Leopard, Der
- Regie:
- Luchino Visconti
- Jahr:
- 1963
- Genre:
- Drama
- Land:
- Italien / Frankreich
- Originaltitel:
- Il Gattopardo
1 Review(s)
29.11.2004 | 21:10Am 11. Mai 1860 landete im Zuge der Risorgimento, der Einigungsbestrebung innerhalb Italiens, der Revolutionär Guiseppe Garibaldi mit seiner Truppe nahe Marsala auf Sizilien. Zusammen mit einigen Banden und revolutionären Gruppen griff er am 27. Palermo an, das er mit der Unterstützung des Volkes einnahm. In der Folge befreite er den Rest Siziliens, bis der bisher noch dort herrschende Bourbonen-König Franz II. die Flucht ergriff. Durch eine Volksabstimmung stimmte der überwiegende Teil der Sizilianer für einen Anschluss unter das Königreich Sardinien-Piemont unter Viktor Emmanuel II., aus dem schließlich im März 1861 das Königreich Italien hervorging. Durch diese Zustimmung zur in Sardinien-Piemont vorherrschenden konstitutionellen Monarchie mussten auch die Hoffnungen auf eine Republik, wie auch Garibaldi sie hegte, fallen gelassen werden. Im November 1860 wurde er schließlich von den Truppen Viktor Emmanuels II., der um die Vorherrschaft Sardinien-Piemonts fürchtete, besiegt.
Soweit zum geschichtlichen Rahmen, in den die Handlung von "Der Leopard" eingebettet ist. Diese beginnt, als der Fürst von Salina (Burt Lancaster) und seine Familie in ihrem Sommerhaus von dem Einfall von Garibaldis Truppen erfahren. Am nächsten Tag schließt sich dessen Neffe Tancredi (Alain Delon) diesen revolutionären Truppen an, weil er hofft, durch eine Vertreibung des schwachen Franz II. und eine Machterweiterung Viktor Emmanuels II. die Monarchie erhalten und den Vormarsch der Republik stoppen kann. Nach der Flucht Franz' II. kehrt er als Kriegsheld nach Hause zurück und lernt auf einem Ball Angelica (Claudia Cardinale), die Tochter des Liberalen Don Calogero (Paolo Stoppa), kennen. Dieser Don Calogero gehört zu den Gewinnern der neuen Gesellschaftsverhältnisse und hilft bei der Volksabstimmung im Ort zum einstimmigen Ergebnis etwas nach. Doch auch er schielt nach dem Ansehen des Adels und betrachtet daher die Romanze, die sich zwischen seiner Tochter und Tancredi anbahnt, mit Wohlwollen. Als Tancredi seinen Onkel bittet, bei Don Calogero um die Hand seiner Tochter anzuhalten, entscheidet dieser gegen den Widerstand seiner Frau und seines besten Freundes Don Ciccio (Serge Reggiani), dies auch zu tun. Tancredi hat sich in der Zwischenzeit von Garibaldi abgewandt und sich der Karriere wegen den königlichen Truppen angeschlossen. Bei einem Ball soll schließlich sein zukünftiger Schwiegervater und seine Verlobte in die Gesellschaft eingeführt werden. Und während man dort feiert, als sei nichts geschehen, betrauert der Fürst von Salina das Ende einer vergangenen Zeit.
1963, ein wenig mehr als hundert Jahre nach den geschilderten Ereignissen, drehte Luchino Visconti die Verfilmung des Romans "Der Gattopardo" von Guiseppe Tomasi Di Lampedusa, die sich trotz einiger perspektivischer Änderungen vor allem um den Fürsten von Salina dreht. Dieser ist einer der letzten großen Vertreter des alten Adels, der kurz vor der Ablösung durch das Bürgertum steht. Und so geht es im Film auch vorwiegend um die Veränderungen, die sich durch die italienische Revolution abzeichnen und die sind nun doch gar nicht so groß. "Es muss sich alles ändern, damit alles so bleibt, wie es ist," meint Tancredi kurz bevor er sich den Revolutions-Truppen anschließt. So groß die Sehnsucht nach einer revolutionären Umwälzung denn auch ist, so klein sind dann die Veränderungen, die sie auf das tägliche Leben haben. So sind die Straßen, auf der der Fürst durch Sizilien reist, nach wie vor in erbärmlichem Zustand, bei den gelegentlichen Straßensperren muss der Fürst jetzt eben ein wenig länger warten, und nach wie vor sind es die Adligen, die auch von den liberalen Bürgerlichen "gleicher" behandelt werden als andere. Das einzige, was sich wirklich verändert hat, sind die Macht- und Vermögensverhältnisse unter denen, die ohnehin schon zu den oberen Zehntausend zählen und die durch geschickte Transaktionen die Stunde der Zeit nutzen konnten, um sich hier und da noch neue Ländereien aneignen zu können.
Der Film "Der Leopard" fokussiert in dieser dargestellten Zeitspanne den Versuch des Fürsten, sich in der Zwischenzeit zwischen der alten und neuen Weltordnung zurecht zu finden. Dabei betrauert er mehr das Ende einer vergangenen, ihm wohlbekannten Ära als seinen persönlichen Machtverlust als Adliger. Dies merkt man in der Szene, in der ihm von dem Chevalier ein Senatsposten angeboten wird, den er ablehnt, was er in einem längeren und für den Film zentralen Monolog über Veränderung und die Eigenheiten des Sizilianers näher begründet. Er meint, er sei zu wenig wandlungsfähig und hätte nicht die nötigen Illusionen, um ein Volk zu vertreten. Ebenso wenig lässt er sich in der den Film abschließenden fast 40-minütigen Ballsequenz von dem Glamour täuschen. Diese Sequenz ist nicht nur wegen der Länge, die sie innerhalb des Films einnimmt, eine Besonderheit, sondern insgesamt eine der besten Ballsequenzen, die jemals auf Zelluloid gebannt wurde. Zum einen ist dieser dargestellte Ball bis ins kleinste Detail mit großem Aufwand, was die Kulisse, die Kostüme und die Maske angeht, in Szene gesetzt. Wichtiger und beeindruckender als das ist die Tatsache, dass Visconti es tatsächlich geschafft hat, den Ball so in Szene zu setzen, dass man sich nicht nur wegen der authentischen Ausstattung ins 19. Jahrhundert versetzt fühlt, sondern vor allem auch wegen der vorherrschenden Stimmung, die nicht durch kostspielige Übertreibungen – wie das oft bei Ballszenen in anderen Filmen der Fall ist -, sondern vor allem durch ein Gespür für die Zeit auszeichnet. Nicht umsonst diente diese Ballsequenz später auch andern Regisseuren wie Martin Scorsese, der "Der Leopard" als einen der Filme nennt, die ihn am meisten beeinflusst haben, als Vorbild.
Aber die Ballsequenz ist sogar mehr als nur ein authentisch in Szene gesetztes Zeitbild, sondern sie dient auch als Spiegelbild für die Umschwungsphase der Risorgimento. Nachdem der Fürst nämlich in der Bibliothek des Anwesens ein Bild mit einem Sterbenden betrachtet hat, über das er für sich sinniert, kippt die Stimmung des Balls fast unmerklich. Dem Fürsten ist die Sterbeszene zu makellos und verlogen, die Kleidung der trauernden Familienangehörigen, die dargestellt sind, zu frivol – eine Beobachtung, die genauso auf den stattfindenden Ball zutrifft. Nach dieser Szene in der Bibliothek lassen sich nämlich feine Nuancen der Veränderung feststellen, als sich der Ball langsam dem Ende nähert. Die Kulisse wirkt weniger makellos, da hier und da irgendwelche Fetzen auf dem Boden, über den die Tanzenden fegen (was man in diesem Fall wörtlich nehmen kann) legen, und dem Zuschauer wird ein Blick in die Latrine gewährt. Gewichtiger ist aber der Wandel, der sich in der Stimmung breit macht: Diese ändert sich zu einer müden Aufbruchsstimmung wie man sie wohl von jeder Party kennt, die sich dem Ende zuneigt. Und so wird der Ball zum Spiegelbild des alten Adels, der seinen Zenit überschritten hat.
Neben der grandiosen Ballsequenz bietet der Film in seinen drei Stunden noch haufenweise andere erinnerungswürdige Szenen, etwa die mit ironischen Spitzen nicht geizenden Dialoge zwischen dem Fürsten und dem Padre, die sich um grundlegende Themen wie Glaube und Liebe drehen, oder die Bekanntgabe der Wahlergebnisse, bei der so ziemlich alles schief geht, was schief gehen kann. Das ganze ist von Kameramann Guiseppe Rotunno wunderschön in Szene gesetzt, vor allem die herrlichen Aufnahmen der kargen Landschaft Siziliens oder die verwinkelten Gassen des sizilianischen Ortes.
Weiter geht diese berechtigte Lobpreisung bei der internationalen Darstellerriege. Burt Lancaster ist trotz aller Bedenken, die Visconti ihm gegenüber hatte, einfach nur grandios in der Rolle des Fürsten, den er sehr nuanciert zu verkörpern weiß. Claudia Cardinale ist einfach hinreißend in ihrer Darstellung der verführerischen Angelica, und Alain Delon kann die Wandlung von Tancredis Charakter vom überzeugten Revolutionär zum Karrieristen überzeugend rüberbringen, auch wenn er im Vergleich zu den beiden erstgenannten doch etwas blass wirkt. Aber auch bei den Nebenrollen gibt es viele positive Überraschungen, und in einer kleinen Rolle kann man sogar den jungen Terence Hill erkennen, der allerdings kaum in Erscheinung zu treten vermag.
Last but definately not least – der geniale symphonische Soundtrack von Nino Rota, der für seinen Score zu "The Godfather: Part II" ("Der Pate – Teil 2", 1974) einen Oscar einheimsen konnte, ist an sich schon ein Meisterwerk, aber geht mit dem Film noch eine perfekte Symbiose ein, obwohl er eigentlich gar nicht extra für diesen geschrieben wurde. Diese Veredelung des Films durch die Musik merkt man vor allem in der Ballsequenz, die – wie gesagt – ohnehin schon genial ist, durch die Walzer von Rota aber schlicht unerreichbar wird.
Das einzige, was ich wirklich zu bemängeln habe, ist, dass man mit fehlenden Geschichtskenntnissen zu der Zeit der Risorgimento dem Film nicht immer in allen Details folgen kann. Andererseits regt der Film aber auch an, sich ein wenig mit eben dieser Zeit auseinander zu setzen, kann also auch in dieser Hinsicht ein Gewinn sein.
"Der Leopard" ist ein meisterhafter Film über Zeit der Risorgimento, der die damals vorherrschende Stimmung gekonnt einzufangen und widerzugeben vermag. Unbestrittener Höhepunkt ist dabei die finale Ballsequenz, die bis heute unerreicht ist, und sowohl was die Ausstattung angeht als auch bei der Stimmung und ihrer hintergründigen Bedeutung zu punkten vermag. "Der Leopard" ist ein filmischer Höhepunkt, der jedem Cineasten nur wärmstens zu empfehlen ist.
Wärmstens zu empfehlen ist auch die grandios ausgestattete DVD von Koch Media, die den Film erstmals in einer Langfassung präsentiert wie Visconti sie vorgesehen hat. Dank Koch Media braucht man wohl bald nicht mehr auf DVD-Editionen aus Übersee zurückgreifen, wenn man eine wirklich besondere DVD-Fassung eines Filmes haben möchte. Die DVD von "Der Leopard" ist auf jeden Fall etwas Besonderes. Nicht nur, dass das Bild bis auf gelegentlich vorkommendes Rauschen wirklich prächtig ist, auch an Extras mangelt es nicht. Und bei diesen Extras dreht sich alles um Musik oder genauer: um Nino Rota. So befindet sich auf der 2. DVD die Fernseh-Dokumentation "Zwischen Kino und Konzert – Nino Rota" von 1993, die interessante Einblicke in das Leben und Schaffen dieses Ausnahme-Komponisten gewährt. Doch damit nicht genug: Koch Media spendiert auch noch eine extra Audio-CD mit dem kompletten Soundtrack, den man als Freund symphonischer Klänge nicht missen sollte. Da die DVDs zudem in einem schönen Digipak stecken und diese Edition auf 5000 Stück limitiert ist, kann man sie ohne Bedenken zu den besten DVD-Veröffentlichungen des Jahres zählen. Ich bin begeistert!
- Redakteur:
- Andreas Fecher