History of Violence, A
- Regie:
- David Cronenberg
- Jahr:
- 2005
- Genre:
- Thriller
- Land:
- USA
1 Review(s)
25.11.2005 | 08:48Als in der Folge des Vietnamkrieges in den 70er Jahren zusehends blutige amerikanische Horrorfilme für ein erwachsenes Publikum in die Kinos schwappten, war die große Zeit solcher Independent-Regisseure wie George A. Romero, John Carpenter, Tobe Hooper und ihrer Werke. Neben diesen US-Regisseuren mischte damals auch der Kanadier David Cronenberg mit und verblüffte in Filmen wie "Shivers" (1975), "Rabid" (1977) und nicht zuletzt "Scanners" (1981) mit erstaunlich intelligenten und nicht minder bizarren Horror-Visionen, die sich nicht selten um die Thematisierung des Zusammenhangs von Sexualität und Gewalt drehten. Während aber die anderen genannten Regisseure in den folgenden Jahrzehnten zusehends mehr oder minder in der Versenkung verschwanden, wies das Werk Cronenbergs auch durch die 80er – u. a. mit "Videodrome" (1983) und dem Klassiker-Remake "Die Fliege" ("The Fly", 1986) – und die 90er – mit der Burroughs-Verfilmung "Naked Lunch" (1991) und der besseren 'Matrix' "eXistenz" (1999) – hindurch eine erstaunliche qualitative Kontinuität auf. Nicht zuletzt durch den zwar sehr anstrengenden, aber umso genialeren "Spider" von 2002, der in Deutschland erst im letzten Jahr in die Kinos kam, durfte man also gespannt sein auf Cronenbergs neuestes Werk "A History of Violence".
Mit seiner Familie lebt der sanftmütige und friedliebende Café-Besitzer Tom Stall (Viggo Mortensen) in der verschlafenen US-Kleinstadt Millbrook. Abgesehen von einigen nicht ungewöhnlichen Alltagsproblemen – so fungiert der etwas unsportliche Sohn der Familie des Öfteren als Prügelknabe für einen Schlägertypen an dessen Schule – führt die Familie Stall ein sehr beschauliches Leben.
Dies ändert sich jedoch, als eines Tages Toms Café von zwei brutalen Gangstern überfallen wird. Als Tom nämlich begreift, dass diese nicht nur den Inhalt der Kasse, sondern auch eine Blutspur hinterlassen wollen, entscheidet er sich, Gegenwehr zu leisten, und metzelt die beiden regelrecht nieder. Von nun an ist er der Held von Millbrook und auch die überregionale Presse würdigt seine rabiate Notwehr als heroischen Akt. Tom ist der Wirbel um seine Person etwas unangenehm und die Schar von Reportern, die sich nun für ihn interessiert, lästig.
Die Reporter sind aber vergleichsweise harmlos zu den Besuchern, die sich in einem der folgenden Tagen in Toms Café einfinden: Carl Fogarty (Ed Harris) und zwei seiner Gefolgsleute. Fogarty behauptet nämlich steif und fest, er würde Tom aus vergangenen Tagen in Philadelphia kennen und hätte noch eine Rechnung mit ihm offen. Tom mutmaßt eine Verwechslung und bestreitet, jemals in Philadelphia gewesen zu sein.
Doch Fogarty lässt nicht locker und zeigt in der Folgezeit eine beängstigende Präsenz in der Nähe der Familie Stall. Diese Präsenz wird noch beängstigender, als der örtliche Sheriff, herausfindet, dass Fogarty in der organisierten Kriminalität Philadelphias involviert ist. Zu allem Überfluss wachsen im Umfeld Toms in der Folge auch immer mehr Zweifel an dessen wahrer Identität.
Oberflächlich betrachtet, handelt es sich bei "A History of Violence" um einen Thriller, der nicht ganz nach Schema F abläuft und mit enormen Spannungsmomenten aufwarten kann. Zumindest in der ersten Hälfte macht sich auch eine einzigartig beängstigende Stimmung breit, die wohl kaum einen Zuschauer kalt lassen dürfte. Allein unter dieser oberflächlichen Betrachtung kann der Film außerordentlich punkten und lässt einen Großteil anderer Genre-Vertreter weit hinter sich.
Aber – wie bei einem Cronenberg-Film wohl nicht anders zu erwarten war - "A History of Violence" ist mehr als nur ein sehr gut gemachter Thriller. Beim ersten Sehen mag der Film zwar vielleicht noch relativ flach wirken (relativ bedeutet hier: im Vergleich zu früheren Cronenberg-Filmen), aber das begründe ich jetzt einfach mal damit, dass die Story den Kinobesucher dermaßen in seinen Bann zieht, dass diesem erst einmal der Blick auf das Dahinterliegende verborgen bleibt. Spätestens beim zweiten Sehen dürfte einem aber das Mehr hinter dieser Story auffallen. Und dieses Mehr ist beachtlich.
Leider dürfte es mir schwer fallen, die Oberfläche des Films in dieser Kritik gänzlich zu durchbrechen, ohne wesentliche Wendungen und Überraschungen des Films vorwegzunehmen. Daher versuche ich mich zumindest darin, die Oberfläche etwas anzukratzen und einen kurzen Blick auf das Dahinterliegende zu offenbaren.
Etwas Grundsätzliches zuerst: Cronenberg ist wieder einmal der Linie vieler seiner Filme treu geblieben und thematisiert in diesem Film die Zusammenhänge zwischen Sexualität und Gewalt bzw. Aggression. So enthält der Film zwei Sex-Szenen, die nicht nur durch ihre gelungene Darstellung und Inszenierung zu den besten zählen dürften, die man jemals in einem Film betrachten durfte (in der Tat muss man in der Filmgeschichte weit zurückblicken, um Vergleichbares in Nicolas Roegs "Wenn die Gondeln Trauer tragen" ["Don't Look Now", 1973] zu finden.). Zudem dienen diese Szenen nämlich nicht bloß als schöne Staffage, sondern haben im filmischen Kontext und der Art ihrer Darstellung durchaus einen tieferen Sinn für den Film, den man wohl erst ergründen kann, wenn man überhaupt die Zusammenhänge des Films zu begreifen beginnt (warum es sich zum Beispiel bei der ersten Sex-Szene im Sinne der tieferen Bedeutung des Films geradezu um ein Rollenspiel handeln muss, wird dem Zuschauer erst nach einigen Wendungen und der damit neu aufkommenden Fragestellungen klar).
Die Gewaltszenen sind sehr kurz und impulsiv, stechen also inmitten des eher ruhig gehaltenen Films sehr hervor. Außerdem sind sie Cronenberg-typisch sehr brutal und die Folgen widerlich anzusehen. Dennoch findet man sich als Zuschauer irgendwo zwischen Faszination und Abscheu gefangen. Überhaupt fällt es schwer, zu den einzelnen Gewalttaten innerlich Stellung zu beziehen. Welche Art der Gewaltanwendung ist in Ordnung und welche moralisch nicht zu vertreten? Bei näherer Betrachtung wird nämlich deutlich, dass Gewalt so vielfältig ist, dass eine einfache Abgrenzung in 'gut' und 'schlecht' kaum möglich ist, da die Grenzen wohl eher fließend sind.
Anfangs mag die Einteilung der gezeigten Gewalt noch funktionieren – kriminelle Gewalt zum Gelderwerb, wie sie die zwei Gangster vom Anfang praktizieren, ist 'schlecht', Toms Notwehr gegen diese 'gut' – spätestens wenn Toms Sohn Jack seinen Widersachern in der Schule nach einer Provokation eine reinhaut, wird es ein wenig komplizierter. Zum einen fühlt man als Zuschauer eine Art innere Befriedigung ob dieses 'Befreiungsschlages' (zumindest ging mir das so), zum anderen mag man aber auch Tom Recht geben, der seinem Sohn daraufhin eine Standpauke verpasst und gewaltfreie Lösungen von Konflikten propagiert – so wie auch er selbst es bei den Gangster erst einmal im Guten versucht hat. Und wenn der Film dann beginnt, verschiedene Blickwinkel auf die Gewaltakte zu offenbaren, ist es gänzlich vorbei mit der einfachen Einteilung der Gewalt in Gut und Böse.
Neben diesen inhaltlichen Aspekten überzeugt der Film auch in formaler Hinsicht. Die Inszenierung ist sehr professionell, stimmig und dicht, und die großartige Darsteller-Riege um Viggo Mortensen, Maria Bello, Ed Harris und William Hurt ist einfach unschlagbar. So überraschen Mortensen und Bello als absolut glaubwürdiges Ehepaar, denen man ihre Intimität gerne abnimmt – was nebenbei bemerkt auch essenziell für das Gelingen des Films ist –, und Ed Harris trägt mit seiner wunderbar diabolischen Darstellung des bösen Mannes nicht unwesentlich zur gelungenen Atmosphäre des Films bei.
Und Fans des Horror-Genres dürften sich zudem über die Cameos der in der Einleitung erstgenannten beiden Regisseure Romero und Carpenter freuen.
Lange Rede, kurzer Sinn: Auch der neue Film von Cronenberg ist ein grandioses Meisterwerk, das man als anspruchsvoller Fan intelligenter Filme nicht verpassen darf. Zudem funktioniert er – im Gegensatz zu früheren Filmen wie "Spider" - auch als leichtere Kost für Liebhaber spannender Filme. Für mich ganz klar einer der besten Filme des Jahres!
- Redakteur:
- Andreas Fecher