Ein Fremder auf der Flucht
- Regie:
- Don Siegel
- Jahr:
- 1967
- Genre:
- Western
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- Stranger on the run
1 Review(s)
02.01.2008 | 09:23Vietnamparabel: die Hatz der Bärenhunde
Der Wilde Westen: Der Landstreicher Ben Chamberlain (Henry Fonda) taucht eines Tages in einem kleinen Prärienest auf, um nach der vermissten Schwester seines Freundes zu suchen. Als diese tot aufgefunden wird, fällt der Verdacht unversehens auf Ben, dem keine andere Wahl bleibt als zu flüchten.
Koch Media präsentiert "Ein Fremder auf der Flucht" mit Oscar-Preisträger Henry Fonda in einer weltweiten Erstveröffentlichung. "Dirty Harry"-Regisseur Don Siegel inszenierte den spannenden Edelwestern nach einer Story von Reginald Rose ("Die 12 Geschworenen"). (Verleihinfo)
Filminfos
O-Titel: Stranger on the run (USA 1967)
Dt. Vertrieb: Koch Media (30. November 2007)
FSK: ab 12
Länge: ca. 93 Minuten
Regisseur: Don Siegel
Drehbuch: Dean Riesner nach einer Story von Reginald Rose ("Die 12 Geschworenen").
Musik: Leonard Rosenman
Darsteller: Henry Fonda ("Spiel mir das Lied vom Tod"), Anne Baxter ("Cimarron"), Michael Parks ("Kill Bill"), Dan Duryea ("Bonanza") u. a.
Handlung
Aus dem Frachtwaggon des Zuges, dessen Endstation Banner in New Mexico ist, wird ein blinder Passagier geworfen. Der verwahrloste Säufer ist Ben Chamberlain (Fonda). Als er nach Alma Britten fragt, verfällt ein auskunftsfreudiger Cowboy in Schweigen, denn Alma bedeutet Ärger. Arbeit bekommt Ben von dem Krämer Burke, und als Lohn kriegt er den heißbegehrten Whisky.
Ben wundert sich über die auffällige Häufung von Deputys der Bahnpolizei hier in Banner. Anscheinend gab es Ärger mit Cowboys. Chef der Bahnpolizisten ist Vinnie McKay (Parks), der es noch weit bringen will. Allerdings hat er eine Mörderbande engagiert, die nach Meinung seines Vertrauten, des alten Hotchkiss (Duyea), schon bald eine Menge Ärger machen wird. Wenn man ihr nicht bald was zu tun gibt ...
Burke zeigt Ben in einem Anflug von Mitleid den Weg zu Alma Brittens Hütte. Entgegen anderen Angaben sei sie keineswegs tot. Doch als Ben in der Nacht zu der Prostituierten, die sonst für McKays Leute da ist, schleicht, muss er entdecken, dass sie mausetot auf ihrem Bett liegt. Ihr Bruder hatte ihn gebeten, nach ihr zu sehen. Doch Ben ist keineswegs der Mann, einen Mord zu melden, sondern verdrückt sich schnell aus der Stadt, ohne Proviant oder Waffe.
Natürlich fällt der erste Verdacht auf ihn, den Landstreicher. McKay sieht die Gelegenheit gekommen, seinen Killern was zu tun zu geben. Es fällt ihnen nicht schwer, Ben einzuholen. Hinterlistig gibt er vor, Bens Unschuldsbeteuerungen zu glauben und leiht ihm sogar ein Pferd. Dies dient lediglich dazu, das Katz-und-Maus-Spiel zu verlängern. Doch Ben gerät in die Gesellschaft jener Cowboys, die mit McKays Bahnpolizisten noch ein Hühnchen zu rupfen haben. Und der Auskunftgeber vom Bahnhof ist auch unter ihnen.
Diese Kuhhirten sind auch nicht auf den Kopf gefallen. Was ihnen Ben erzählt, bietet ihnen die ersehnte Chance, mit McKay abzurechnen. Ben soll ihnen entgegenreiten und sie in einen Hinterhalt locken. Alles klappt wie geplant, doch wie üblich bei einer Schießerei gibt es jede Menge Opfer, und meist die falschen. Ben schafft es noch bis zur Farm der Witwe Valverda Johnson und wird dort geschnappt. Wie kann er nun je seine Unschuld beweisen?
Mein Eindruck
Don Siegel, der Regisseur von "Dirty Harry", drehte diesen TV-Western in nur 16 Tagen. Das sagt einiges über seine Professionalität und die seiner Darsteller aus. Viele von diesen Schauspielern - besonders Fonda und Baxter sowie Duryea - waren schon vielfach in Western aufgetreten. Sie wussten, was sie sagten mussten, auch ohne dass sie das Skript gekannt hätten. Duryea war zum Beispiel unzählige Male in "Bonanza" und "Die Leute von der Shiloh-Ranch" aufgetreten. Doch für Michael Parks war es ein Debüt, und so bleibt es nicht aus, dass er am meisten auf sich aufmerksam machte.
Sein Vinnie McKay ist ein Karrieremensch, ohne jedoch die Geschäftsmannsallüren von Mr. Gorman, einem Manager der Eisenbahngesellschaft, anzunehmen. Doch wenn man auf der Karriereleiter steht, kann man es sich nicht leisten, in der Zeitung zu stehen - auch das sagt ihm Gorman klipp und klar. Der Mord an der Prostituierten Alma Britten ist schon schlimm genug, aber sie ist ja kein angesehener Bürger. Und dieser Strolch namens Ben Chamberlain ist ebenfalls ein verdächtiges und schwaches Subjekt. Was kann es schaden, ihn als Sündenbock zu benutzen und seine, McKays, Hunde auf ihn zu hetzen?
Hotchkiss sagt zu McKay: "Die Jungs kommen mir vor wie die Hundemeute, die ich damals in Utah hatte. Bärenhunde waren es: Sie wurden bösartig, wenn sie länger eingesperrt waren. Da ließ ich sie bloß rennen, ich trieb sie vorwärts, bis ihnen die Augen aus dem Kopf traten, so lange, bis sie völlig fertig waren." Besser als Schachspielen oder Sackhüpfen, wie McKay vorschlägt, ist es jedenfalls, die "Jungs" auf die Hatz auf Ben zu schicken. Die Jagd auf den Fremden gerät zum blutigen Gesellschaftsspiel, in das schließlich auch die angesehene Bürgerin Valverda Johnson und sogar der unbescholtene Krämer Burke verwickelt werden. Die Sache eskaliert bis zur Belagerung des Hotels der Stadt. Matt Johnson, der seine Mutter beschützen will, wird einfach zur Seite gestoßen.
Was dies alles mit dem Vietnamkrieg zu tun hat? Es sei laut Steffen Wulf, dem Autor des Booklet-Essays, eine Parabel über die amerikanische Gesellschaft, die in den Vietnamesen und "Commie pigs" einen Sündenbock für sämtliche Missstände im eigenen Land gefunden zu haben glaubte. 1967, als der Streifen entstand, befand sich auch der Krieg auf dem Höhepunkt. Kennedy begann den Krieg, Johnson führte ihn zum Höhepunkt, und Nixon musste ihn - irgendwie - beenden. Wer gegen den Krieg war, wie etwa zahlreiche Studentendemonstrationen zeigten, der wurde diffamiert und demontiert, wenn nicht sogar getötet, so wie jene vier Studenten an der Kent State University, Ohio (siehe das Lied "Ohio" von Crosby Still Nash & Young).
Wulf zeigt auch die handlungsmäßigen Parallelen zu "Erbarmungslos" auf, dem OSCAR-geehrten Western von Clint Eastwood, dem gelehrigsten Schüler Don Siegels, der auch schon mal selbst die Regieanweisungen gab, um einen "Dirty Harry"-Streifen herunterzukurbeln. Auch in "Erbarmungslos" beginnt eine Spirale der Gewalt mit dem Mord an einer Prostituierten, der Held landet erstmal im Dreck, und der Gesetzeshüter, hier McKay, ist alles andere als zuverlässig, was die Beachtung der Gesetze anbelangt.
Natürlich gibt es Action, so etwa die zentrale Schießerei, aber nicht genug, um Actionfans zufriedenzustellen. Daher erscheint die Handlung auf weite Strecken als ziemlich lahm. Aber seine schönsten Momente hat der Western, wenn die Leute nachdenklich sind und miteinander reden. Immer wieder werden dabei die Klischees unterlaufen. Valverda Johnson will diesen Strolch und potenziellen Pferdedieb am liebsten über den Haufen schießen, aber er sagt nur: "Ich bin der Mann, der Ihre Kuh rettet." Und als er dies tatsächlich mit einer gelungenen Kalbung schafft, kann sie ihm nicht mehr böse sein. Das drückt sie ganz einfach damit aus, dass sie ihm den Anzug ihres verstorbenen Mannes zum Anziehen gibt. Darin und nach Rasur und Haarschnitt sieht er sehr respektabel aus.
Aber Ben hütet ein Geheimnis, und dieses gefährdet die Liebe, die Valverda für ihn zu empfinden beginnt. Um dieses alte Problem, die Feigheit vor dem Feind im eigenen Land, zu überwinden, muss er sich McKay stellen. In jedem anderen Western käme es nun zu einem Shootout, wie ihn nur ein Jahr später Fonda in Sergio Leones Klassiker "Spiel mir das Lied vom Tod" gegen Bronson zu bestehen hatte. Doch Ben wirft seinen Colt in den Staub. Was soll McKay nun mit einem solchen Kerl anfangen? Sein eigener Angestellter Hotchkiss hat den Mann laufen lassen, sie haben ihn beschossen (und den eigenen Mann Blaylock getroffen), nun steht er vor ihm, wehrlos. Und die ganze Stadt schaut zu.
Hier zeigt der 27-jährige Parks erstmals seine Darstellerqualitäten, die ihn zu einem Dauergast in den Filmen von Tarantino machten, als Texas Ranger Earl McGraw. Statt der obligatorischen Schlägerei schrieb Siegel ein Duell der Blicke, und die Kamera zeigt die Augen Parks' in größtem Close-up. Obwohl er wie Wyatt Earp aussieht, der Dodge City (un)sicher machte, ist er doch nur ein aufstrebender Karrieremensch - der aber morgen schon als monströser Killer eines wehrlosen Opas in der Zeitung stehen könnte.
Eingerahmt wird die Handlung vom Titelsong "A stranger on the run", der in bester "High Noon"-Tradition vorgetragen wird, als hätte es rechtslastige Western wie "Rio Bravo" (Waynes Reaktion auf den als defätistisch verachteten Fred-Zinneman-Klassiker) nie geben. Die Melodie dieses Songs wird immer wieder mit diversen Instrumenten wiederholt, um in Erinnerung zu rufen, um was es hier eigentlich geht: um einen wurzel- und identitätslosen Mann ("Ich bin der Mann, der Ihre Kuh gerettet hat"), der das Bewusstsein der Nation verkörpert.
Am Schluss reitet Ben folgerichtig nicht in den Sonnenuntergang, sondern rennt dem Wagen von Valverda Johnson nach, nicht etwa umkehrt. Noch eine Umkehrung von Klischees. Diese Szenen machen den Western zu einem ungewöhnlichen Film. Aber sein größter Mangel besteht für Actionfans in eben dem Fehlen äußerer Action und der Optik, die man von Kinofilmen gewöhnt ist. Der Streifen hätte ein Remake in einem größeren Rahmen verdient.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1.33:1 (4:3)
Tonformate: D in DD 2.0, Englisch in DD 2.0
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: keine
Extras:
- 4-seitiges Booklet
- Bildergalerie
Mein Eindruck: die DVD
Das Bild wurde digital überarbeitet und präsentiert sich nun wieder in einem dem Original entsprechenden Zustand. Es fehlen allerdings die kräftigen Farben, die man beispielsweise von einem Kinofilm erwartet. Alle Farben, besonders in der Natur, sind stattdessen gedämpft, als wollte der Regisseur keinen der Akteure hervorheben. (Lediglich Matt Johnson trägt ein rotes Hemd, und seine Mutter helle Farben.) Der Ton ist auf dem zu erwartenden Niveau des Fernsehens, was sich auch mit dem Soundstandard DD 2.0 zeigt. Ein Makel ist das Fehlen von deutschen Untertiteln.
Die Bildergalerie ist - für diese Reihe ungewöhnlich - sehr langweilig, denn sie enthält nur schwarzweiße Szenenfotos. Das Booklet ist gewohnt informativ. Neben der obligatorischen Inhaltswiedergabe und Liste der Schauspieler versucht der Essay von Steffen Wulf eine Deutung (s. o.) und eine kritische Würdigung des die Western-Klischees unterlaufenden Schlusses. Dass Wulf den Film für "ein starkes Stück Drama" hält, verwundert kaum, gehört das Booklet doch zum Marketingkonzept dieser Reihe.
Unterm Strich
Der Streifen ist aufgebaut wie ein Kammerspiel, hat aber auch seine großen Szenen. Dazu gehört ohne Zweifel die grandiose Schießerei mit den Cowboys sowie die folgenschwere Belagerung des Hotels von Banner. Doch statt eines finalen Showdowns kommt es "nur" zu einem Duell der Blicke. Wenn dies Amerika während des Vietnamkrieges ist, dann sind die Umstehenden, die den auf Karriere bedachten Gesetzeshüter Vinnie McKay beobachten, die Augen der Welt, die kritisch auf jede Bewegung reagieren werden. (Wir wissen ja, welche Wellen der Protest gegen den Vietnamkrieg schlug, meist außerhalb der USA.) Der Streifen bietet, alles in allem, mehr Material für die grauen Zellen als fürs Auge. Das unterscheidet ihn von viele anderen Western.
Die DVD bietet die digital überarbeitete Fassung, die sich mit Wohlgefallen ansehen lässt, auch wenn der Fernsehsound im Vergleich zu Kinosound nur als bescheiden zu bezeichnen ist (dem auch das TV-Bildformat entspricht). Das Booklet liefert nicht nur Informationen, sondern auch Interpretationsansätze (s. o.) und eine kritische Würdigung des gewaltlosen Schlusses.
- Redakteur:
- Michael Matzer