Sunrise: A Song Of Two Humans
- Regie:
- Friedrich Wilhelm Murnau
- Jahr:
- 1927
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- Sunrise
1 Review(s)
22.11.2007 | 12:56Friedrich Wilhelm Murnau gehört für mich zu den wichtigsten Filmemachern aller Zeiten - aus der für mich "goldenen Kinozeit", in der das deutsche Kino tatsächlich noch Weltruhm erlangen konnte.
Deshalb hat es mich auch so gefreut, dass eines seiner wichtigsten Werke neben "Nosferatu" und "Der letzte Mann" nämlich "Sunrise - A Song Of Two Humans" bei uns als restaurierte Special Edition herausgekommen ist. Etwas verwundert war ich aber schon, da dieser Film in Deutschland der breiten Masse doch etwas unbekannter ist.
Ein paar Infos zu Friedrich Wilhelm Murnau:
Murnau, der eigentlich von Geburt an (1888) den von ihm so ungeliebten Namen Plumpe trug, benannte sich 1911 in Murnau um. Den Namen Murnau wählte er zum Gedenken an die oberbayerische Künstlergalerie bei der Gemeinde Murnau. Leider stirbt der Meisterregisseur 1932 viel zu früh nach einem Autounfall, ohne die Premiere seines letzten Films "Tabu" je gesehen zu haben.
Hier seine kurze Filmographie:
- "Tabu" (1931)
- "City Girl" (1930)
- "Vier Teufel" (1928)
- "Sonnenaufgang" (1927)
- "Faust - Eine deutsche Volkssage" (1926)
- "Tartüff" (1926)
- "Der Letzte Mann" (1924)
- "Die Finanzen des Großherzogs" (1924)
- "Die Austreibung" (1923)
- "Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens" (1922)
- "Der Brennende Acker" (1922)
- "Phantom" (1922)
- "Marizza, genannt die Schmuggler-Madonna" (1922)
- "Schloss Vogelöd" (1921)
- "Der Januskopf" (1920)
- "Satanas" (1920)
- "Der Gang in die Nacht" (1920)
- "Abend - Nacht - Morgen" (1920)
- "Sehnsucht" (1920)
- "Der Bucklige und die Tänzerin" (1920)
- "Der Knabe in Blau" (1919)
Noch ein paar Infos zur Version:
Die bei uns in Deutschland auf DVD vorliegende Version ist die sogenannte Movietone-Fassung, welche hauptsächlich im nordamerikanischen Raum Verwendung fand. Beim Movietone-Verfahren wurden Toninformationen direkt auf die Filmrolle aufgebracht, welche dann mit Lichtwellen abgetastet und wiedergegeben wurden. Im Grunde genommen ist dies also eine Zwischenform von Ton- und Stummfilm. Zusätzlich gab es damals auch reine Stummfilm-Fassungen, die sich im Schnitt, den Einstellungen und wegen den zusätzlichen Toninformation auf dem Filmstreifen auch im einzelnen Frame unterschieden.
Laut dem beiliegenden Booklet wurde das originale Kameranegativ bei einem Nitratbrand im Jahr 1937 zerstört, sodass für die vorliegende Fassung auf eine im Jahr 1936 angefertigte Diacetat-Kopie zurückgegriffen werden musste (zum Glück wurde diese vorher angefertigt - sonst wäre hier mit dem Review schon Schluss!).
"Sunrise - A Song of Two Humans" war Murnaus erste US-amerikanische Produktion. Das Filmstudio FOX ließ Murnau bei der Erstellung des Films sowohl in künstlerischer, als auch in finanzieller Hinsicht eine vollkommen freie Hand. Durch diese vollkommene Freiheit (und den entsprechenden Mitteln im Hintergrund), wurde auf dem Produktionsgelände von FOX eine ganze Stadt gebaut - das hatte es bis zu diesem Film bisher in diesem Ausmaß noch nicht gegeben. Soviel Mühe und Schweiß wurde dann auch mit drei Academy Awards belohnt - die Kinogänger waren damals aber nicht so begeistert von Murnaus Arbeit. Im Kino war der Film 1927 ein finanzieller Flop - ich denke, die Menschen waren zu dieser Zeit nur noch nicht bereit für so einen außergewöhnlichen Film.
Handlung:
Es ist Ferienzeit. Die Großstädter fahren raus auf's Land, um dort Urlaub zu machen. Auch eine junge Großstädterin (Margaret Livingston) ist in ein Dorf gefahren, um dort ihren Sommerurlaub zu genießen. Sie verliebt sich bald in einen einfachen Bauern (George O'Brien), der mit seiner schönen jungen Frau (Janet Gaynor) und seinem Kind in einem kleinen Bauernhof wohnt.
Diese weltgewandte Urlauberin umgarnt den einfachen Bauern dann auch erfolgreich, indem sie ihm beschreibt, wie schön es in der Großstadt sein könnte und welche großartigen Möglichkeiten sie dort hätten. Natürlich macht sie das nicht ohne Hintergedanken. Das funktioniert natürlich nur, wenn er seinen Hof verkaufen würde und mit ihr in die Stadt zieht. Da gibt es nur ein Problem - seine Frau steht ihren Plänen im Weg!
Die neue Geliebte hat natürlich sofort einen teuflischen Plan zur Hand: Der Bauer soll mit seiner Frau einen Bootsausflug auf dem nahen Gewässer unternehmen, in dessen Verlauf er seine Ehefrau in den kalten Fluten ertrinken lässt. Ein Unfall, wie soll jemand etwas anders behaupten.
Gesagt, getan! Alles läuft nach Plan, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er die fürchterliche Tat begehen will - denn dort auf dem See treffen sich die Blicke von Täter und Opfer. Der Bauer erkennt wie vom Blitz getroffen, dass er seine Frau immer noch von ganzem Herzen liebt.
Doch seine Frau hat erkannt, was ihr Ehemann mit ihr vorhatte. Wieder am Ufer angekommen flüchtet sie aus Angst mit einer zufällig vorüberkommenden Straßenbahn in die große Stadt. Der Missetäter folgt ihr natürlich und versucht jetzt in dieser für die beiden ungewohnten Umgebung das Herz seiner Frau erneut für ihn zu entflammen....
Kritik:
Bei meiner Recherche zu Informationen über den Film wurde ich förmlich mit pseudo-intellektuellen Deutungsversuchen der Handlung überschwemmt. Das meiste davon war allerdings nur heiße Luft, sodass ich für mich entschieden habe, hier nur eine kleine Variante zu schreiben, die auch nur das Nötigste enthält. Den Rest sollte man ja beim Schauen des Films selbst überlegen. Deswegen sieht man schließlich Filme an.
An sich ist die Geschichte wirklich einfach und das war ja von Murnau auch so gewollt. Es gibt zwei Hauptschauplätze, die fast vollkommen auf dem Produktionsgelände von William Fox errichtet wurden. Dies hatte den Grund, dass die Schauplätze keinem realen Ort ähnlich sehen sollten, weil die Geschichte universell und zeitlos sein sollte. Außerdem konnte F.W. Murnau so die Charakteristik der Sets komplett und ohne Kompromisse zu machen beeinflussen (große weite Stadt/ enges einfaches Dorf).
Die Sets:
1. Die mondäne Stadt mit ihren weitläufigen Straßen, dem chaotischen Verkehr, der Kultur, der Hektik, den allgegenwärtigen Versuchungen, den Vergnügungsmöglichkeiten und den weltgewandten Menschen.
2. Das Dorf mit seinen einfachen Menschen, die ihrer schweren Arbeit nachgehen, einfache, enge Häuser und ernste, aber ehrliche Bewohner.
Jetzt kommt es dann auch wie es kommen muss, der "böse" Großstadtvamp kommt in die Idylle und hat durch die verlockenden Versuchungen der Großstadt auch leichtes Spiel mit dem einfachen, ehrlichen Bauern. Das hat mich ein wenig an Eva im Paradies erinnert, die Adam einen Apfel anbot. Als die einfachen guten Menschen dann in der Stadt ankommen, sehen sie, dass hier auch fröhliche und nette Menschen wohnen - das Klischee des Menschen verachtenden bösen Mollochs "Stadt" wird in ihrer Welt zerschlagen. Also Vorurteile, die widerlegt werden.
Der Film lebt aber nicht nur von den hervorragend gebauten Sets, sondern er trifft vor allem mit der wegweisenden Bildersprache voll ins Schwarze. Die Kammeraarbeit von Charles Rosher und Karl Struss fesselt mit für die damalige Zeit unglaublichen Kamerafahrten, ungewöhnlichen Einzeleinstellungen und wirklich stimmungsvoll ausgeleuchteten Szenen. Virtuos, kann man da nur sagen.
Ergänzt wird der optische Genuss durch die Special Effects von Frank Williams. Im ganzen Film wurden Modelle eingesetzt, Teilüberblendungen verblüffen und auch die Hintergründe wechseln, obwohl die Darsteller immer im Vordergrund zu sehen sind. Heute würde man das mit Bluescreen machen - wie es damals bewerkstelligt wurde, bleibt mir aber ein Rätsel. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, weil man das einfach gesehen haben muss! Wirklich beeindruckend!
Die Schauspieler handeln in diesem Stummfilm natürlich wieder sehr theatralisch. Um einen schweren, schleppenden Gang zu erreichen, hat Murnau seinen Schauspielern z. B. Gewichte in die Schuhe machen lassen. Für die damalige Zeit war das aber üblich - heutige Zuschauer müssen sich natürlich erst ein wenig an die ausufernde Gestik gewöhnen.
Kommen wir abschließend zum Ton. Im eigentlichen Sinn ist Sunrise natürlich ein Stummfilm. Aber wie gesagt wurden mit dem Movietone-Verfahren bereits erste Schritte in Richtung Tonfilm unternommen. Die Musik passt wie bei allen Stummfilmen sehr gut zum Geschehen und drückt wegen der fehlenden Sprache auch die Gefühle und die Stimmung im Film aus. Zusätzlich kommen dann aber noch verschiedene Geräusche wie das Zischen des abfahrenden Zuges, die (Warn-)Glocke oder das Quieken eines Schweines hinzu. Das sollte dem damaligen Zuschauer eine nie dagewesene Realitätsnähe bescheren. Heute ist das natürlich Filmhistorisch interessant, erzeugt aber hin und wieder auch ein Lächeln. Soviel zur Technik.
Wie gut ist nun die Handlung? Die Story ist einfach und unterhält über die ca. 90 Minuten, ohne dass irgendwie Langeweile aufkommt. Natürlich ist die Handlung vorhersehbar, aber bei so einer schönen wie dramatischen Liebesgeschichte ist das nicht weiter tragisch. Außerdem muss man ja bedenken, dass wir heutzutage ca. 80 Jahre Kinogeschichte hinter uns haben und somit solche Geschichten zur Genüge kennen. Im Großen und Ganzen kann der Film als Liebes-Drama bezeichnet werden, "Sunrise" hat aber auch wirklich komische Szenen zu bieten, die für den einen oder anderen Lacher sorgen. Sehr gut ausgewogen.
Mischt man alle Zutaten wie Technik, Handlung und Schauspiel kommt ein für die gesamte Kinowelt wegweisendes Meisterwerk heraus, das wirklich jeder Cineast einmal in seinem Leben gesehen haben muss.
Die DVD:
Zuerst meine Kritik zu dieser Veröffentlichung von Universum Film/UFA: Warum heißt dieses zweifellos schöne DigiPack eigentlich "Special Edition"? Es gibt gar keine normale Version! Das würde mich normalerweise nicht stören, doch verschandeln die beiden Wörter das schön gestaltete Cover.
Bis auf diesen kleinen Schönheitsfehler, ist diese DVD-Veröffentlichung aber wirklich allererste Sahne. Wie gesagt, ein schönes Digipack im Schuber, ein 12- seitiges Booklet mit folgenden erstklassigen Infos:
- Eine detaillierte Biographie von F.W. Murnau
- Die Filmografie von Murnau
- Anmerkungen zur Restaurierung des Films und über seine Besonderheiten (einige Fakten dieses Reviews stammen übrigens aus dem Booklet - allerdings in stark gekürzter und vereinfachter Form)
- Infos über "Sunrise" und den verschollenen Film "Four Devils"
Nun zur Bildqualität. Es ist wirklich nicht einfach, die Restaurierung zu beurteilen, da es sich ja bei dem verwendeten Filmmaster um eine im Jahr 1936 angefertigte Diacetat-Kopie handelt. Leider ist ein Vorher/Nachher-Vergleich nicht im Bonus enthalten. Verglichen mit ähnlich alten Werken wie Metropolis ist dieser Film jedoch schon um einiges schlechter restauriert. Es finden sich zahlreiche Bildfehler wie Kratzer, Dropouts und Verschmutzungen, die sicher mit einigem Aufwand hätten entfernt werden können. Auch die schwankende Bildhelligkeit ist mir negativ aufgefallen. Ansonsten sind aber Kontrast, Bildschärfe und Bitrate auf hohem Niveau.
Beim Ton sieht die Sache dann schon viel besser aus. Die Original Mono Movietone-Fassung klingt wirklich nicht schlecht und ein stärkeres Rauschen konnte ich auch nicht ausmachen. Zusätzlich wurde vom Olympia Champer Orchestra eine neue Tonfassung aufgenommen. Als dritte Tonspur ist ein Kommentar vom Filmexperten John Bailey enthalten.
Die optionalen deutschen Untertitel sind sehr gut lesbar und auch gut übersetzt.
Es gibt erstaunlich viel Zusatzmaterial, das ist gerade wegen des Alters des Films besonders verwunderlich. Die professionell gemachten Schmankerl für jeden Filmfreund sind wirklich sehr interessant und wirklich sehr gut ausgewählt.
Hier die Fakten:
- Making of "Sunrise" (viele Infos über Tricktechnik, das Set etc.)
- Deleted Scenes mit optionalen Audiokommentar von John Bailey
- Eine Dokumentation über den verschollenen Film Murnaus "Four Devils" - die Infos sind vom Filmhistoriker R. Dixon Smith zusammengetragen worden (Skizzen, Bilder, Zeichnungen etc.). Daraus kann man sich wirklich ein sehr gutes Bild von diesem verlorenen Film machen.
- Bilder vom Film und das Filmplakat
- Original Kinotrailer
- DVD-ROM Part mit dem Original Drehbuch von Carl Mayer, Original Drehbuch von F. W. Murnau mit seinen handschriftlichen Eintragungen, Treatment zu "Four Devils", Drehbuch zu "Four Devils"
Fazit:
Ein Meisterwerk! Dieser Film setzte wirklich in allen Belangen, wie Technik, Erzählweise und Beleuchtung in der damaligen Zeit neue Maßstäbe und ist ein absolutes "Must Have" für jeden Filmfreund, der sich für die Geschichte des Kinos im Allgemeinen interessiert. Viele der in diesem Kunstwerk erstmals verwendeten Stilmittel oder Kameraeinstellungen werden auch heute noch gerne in den aktuellen Werken verwendet. Warum dieser Film bei uns so unbekannt ist, kann ich deshalb wirklich nicht sagen. Doch auch ungeachtet seiner wegweisenden Technik und den sonstigen bahnbrechenden Neuerungen kann man den Film genießen. "Sunrise - A Song Of Two Humans" ist für mich einfach einer der schönsten Liebesfilme, die ich je gesehen habe. Wirklich herzerwärmend! Trotz seiner Klasse kann ich den Film jedoch nicht für jedermann empfehlen. Stummfilmhasser und Gelegenheitsgucker, die "nur" unterhalten werden wollen, sowie auch reine Actionfans werden das benötigte Interesse sicher nicht mitbringen, um ein wirkliches Vergnügen aus diesem Werk zu schöpfen.
- Redakteur:
- Detlev Ross