum Teil auch Jeans Frauenfeindlichkeit und sadistische Behandlung Julies erklären. Gastaldi und S. Martino, diese Schwulität bestünde nur im Auge des Betrachters, aber Fenech hält sie durchaus für denkbar.
~ La bellissima musica della Signora Orlandi ~
Nora Orlandi ist nicht nur eine nette Erzählerin, sondern auch eine kompetente Komponistin. Sie hat nicht nur die Gialli wie "Der Killer von Wien" vertont, sondern auch einige Western. Für spannende Szenen wandelte sie z. B. Gregorianische Gesänge ab, und Riccardo Fredda mochte das. Sie machte die Filmmusik zum "Killer", weil die zwei Martinos zu ihren Freunden zählten und sie sie fragten. Eine enge Zusammenarbeit entstand. Dass die Musik bis heute Bestand hat, bezeugt ja der Umstand, dass Tarantino sie für seinen Spielfilm "Kill Bill Vol. 2" verwendet hat. Für diese Schützenhilfe bedankt sich die Orlandi natürlich herzlich. Vielleicht bekommt sie ja dafür mehr Tantiemen.
~ Austrofred: Tu felix Austria nude ~
Dieser sechsminütige Beitrag ist völlig belanglos. Der Aufhänger ist lediglich die Frage, ob die Wiener Nacktszenen denn auf einer entsprechenden Wirklichkeit in der damaligen Zeit beruhen konnten. Von der bronzezeitlichen "Venus von Willendorf" über Kaiser Franz Josef und Gustav Klimt führt die Spurensuche unvermeidlich zu Sigmund Freud. Die Nachkriegszeit sah angeblich ein Aufblühen der Erotik, besonders unter den Besatzern, und Georg Danzers Lied "Der Nackerte im [Café] Hawelka" soll angeblich die heimliche Bundeshymne der Österreicher sein. Weil ich das Lied noch nie gehört habe, muss ich Freds Behauptung mal so unkommentiert stehen lassen.
~ Die Bildergalerie ~
… ist jedoch im Gegensatz dazu absolut sehenswert. Wie schon bei anderen verdienstvoll restaurierten und edierten DVD-Klassikern von Koch Media besteht die "Bildergalerie" aus seltenen Postern, Szenenfotos (farbig und s/w) sowie aus Pressematerial in deutscher Sprache. Um solches Material zutage zu fördern, muss man lange graben.
Unterm Strich
Ein Giallo-Genrethriller wie "Der Killer von Wien" wandte sich an ein recht einfach gestricktes Publikum, das mit Gewalt in Filmen vertraut war. Aber 1971 wagten die Produzenten, den Kampf mit der Zensur aufzunehmen und drehten jede Menge Nacktszenen, in denen schöne Models auf möglichst blutige Weise zu Tode kamen. Ulkigerweise wich der Produzent dieses Streifens nach Wien aus, um solche gewagten Szenen zu drehen. Die Schauwerte, von denen das Genrekino lebt, gibt es jede Menge: wie gesagt schöne Frauen, aber auch schöne Männer von Playboy-Zuschnitt wie George Hilton.
Der Streifen bleibt mysteriös und spannend bis zum letzten Viertel. Dann löst sich ein Rätsel nach dem anderen, und der Zuschauer fällt von einer Überraschung in die nächste. Von Frauenfeindlichkeit kann keine Rede sein, denn am Ende triumphieren Julie Wardh und die Gerechtigkeit.
Die DVD ist vollgepackt mit Bonusmaterial, das – bis auf die Austrofred-"Doku" – sehr hilfreich und erhellend ist. Dazu zählt insbesondere der Making-of-Ersatz "Dark Fears" und das Interview mit der charmanten Nora Orlandi. Sie bedankt sich zu Recht bei Quentin Tarantino, dass er ihren Soundtrack zitierte, als er "Kill Bill Vol. 2" machte.
- Redakteur:
- Michael Matzer