Abenteuer des Sherlock Holmes, Die
- Regie:
- Alfred L. Werker
- Jahr:
- 1939
- Genre:
- Kriminalfilm
- Land:
- USA
- Originaltitel:
- The Adventures of Sherlock Holmes
1 Review(s)
31.10.2007 | 19:29Sherlock zwischen Liebe und Juwelen
Sherlock Holmes' Erzfeind Professor Moriarty plant ein Jahrhundertverbrechen: Er möchte die Kronjuwelen aus dem Tower von London entwenden. Dieses Vorhaben kann aber nur gelingen, wenn Holmes mit anderen Dingen beschäftigt ist. Also inszeniert er einen Fall, in dem die grazile Ann Brandon zum Dreh- und Angelpunkt wird.
Filminfos
O-Titel: The Adventures of Sherlock Holmes (USA 1939)
Dt. Vertrieb: Koch Media (7. September 2007)
FSK: ab 6
Länge: ca. 79 Minuten
Regisseur: Alfred L. Werker
Drehbuch: Edwin Blum und William Drake nach dem Bühnenstück "Sherlock Holmes" (1899) von William Gillette
Musik: Cyril Mockridge
Darsteller: Basil Rathbone (Holmes), Nigel Bruce (Watson), Ida Lupino (Ann Brandon), George Zucco (Prof. Moriarty), Alan Marshal (Jerrold Hunter), Terry Kilburn (Billy), E. E. Clive (Inspektor Bristol), Henry Stephensomn (Ronald Ramsgate) u. a.
Handlung
Kaum dass Prof. Moriarty von einem Geschworenengericht von der Anklage des Mordes freigesprochen worden ist, platzt Sherlock Holmes in den Gerichtssaal, um das Alibi des Verbrechergenies als gefälscht zu widerlegen. Wie das gehen soll, erfahren wir nicht, denn die Sitzung wird geschlossen und Moriarty kann nicht wegen des gleichen Verbrechens nochmals der Prozess gemacht werden. Draußen vor dem Gerichtsgebäude nimmt Moriarty Holmes in seiner Droschke mit und schwört ihm Rache. Er werde seinen Widersacher durch ein Jahrhundertverbrechen bis auf die Knochen blamieren - und das werde das Ende des Meisterdetektivs sein.
In seinem Orchideengarten muss Moriarty zu seinem Leidwesen eine vertrocknete Blume entdecken. Ihr Mörder, der Diener Dawes, wird umgehend zur Schnecke gemacht. Während im Hintergrund ein Schatten auf einer Flöte eine melancholische Melodie spielt, erklärt Moriarty seinem Kutscher Bassick, wie er gedenkt, Sherlock Holmes auszutricksen. Er schickt zwei Botschaften ab.
Sir Ronald Ramsgate ist der Sicherheitschef des Tower of London. Er erbittet die Unterstützung von Sherlock Holmes, wenn bald der "Stern von Delhi", ein großer Smaragd, dem Kronschatz hinzugefügt wird. Holmes sichert sie ihm zu. Als nächster Besucher platzt Ann Brandon in Holmes' Wohnung. Sie fühlt sich verfolgt und zeigt Holmes den Grund. Eine Zeichnung, die einen Mann zeigt, an dessen Hals ein großer Vogel hängt. Daneben steht das Datum 11. Mai. An diesem Tag wurde ihr Vater in Südamerika ermordet. Nun soll auch noch ihr Bruder Lloyd, bei dem dieser Zettel abgegeben wurde, dran glauben. Sie fürchtet um sein Leben und erbittet Holmes' Hilfe. Soll sie zu Lady Conynghams Party gehen oder ist es zu gefährlich? Holmes will sie auf der Party schützen. Watson soll sich derweil um den Tower kümmern.
Wie ernst es seinem Widersacher Moriarty ist, wird Watson und Holmes klar, als Watson das Verbrechergenie in der Kanzlei von Ann Brandons Familienanwalt Jerrold Hunter erspäht. Schnell wird auch Holmes und Ann klar, dass der Vogel auf der Zeichnung ein Albatross ist, von jeher das Zeichen von Glück, wenn der Vogel fliegt, und Unglück, sobald man ihn tötet. Sie rasen per Droschke durch die Londoner Innenstadt, um Lloyd Brandons Leben zu retten. Doch sie kommen zu spät.
Merkwürdigerweise ist sowohl Lloyds Schädel eingeschlagen als auch sein Hals gewürgt worden. Die Tatwaffe ist daher ein Rätsel. Fußspuren weisen auf einen Klumpfuß hin, und später findet sich ein Glücksbringer mit Chinchillafell daran. Alle Spuren weisen auf einen Südamerikaner als Täter hin, doch Inspektor Bristol verhaftet erst einmal Jerrold Hunter, der neben dem Toten mit einem Revolver entdeckt wurde. Hunter behauptet, er habe Lloyd beschützen wollen.
Da erhält Ann Brandon selbst eine Morddrohung - für den 13. Mai, an dem die Party Lady Conynghams stattfinden soll. Holmes schwört, er werde die junge Dame beschützen. Watson fragt berechtigterweise: Und der "Stern von Delhi"? Um den soll er selbst sich kümmern, bestimmt Holmes. Watson erstrahlt vor Stolz über diese verantwortungsvolle Aufgabe, doch wir ahnen nichts Gutes. Nur in seltenen Fällen hat sich Dr. Watson (in den Filmen) seiner Aufgabe gewachsen gezeigt.
Unterdessen bereitet sich Professor Moriarty am 13. Mai wie stets pedantisch genau auf seinen großen Coup im Tower vor. Er lässt sich den Bart abnehmen und besorgt sich eine Polizistenuniform …
Mein Eindruck
Nun erst folgen die besten Auftritte und Szenen. Lang genug hat es ja gedauert. Der Westernregisseur Alfred L. Werker (1896-1975) aus Deadwood, South Dakota, zeigt eine wilde Kutschfahrt durch Londons City, als gälte es, wildesten Indianern zu entkommen. Auch das Ende von Holmes' und Watsons Kutschfahrt vor das Tor des Towers endet in einem actionreich inszenierten Unfall.
Den Höhepunkt aller Action und Verzögerungen bildet jedoch der Showdown zwischen Holmes und Moriarty im Tower of London. Warum sich Moriarty nicht mit den Kronjuwelen aus dem Staub macht, sondern unbedingt seinen Rivalen aus dem Weg räumen will, bleibt ein Rätsel, doch es sorgt für jede Menge dramatischer Spannung. Umgeben von stilvoll aufgenommenen Schattenspielen, die an Hitchcocks "Vertigo" erinnern, erklimmen die beiden Kontrahenten das Dach.
Dass der Tower lediglich eine andere Art von Dschungel darstellt, ist folgerichtig. Die Blutfehde, die in Südamerika begann, endete zuvor in einem Londoner Park, und das Burgdach, auf dem das Finale stattfindet, ist nun ein sinistrer Verhau aus Schornsteinen. Kein Wunder, dass sich hier Holmes in Tarzan-Manier auf seinen Gegner stürzen kann.
Vor diesem Finale verzögert der Plot die Spannung, indem Holmes / Rathbone eine unglaubliche Szene auf Lady Conynghams Party darbietet. Verkleidet als komischer Music-Hall-Sänger singt Rathbone den berühmten Dreißiger-Jahre-Hit "I do like to be beside the seaside". Wer ihn sieht, würde nicht glauben, es mit Rathbone / Holmes zu tun zu haben. Der Song wurde 1965 von den Beatles in Blackpool aufgeführt (ist also nur auf Bootlegs zu finden), wurde 1980 von John Lennon aufgenommen und 1973 von der Band "Queen" in ihren Song "Seven Seas of Rhye" eingebaut. (Der bisexuelle Freddie Mercury liebte diese alten Vaudeville-Stücke.) Auch die Schlussszene zwischen Watson und Holmes sorgt wieder für einen Lacher, als Watson endlich zu seinem Freund sagen darf: "Elementar, mein lieber Holmes!"
Die Hintergrundgeschichte um die Blutfehde zwischen der Familie des Gauchos Mateo aus Chile und den Brandons wird hingegen nur lückenhaft skizziert. Mateos Vater wurde von Ann und Lloyd Brandons Vater getötet und um seine Silbermine gebracht. Mateo schwor daraufhin, seinen Vater zu rächen und alle Brandons auszulöschen. Bei Lloyd und seinem Vater gelang ihm dies. Wie Moriarty von Mateo erfahren hat, bleibt ebenfalls im Dunkeln. Doch da der "Napoleon des Verbrechens" über eine internationale Verbrecherorganisation verfügt, könnte der Kontakt über dunkle Kanäle zustande gekommen sein.
Wie auch immer: Von Anfang an sorgt die Todesmelodie, welche Mateo auf seiner Flöte spielt, für unheimliche Schauder beim Publikum. Und als er vor Anns Haus aufkreuzt, sorgt er erneut für Aufsehen und Schauder. Ann muss Holmes sogar die Melodie vorspielen, obwohl diese gerade ihren Bruder verloren hat. Aber was tut man nicht alles für einen Meisterdetektiv, der einen nach absolvierter Leistung zu Bett schickt, denn es war "ein schwerer Tag für sie" - die Untertreibung des Jahrhunderts!
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 4:3
Tonformate: D und Englisch in DD 2.0
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
- Bildergalerie
- Audiokommentar von Richard Valley (mit Untertiteln)
Mein Eindruck: die DVD
Bild und Ton sind noch besser als bei "Der Hund von Baskerville", denn die störenden Artefakte fehlen oder wurden systematisch entfernt. Mit modernen digitalen Mitteln geht das sehr gut, auch wenn es nicht sonderlich billig zu machen ist. Solch eine Software hat sicherlich ihren stolzen Preis.
~ Extras ~
Die Bildergalerie verblüffte mich mit farbigen Darstellungen, und zwar sowohl auf dem Filmplakat als auch in den Filmszenen. Viele weitere Szenen im gewohnten Schwarzweiß folgen, allerdings auch eine oder zwei aus "Der Hund von Baskerville". Nur dort beschäftigt sich Holmes eingehend mit den Stiefeln des potentiellen Opfers.
Der Audiokommentar wird von Richard Valley bestritten, dem Herausgeber des "Scarlet Street Magazine". Ohne Zweifel ist Mr. Valley ein sehr kenntnisreicher Mann, denn er liefert ungefragt Biografien und Filmografien zu folgenden Darstellern:
Ida Lupino
Henry Stephenson
George Zucco
Peter Willes
Alan Marshal
Terry Kilburn
E. E. Clive
Arthur Hohl
Mary Gordon
Alfred L. Werker (Regisseur)
Auffällig ist das Fehlen von Nigel Bruce (Watson) und Basil Rathbone (Holmes). Der Grund dafür: Sie wurden bereits im Audiokommentar zu "Der Hund von Baskerville" ausführlich vorgestellt und sogar kritisiert. Der Anlass für Kritik ist besonders "Das Nigel-Bruce-Problem". Ist Bruce ein angemessener Darsteller Watsons oder ist er eine komplette Fehlbesetzung? Darüber stritten sich schon viele Fachleute. Zu seiner Erklärung sei gesagt, dass Bruce stets die komödiantische Rolle spielte, die als "buffoon" bezeichnet wird.
Dies ist nicht nur ein komischer Trottel, sondern er ist auch eingebildet, eitel, hält viel von sich selbst, ist Damen gegenüber zuvorkommend und dem Genuss gegenüber aufgeschlossen. Eigentlich ist ein buffoon also recht nett, doch mit ihm ist leider wenig anzufangen, was die Verbrecherhatz anbelangt. Das hat Bruce nicht daran gehindert, zusammen mit Rathbone über 300 "radioplays" zu Sherlock Holmes aufzunehmen. Valley stellt sich eindeutig auf Bruces Seite, indem er ihm ein "unbestechliches Gefühl für Timing" bescheinigt.
Richard Valley kennt auch das Drehbuch zu diesem Film in- und auswendig. Zweimal wurde eine Szene in drei Versionen gedreht, mal zu deren Vor-, mal zu deren Nachteil. Valley gibt uns auch die jeweils anderen beiden Versionen zum Besten, so dass wir sehr gut selbst vergleichen können.
Einen tollen historischen Exkurs leistet sich Valley, der ja rund 80 Minuten zu füllen hat, mit der Geschichte über den tatsächlich im Jahr 1671 stattgefundenen Raub der Kronjuwelen. Ich werde dies nicht wiederholen, sondern verweise auf den ausgezeichneten Audiokommentar. Dieser ist deutsch untertitelt und sollte ohne weiteres gut zu verstehen sein.
Der Übersetzer der Untertitel erlaubt sich jedoch einen dicken Schnitzer, als er "Midwich Cuckoo" - so bezeichnet Valley den Darsteller von "Lloyd Brandon" und assoziiert dabei die Verfilmung eines John-Wyndham-Romans - als "mittelmäßigen Trottel" oder ähnlich bezeichnet. Dabei sind die Midwich Cuckoos Wyndhams genial begabte Mutantenkinder. Der Übersetzer hat die Referenz offensichtlich nicht erkannt.
Unterm Strich
Richard Valley, der Kommentator, kommt zu dem Schluss, dass dieser Film wohl die beste aller Sherlock-Holmes-Verfilmungen sei: spannend, amüsant, abwechslungsreich usw. Merkwürdig ist dabei, dass die einzige Vorlage, auf die sich die beiden Drehbuchautoren Blum und Drake stützen konnten (s.o.), fast überhaupt nicht mehr zu erkennen ist. Und es gab auch keine Storyvorlage von Doyle selbst für diesen Stoff, vielleicht aus rechtlichen Gründen. (Valley macht entsprechende Andeutungen.)
Doch es gibt zahlreiche Motive, die aus Doyles Holmes-Geschichten stammen könnten: so etwa das des Unheilsbringers, der Morddrohungen, der jungen Frau in Bedrängnis, der Holmes & Watson selbstredend beistehen wollen (bei Doyle heiratet Watson sogar besagte junge Dame) und schließlich natürlich die Bande von Verbrechern auf der Gegenseite. Prof. Moriarty, hervorragend gespielt von George Zucco, ist für Holmes ein würdiger Gegner. Er hält sich nur merkwürdig lange mit den Kronjuwelen auf und wirkt dadurch wie ein Vetter von Gollum ("Mein Schatz!", das sagt er aber nicht).
Damit die beiden Seiten nicht eindeutig getrennt sind, gibt es noch eine falsche Fährte, im Englischen auch als "red herring" bezeichnet: Jerrold Hunter (Alan Marshal), der dann schließlich doch noch "sein Mädchen" bekommt. Romantik muss eben sein, sonst beschwert sich das weibliche Publikum.
Die DVD ist mit einem ausgezeichneten Audiokommentar sowie einer Bildergalerie mit Farbbildern versehen - eindeutig ein Sammlerstück. Ich kann die Silberscheibe ernsthaften Sammlern ohne weiteres empfehlen.
- Redakteur:
- Michael Matzer