Footsoldier - Hooligan, Gangster, Legende
- Regie:
- Gilbey, Julian
- Jahr:
- 2007
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Großbritannien
- Originaltitel:
- Rise of the Footsoldier
1 Review(s)
10.04.2008 | 09:20Im London der 1970er Jahre beginnt seine 'Karriere': Carlton Leach und seine Kumpane leben für die Wochenenden, wenn 'ihre' Fußballmannschaft "West Ham United" spielt. Der wahre Spaß beginnt indes erst nach dem Match, sobald die Prügeleien mit den Anhängern der Gegenmannschaft losgehen. Mit der Zeit werden diese Massenschlägereien immer intensiver und brutaler. Bald sind erste Opfer zu beklagen; als Leach beinahe der Schädel gespalten wird, ist für ihn der Zeitpunkt gekommen auszusteigen.
Er wird Türsteher in einem Nachtclub und macht sich einen Namen als gewalttätiger, aber ehrlicher Schlagetot. Der halbseidene Geschäftsmann Tony Tucker wird auf ihn aufmerksam und nimmt ihn unter seine Fittiche. Leach gründet eine Firma für Türsteher und Bodyguards, wobei er seine alten Hooligan-Kumpels um sich schart, die er durch Muskelmänner ergänzt, die sich in Tuckers Sportstudio verbotene Anabolika spritzen.
Tucker und Leach werden Freunde. Gemeinsam dehnen sie ihre gesetzwidrigen Aktivitäten aus. Rauschgift wird in den 1980er Jahren zum großen Geschäft. In der Unterwelt wird mit harten Bandagen gekämpft. Leach muss Federn lassen, aber er teilt genauso erbarmungslos aus. Zu ihm und Tucker stößt Pat Tate, ein straffällig gewordener, jähzorniger Bodybuilder. Das kriminelle Trio ist komplett und dreht immer größere Dinger.
In den 1990er Jahren beginnen die Dinge außer Kontrolle zu geraten. Während Leach vergleichsweise clean blieb, sind Tucker und Tate zu drogensüchtigen Schreckgestalten degeneriert, die sich um die Regeln der Unterwelt nicht mehr scheren und zum Risiko geworden sind. In den letzten Dezembertagen des Jahres 1995 kommt es in einem Waldstück zu einer in ihrer Gnadenlosigkeit geradezu grotesken Bluttat. Leach muss sich entscheiden, ob er dem Milieu, das seine Heimat ist, treu bleibt oder die Notbremse zieht, bevor auch er endgültig untergeht ...
"Nach einer wahren Geschichte" ist ein Prädikat, das mit Vorsicht zu genießen ist. Auch "Footsoldier" ist keine der Wahrheit verpflichtete Dokumentation, sondern ein Spielfilm, der unterhalten soll, und insofern höchstens die filmische Interpretation der Realität. Die speist sich hier hauptsächlich aus zwei Quellen. Der echte Carlton Leach schrieb mit Mike Fielder 2003 seine Biografie ("Muscle"; John Blake Publishing Ltd.), die natürlich vor allem seine Sicht der Vergangenheit vermittelt. Die fällt zwar drastisch aus und der Verfasser schont sich nicht, aber es stellt sich u. a. die Frage, ob sich Leach nur an jene Übeltaten 'erinnert', die heute strafrechtlich verjährt sind ...
Zweitens greift "Footsoldiers" die berüchtigten "Essex-Boys"-Morde an drei Drogendealern auf, die im Dezember 1995 im Wald von Rettendon (Grafschaft Essex) buchstäblich in Stücke geschossen wurden. Für die Polizei galt das Gemetzel 1998 als geklärt, zwei Männer wurden verhaftet und zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt, doch inzwischen kamen Zweifel an den Ermittlungen zu diesem Fall auf, der womöglich wieder aufgerollt werden muss.
Der "Essex-Boys"-Massenmord stellt in Carlton Leaches Biografie einen zentralen Wendepunkt dar. Er muss deshalb in "Footsoldiers" prominent thematisiert werden. Dennoch unterläuft dem Drehbuch schreibenden Brüderpaar Julian und Will Gibley hier der einzige gravierende Fehler: Im letzten Drittel ihres Films verschiebt sich der Fokus des Films, der bisher eindeutig auf Carlton Leach lag, auf die drei Opfer. Plötzlich widmen die Gilbeys sich aufwändig dem Versuch, die Ereignisse des Dezembers 1995 nachzuzeichnen. Das irritiert und ist im Grunde Stoff für einen eigenen Film - einen Film, den es bereits gibt: Terry Winsor drehte 2000 "Essex Boys" mit Sean Bean in der Hauptrolle.
Schade, denn bisher lief die Lebensgeschichte des Carlton Leach mit bemerkenswerter Geradlinigkeit ihrem logischen Höhepunkt - dem Untergang - entgegen. Für den Film ist es schlecht, dass dieser letztlich ausbleibt; Leach schafft den Absprung, wird vom Saulus zum Paulus und für die Medien als reuiger Lump mit markanten Gesichtszügen, die auf Fotos und im Fernsehen gut zur Geltung kommen, und der Fähigkeit, sich zu artikulieren, zum gern gesehenen Dauergast. Die Gilbey-Brüder halten sich an die Fakten, die ihrem Film ein spektakuläres Finale verweigern. Notgedrungen weichen sie deshalb vom Kurs ab und drängen Leach in eine Nebenrolle.
Bis es so weit ist, bricht jedoch eine Geschichte über uns Zuschauer herein, die in Atem hält. "Footsoldiers" gehört in die lange Reihe britischer Gangster-Thriller, die unerhörte Spannung mit (hier leiser; s. u.) Sozialkritik zu verbinden wissen und ohne Kotau vor der politisch korrekten Mehrheit ihre Geschichte erzählen. Dazu gehört die drastische Darstellung expliziter Gewalt, die aber nicht wie in den meisten Hollywood-Thrillern für schaurige Schauwerte sorgen, sondern traurige Realität abbilden soll. Endgültig die weiße Fahne hissen muss Hollywood, sobald Sex ins Spiel kommt: "Footsoldier" ist zwar ein Film, in dem Frauen eindeutig die Nebenrollen spielen. Dennoch gibt es diverse freizügige* Szenen, die im Zusammenhang völlig richtig am Platz sind, US-amerikanische Zensoren jedoch mit Schaum vorm Maul ins Koma jagen würden.
(*Darf man dieses altmodische Wort heute eigentlich noch benutzen, ohne sich lächerlich zu machen?)
Wer wie ich vor allem Horrorfilme rezensiert, dem fällt es leider leichter, sich über mangelhaftes Schauspiel zu mokieren statt gute Darstellerkunst zu loben. "Gut" definiere ich so: Die Schauspieler gehen in ihren Rollen auf, bis ich glaube, 'echte' Menschen zu beobachten. Das klingt naiv, ist aber als Bewertungsmaßstab genial simpel. "Footsoldier" ist ein Ensemblestück mit vielen Darstellern. Sie verstehen ihre Job und leisten richtig gute Arbeit. Gibt es ein größeres Lob?
Ich möchte dennoch ein wenig ins Detail gehen. Ricci Harnett ist zumindest als nominelle Hauptfigur die tragende Säule dieses Films. Er ist beeindruckend als tumber, aber nicht dummer Schläger, der viele Jahre benötigt, bis er begreift, dass die Gewalt, die ihn nach oben getragen hat, ihn letztlich zerstören wird. Das Drehbuch gewährt diesem Prozess viel Raum, doch Harnett ist es, der ihn umsetzen muss. Ihm gelingt es großartig, einem mental instabilen Menschen ein Gesicht zu geben - einem Menschen, der binnen Sekunden in blindwütigen Zorn ausbrechen kann, einem Menschen, der mit ungerührter Miene foltert, einem Menschen, der nur ansatzweise in der Lage ist, sein Verhalten der jeweiligen Situation anzupassen. Leider lässt uns das Drehbuch im Dunkeln darüber, aus welchem Umfeld dieser Carlton Leach kommt. Er wird kaum als Haudrauf auf die Welt gekommen sein.
Im Laufe der Handlung verändert sich die Figur. Leach wird nicht nur älter, sondern entdeckt u. a. die 'aufbauende' Wirkung von Anabolika. Da Ricci Harnett kaum so dumm wie Leach gewesen ist, sich dieses makaberen 'Wundermittels' zu bedienen, musste er sich placken und auf natürlichem Weg Muskeln aufbauen. Das gehörte zur Rolle und verfehlt seine Wirkung nicht. Wenn Harnett als Leach zum Muskelmann aufschwillt, ist das keine Maske. Der zuvor schlanke und agile Darsteller wirkt deutlich schwerer und schwerfälliger, was sich wiederum auf die Rolle auswirkt: Er wird noch bedrohlicher.
Die übrigen Schauspieler müssen sich solchen De-Niroschen Körperertüchtigungen nicht unterziehen. Hier sind es vor allem Terry Stone und Craig Fairbrass, die als Tony Tucker und Pat Tate glänzen. Sie stellen Carlton Leaches Spiegelbilder dar, die ihm zeigen, wie man aufsteigen und umso schneller stürzen kann. Weil er das erkennt, vermag er im letzten Moment zu stoppen, während Tucker und Tate ihren Absturz vollenden. Nicht nur das Drehbuch stellte sie im letzten Filmdrittel ins Zentrum der Handlung. Sie ziehen die Aufmerksamkeit des Zuschauers auch durch ihr Spiel auf sich, denn selten wirkt der doch nur gemimte Untergang zweier Menschen so beklemmend überzeugend.
So könnte man an dieser Stelle noch manches Loblied singen. Brechen wir stattdessen abschließend eine Lanze für die Darstellerinnen. Sie haben kein leichtes Spiel, denn die Welt der "Footsoldiers" ist wie bereits erwähnt eine Welt der Männer. So müssen Kierston Wareing, Lara Belmont oder Emily Beecham vor allem Opfer sein. Sie stellen Frauen dar, die bis auf seltene Ausnahmen passiv sind und bleiben. Auch dieser Job will in diesem Film getan werden, und so geschieht es. Das Ensemble ist fabelhaft. In einem mit magenumdrehenden Gewaltszenen gespickten Thriller lässt es diese nie zum eigentlichen Schauwert werden. Habe ich das schon gesagt? Es kann nicht oft genug wiederholt werden.
Daten
Originaltitel: Rise of the Footsoldier (GB 2007)
Regie: Julian Gilbey
Drehbuch: Julian Gilbey, Will Gilbey
Kamera: Ali Asad
Schnitt: Julian Gilbey, Will Gilbey
Darsteller: Ricci Harnett (Carlton Leach), Terry Stone (Tony Tucker), Craig Fairbrass (Pat Tate), Roland Manookian (Craig Rolfe), Coralie Rose (Denny), Neil Maskell (Darren Nicholls), Billy Murray (Mickey Steele), Ian Virgo (Jimmy Gerenuk), Kierston Wareing (Kate Carter), Patrick Regis (Eddie), Lara Belmont (Karen), Emily Beecham (Kelly), Frank Harper (Jack Whomes), Jason Maza (Rob), Mark Killeen (Terry), Dhaffer L’Abidine (Emre Baran), Mitchell Lewis (Kemal Baran) uva.
Anbieter: Ascot Elite Home Entertainment (www.ascot-elite.de)
Erscheinungsdatum: 04.03.2008 (Verleih-DVD) bzw. 17.04.2008 (Kauf-DVD)
EAN: 7613059800533 (Leih- u. Kauf-DVD) bzw. 7613059900530 (Special Edition)
Bildformat: 16 : 9 (1,85 : 1 anamorph)
Audio: Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch)
Untertitel: keine
DVD-Typ: 1 x DVD-9 (Regionalcode: 2)
Länge: 114 min
FSK: keine Jugendfreigabe
DVD-Features
Diese Rezension stützt sich auf die 'normale' Fassung, während die "Special Edition" mit dem üblichen Zusatzmaterial (Making-of, Interviews, Outtakes) ausgestattet wurde.
http://www.riseofthefootsoldier.co.uk
- Redakteur:
- Michael Drewniok