Uro
- Regie:
- Stefan Faldbakken
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Drama
- Land:
- Norwegen
1 Review(s)
11.04.2008 | 08:54Semidokumentarisches Drogen-Drama aus Oslo
Hans Petter Hansen bekommt von der Polizei die Chance, seine kriminelle Vergangenheit hinter sich zu lassen, wenn er einwilligt, als Ermittler für eine verdeckt operierende Anti-Drogen-Spezialeinheit namens URO zu arbeiten. Eingeschleust in die brutale Welt der Drogenmafia, befindet er sich plötzlich in einem Netz aus Lügen und Verrat, das sowohl von Seiten der Kriminellen als auch der Polizei ausgeht.
Als man ihn auf Mette Nielsen, eine alte Freundin aus seiner Vergangenheit, ansetzt, wird seine Loyalität auf eine harte Probe gestellt. Mette verschafft ihm, in Unkenntnis seines Doppellebens, Kontakte zu den großen Fischen des Drogenkartells. Je tiefer er aber in den Sumpf der Mafia vordringt, umso mehr muss er feststellen, dass sein Auftrag direkt in seine eigene Vergangenheit führt.
Filminfos
O-Titel: Uro (Norwegen 2006)
Dt. Vertrieb: WVG Medien
Veröffentlichung: 30.11.2007 (Kauf-DVD)
FSK: ab 16
Länge: ca. 100 Minuten
Regisseur: Stefan Faldbakken
Drehbuch: Harald Rosenløw-Eeg
Musik: Ginge Anvik
Darsteller: Ahmed Zeyan, Ane Dahl Torp (Mette), Bjorn Floberg, Eivind Sander, Ingar Helge Gimle, Kim Sørensen, Nicolai Cleve Broch (Hans Petter), Nicolas Bro u. a.
Mehr Info: www.urofilm.no
Handlung
Hans Petter Hansen bricht auf dem Gehweg von Oslo zusammen. Ein älterer Mann nimmt sich seiner an, verspricht ihm "guten Stoff". Genau darauf hat es HP angelegt, denn er ist verdeckter Ermittler der Antidrogen-Spezialeinheit URO. Kaum hat der andere sein Geld für "guten Stoff" akzeptiert, schlägt HP zusammen mit URO zu. Allerdings gelingt es einem der Dealer, auf die Straße zu entkommen. Statt seine Kollegen zu informieren, zu warnen oder sonstwie einzubeziehen, versucht HP die Solotour - und scheitert.
Dass er seine Kollegen gefährdet hat, reibt ihm sein Chef erst einmal unter die Nase, doch weil HP neu bei der Truppe ist, lässt er es ihm noch einmal durchgehen. Doch HP führt noch weitere Extratouren durch, und dann wird man ihn vom Dienst suspendieren. Er ist ihm wahnsinnig peinlich, als seine alkoholabhängige Mutter vor seiner Dienststelle aufkreuzt, weil sie Geld braucht. Einen Vater hat HP nicht mehr, der ist schon lange verschwunden, wer weiß wohin.
Abends hängt HP in der Musikbar "Front" ab und bemerkt Mette Nielsen, die Geschäftsführerin dieses Schuppens. Allerdings hängt sie mit Martin zusammen (der eigentlich Marko heißt), und deshalb baggert er nicht sofort seine frühere Jugendfreundin an. Er erzählt, er sei beim Militär gewesen, und das Bild an der Wand seiner neuen Wohnung beweist es ihr später auch. Zunächst zieht er sich jedoch mit Mette und Marko eine Linie Koks rein. Als er Marko auf den Hinterhof folgt, merkt er, dass dort gedealt wird. Der Kunde ist ein blonder Däne. In diesem Moment schlägt die Polizei mit einer Razzia zu und nimmt, um den Anschein zu wahren, auch HP mit.
Erneut eine Wohnungsrazzia. HP wird vom Dienst suspendiert, weil er es versäumt hat, ein Üderdosisopfer zu melden und die Ambulanz zu rufen. Frustriert besucht er Mette. Sie erzählt, eigentlich sei ihr Vater Frank der Besitzer des "Front". Frank Nielsen ist alles andere als ein liebender Familienvater, sondern packt Mette hart an. Er ist misstrauisch, wer wohl der Polizei den Tipp gegeben hat, hier eine Razzia durchzuführen. HP schwärzt Marko an, und der gibt das Dealen zu. Mette scheint nicht erstaunt. Kein Wunder, denn wie HP später herausfindet, wird sie von Marko auch mit Heroin versorgt und klaut sich das Geld dafür aus der Ladenkasse des "Front". Das dürfte ihren Papi aber gar nicht begeistern.
HP heftet sich an die Fersen von Marko, um an die Hintermänner der Drogenszene zu gelangen. Marko führt ihn zu Radovan, einem größeren Dealer, doch der will genau das Geld sehen, das Marko durch die Razzia verloren hat. Zwecks Geldbeschaffung besuchen Marko und HP den Dänen. Doch der hat HP auf der Polizeiwache gesehen und weiß, dass er ein Bulle ist. Um ihn mundtot zu machen, schlägt ihm HP das Gesicht zu Mus. Die kleine Tochter des Dänen schreit. Marko hat kein Geld gefunden und ist stinksauer. Sie ziehen davon, eine Spur der Verwüstung hinterlassend. Ein späterer Besuch am Krankenbett des Dänen sorgt dafür, dass auch keine Anzeige erfolgt.
Marko und HP bekommen Aufschub bei Radovan und die Zusage, einen Kontakt zu Radovans Lieferanten zu erhalten. Nun muss HP auch Geld investieren und gerät allmählich in die Bredouille. Aber immerhin hat er die Gespräche mit Radovan auf Band und somit ein Beweismittel. Als er von Mette erfährt, dass ihr Vater seine Mutter kennt, wird er allerdings nervös. Mama beteuert ihm, sie habe nicht von seinem Beruf als V-Mann erzählt.
Aber als er dann auch noch von Mette erfahren muss, dass Frank Nielsen und sein Vater einmal Partner im Drogengeschäft waren und sich sein Vater (vor HPs Augen) umbrachte, da bekommt er es allmählich mit der Angst zu tun. Wenigstens kann ihm Mette, als sie im Bett mit HP liegt, versichern, dass sie und HP keine Geschwister seien. Na, toll!
Aber was wird passieren, wenn sie und und ihr Vater die Wahrheit über HP herausfinden? Schon bald weiß HP nicht mehr, was das Richtige ist, das er tun soll.
Mein Eindruck
"URO" ist in einen harten semidokumentarischen Stil gedreht, mit einer Handkamera, die ganz nah an die Menschen herangeht und den Zuschauer in die Bewegungsabläufe hineinzieht. Dieser Eindruck der Unmittelbarkeit ist ganz wichtig für die emotionale Wirkung, die der Film auf den Zuschauer ausüben soll. Schon bald kann man sich selbst in einer dieser Szenen vorstellen. Weil aber die körperliche wie psychologische Gewalt eine große Rolle spielt, erfordert dies eine gehörige Portion Abgebrühtheit vom Zuschauer. Vielleicht will der Film aber genau dieses schon vorhandene dicke Fell seiner Zuschauer durchdringen, um etwas zu bewegen.
Im Mittelpunkt des Geschehens steht immer Hans Petter, der sich für einen harten Kerl hält. Doch seine Extratouren werden keineswegs gelobt, sondern vielmehr erst getadelt, dann bestraft, schließlich bringen ihn seine Kollegen fast um. Da HP fast nie über sich selbst redet, bleibt der Zuschauer im Ungewissen, ob die Figur HP deswegen nicht in die Drogenszene absinkt, statt diese der Rechtssprechung zuzuführen. Der Sumpf der Scheinwelt, in den HP gerät, wird jedenfalls immer tiefer und saugender, so dass ihm am Schluss nichts als Verrat übrig bleibt. Er bleibt im moralischen Niemandsland zurück. Aber immer findet er einen Ausweg, um eine Missetat wiedergutzumachen. Wenigstens wird dieser V-Mann der URO-Einheit nicht heroisiert.
Es ist eines der Risiken, auf die sich die Filmemacher eingelassen haben, dass der Zuschauer im Ungewissen bleibt, was HPs Position anlangt. Das ist beabsichtigt. In der Grauzone, so die Botschaft, ist schon so mancher V-Mann unter die Räder gekommen. Das ist zwar spannend anzusehen, aber wo bleibt da die menschliche Dimension? Diese muss wie in jedem Drama seit den alten Griechen durch eine enge menschliche Beziehung - früher nannte man das Liebe - eingeführt und umkämpft werden. HPs Erlösung aus der Grauzone kann nur durch die Rettung dieser Liebe erfolgen. Im Film gelingt dies: ein Silberstreif am Horizont. Wie man sieht, kochen die ach so revolutionär auftretenden Filmemacher auch nur mit Wasser. Aber immerhin lässt ihr Film deshalb den Zuschauer nicht verstört, sondern zufrieden zurück.
Unter den Darstellern ragen die von HP und Mette heraus, wohingegen der des Marko fast verschwindet. HP und Mette tragen die Handlung und bringen sie in ihren jeweiligen Konflikten voran. Auch der Darsteller des Frank Nielsen, Mettes Vater, ist in seiner fast schon schizophrenen Darstellungsweise recht beeindruckend: einerseits knallharter Geschäftsmann im Drogenmilieu, andererseits jovialer Auftrag- und Gastgeber. Er ist ein Simulant, genau wie HP, und muss am Schluss sein wahres Gesicht zeigen, zum Leidwesen aller Anwesenden.
Noch eine Bemerkung zur Musik. Sowohl der Menü-Song als auch der Abspann-Song von Ginge Anvik stehen in ihrer sanften, weichgespülten Attitüde in krassem Gegensatz zu der Metal-Rock-Musik, die im "Front" zu hören ist, und zum hammerharten Realismus der Bilder. Da frage ich mich wirklich, ob die Macher jemanden täuschen wollen.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: Widescreen (2.35:1 - anamorph)
Tonformate: Dolby Digital 5.1 in Deutsch, Dolby Digital 5.1 in Norwegisch
Sprachen: D, Norwegisch
Untertitel: D
Extras:
1. Making-of
2. Dokumentation mit Ane Torp über den Drogenmissbrauch
3. Interviews, u. a. mit Regisseur Stefan Faldbakken
4. Deleted Scenes
5. TV-Werbung & Trailer
6. Trailershow
Mein Eindruck: die DVD
Bild und Ton
Das Bild kommt im Breitwandfilm-Format daher, was nun dem intendierten Eindruck einer Dokumentation ziemlich widerspricht. Der Ton im DD-5.1-Standard ist ausgezeichnet, was besonders bei manchen Heavy-Metal-Rock-Einlagen gut zur Geltung kommt.
1. Making-of (23 Minuten, mit deutschen Untertiteln)
Regisseur Stefan Faldbakken outet sich als Romanautor, doch geschrieben habe das Skript ein Herr namens Harald Rosenløw-Eeg. Er äußert sich lobend über seinen Hauptdarsteller Nicolai Cleve Broch, der vom Theater kommt, und über Ane Dahl Torp, die sich als sehr wandlungsfähig zeigt. Auch mehrere Darsteller geben Statements ab, die aber nicht sonderlich erhellend wirken.
Interessanter ist die Vorarbeit, die dokumentiert wird. Da sehen wir gestellte Trainingsszenen mit der echten Polizei sowie später bei den Dreharbeiten und im Film umgesetzte Straßenszenen. Faldbakken erklärt, dass der Film eher Doku statt Fiktion sei und deshalb auch eine Freigabe von der Osloer Polizei sowie von den lokalen Drogenkonsumenten erhalten habe.
Allerdings habe es eine Szene gegeben, in der die Schauspieler miteinander in Streit gerieten. Das ist die Szene, in der HPs "Kollegen" bei URO ihn auf offener Szene zusammenschlagen. Da muss wohl einer der Darsteller etwas zu realistisch zugeschlagen haben ...
2. Dokumentation: "Anes Methode" (14:40 Minuten)
Der mit Abstand interessanteste Beitrag im Bonusmaterial. Ane Torp, die Darstellerin der "Mette", begibt sich in die Wohnung eines Junkies, damit der ihr haarklein erklärt, was es bedeutet, ein Drogenkonsument zu sein. Die Offenheit der Antworten beleuchtet den Horror dieses Lebens krasser als so mancher Drogenkrimi. Leider wird in den Untertiteln nicht erklärt, was ADHD ist, aber ich nehme an, dass damit AIDS gemeint ist.
3. Interview (Regisseur)
In 12:25 Minuten erklärt Faldbakken, wie, warum und mit wem er seinen Film gemacht hat.
4. Deleted Scenes
Mit 3:36 Minuten Länge ziemlich kurz und nicht sonderlich wichtig.
5. TV Werbung & Trailer
Werbung, die man sich schenken kann, aber der Trailer ist immerhin mit deutschen Untertiteln versehen.
6. Trailershow
a) Alexandra's Project (Mainstream)
b) Dark Corners (Horror mit Thora "American Beauty" Birch)
c) Memories of Matsuko (Biografie einer Yakuza-Braut)
d) Red Shoes (Grusel aus Südkorea, nach H. C. Andersen)
e) Preacher - Der Haschpapst (Niederländischer Drogenkrimi)
f) Shinobi (epische Martial-Arts-Fantasy)
g) Séance (Mysteryhorror)
h) Taxidermia (Fantasievoller Horror aus Österreich)
i) The heart is deceitful above all things (krasses Sozial- und Psychodrama mit Asia Argento)
j) The District - Welcome to my hood (Rapper-Sozialdrama in realistischer Animation)
Unterm Strich
Wer schon immer mal was über das gefährliche Leben eines V-Manns und verdeckt ermittelnden Drogenfahnders erfahren wollte, bekommt durch die semidokumentarische Darstellungsweise des Milieus in diesem Film die ziemlich ungeschminkte Wahrheit serviert. Die Bilder sind alle in düsteres Blaugrau getaucht, damit auch jeder kapiert, wie trostlos und zerstörerisch das Milieu auf seine Bewohner einwirkt.
Zusätzlich zur realistischen Dokumentation bietet der Streifen jedoch auch eine spannende und menschlich anrührende Handlung. Diese erschließt nur demjenigen Zuschauer, der genau hinschaut und hinhört. Das Einfühlen in die Figuren, ohne sich von ihrem Drogenkonsum und ihrer Gewaltausübung abschrecken zu lassen, ist eine der Herausforderungen des Films. Das ist aber weit besser, als irgendeine romantisierende Lovestory mit Drogenverhängnis zu inszenieren, denn das wäre einfach nur verlogen. Die Freigabe ab 16 Jahren geht voll in Ordnung, denn manche Gewaltszene geht durchaus an die Nieren.
Das Bonusmaterial ist ziemlich umfangreich, doch interessant fand ich nur Ane Dahl Torps Gespräch mit einem echten Drogen-Junkie. Wer genau hinhört, wird wohl echten Horror über diese Form der menschlichen Existenz empfinden können. Gut fand ich, dass Ane diesen Junkie nicht wie seine Ärzte als Menschen zweiter Klasse behandelt, sondern als Mitmenschen akzeptiert.
http://www.urofilm.no
- Redakteur:
- Michael Matzer