Denn sie kennen kein Erbarmen - Der Italowestern
- Regie:
- Hans-Jürgen Panitz / Peter Dollinger
- Jahr:
- 2006
- Genre:
- Dokumentarfilm
- Land:
- Deutschland
1 Review(s)
13.12.2007 | 09:24Spiel's noch einmal, Sergio!
Django, Sweetwater, Flagstone und Sergio Leone - magische Namen für den Westernfreund! Zwischen 1964 und 1974 wurden in Almeria rund 550 Italo-Western gedreht. Wie kam es zu dieser massenhaften Produktion, welche Phasen durchlief sie und warum endete sie? Und was bedeutete dies für die Beteiligten und die Locations rund um Almeria? Man kann von den Kulissen noch heute jede Menge sehen und eine Western-Show besuchen. Hans-Jürgen Panitz & Peter Dollinger begaben sich vor Ort und betrieben Filmarchäologie.
Filminfos
O-Titel: Denn sie kennen kein Erbarmen (D 2006)
Dt. Vertrieb: Koch Media (19.10.2007)
FSK: ab 16
Länge: ca. 88 Min. plus Bonusmaterial
Regisseur: Hans-Jürgen Panitz & Peter Dollinger
Musik: Yullwin Mak
Darsteller: in Filmausschnitten; Featurette mit Hans-Jürgen Neugebauer und Yullwin Mak
Inhalte
Panitz und Dollinger sind nach Almeria in Südspanien gefahren, wo die Wüste inzwischen jenen Landstrich erobert hat, den im Mittelalter die Konquistadoren abgeholzt haben, um ihre Schiffe bauen zu können. Hier stehen die einstigen Kulissenstädte Flagstone bzw. Sweetwater (aus "Spiel mir das Lied vom Tod") und nennen sich heute "Fort Bravo". Aber wie kam es zu der Invasion der Italiener in diesem gottverlassenen Landstrich, an dessen Blütezeit heute nur noch eine Wildwestshow erinnert?
Hollywood hatte in Rom superteure Sandalenfilme und Historienschinken wie "Cleopatra" drehen lassen, die floppten. Derweil feierten die Deutschen mit ihren Sauerkraut-Western wie "Der Schatz im Silbersee" unerwartete Erfolge: Es war Sergio Leone, der sich an das geheiligte Ami-Genre des Westerns traute, aber nicht mit eigenem Konzept, sondern mit dem Rezept Kurosawas, das dieser für Samurai- und Ronin-Filme entwickelt hatte. Aber "Die sieben Samurai" war Leone zu teuer - das kopierte dann John Sturges.
Unverfroren kopierte er Kurosawas "Yojimbo" sowie Hammetts Roman "Rote Ernte" und machte daraus mit dem importierten Star Clint Eastwood (von der TV-Serie "Rawhide") den Megahit "Für eine Handvoll Dollar" (1964). Was die Zuschauer so umhaute, waren nicht nur die knallharte Gewalt, sondern auch die tolle Musik von Ennio Morricone. Das Rezept, das Leone noch viermal kopierte, lautete: Musik, Landschaft, einsame Helden ohne Namen und viele Worte, Pferde, Stunts, Pistolen, Gewalt und schwarzer Humor, was das Auftauchen von handelnden Frauen fast von selbst verbot. Claudia Cardinale in "Spiel mir das Lied vom Tod" bildete die große Ausnahme.
An diesem Genre versuchten sich auch der Opernregisseur Mario Lanfranchi, der Krimiregisseur Damiano Damiani, der Pornoregisseur Tinto Brass, der Politfilmer Sergio Sollina und viele andere, bis schließlich die Zeit kam, einen Western zu drehen, der gewaltlos war und doch lustig und unterhaltsam: "Mein Name ist Nobody" läutete die Schlussphase des Italo-Western ein. Diese war keineswegs unlukrativ, aber das Rezept lief sich ebenso tot wie die Ballerei zuvor. Bud Spener und Terence Hill (= Mario Girotti) spielten daher später Polizisten, Abenteuer und andere seltsame Heilige.
Unter den Helden stellt die Doku besonders Franco Nero ("Django", "Keoma") und diverse Stuntleute vor, außerdem mit Lars Bloch den ersten Making-of-Filmer des Italowesterns. Leider hat er den deutschen Import Klaus Kinski nicht auf Film gebannt, aber so mancher Veteran erinnert sich noch an den Exzentriker. Auch Gian Maria Volonté ist bereits unterm Rasen, wird aber für sein politisches Engagement in dem Damiani-Film "Töte Amigo" (Quién sabe?, 1966) gewürdigt. Volonté sagt, dieser Film sei kein Western, und darin kann man ihm zustimmen, denn es geht darin um die mexikanische Revolution Anfang des 20. Jahrhunderts.
Ein kurzes Kapitel ist der Darstellung starker Frauen im Italowestern gewidmet. Cardinale habe ich bereits erwähnt - sie ragt heraus. Doch es gibt auch einen Western, in dem weiße Frauen nach einem Indianerüberfall in der Prärie stranden und sich durchschlagen müssen, jedenfalls so lange, bis sie wieder Beschützer finden. Entweder waren Frauen Heilige oder Huren. Witzigerweise ist Cardinales Figur in "Spiel mir ..." beides.
Nach "Nobody ist der Größte" und seinem Gefolge gab es nur noch Parodien wie Mel Brooks' "Blazing Saddles" (1974), aber, wie der Epilog deutlich macht, heute "gehört der Western allen", wie Leone 1984 sagte. Man schaue sich die modernen Samurai- und Vampirfilme an ("Zatoichi", "Coppola's Dracula") oder Scorseses "Gangs of New York", und man wird den Western wiederfinden: seine Kameraeinstellungen, seine Figurenkonstellationen, seine Mythen (Auferstehungen z. B.) und Helden - und in "Kill Bill 2" sogar eine Kombination aus Western und Samuraifilm.
All diese Informationen und Thesen untermauert die Doku mit Unmengen von Archivmaterial. Das kommt aber gar nicht akademisch daher, sondern sehr unterhaltsam, besonders mit Filmausschnitten oder mit nachgestellten Stunts in der Gegenwart. Und natürlich Regisseur-Statements am laufenden Band.
Mein Eindruck
Man kann vom Italowestern halten, was man will: Er ist für viele Filmkenner Kult - und andererseits harren noch zahllose Streifen auf ihre Wiederentdeckung. Wer hätte gedacht, dass ein Italiener ein amerikanisches Genre benutzen würde, um mit der mexikanischen Revolution den nordamerikanischen "Imperialismus" zu kritisieren? So geschehen in "Quién sabe / Töte Amigo / A bullett for the general", in dem am Schluss der "Klassenfeind” getötet wird.
Wie die wiederveröffentlichte und restaurierte Fassung dieses Films allzu deutlich macht, war der Italowestern auch eine Frage der Zensur. Die ultrabrutalen Schießereien und Schlägereien wurden von deutschen und amerikanischen Scherenschleifern gnadenlos zusammengeschnippelt. Von der politischen Botschaft in "Quién sabe?" blieb absolut nichts übrig, wodurch der Streifen bislang belanglos und wirr erschien. Leider verliert die Doku zu diesem Thema kaum ein Wort, was ich etwas schade finde.
Vielmehr sind die beiden Macher darauf bedacht, eine Kaleidoskop von Big Names abzuspulen und vor allem die in die Almeria-Expedition investierte Zeit und Mühe wieder herauszuholen. Immer wieder sehen wir daher die bekannten Landmarken wie etwa einen Saloon, eine Bahnstation (Flagstone?), eine Kirche mit Glocken und - nicht vergessen! - den weltberühmten Torbogen, unter dem Harmonicas (Charles Bronson) Vater von Frank (Henry Fonda) gehängt und erschossen wurde. Spiel's noch einmal, Sergio!
Apropos "Spiel": Die Musik ist stilecht und passt ausgezeichnet zu den Bildern der Almeria-Locations. Sie stammt von Yullwin Mak, einem Komponisten ("Tatort"), Studiomusiker (Chris de Burgh, K. Wecker, Nino de Angelo u.a.) und Sänger, wie die Biografie im Klappentext mitteilt. Sein Soundtrack bestreitet die gesamte Bonus-CD (knapp 44 Minuten). In Dolby Digital 5.1 aufgenommen, klingt seine Musik um Lichtjahre besser als jeder OST (Original Soundtrack), den die Filmausschnitte bieten können. Nur seine falsche Aussprache von "bullett", nämlich "bàlet" statt "bùlet", hat mich ein wenig gestört. Nur dem, der genau hinhört, dürfte das jedoch auffallen.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1,78:1 (4:3)
Tonformate: D in DD 2.0 und DD 5.1
Sprachen: D (auch in Filmausschnitten)
Untertitel: keine
Extras:
- Featurette ("Auf den Spuren von Wild Wild West" mit Hans-Jürgen Neugebauer und Yullwin Mak (ca. 10 Min.)
- Bonus-CD mit Soundtrack von Yullwin Mak (43:42 Min.)
- Filmessay in der Klappeninnenseite
- Biografie von Yullwin Mak
Mein Eindruck: die DVD
Was die Bildqualität betrifft, so sind die Almeria-Szenen der Gegenwart natürlich auf dem aktuellen Stand der Technik. Dass dies für die Filmausschnitte nicht gilt, war zu erwarten. Hier schwankt die Bildqualität je nach dem verwendeten Material, aber es waren keine Artefakte, verfärbte oder "verregnete" Filme festzustellen. Offensichtlich regierte bei der Auswahl ein rigider Qualitätsmaßstab. Die Doku war ja bereits ein- oder zweimal bei ARTE zu sehen, und auch bei diesem Sender stellt man sicher gewisse Ansprüche in Sachen Bild- und Tonqualität. Hier kann man also nicht meckern.
1) Die zehn Minuten lange Featurette "Auf den Spuren von Wild Wild West" führt unter der Leitung von Hans-Jürgen Neugebauer und der Musikuntermalung von Yullwin Mak durch die Szenerie im Desierto von Almeria. Sehr stimmungsvoll. Aber damit begnügt sich Neugebauer nicht. Er gibt auch noch ein paar Weisheiten über die zahllosen Killer in den Filmen zum Besten und lässt sich über Leons Meisterwerk "Spiel mir das Lied vom Tod" aus. Bud Spencer und Terence Hill hält er für die witzigsten Western-Darsteller aller Zeiten, und darüber kann man sicher geteilter Meinung sein.
2) Der Essay in der Klappeninnenseite, den H. J. Panitz verfasst hat, versteht sich als "Randnotizen über die Dreharbeiten" zu dieser Dokumentation. Und das ist auch völlig angemessen, denn hier wird zwar Kinogeschichte berührt, aber keineswegs ergründet oder gar interpretiert. Nur mit manchen Wörtern Panitz' wie etwa "Argarvenalleen" konnte ich nichts anfangen; vielleicht meint er Alleen von Agaven.
3) Bonus-CD mit Soundtrack von Yullwin Mak (43:42 Min.) und Biografie von Yullwin Mak - siehe die Würdigung unter "Mein Eindruck".
Unterm Strich
Gegenüber dieser stimmungsvollen, umfassenden und informativen Präsentation des Themas "Italowestern" verblassen frühere Versuche, dem Thema gerecht zu werden. Diese Dokumentation hat die Latte höher gelegt und ist zum Maßstab für ähnliche Dokus geworden. Aufgrund dessen gehört sie einfach in die Filmbibliothek des ernsthaften Fans und Sammlers (wovon es zum Glück noch ziemlich viele gibt).
Sie lässt sich auch als adäquate Einführung zur soeben begonnenen Western-Bibliothek von Koch Media auffassen, selbst wenn das Thema Zensur fast vollständig vermieden wird. Dafür bringen die neuen DVDs jedoch ungekürzte, restaurierte und digital aufbereitete Fassungen der Westernklassiker und versorgen den Filmfreund mit etlichen Hintergrundinfos, so etwa zur Zensur.
Ob die Bonus-Disc wirklich nötig war, sei dahingestellt, auf jeden Fall bekommt der Käufer dann aber ein gutes Stück mehr als das, was bei ARTE wohlfeil über die Flimmerkiste betrachtet werden kann. So gesehen, ist die DVD wohl ihren Preis wert.
- Redakteur:
- Michael Matzer