Allein gegen das Gesetz
- Regie:
- Eriprando Visconti
- Jahr:
- 1972
- Genre:
- Kriminalfilm
- Land:
- Italien
- Originaltitel:
- Il vero e il falso
1 Review(s)
31.03.2008 | 12:10Luisa Santini, Opfer und Mörderin
Obwohl sie ihre Unschuld beteuert, wird Luisa in einem schnellen Prozess zu zehn Jahren Haft verurteilt: Sie soll die Geliebte ihres Mannes getötet haben. Als Luisa entlassen wird, muss sie feststellen, dass ihr Mann mit eben jener Geliebten zusammenlebt. Diesmal tötet Luisa die Rivalin wirklich und ihr wird erneut der Prozess gemacht. Anwalt Marco Manin (Terence Hill) kämpft in einem spektakulären Prozess für Gerechtigkeit, gegen die Willkür des Gerichts und für die Freiheit seiner Mandantin. (Verlagsinfo)
Koch Media präsentiert mit "Allein gegen das Gesetz" eine weltweite DVD-Erstveröffentlichung in digital überarbeiteter und restaurierter Fassung.
Filminfos
O-Titel: Il vero e il falso (Italien 1972)
Dt. Vertrieb: Koch Media
Erscheinungsdatum: 08.02.2008
FSK: ab 12
Länge: ca. 95 Minuten
Regisseur: Eriprando Visconti
Drehbuch: Lorenzo Gicca Palli, Luigi Malerba, Eriprando Visconti
Musik: Giorgio Gaslini
Darsteller: Terence Hill (Marco Manin), Martin Balsam (Turrisi), Rita Caldana, Pia Pitagera (Luisa), Adalberto Maria Merli (Santini) u. a.
Handlung
Nach einem Hausbrand an der Via Appia identifiziert der Gebrauchtwagenhändler Claudio Santini die von der Feuerwehr geborgenen Habseligkeiten auf der Polizeiwache als die von Norma Zeitzler, einer blonden Jugoslawin, die im abgebrannten Haus gewohnt habe. Die Leiche selbst war so stark verbrannt, dass eine Identifizierung nicht möglich war. Staatsanwalt Turrisi (Martin Balsam) ordnet ihre Obduktion in der Rechtsmedizin an. Dort gibt es eine Überraschung: Eine Kugel des Kalibers 7,65 mm steckt in dem Körper. Dass sich in der Lunge kein Kohlenmon- und dioxid befindet, bemerken die zwei Mediziner zwar, nehmen es aber nicht in ihren Bericht auf.
Beim Prozess in Latina klagt Staatsanwalt Turrisi die Gattin Santinis, Luisa (Pia Pitagera) des Mordes an Norma Zeitzler an. Man hat eine Pistole des fraglichen Kalibers bei ihr gefunden. Sie streitet alles ab und behauptet, die Pistole sei ein Erbstück ihres Vaters. Ein Jäger sagt als Zeuge aus, er habe unweit des Tatortes einen Schuss gehört, und nur einen aus einer Pistole, nicht aus einem Gewehr. Weitere Zeugen sagen aus, Santini habe ein Verhältnis mit der Toten gehabt und seine Frau habe ihr mit Mord gedroht.
Die Putzfrau Luisas bestätigt dies, doch wäre Luisa dazu nicht fähig gewesen. Die überraschende Aussage der Putzfrau Adalgisa Alberti, dass sie Norma Zeitzler mit gefärbten Haaren kürzlich auf einem Markt gesehen habe, wird von Staatsanwalt Turrisi mit der Drohung niedergeschlagen, die Putzfrau wegen Falschaussage ins Gefängnis zu werfen. Sogar der Gerichtspräsident droht ihr. Daraufhin wird die Aussage zurückgezogen. Das Gericht verurteilt Luisa Santini zu zehn statt zwanzig Jahren Gefängnis. Marco Manin, der als eine Art Hilfsverteidiger fungiert, hat seine Zweifel, doch seine Mentor de Vecchi rät ihm, die Klappe zu halten, will er nicht seine Justizkarriere aufs Spiel setzen.
Wegen guter Führung kommt Luisa bereits nach sieben Jahren frei. Manin holt sie ab und bringt sie in ihre Wohnung. Er selbst ist nun ziviler Rechtsberater eines Unternehmens in Latina und berichtet der hübschen jungen Frau, was inzwischen geschehen ist. Carlo Santini lebe nun mit einer gewissen Adele Bronzi in Rom. Manin gibt ihr die Adresse. Luisa fährt in die Stadt und bemerkt, wer die Blondine ist, die jetzt mit ihrem Ex zusammenlebt. Abends begibt sie sich im Schutz der Dunkelheit zu Carlos Werkstatt und passt ihn und seine Freundin ab. Sie erschießt die Frau und verschwindet.
Nachdem Zeugen sie identifiziert haben, wird sie gesucht. Doch unversehens wird die Lage für Oberstaatsanwalt Turrisi, der nun mit Giuilia, die ihn betrügt, in einer feudalen Wohnung in Rom lebt, knifflig: Man zieht ihn wegen Personalmangels zu diesem Fall hinzu, den er schon fast vergessen hat. Turrisi lässt Luisa verhaftet und die Identität der Erschossenen überprüfen. Überraschung: Es ist Norma Zeitzler. Aber wer war dann die Tote im abgebrannten Landhaus vor sieben Jahren? Es sieht so aus, als müsste Carlo Santini eine Menge Fragen beantworten.
Doch Marco Manin verfolgt eine ganz andere Spur als Turrisi, denn er will Luisa vor dem erneuten Gang ins Gefängnis bewahren. Weitere Überraschungen bleiben nicht aus.
Mein Eindruck
Drei Drehbuchautoren haben an der Story dieses Justizkrimis mitgeschrieben: Lorenzo Gicca Palli, Luigi Malerba, Eriprando Visconti. Doch nur der Name von Luigi Malerba hat überdauert, denn er ging als einer der besten Autoren der sechziger und siebziger Jahre in die Literaturgeschichte ein. Die drei Autoren einigten sich auf eine semidokumentarische Grundhaltung (siehe dazu auch weiter unten die Anmerkungen der Mitwirkenden in der Featurette), um dem Film die Sentimentalität auszutreiben und die Schlagkraft der Anklage gegen das Justiz(un)wesen Italiens zu erhöhen.
Bevor Mr. Saubermann Marco Manin am Schluss den Staatsanwalt an den Pranger stellen kann, muss jedoch der Doppelfall der Luisa Santini vollständig aufgeklärt werden. Daher ist es im Grunde diese Ermittlung, die außer- und innerhalb des Gerichtssals die ganze Spannung dieses Streifens trägt. Die Erzählweise mit vielen Rückblenden macht es jedoch dem Zuschauer nicht leicht zu rekonstruieren, was eigentlich passiert ist. Wer hat denn nun wen umgebracht?
~ Turrisi ~
Bis dieser Frage beantwortet werden kann, muss die Regie die Figuren in Stellung bringen, damit am Schluss nicht nur der Mörder vor Gericht steht, sondern - so seltsam es klingt - auch der Ankläger selbst, und zwar wegen Inkompetenz. Der Staatsanwalt, ausgezeichnet gespielt vom Amerikaner Martin Balsam, opfert seiner Karriere seine Sorgfaltspflicht. Diese Karriere treibt er nur auf Drängen seiner Frau Giulia voran, die eine wahre Lady Macbeth ist, denn sie betrügt ihn zudem mit seinem Vorgesetzten. Es ist klar, dass sie ihn, sobald er die nächste Karrierestation Florenz erreicht hat, verlassen wird, um noch eine Stufe höher zu steigen - "Frau Ministerin", wäre das nicht ein schöner Titel?
~ Marco Manin ~
Auch Marco Manin muss in Stellung gebracht werden. Nachdem er im ersten Prozess mehr oder weniger zurückgepfiffen worden ist und Luisa kaum Schützenhilfe geben durfte, versucht er nun, diese Scharte wieder auszuwetzen. Leider fehlt hier eine Szene, die ihn in beruflicher Hinsicht motiviert, seinen Posten als ziviler Rechtsberater aufzugeben und wieder eine Zulassung als ordentlicher Strafverteidiger zu erstreben. Die einzige Motivation, die er zu brauchen scheint, ist die emotionale Nähe zu Luisa, die sich ihm schutzbedürftig anschmiegt - nur um ihm dann die römische Adresse ihres nächsten Mordopfers abzuluchsen. Er scheint sich aber nicht ausgenutzt zu fühlen. Manin ist aufgrund dieses wenig plausiblen Auftritts - seine Liebe zu Luisa wird nicht weiterverfolgt - die schwächste Figur des Films. Das hinterlässt eine Lücke.
~ Luisa Santini ~
Diese Lücke füllt Luisa Santini, mehr oder weniger gut gespielt von Pia Pitagera. Als Schauspielerin ist sie eine Niete, denn sie vermag nur anzudeuten, was eine erfahrene Aktrice mit wenigen Gesten und Mienen vermitteln würde. Luisa ist Opfer und Täterin in einem. Sie wird für einen Mord verurteilt, den sie nicht begangen hat, und begeht einen Mord, für den sie sich nicht bestrafen lässt. Wo die staatlich installierte Justiz versagt hat, nimmt sie die Gerechtigkeit in die eigene Hand. Sie erwischt sogar den richtigen Täter, doch muss sie bangen, ob dessen Auftraggeber, ihr eigener Mann, ebenfalls zur Rechenschaft gezogen wird. Wie die Darstellerin im Interview sagt (siehe unten), ist Luisa allein, verlassen und betrogen. Aber sie taugt wenig als Heldin in diesem Drama, in dem allenfalls Marco Manin zum Helden taugt.
Manin, gespielt von dem Western-Darsteller Mario Girotti alias Terence Hill, stellt auf eigene Faust polizeiliche Ermittlungen an. Das ist schon ziemlich ungewöhnlich, führt aber zum gewünschten Ergebnis. Endlich kommt heraus, wer und vor allem was das verbrannte Opfer im Landhaus in Wahrheit war: eine deutsche Prostituierte aus Hamburg!
~ Erotik ~
An dieser Stelle haben die erwähnten Drehbuchautoren die Chance gesehen, dem Film einen erotischen Pfiff zu geben, denn es kommt beinahe zu einer Vergewaltigung. Hier nähert sich der Film dem Genre des blutrünstigen und brutalen Giallo, wie er für Italien in den siebziger Jahren typisch war. (Es gab auch extrem brutale Comic-Bücher.) Kein Wunder, dass die blonden Frauen Santinis ebenso im Zwielicht stehen wie schließlich auch Luisa, die uns nackt hinter einer durchsichtigen Duschtür präsentiert wird. Von einem dokumentarischen Justizthriller ist da nicht viel zu sehen, sondern der Film appelliert vielmehr an männliche Instinkte, die junge Frauen ob deren erotischer Anziehungskraft dämonisieren.
~ Die Musik ~
Ich sollte noch ein Wort zur Musik verlieren. Giorgio Gaslini hat ein wundervolles Konzertgitarrenstück geschrieben und spielen lassen, das gerade vor der Schlussszene höchst eindrücklich die menschliche Dimension in den Film hereinholt. Sie ist sogar dazu angetan, den Blick vom Bild abzulenken, und daher ist der Zuschauer umso überraschter von dem, was mit Luisa im letzten Bild passiert. Dissonante Musik erklingt in den Rückblenden, so dass der Zuschauer weiß, dass es sich um eine andere Zeitebene handelt. Selten hört man die Musik so zweigeteilt eingesetzt wie in diesem Streifen.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 2.35:1 (16:9)
Tonformate: D in DD 2.0, Italienisch in DD 2.0
Sprachen: Deutsch, Italienisch
Untertitel: D
Extras:
- Original Kinotrailer (3:50 Min.)
- Featurette "Un delitto di provincia" (25:25 Minuten)
- Bildergalerie mit seltenem Werbematerial
Mein Eindruck: die DVD
Der Film bietet eine digital überarbeitete und mit Szenen des Originals ergänzte, restaurierte Fassung. Die ergänzten Szenen liegen als Original mit deutschen Untertiteln vor. In der Regel sind es Szenen, die im Hintergrund der Handlung spielen: Sie erklären, wie die Strippenzieher in der italienischen Justiz ticken, bringen aber die Handlung kaum voran. Da dieser Film aber die Justiz bzw. ihre Arbeitsweise anklagt, sind diese Szenen notwendig - von der Vollständigkeit des Films mal ganz abgesehen.
Die Qualität des Bildes ist, weil digital bearbeitet, sehr gut. Ich konnte keine Artefakte feststellen. Und selbst bei den Flammen des Hausbrandes am Anfang - Flammen sind stets ein heikles Bildmotiv - sind keine Schwächen festzustellen. Der Ton kann mit diesem Niveau nicht mithalten. Der Standard DD 2.0 lässt die Dialoge genauso klingen wie vor fast vierzig Jahren.
~ Extras ~
Diese Bildqualität ist im Trailer erstaunlicherweise ebenfalls zu finden. Mit fast vier Minuten Länge handelt es sich um einen der längsten Trailer, die ich je gesehen habe.
Die Bildergalerie zeigt wie stets bei diesen Klassikerausgaben mehr als nur eine Diaschau. Neben den obligaten Postern werden hier verblüffende Aushangbilder gezeigt. Sie sind monochrom in blau, rot oder gelb gehalten, dass dem Betrachter schier die Augen wehtun. Danach folgen aber noch weitere Bilder in Vierfarbdruck, damit sich die Augen erholen können.
~ Featurette "Un delitto di provincia" (25:25 Minuten) ~
Die kurze Dokumentation besteht in erster Linie aus Interviews, die mit noch lebenden Mitgliedern des Ensembles gedreht wurden. Zunächst berichtet der Darsteller des Carlo Santini, Adalberto Maria Merli, von Regisseur Visconti. Er lobt ihn ebenso wie seine Kollegin Pia Pitagera, die Darstellerin der Luisa Santini, und der Kameramann Gatti.
Sie rechtfertigen zudem Viscontis semidokumentarischen Ansatz, was erklärt, warum Visconti die Liebesromanze zwischen Luisa Santini und Marco Manin nicht weiterverfolgte. In der Tat hätte eine solche Verbindung bei Publikwerden den Verteidiger, also Manin, so schwer belastet, dass er wegen Voreingenommenheit vom Prozess ausgeschlossen worden wäre. Damit wäre aber die Sympathie des Zuschauers für die Seite der Verteidigung hinfällig geworden - und das konnte nicht im Sinne des filmischen Anliegens sein.
Daher zerfällt der Film in zwei Teile: den sentimentalen ersten und in den strengen zweiten Teil. Pitagera fühlte sich in die Rolle der Luisa ein: Sie sei verlassen, allein und betrogen. Ihr wird die Schlampigkeit der Justiz gegenübergestellt, deren Opfer sie wird - bis zur letzten Konsequenz. Die Gerichtsszenen wurden in einem echten Gerichtssaal vor Ort in Latina gedreht.
Als nächstes wird dem erstaunten Betrachter der originale Drehplan präsentiert! Dieser Plan verdeutlicht anschaulich den komplexen Ablauf eines jeden Filmprojekts, zumindest in der italienischen Filmindustrie. Das Ende der Dreharbeiten musste stets auf einen Sonntag fallen. Notfalls konnte man dann noch nachdrehen. Zudem konnte man den Sonntag nutzen, um zum nächsten Drehort bei einem anderen Filmprojekt zu fahren.
Mastroianni weigerte sich, so die Anekdote, in Rom zu drehen, weil alle am Dreh Beteiligten am Abend nicht wie gewünscht in die Kneipe zum Quatschen (und Frauenabschleppen) gingen, sondern direkt in ihr jeweiliges Zuhause. Merli erzählt auch, wie Martin Balsam bei den Dreharbeiten fast einen ganzen Vorderzahn einbüßte, was der Grund gewesen sein könnte, warum er so wenig lächelt. Merli baute ihn moralisch wieder auf und wurde sein bester Freund.
Pitagera ist der Ansicht, der Produzent habe dem Film zu wenig Promotion angedeihen lassen, weshalb er schon bald in der Versenkung verschwand. Außerdem gab es fürs Publikum zu wenig Emotionen, um sich für die Geschichte der Luisa zu interessieren. Das klingt durchaus plausibel.
Unterm Strich
Dass dies ein Mafia-Thriller sein soll, wie es das DVD-Cover verspricht, ist an den Haaren herbeigezogen. Und dass "Terence Hill" mit einer Knarre abgebildet ist, verträgt sich wohl kaum mit seinem Auftritt eines streitbaren Verteidigers vor Gericht. Dennoch hat der Justizkrimi wegen seiner anklagenden Kritik an der Justiz und der spannenden Ermittlung, die mit Überraschungen aufwartet, einen Blick verdient. Die Ausstattung der DVD ist angesichts der Featurette und der Bildergalerie vor allem informativ, und die Bildqualität ist wirklich ungewöhnlich gut.
- Redakteur:
- Michael Matzer