Uhrmacher von St. Paul, Der
- Regie:
- Bertrand Tavernier
- Jahr:
- 1973
- Genre:
- Drama
- Land:
- Frankreich
- Originaltitel:
- Horloger de Saint-Paul, L'
1 Review(s)
30.11.2007 | 11:32Bei der Süddeutschen Zeitung gibt es ja seit geraumer Zeit die sogenannte Cinemathek - eine spezielle Reihe von Filmen für ausgesprochene Cineasten. In dieser Reihe wurden die 100 besten Filme aller Zeiten aufgelegt - zumindest die 100 besten nach der Meinung der Redaktion. Inzwischen haben sich einige neue Reihen dazu gesellt wie z.B. die besten Kinderfilme und auch die besten Screwball-Komödien.
Die neueste Reihe ("Série Noire", die schwarze Serie) befasst sich aber mit den 12 besten französischen Film-Noir-Werken. Hierbei gibt es einige deutsche Erstveröffentlichungen wie den hier besprochenen "Der Uhrmacher von St. Paul (L' Horloger de Saint-Paul), das Erstlingswerk von Bertrand Tavernier aus dem Jahr 1973. Grund genug für mich, dieses Werk einmal näher zu betrachten.
Zur Handlung:
Die Geschichte findet in Lyon statt. Michael Descombes (Philippe Noiret) hat einen altmodischen Uhrenladen, er verkauft die Zeitmesser nicht nur, sondern er repariert sie auch - in allen möglichen Größen, bis hin zur Kirchturmuhr. Seine Frau hat er schon vor Jahren verloren, sodass er inzwischen mit seinem Sohn Bernard einen reinen Männerhaushalt führt. Alles läuft seinen täglich normalen Gang - ein besinnlicher, langsamer Gang -, womit der Uhrmacher auch zufrieden ist.
Dieses ruhige, beschauliche Leben findet aber ein jähes Ende, als eines Morgens die örtliche Polizei vor der Türe steht und ihm mitteilt, dass sie seinen Lieferwagen gefunden haben. Mehr wollen ihm die Beamten nicht mitteilen - alles weitere würde ihm der Kommissar im Revier mitteilen. So begleitet Descombes die Beamten schon leicht verunsichert zu Kommissar Guilboud (Jean Rochefort), welcher ihm die volle Wahrheit eröffnet. Sein Sohn soll einen Mann umgebracht haben und jetzt ist er mit seiner Freundin auf der Flucht.
Das trifft Descombes wie ein Schlag! Er hätte seinem Sohn so eine Tat niemals zugetraut, aber die Fakten sprechen leider eine andere Sprache! Auch von der Freundin hatte er zuvor noch nie etwas gehört. Kennt er seinen Sohn überhaupt? Hat er Fehler bei der Erziehung des Jungen begangen? Zuerst verfällt der Uhrmacher in depressive Resignation, doch dann ergreift er die Initiative und versucht selbst so viel wie möglich über die Sache herauszufinden. Der Polizei vertraut er nämlich nicht ...
Kritik:
Beim Erstlingswerk von Bertrand Tavernier aus den frühen 70-er Jahren kann man genau den Zeitgeist der damaligen Zeit spüren. Die 68-er waren gerade vorbei und allgegenwärtig sind noch die politisch revolutionären Gedanken anzutreffen. Streiks, sich organisierende Arbeiter - Auflehnung gegen das Establishment. In diese politische Situation wurde dann ein ungewöhnlicher Kriminalfilm konstruiert: Der Sohn eines Uhrmachers soll jemanden umgebracht haben - eine Art Fabrikpolizisten, der seine Position als Vorgesetzter ausgenutzt und die Freundin des Sohnes sexuell missbraucht haben soll. Sozialkritische und gesellschaftspolitische Anspielungen in fast jeder Szene. Wie kommt der einzelne, rechtschaffene Bürger in Form des Uhrmachers zurecht, wenn er einmal aus seinem normalen Leben gerissen wird und in die Räder der Bürokratie gerät?
Ein französischer Noir-Film mit Ecken und Kanten, denn die Handlung berichtet nicht von der Jagd der Polizei auf den Mörder, sondern von der Suche des Vaters nach den Hintergründen, die den Sohn zu so einer Tat gebracht haben. Warum hat sein Sohn ihn nicht ins Vertrauen gezogen? Warum kennt er nicht einmal die Freundin seines Sohnes? Die Polizei hat eine vorgefertigte Meinung und will gar nicht die Hintergründe erforschen, die den Vater interessieren. Für die Polizei ist sein Sohn der Mörder - mehr nicht. So muss der Uhrmacher selbst nach den Gründen forschen und die Polizei behindert ihn dabei aber nur.
Also ist "Der Uhrmacher von St. Paul" wohl eher eine Suche nach den Motiven für so eine Tat - immer vor dem politischen Hintergrund der damaligen Zeit. Dabei geht der Film sehr penibel vor, was aber auch zu einer langsamen Erzählweise führt, die wohl so mancher Zuschauer als langweilig oder langatmig wahrnehmen könnte. Man muss solche Milieustudien und die akribische Aufarbeitung von Gefühlen mögen, dann hat man an diesem hervorragend gemachten Film wirklich seine Freude. Fast dokumentarisch und sehr authentisch wirkt die Handlung. Daher gibt es von mir für diesen Film keine Generalempfehlung. Es ist ein Film für Spezialisten, eben für Cineasten, die sich am Spiel und der haarklein ausgefeilten Handlung erfreuen können. Action, Effekte oder Soundgewitter braucht so ein Film nicht. Mir hat es gefallen...besonders die tollen Schauspieler (Philippe Noiret!) sind erwähnenswert.
Die DVD:
Auch die neueste Reihe der Süddeutschen Cinemathek kommt wie alle anderen DVDs dieser Edition in der bekannten, speziell gefalteten Papphülle. Schade, denn ich finde diese sehr unpraktisch, weil die Halterung, die die DVD aufnehmen soll, leider nicht richtig funktioniert. Zudem sind diese Hüllen auch höher als normele DVD-Cases, sodass man bei der Archivierung Probleme bekommen kann. Da "Der Uhrmacher von St. Paul" aber eine deutsche Erstveröffentlichung ist, hat man leider keine Alternative, wenn man den Film in deutscher Sprache genießen will.
Was die Qualität des Bildes angeht, kann man wirklich nur ein Lob aussprechen: Das scharfe und farbbrillante Bild stünde jedem aktuellen Titel gut zu Gesicht - da sieht man wieder, wie toll man einen Titel aus den 70-er Jahren auf DVD bringen kann, wenn man sich Mühe gibt. Den Ton gibt es allerdings nur in 1.0, Deutsch (Dolby Digital 1.0 Mono), Französisch (Dolby Digital 1.0 Mono)) auf die Ohren, was aber bei diesem Film wirklich kein Problem darstellt. Dazu gibt es dann auch die deutschen Untertitel.
Extras gibt es bei den Cinemathek Titeln ja traditionell nicht - eine Art Extra findet sich aber immer auf der Hülle. Dort werden dem Filmfreund die wichtigsten Infos zum Regisseur und zu dem Film in Textform näher gebracht.
Prädikat: Empfehlenswert für frankophile Cineasten ....!
- Redakteur:
- Detlev Ross