Cloaca - Alte Freunde
- Regie:
- Willem van de Sande Bakhuyzen
- Jahr:
- 2003
- Genre:
- Drama
- Land:
- Niederlande
1 Review(s)
26.12.2007 | 11:26Story
Joep, Pieter, Tom und Marteen sind bereits seit ihrer frühen Studienzeit miteinander befreundet und teilten einst gemeinsame Ideale und Träume. Zwanzig Jahre später steckt jeder von ihnen in seiner ganz persönlichen Midlifecrisis und sucht in der vertrauten Gemeinschaft Zuflucht und Hoffnung. In Pieters Haus kommen die Freunde wieder zusammen und philosophieren über ihre Probleme.
Tom hat seine Stelle als Rechtsanwalt an seine Kokainsucht verloren, Theaterregisseur Marteen hat heimlich eine Affäre mit der minderjährigen Laura, Joeps Tochter, und Joep wiederum steht kurz vor dem Aus seiner Beziehung und sucht nach Rat. Während sie sich gegenseitig von ihrem schwierigen Lebenswandel berichten, erfahren Pieters Gäste, dass der Hausherr außerhalb seiner persönlichen Lebenskrise aktuell die größten Probleme hat. Jahrelang hat er zu seinem Geburtstag Bilder aus der Stadtverwaltung als Präsent mitnehmen dürfen und sich damit partiell seinen aufwendigen Lebensstil finanziert. Nun jedoch fordert seine Arbeitsstelle die Gemälde zurück, und Pieter, der einen Teil der Bilder höchst gewinnbringend veräußert hat, gerät mächtig in die Bredouille.
Persönlicher Eindruck
"Cloaca" wird bereits vorab mit einigen Vorschusslorbeeren bedacht. Die zunächst als Theaterstück aufgeführte niederländische Produktion war in der Heimat ein durchschlagender Erfolg und inspirierte sogar Kevin Spacey dazu, das Stück für das Old Vic Theatre in London zu adaptieren. Unterdessen bearbeitete der erfolgreiche Serienproduzent William van de Sande Bakhuyzen das Stück und konzipierte es zum Fernsehfilm um, welcher wiederum 2003 in seiner Heimat debütierte. Kurze Zeit später folgten bereits die ersten Preise und Auszeichnungen, die der Regisseur jedoch nur noch am Rande genießen konnte. Zu dieser Zeit rang er bereits mit seinem schweren Krebsleiden, welchem er im September 2005 am Höhepunkt seiner Karriere erlag.
Sein Meisterstück findet nun, vier Jahre nach der Erstaufführung, nun endlich auch den Weg nach Deutschland. Das Independent-Label Epix hat den Film ins Programm genommen und erstmals auf DVD veröffentlicht, dies jedoch leider ohne entsprechende deutsche Synchronisation. Dies sollte den geneigten Interessenten jedoch nicht daran hindern, sich näher mit dieser Tragikomödie auseinanderzusetzen, denn wie sich schon nach den ersten Minuten herausstellt, ist "Cloaca" aller Ehren wert.
Die Geschichte folgt dabei einem unkonventionellen, unfassbar realitätsnahen Leitfaden, der die wahre Dramaturgie der Situation sehr deutlich auf den Punkt bringt. Man empfindet schon beim ersten Aufeinandertreffen der Protagonisten mit ihnen und ihren individuellen Problemen und fühlt sich in den Dialogen direkt zugehörig. Trotz der schwermütigen Themen und der verhaltenen Stimmung entsteht hier auf Anhieb eine bemerkenswerte Dynamik unter den einzelnen Akteuren, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Dialoge. Gerade die vielen Dinge, die man zwischen den Zeilen herauslesen muss, sind diesbezüglich enorm förderlich, denn auch wenn sich alle Freunde voneinander Unterstützung und Trost erhoffen, so folgt letztendlich jeder seinen eigenen Motiven und Wegen und ist nie so richtig bereit, sich auf die Unannehmlichkeiten der anderen einzulassen. Dies zeigt sich später vor allem bei der Problembehandlung im Falle Pieters, die von Seiten seiner einstigen Studienkollegen weitestgehend beteiligungslos vorangetrieben wird. Hier offenbart sich der trügerische Schein von wahrer Freundschaft, da niemand mehr geben möchte, als er selbst herausziehen kann. Die eigenen Interessen stehen unabhängig voneinander im Vordergrund, so dass jeder versucht, Pieters anhaltende Misere zu eigenen Zwecken zu nutzen, und sei es nur, um Kraft zu schöpfen, weil die eigenen Grübeleien im direkten Vergleich nicht mehr so schwer wiegen.
Im Verlauf der Story entwickeln sich schließlich die verschiedensten Grundzüge bei den Beteiligten. Sarkasmus und Zynismus stehen im Wechselspiel mit Engstirnigkeit und Selbstbetrug, schwarzer Humor wiederum ergänzt sich mit verlorener Hoffnung und erlernter Hilflosigkeit. Den vier Betroffenen werden Unzulänglichkeiten und Defizite auf den Präsentierteller gelegt, sie erfahren auf unangenehme Art und Weise den Effekt ihres zweifelhaften Lebenswandels und werden letzten Endes auf direktem Wege mit ihren zunehmend schlechten Charaktereigenschaften konfrontiert. Alte Ideale werden über den Haufen geworfen, Offenheit dem Zeitgeist gegenüber besteht indes nicht. Und so lebt man gedanklich in der Vergangenheit, zehrt von ihrer Harmonie und Schönheit und hofft verzweifelt, die bittere Realität könne mit dem simplen Pragmatismus der Jugend erneut bezwungen werden. Diese erlebte Scheinrealität zwingt jeden während der Handlung früher oder später in die Knie und zerstört einen Teil des so vorbildlichen Idealismus der alten Kameradschaft. Doch als Pieter, Tom, Joep und Marteen erkennen, was sie anrichten bzw. inwieweit sie sich selbst richten, scheint es bereits zu spät.
Es ist manchmal kaum zu begreifen, welche Emotionen eine derart dialoglastige Story auslösen kann. Der Funke Melancholie, der in nahezu allen Passagen mitschwingt, ist schlichtweg ergreifend, die Interaktion so brisant und schwermütig, dass man ganze Epen damit füllen könnte. Dies alles wäre jedoch nur halb so viel wert, würde die Besetzung innerhalb des gebotenen Rahmens nicht so fabelhaft aufspielen. Das eher unbekannte Ensemble verwächst regelrecht mit seinem Part, atmet dessen Luft und erweckt die Figuren zu ungeahnter Lebendigkeit. Unfassbar, dass hier vermeintliche Laien am Werke sind, aber tatsächlich wahr! Dementsprechend ist der Rest aufgrund der genialen Grundidee nur noch Formsache; ohne jegliche Längen entwickelt sich das tragische Drama in knapp zwei Stunden zum heimlichen Genre-Klassiker, der lediglich einen einzigen Wermutstropfen aufweist: Es fehlt die deutsche Tonspur!
Letzteres ist zwar sicher kein Grund zur Allergie, aufgrund der hektischen Originalsprache aber ein nennenswerter Aspekt, der den Gesamteindruck doch ein ganzes Stück beeinträchtigt. Die deutschen Untertitel, wenn auch intelligent verarbeitet, können dafür kaum entschädigen. Hinsichtlich der Bildqualität sind keine echten Kritikpunkte zu benennen. Ab und zu rauscht das Bild zwar ein wenig, jedoch ist der Effekt auf die generelle Qualität der Videospur minimal. Schade bei diesem Independent-Werk ist der komplette Verzicht auf informatives Bonusmaterial. Außer dem Trailer und einigen Galerien bietet der Silberling keine Extras.
Fazit
"Cloaca" belegt einmal mehr, dass die gewichtigsten, besten Dramen nach wie vor aus dem Underground kommen, in diesem Fall aus den Niederlanden. Das einstige Bühnenstück ist in der cineastischen Fassung ein echter Festschmaus voller bewegender Emotionen und ergreifender Wendungen, ganz zu schweigen von der allgemeinen Atmosphäre, die der Film versprüht. Die Art und Weise, wie hier Humor, Dramatik, Herzschmerz und Moral miteinander verschmelzen, ist einfach nur prächtig und verdient eine intensive, generationenübergreifende Auseinandersetzung mit dem letzten Werk des verstorbenen Regisseurs. Prädikat: Enorm wertvoll!
- Redakteur:
- Björn Backes