Desolation – 16 Years of Alcohol
- Regie:
- Richard Jobson
- Jahr:
- 2002
- Genre:
- Drama
- Land:
- Großbritannien
1 Review(s)
12.02.2006 | 21:39Ein Alkoholsünder auf schmalem Grat
Von seinem Vater, einem Alkoholiker und untreuen Ehegatten, zutiefst enttäuscht, lernt Frankie eine Welt kennen, die von Alkohol und Gewalt bestimmt ist. Nach einer schweren Kindheit ohne Mutter wird Frankie Anführer einer brutalen Gang, die an die Droogs in Kubricks "Uhrwerk Orange" erinnert (Frankie hat ein Poster davon). Doch als er die Kunststudentin Helen kennen lernt, schwört er dem Alkohol ab. Doch seine Gewalttätigkeit bricht immer wieder durch, und Helen verlässt ihn. Als sich auch ihre Nachfolgerin Mary vermeintlich treulos zeigt, weiß er, dass er seiner Vergangenheit nicht entkommen kann – ein fataler Entschluss keimt in ihm auf.
Filminfos
O-Titel: Desolation – 16 Years of Alcohol (GB 2002)
Dt. Vertrieb: e-m-s
DVD-Erscheinungstermin: 16. März 2006 (Verleih 26. Januar 2006)
ASIN: B000EBCCQ0
FSK: ab 16
Länge: ca. 107 Min.
Regisseur: Richard Jobson
Drehbuch: Richard Jobson
Musik-Score: Keith Atack, Malcolm Lindsay
Darsteller: Kevin McKidd (Frankie), Laura Fraser (Helen), Susan Lynch (Mary), Ewen Bremner u. a.
Handlung
Als Frankie Mac im Alter von zwölf Jahren mitbekommt, dass sein Vater, ein leutseliger Mann, seine Mutter mit Nutten betrügt, ist er schwer enttäuscht. Dennoch versucht er seinen Vater vor dem Argwohn seiner Mutter zu schützen – vergeblich: Sie verlässt die Familie nach einem heftigen Streit. Doch sein Vater treibt es weiter mit der blonden Prostituierten, und es kann keine Versöhnung wie beim letzten Mal geben.
Zeitsprung. Frankie (McKidd) ist inzwischen erwachsen und so etwas wie der Wortführer einer Skinhead-Bande aus vier Mitgliedern, die alle mit schwarzen Mänteln und schweren Stiefeln angetan sind. Frankie sieht täuschend freundlich aus, doch er kann brutal zutreten, so etwa bei einem renitenten Kneipenbesitzer. Als sie auch in einem Plattenladen Rabatz machen wollen, entschärft die Besitzerin Helen (Fraser) die Situation. Später sieht er sie in der Disco wieder. Auf der Toilette macht Gang-Mitglied Miller mit einem Messer eine verschärfte Szene, der Frankie ein Ende setzt. Dadurch zieht er sich dessen ewigen Hass zu, der ihn bis seinem Ende verfolgen wird.
In einem offenen Tempel an der Küste haben Frankie und die inzwischen zur Freundin gewordene Kunststudentin Helen eine entscheidende Szene. Sie ernennt ihn zu Hermes, dem Gott des Glücks und Götterboten. Er muss eine Rede halten. Darin schwört er dem Alkohol ab und ermahnt alle Menschen, Buße zu tun. Unter Helens Einfluss verändert sich sein Outfit, sein Musikgeschmack und vieles mehr, aber eines bleibt. In der Kunstgalerie beleidigt er ein Ehepaar, das ihn loswerden will, auf brutale Weise. Helen zerrt ihn weg, bevor Schlimmeres passiert. Konsterniert fragt sie ihn, wie das passieren konnte, denn sie glaubt, es sei ein Rückfall. Er hat keine Erklärung, und so verlässt sie ihn.
Als Miller wieder einmal auftaucht und droht, Helen zu vergewaltigen, schlägt Frankie ihn brutal zusammen. Danach schließt er sich der Selbsthilfegruppe der Anonymen Alkoholiker an. Jeder muss von sich berichten. Er erzählt, er habe geträumt, er sei unter einer Eiche im Eis gefangen und tot. Er bedauert die vergeudeten 16 Jahre, die er dem Alkohol opferte. In der Gruppe lernt er die schwarzhaarige Mary (Lynch) kennen, die auch an einer Schauspielgruppe teilnimmt. Aber das Stück, das sie einüben, nennt Frankie "absoluten Müll" für verwöhnte Bildungsbürger. Und das von ihm, der dauernd zu spät kommt! Der Regisseur wird richtig wütend und liest Frankie die Leviten. Dieser entschuldigt sich sofort. Mary wundert sich.
Sie werden ein Liebespaar, doch so sehr er sie auch liebt, so kann er doch nicht vergessen, wie sein Vater seine Mutter betrogen hat. Als er registriert, dass Mary mit dem Regisseur die Kneipe verlässt, zählt er 1 und 1 zusammen und erhält 3. Statt nachzuprüfen, ob es wirklich Mary ist, die der Regisseur hinter der Kneipe abknutscht, haut Frankie lieber ab. Als die nichts ahnende Mary ihn zur Rede stellt, merkt Frankie, dass seine Vergangenheit ihm ständig in die Quere kommt. Er muss sich ihr endlich stellen.
Das hat fatale Folgen.
Mein Eindruck
"Manchmal entwickeln sich die Dinge für gewisse Leute nicht immer so, wie sie es sich vielleicht erhofft haben … Dies ist eine Geschichte über Hoffnungen und Wünsche." Diese wenigen Worte, aus dem Off gesprochen und im Klappentext wiederholt, machen die Schwäche des Films deutlich. Hier soll ein individueller Fall exemplarisch vorgeführt werden, um den Zuschauer darüber aufzuklären und vor allem zu warnen, wie schrecklich und bedauerlich dieser Fall doch ist.
Vielleicht konnte man diesen Gestus der Anklage und Mahnung vor zwanzig Jahren ohne weiteres in Film umsetzen, und vielleicht werden heutzutage immer noch Bühnenstücke in dieser Manier geübt und aufgeführt. Wenn man diese Worte und diesen Gestus einem Film von heute überstülpt, kommt jedoch nur das heraus, was Hauptdarsteller Kevin McKidd genau erkannt hat: etwas Prätentiöses. Ein Werk, das vorgibt, etwas zu sein, was es aber nicht erreicht oder dessen beabsichtigte Wirkung es verfehlt.
"Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube", würde ich wohl mit den Worten eines bekannten Dichters sagen können. Hätte sich jedoch der Regisseur (siehe unten im Making-of) dazu durchringen können, dieses Schmalz wegzulassen , so hätte die Geschichte von Frankie Mac durchaus für sich stehen können und wäre ernst genommen worden. Selbst wenn, wie McKidd sagt, die Schauspieler ihr Herzblut in dieses Werk gesteckt haben, so bleibt doch die moralische Absicht viel zu deutlich, um beim heutigen, in Zynismus wohlgeübten Zuschauer mehr als Unbehagen auszulösen.
~ Dies ist nicht "Trainspotting" ~
McKidd und Ewen Bremner, der einen Künstler mimt, den Helen kennt, traten beide in "Trainspotting" auf. Das ist ein Hammer von einem Film, und zu Recht kam Ewan McGregor ganz groß damit raus. In dieser Story von Irvine Welsh wären Messerstechereien und Gewaltorgien, wie sie in "Desolation" gezeigt werden, nichts Besonderes gewesen, sondern lediglich Teil des allgemeinen Horrors. Auch die Skinhead-Truppe Frankies wäre nicht weiter aufgefallen, sondern hätte nur wie eine Reinkarnation der Kubrick’schen "Droogs" aus "Uhrwerk Orange" gewirkt.
Aber es hilft nichts, über Wenns und Abers zu lamentieren, wenn das Ergebnis eines Fehlschlags zur Beurteilung vorliegt. Die zwei Frauen könnten Frankie retten, doch Helen ist noch zu jung und idealistisch – sie nennt ihn ihren "Hermes" – und Mary schon zu weltklug. Sie sagt ihm, dass es hier, im Tempel am Meer, keine Götter gebe: "Es gibt nur uns." Und damit trifft sie den Nagel auf den Kopf. Als Frankie seinen ehemaligen Kumpels nicht entkommen kann, will er Mary vor Drohungen und Schlimmerem bewahren. Es bleibt ihm nichts anderes, als sich den alten Jungs zu stellen. Aber die Frage, die sich mir stellt: Können Frauen wirklich Frankie retten?
Die Antwort mag ganz allgemein JA lauten, doch im Film klingt sie unwahrscheinlich. Denn in Frankie wirken die Dämonen der Vergangenheit: Er glaubt letzten Endes nicht an eheliche oder partnerschaftliche Treue (seit jenen Tagen, als er seinen Vater beim Fremdgehen erwischte). Und letzten Endes wird er immer wieder gewalttätig werden. Es ist, als steckten zwei verschiedene Personen in ihm. Mary um Verständnis und Vergebung zu bitten, wäre so, als würde er sie zu seiner Beschützerin und Heiligen erheben – und was dann?
~ Die Schauspieler ~
… sind noch nicht groß rausgekommen. Sie mögen auf der Insel schon bekannte Größen sein, aber nicht nicht international. Kevin McKidd hat sicherlich das Zeug für eine Weltkarriere. In die schwarzhaarige Susan Lynch könnte man sich sicher ebenso verlieben wie in die junge Laura Fraser. Die anderen Figuren bleiben relativ blass. Herausragend sind jedoch die beiden Vaterfiguren: Frankies Vater, der im Film den Filmschauspieler Jack Palance aus dem Westernklassiker "Mein Freund Shane" imitiert, und der Regisseur, der Frankie beizubringen versucht, wie man schauspielert.
~ Die Kamera ~
An mehreren Stellen greift Regisseur zu Stilmitteln, die interessant erscheinen. Die Erstarrung von Frankies Elternhaus wird surreal dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sich Vater und Mutter in Sesseln gegenübersitzen: stumm, je ein Whiskyglas in der Hand, von (künstlichen) Spinnweben überzogen.
Ein anderes Stilmittel ist optischer Natur. Die Verliebtheitsphasen der Paare Frankie & Helen sowie Frankie & Mary werden als Diaschau dargestellt. Diese Bilderfolge fungiert als Zeitraffer, um so diese Phase schnellstens zu erzählen, ohne aber dabei schöne Momente unter den Tisch fallen zu lassen. Die Episode verliert an Schmalz, lässt aber die Romantik anklingen. Das ist ziemlich schlau gemacht.
~ Die Musik ~
… ist vielleicht mit das Wichtigste am Film. Ohne Musik würden die Emotionen fehlen und eine elementare historische Dimension. Während in Frankies Kindheit noch alte Shanties und Balladen erklingen, hört man bei seinem ersten Auftritt als Skinhead knallharte Rockmusik und aufgepeppten Reggae. Zwischendurch gibt es mal wieder schottischen Gospelgesang und am Schluss die rund zehn Minuten lange Ballade "I dream a highway (to you)" von Gillian Welch.
Aber die wichtigsten Motive des musikalischen Scores stammen von Keith Atack. Für jede der Hauptfiguren Frankie, Helen und Mary hat er ein eigenes Erkennungsmotiv auf dem Klavier komponiert. Es fällt also nicht schwer, sie zu identifizieren, wenn man diese kleinen Stücke ein paarmal gehört hat. Und da der ganze Film eine einzige Rückblende darstellt, passt die nostalgisch verklärende Pianomusik gut dazu. Sie steht im Einklang mit dem moralischen Anspruch des Regisseurs – siehe oben. Und kann daher durchaus auch prätentiös klingen.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 2,35:1 (anamorph)
Tonformate: D in DTS und DD 5.1, Englisch in DD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
- Originaltrailer
- Trailershow
- Bildergalerie
- Behind the Scenes (in engl. Sprache)
Mein Eindruck: die DVD
Neben dem Originaltrailer (1:52) bietet das Bonusmaterial eine Bildergalerie (2 Min.) und eine Dokumentation von rund 24 Minuten Länge, die als "Behind the Scenes" bezeichnet wird. Sie stellt aber im Grunde ein ausgewachsenes Making-of dar und erfüllt eine Menge Wünsche hinsichtlich der Hintergrundinformationen über die Macher und Mitwirkenden an diesem Film.
Regisseur Jobson gehörte offenbar selbst einmal der Skinhead-Szene in Edinburgh an. Vor 20 Jahren, also 1986, hatte er ein langes Gedicht mit dem Titel "16 years of alcohol" geschrieben, und als der Regisseurskollege Wong kar-war ("In the mood for love") es sah, empfahl er Jobson, daraus ein Drehbuch zu schmieden. Dieses (oder ein darauf basierendes Theaterstück) erhielt eine recht gute Aufnahme in Kontinentaleuropa, aber nicht in Großbritannien, wo ihm die Journalisten vorwarfen, er sei zur anderen Seite übergelaufen. Jobson war 20 Jahre lang Filmkritiker, und nun wurde er selbst Regisseur.
Aus dem Drehbuch machte Jobson einen Film, der vom Kulturamt Edinburghs mitfinanziert wurde. Ob es auch ein Theaterstück gab, wird im Interview nicht deutlich, obwohl es wahrscheinlich wäre. Jobson beteuert, niemals selbst ein Alkoholiker gewesen zu sein, obwohl natürlich Aspekte seines Lebens darin wiederzufinden sind. (Zudem ist der Film einem Francis Jobson gewidmet, der im Jahr 2000 starb.)
Neben zahlreichen, von Jobson kommentierten Filmschnitten sind auch Interviews mit den Hauptdarstellern in das Making-of eingebaut worden. Helen (Laura Fraser) wird als intellektuell beschrieben und Mary (Susan Lynch) als mütterliche Figur, eine weisere Art von Schutzengel. McKidd hingegen bekennt, dass manche Szenen zu drehen für ihn sehr hart war, denn es ging ja um angewandte Gewalt. Gegen echte Menschen. Es musste echt aussehen. "Und das muss man mit Herzblut spielen, sonst wirkt es nicht." Sonst könnte der Film für prätentiös gehalten werden, meint er an einer Stelle. Damit legt er den Finger in die Wunde.
Die DVD bietet nur die deutsche Synchronisation und keine englischen Untertitel. Was man dadurch verpasst, kann man im Making-of im Originalton hören: jede Menge F-Wörter. Auf die kann ich jedenfalls dankend verzichten. Ansonsten ist der Sound erstklassig, ganz besonders natürlich im DTS-Verfahren. Auch das Bild weist keinerlei Mängel auf, auch nicht in den dunkleren Kneipenszenen.
Unterm Strich
Ich hätte mir das Schicksal eines Alkoholikers als wesentlich härter und dramatischer vorgestellt, so etwa wie das der Junkies in "Trainspotting". Doch von solchem hartem Realismus ist "Desolation" – der Stil des Covers täuscht – weit entfernt. Häufig ist schönes Wetter, und die Mädels lächeln um die Wette. Wenn nicht der ganze Streifen eine Art Todestraum wäre, könnte man sich glatt wie in einer Idylle fühlen.
Die DVD-Ausstattung lässt wenig zu wünschen übrig: DTS-Sound, gute Musik, klasse Bild mit einfallsreichem Einsatz von Stilmittel, gutes Making-of. Der Purist würde sich jedoch die Originalsprache (schottisches Englisch) wünschen und entsprechende Untertitel.
- Redakteur:
- Michael Matzer