Nobody Knows
- Regie:
- Hirokazu Kore-Eda
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Drama
- Land:
- Japan
2 Review(s)
13.01.2008 | 18:21Dass ich eine Schwäche für das Kino Japans habe, dürfte sich mittlerweile schon herumgesprochen haben. Deshalb war es natürlich klar, dass ich mir den Film "Nobody Knows" gekauft habe, der mir als "neues japanisches Meisterwerk" angepriesen wurde. Wie im Netz zu lesen ist, hat sich der 13-jährige Hauptdarsteller Yûya Yagira für seine Rolle als Akira 2004 in Cannes die goldene Palme als bester Schauspieler in sein Jugendzimmer stellen können. Auch sonst konnte der Film von Hirokazu Kore-Eda eine Menge Preise einheimsen, unter anderem war "Nobody Knows" auch als bester Film in Cannes nominiert.
Die Handlung:
Die Geschichte beginnt ganz harmlos mit der allein erziehenden Mutter Keiko (You), welche mit ihrem 12-jährigem Sohn Akira in eine neue Wohnung einzieht. Endlich allein, macht sie alle Koffer auf, in denen zum Entsetzen des Zuschauers die drei Geschwister des ältesten Sohnes Akira (Yûya Yagira) gut gelaunt zum Vorschein kommen.
Den Kindern wird von ihrer Mutter sofort klar gemacht, dass sie niemals nach draußen gehen und auch nicht auf dem Balkon gesehen werden dürfen, weil die Familie bei Bekanntwerden ihrer Existenz sonst wieder aus der Wohnung ausziehen muss. Der Vermieter mag wie so oft keine Kinder, da Kinder Lärm und Unordnung machen. Aus dem gleichen Grund müssen die lebhaften Kleinen auch sehr still sein.
Die Mutter stellt sich als egoistische und oberflächliche Frau heraus, die von jedem Mann ein Kind bekommen hatte, der ihr für das berufliche Weiterkommen nützlich erschien - wahrscheinlich um ihn an sich zu binden, manchmal wohl auch nur aus Zufall. Allerdings offensichtlich immer ohne den gewünschten Erfolg.
Anfangs kommt die Mutter noch jeden Tag spät abends nach Hause und sorgt auch für die vier Kinder, zumindest finanziell. Alle anderen Arbeiten, wie Wäsche waschen, Kochen und den Haushalt führen, fällt schon jetzt den Kindern selbst zu. Doch eines Tages verschwindet sie mit der Ausrede, sie müsse beruflich verreisen - wie lange steht noch nicht fest.
Auf sich allein gestellt übernimmt nun Akira vollständig die Aufgaben der Mutter, bis die finanzielle Unterstützung der inzwischen mit einem neuen Liebhaber in einer anderen Stadt lebenden Rabenmutter ausbleibt...
Kritik:
Wie soll man eine Kritik schreiben, die zwar der recht einfachen Handlung gerecht wird, aber dem schwierigen Thema genügend Rechnung trägt? Ich versuche es mal so:
Der Zuschauer wird gleich zu Anfang schwer geschockt, als die drei Kinder aus den Koffern heraussteigen. Ähnliche Schocks und Überraschungen bleiben dem Zuschauer aber im weiteren Verlauf des Films (fast) erspart und dienen wahrscheinlich anfangs dazu, die Sinne zu diesem schweren Thema zu sensibilisieren oder sie sollen den Zuschauer einfach nur "wachrütteln".
Die leider auf wahren Begebenheiten basierenden Ereignisse sind das Ergebnis vom Zusammenspiel der gleichgültigen Gesellschaft, der Verantwortungslosigkeit der Mutter und dem Erwachsen werden des Hauptdarstellers Akira. Schuldzuweisungen gibt es zum Glück nicht - Reaktionen ergeben sich aus den Aktionen der einzelnen Beteiligten.
Kinder sind ja leider heutzutage nicht gerne gesehen und stören in unserer Gesellschaft - auch hier im Westen. Hat jemand mehr als ein Kind, gilt dieser vielerorts schon fast als asozial und hat mit Sicherheit große Schwierigkeiten bei der Wohnungssuche - er erntet auch sonst nur Unverständnis.
Der Film gibt neben diesem Hauptthema "Gesellschaftskritik" hauptsächlich auch Auskunft über die Gefühle der einzelnen Charaktere, ihre Motive und auch ihre Sorgen sowie ihre Beweggründe. Diese werden durch die meist statischen Kameraeinstellungen (70% in Innenräumen) im Zusammenspiel mit dem großteils aus Harfenklängen bestehendem Score dem Zuschauer hervorragend vermittelt. Eine an sich so grausame und traurige Geschichte so poetisch zu zeigen - dazu gehört Fingerspitzengefühl und Können.
Was will nun der Film, warum sollte man 140 Minuten seines kostbaren Lebens dafür verwenden?
Der Film soll zum Nachdenken anregen!
- Wie konnte die Mutter so werden?
- Könnte das auch in meiner Nachbarschaft passieren?
- Ist die Art wie wir leben und die Gesellschaft nicht verbesserungswürdig?
- Was ist eine "normale Familie"?
- Welche Verantwortung haben wir gegenüber anderen in unserem Umfeld?
...das sind nur einige der Fragen, welche der Film aufwirft.
Diese doch sehr harte und auch brutale Geschichte in ein so leichtes und harmlos wirkendes "Filmgewand" zu stecken und dennoch neutral zu bleiben - darin besteht die Kunst von Hirokazu Kore-Eda. Dafür hat sie jeden Respekt und auch Preis verdient. Ich wurde jedenfalls nachhaltig beeindruckt.
Die DVD:
Die sogenannte "2 DVD Collectors Edition" von Sunfilm kommt in einer aus stabiler Pappe bestehenden Box daher und macht optisch aber auch qualitativ einen sehr guten Eindruck. Die Box ist auch innen bedruckt - dadurch sieht sie wirklich sehr schick aus!
Die Bildqualität ist dann aber leider sehr Asienfilm-typisch nur auf mittlerem Niveau. Die blassen Farben könnten aber auch künstlerisches Mittel sein - die nur mittelmäßige Bildschärfe dann aber wohl eher nicht. Auch die Schwarzwerte sind unter dem Durchschnitt. Dafür sucht man Bildfehler, wie Dropouts oder Kratzer und Verschmutzungen mit der Lupe.
Der Ton in Japanisch und Deutsch Dolby Digital 5.1 ist eher frontlastig, aber klar und gut verständlich. Allerdings kann man über die Qualität der deutschen Synchronisation leider durchaus streiten.
Auf der zweiten DVD befindet sich das leider nicht besonders umfangreiche Bonusmaterial. Es besteht fast nur aus Texttafeln, die zwar sehr gut informieren, aber dennoch sehr trocken und altbacken herüberkommen. Da hätte ich mir mehr gewünscht.
Die Extras:
- Exclusives Interview mit dem Regisseur
- Behind the Scenes
- Anmerkungen des Regisseurs
- Produktionsnotizen
- Fotogalerie
- Bio-/Filmografien
- Trailer
Fazit:
Wirklich ein Meisterwerk!
Diese herzergreifende Geschichte wird erzählt, ohne den berühmten Zeigefinger zu erheben - so etwas kann nur aus Japan kommen. Trotzdem wird die Gesellschaft und die Art, wie wir leben, kritisiert Zusätzlich wird man zum Überdenken der eigenen Verhaltensweisen gebracht. Was weiß man überhaupt von den Nachbarn? Könnte sich so etwas auch in der eigenen Umgebung abspielen?
Ich kann diese sehr langsam und sorgfältig erzählte Geschichte, die leider auf Tatsachen beruht, jedem nur ans Herz legen, auch wenn die sich daraus ergebene (Selbst-)Erkenntnis etwas schmerzt! Es lohnt auf jeden Fall sich die 140 Minuten frei zu nehmen.
- Redakteur:
- Detlev Ross
Einleitend zu dieser Rezension möchte ich ein Statement der Zeitschrift DIE ZEIT zitieren, welches mir im Hinblick auf "Nobody Knows" nicht mehr aus dem Kopf gegangen ist. Dort heißt es: "wahrscheinlich ist nur das japanische Kino in der Lage, eine Geschichte von so sanfter Grausamkeit zu erzählen ..." Besser hätte ich es niemals beschreiben können, was Hirokazu Kore-Eda mit diesem Streifen geschaffen hat. Die Geschichte von vier Kindern, die gemeinsam mit ihrer Mutter in ein kleines Apartment einziehen und kurze Zeit später von ihr im Stich gelassen werden, bewegt nicht nur zutiefst, sie lässt einen auch auf Dauer nicht mehr los. Der Regisseur hat hier Bilder kreiert, die einerseits wirklich abschreckend wirken, andererseits aber auch die bittere Realität widerspiegeln, und das so authentisch, dass es schon wieder beängstigend ist. In der Tat beruht die Idee zu diesem Film auf einer wahren Begebenheit, was sicherlich nicht mit hinzuspielt, wenn man sich selbst nach mehreren Tagen immer noch der Wirkung von "Nobody Knows" bewusst macht. Hier ist etwas geweckt worden, das sich nur schwer beschreiben lässt, das auf eine sehr erschreckende Art und Weise eine Faszination auslöst, für die man sich anfangs schämt, die aber eigentlich nur eine normale Reaktion auf den Kontrast aus ganz normalen alltäglichen Situationen und den Bildern der völligen Armut, in die diese vier Kinder schließlich verfallen, ist. Um dies aber alles zu begreifen, möchte ich erst einmal einen Überblick über die Handlung geben:
Nachdem Keiko mal wieder ihre Wohnung verloren hat, macht sie sich zusammen mit ihrem Sohn Akira auf die Suche nach einer neuen Bleibe und wird auch prompt fündig. Doch die beiden sind nicht alleine, denn in den beiden Koffern, die Keiko hereintragen lässt, befinden sich noch ihr Sohn Shigeru und die kleine Yuki. Ihre letzte Tochter, Kyoko, wird später vom Bahnhof abgeholt und in die Wohnung eingeschleust. Die Mutter setzt strenge Regeln für ihre Kinder; so dürfen sie - bis auf Akira - nicht die Wohnung verlassen und müssen den ganzen Tag über still sein, damit niemand von ihnen erfährt. Eines Tages verschwindet Keiko aber und lässt ihre Kinder, die allesamt von verschiedenen Männern stammen, ganz alleine zurück. Alsbald übernimmt Akira die Rolle des Versorgers und Beschützers und kauft für die zurückgelassenen Geschwister das Nötigste ein. Nach einigen Wochen ist das Geld allerdings aufgebraucht, Strom und Wasser sind mittlerweile ebenfalls abgestellt worden und die Kinder verwahrlosen immer mehr. Die Situation wird von Tag zu Tag aussichtsloser, und als dann schließlich Yuki noch von einem Stuhl fällt und sich anschließend nicht mehr bewegt, wird es Zeit, zu handeln.
Hirokazu Kore-Eda hat, so bestätigt er auch im Interview beim Bonusmaterial, großen Wert darauf gelegt, diesen dokumentarischen Film nicht als Grundlage für ein Urteil gegen die verschwundene Mutter zu verwenden. Dem Regisseur ist es auch tatsächlich gelungen, einen nüchternen und neutralen Blick auf die gesamte Geschichte zu werfen, bei der sich zwar ganz klar Wut beim Zuseher entwickelt, wobei man aber letztlich nicht weiß, auf wen sie übertragen werden soll, denn schließlich überwiegen doch das bewegende Gesamtbild und die Beziehung, die man nach weniger Zeit zu den Charakteren aufgebaut hat.
In vielen Szenen teilt man schließlich das Leid, ganz besonders in der Endsequenz, in der Akira zusammen mit einer Freundin der verstorbenen Yuki einen letzten Wunsch erfüllt und sie in die Nähe des Flughafens bringt - dort wollte sie immer einmal hin, und der erst 12-jährige Akira erfüllt ihr diesen Traum, auch wenn Yuki ihn nicht mehr selber miterleben darf. Diese Szene rührt zu Tränen, ähnlich wie die Passage, in der der Junge seinen kleineren Geschwistern eröffnet, dass sie sich keine Hoffnung mehr auf die Rückkehr ihrer Mutter machen sollen.
Dass der Film aber schließlich überhaupt erst diesen Effekt haben kann, verdankt er seinen hervorragenden jungen Schauspielern. Yuya Yagira wurde für die Rolle des Akira zu Recht mit dem Preis des besten Schauspielers bei den Filfestspielen in Cannes ausgezeichnet. Der erst 12-jährige Hauptdarsteller spielt die Rolle fast vollkommen emotionslos und trocken, verzieht selten eine Miene und hat gerade deswegen so eine grandiose Ausstrahlung. Auch der etwas jüngere Hiei Kimura in der Rolle des Shigeru spielt wirklich toll, gerade weil er eine Person verkörpert, die nie den Lebensmut verliert und trotz der kaum noch fassbaren Misere immerzu gut aufgelegt ist. Doch jeder hier vertretene Charakter wird erstklassig eingeführt und bekommt auch individuell genügend Freiraum, um sich entsprechend zu entwickeln. Das liegt auch daran, dass die Stoyyline sich an keinen strengen Grundsätzen orientiert und die Situation alleine schon so erschütternd ist, dass eine Entwicklung unumgänglich ist.
Was soll ich sagen; ich bin zutiefst gerührt von diesem Werk. "Nobody Knows" ist ein sehr tief gehendes, trotz des konsequenten Mangels an Action oder dergleichen atemberaubendes und immerzu unter die Haut gehendes Filmprojekt, dessen Wirkung man sich so schnell nicht mehr entziehen kann. Es geht hier um elementare Motive wie Freundschaft, Verlust, Hoffnung und Tod, aber so realistisch inszeniert, dass ich wiederum auf das oben angefügte Zitat aus DIE ZEIT denken muss. In Kombination mit den beklemmenden Bildern ist das hier Gezeigte einzigartig, weshalb ich mich schließlich einem weiteren Zitat anschließen möchte: "Diesem Film von Hirokazu Kore-Eda ist nichts mehr hinzuzufügen!"
Bei der Aufarbeitung stößt man schließlich auf bekannte asiatische Qualitäten. Das Bild ist wie gehabt etwas blasser, unterstützt aber auf diese Weise die Atmosphäre des Films ungemein. Der Ton hingegen ist das wirkliche Prunkstück dieses Films. Das Ganze wurde derart natürlich gestaltet, dass man sich jederzeit mitten im Geschehen befindet, was durch die lebensnahe Kameraführung noch begünstigt wird. Hinzu kommt ein herrlich schöner Soundtrack mit einem melancholischen Titellied.
Auf der zweiten DVD gibt es dazu noch eine Menge Bonusmaterial, wobei aber lediglich das Interview mit dem Regisseur wirklich interessant ist. Hier geht es um die Motivation zu diesem Projekt, um die Auswahl der Schauspieler und um den meiner Meinung nach wichtigsten Punkt, nämlich wie man die Rolle der Mutter am Ende bewerten sollte - und genau dies will Hirokazu Kore-Eda ausschließlich dem Zuschauer überlassen. Sehr gute Entscheidung, die im Film auch adäquat umgesetzt wurde!
Bei meinem Fazit fehlen mir schließlich wie gesagt die passenden Worte, um genau zu formulieren, warum man diesen Film dringend gesehen haben sollte. Es sind die freigesetzten Emotionen, die zahlreichen Kontraste, der Mut, den die vier Kinder in ihrer Situation aufbringen, die Tragik, mit der sich die Geschichte entwickelt, aber schließlich auch der Verweis darauf, dass es sich hier um keinen fiktiven Plot handelt, mit denen ich meine Empfehlung unterstreichen möchte. Aber am Ende sollte das jeder für sich herausfinden und nach eigenen Motiven suchen - und ich garantiere dafür, dass man nach den 140 Minuten, die dieser Film läuft, eine ganze List zusammenstellen können wird, auf der die Punkte, die "Nobody Knows" so sehenswert machen, sich aneinander reihen. Mich würde im Übrigen interessieren, wie der Streifen auf andere gewirkt hat und bitte alle, die diese Besprechung gerade durchschmökern, darum, mir doch mal kurz ihre Erfahrungen zu schildern. Meine habt ihr ja jetzt gelesen ...
- Redakteur:
- Björn Backes