Spider Forest - Wald der verlorenen Seelen
- Regie:
- Il-gon Song
- Jahr:
- 2004
- Genre:
- Thriller
- Land:
- Südkorea
- Originaltitel:
- Geomi sup
1 Review(s)
24.09.2007 | 11:30Sex und Blut in den Erinnerungsschleifen
Eine junge Frau und ein Mann werden in einer abgelegenen Hütte in einem Wald brutal ermordet. Kang, der die Leichen entdeckt, verfolgt den vermeintlichen Killer, wird dabei jedoch von einem Auto angefahren. Nachdem er aus einem Koma erwacht, muss er feststellen, dass er der Hauptverdächtige in dem Fall ist. Doch Kang wird von Gedächtnisverlust geplagt. Während die Polizei seiner Version der Geschichte nachgeht, versucht er, die Wahrheit über den Mörder und sich selbst herauszufinden.
Filminfos
O-Titel: Geomi sup (Südkorea 2004)
Dt. Vertrieb: e-m-s (2. August 2007)
FSK: ab 16
Länge: ca. 113 Min.
Regisseur: Il-gon Song
Drehbuch: Il-gon Song
Musik: Min-hwa Yun
Darsteller: Byung-ho Son, Hyeong-seong Jang, Jung Suh, Kyeong-heon Kang, Seong-cheol Jang, Seung-kil Jeong, Won-sang Park, Woo-seong Kam, Yeong Yun, Yeong-jae Kim u. a.
Handlung
(Die Darstellung der Handlung ist etwas verschachtelt, deshalb soll sie zum besseren Verständnis in Ebenen eingeteilt werden.)
~ Ebene 1 ~
Der Fernsehreporter Min Kang hat in einem Haus im so genannten Spinnenwald, einem anonymen Tipp folgend, zwei Menschen vorgefunden. Die Leiche eines älteren Mannes liegt im Wohnzimmer inmitten eines Blutbades, doch im Schlafzimmer liegt eine Frau, die noch lebt. Es ist Suyong, Mins Verlobte. Sie stirbt in seinen Armen. Was hatte sie hier zu suchen? Als er einen Beobachter am Fenster sieht, folgt er ihm, doch im nächtlichen Wald wird er selbst zum Gejagten, wird niedergeschlagen und seiner Ausrüstung und Ausweise beraubt. Als er in einen nahen Tunnel der Landstraße wankt, wird er überfahren und wacht erst im Krankenhaus wieder auf.
Nach einigen Tagen der Genesung von der Schädel-OP ist er fähig, seinem Freund, dem Polizeikommissar Sungchun Choi, zu erzählen, wie es zu all dem kommen konnte. Dies ist:
~ Ebene 2: Min Kangs Geschichte. ~
Min Kang war frisch mit der Tänzerin Eunah verheiratet, als diese bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam. Er verlor allen Lebensmut und versaute mehrere Jobs. Er freundet sich mit der neuen Ansagerin Suyong Huan an, sie werden ein Liebespaar, bis er ihr nach einem Jahr einen Heiratsantrag macht. Seltsam, dass sie so lange darüber nachdenken muss, ob sie den Antrag annimmt.
Min hat einen anonymen Anruf Anruf bekommen, der von einer Postsendung begleitet ist. Ein Hinweis auf ein Thema, das Min als Redakteur für "Mysterien am Abend" interessieren sollte: Geister im Spinnenwald. Beigelegt ist eine Filmrolle. Die muss er erst noch entwickeln, aber wenn es den vom Anrufer angegebenen Fotoladen auf dem Lande gibt, wo der Spinnenwald liegt, kann er beide Aufgaben miteinander verbinden.
Auf dem Dorf lernt er in dem Fotogeschäft die junge Su-in Min kennen. Bevor sie ihm ein Interview über den Spinnenwald gibt, lässt er sie ein Passfoto anfertigen, denn auf diese Weise braucht er ihr kein Honorar zahlen, kann ihr aber dennoch etwas für ihre Mühe geben. Während er einen Tag auf die Entwicklung der Fotos wartet, folgt er den anonymen Anweisungen und begibt sich zum Haus im Spinnenwald. Es bricht ihm fast das Herz, als er seine Verlobte Suyong hineingehen sieht, um seinen Chef zu einem Schäferstündchen zu treffen.
Während es die beiden miteinander treiben (sie sieht dabei nicht sehr glücklich aus), überlegt Min, ob er sie töten soll. Eine Sichel aus dem Schuppen wäre das passende Werkzeug. Doch ein knackender Zweig verrät einen Beobachter, und Min bläst die Aktion ab. Er sieht ein Mädchen im Wald stehen und einen Mann davongehen. Eine Spinne beißt ihn, so dass er am nächsten Tag, als Su-in ihn im Wagen weckt, bereits hohes Fieber hat. Während sie ihn gesundpflegt, erzählt sie ihm anstelle eines Interviews eine Geschichte von zwei Kindern ...
~ Ebene 3: Su-ins Geschichte. ~
Eine Geschichte aus der Vergangenheit des Spinnenwaldes. Ein Junge von zehn bis zwölf Jahren, dessen Lehrer an diese Schule versetzt worden war, kommt in die Klasse, in der auch das schweigsame Mädchen sitzt, das mit seiner Mutter in einer Hütte im Spinnenwald lebt. Über ihre Mutter gehen böse Gerüchte um. Aber das weiß der Junge nicht, der sich in das Mädchen verliebt, das für sein Leben gern zeichnet und malt. Erst zerreißt er ihre Zeichnung vom Wald, dann setzt er sie wieder zusammen. So werden sie Freunde und sie nimmt ihn zu ihrem Haus mit.
Dort müssen sie ganz still sein, während ihre Mutter einen Freier empfängt. Doch das Schäferstündchen endet blutig, und die Kinder rennen in den Wald. Der Junge fällt mit dem Kopf auf einen Stein. Als er wieder erwacht, schwebt das Mädchen in den Himmel. Lange Zeit war der Junge krank und verlor die Erinnerung an diese Vorgänge. Er verließ schließlich das Dorf mit seinem Vater. Es geht das Gerücht, das Mädchen erscheine bis heute im Spinnenwald, denn seine Leiche ist nie aufgetaucht.
~ Ebene 2 ~
Min Kang hat Kopfschmerzen, aber endlich erinnert er sich deutlich an den Moment, als er von Eunah Abschied nahm, die Nachricht vom Absturz ihres Fliegers im TV verlesen wurde und er auf den Flughafen ging, um dort vor ihrem Bild zu trauern. Er bemerkte Su-in nicht, die ihren Vater verloren hatte. Der Fotoapparat, den man ihm aushändigte, war leer - kein Film. Als er in Su-ins Labor die anonym zugeschickte Filmrolle entwickelt, ist es genau dieser Film: Fotos von Eunah, von den Flitterwochen - und vom Spinnenwald. Wie kann das sein?
Min bekommt einen ersten Hinweis, was los ist, als er mit Su-in in einem Sessellift über den Spinnenwald fährt und sie ihm eine Legende erzählt. "Hier verweilen die vergessenen Seelen in der Gestalt von Spinnen. Nur durch die Erinnerung anderer können sie aus ihrem Zustand erlöst werden."
~ Ebene 1 ~
Für Kommissar Choi ist der Fall völlig klar. Irgendjemand will seinem Freund den Doppelmord aus der Waldhütte in die Schuhe schieben, aber wer? Für ihn wie auch für Min Kang ist klar, dass es eine Antwort gibt und sie im Spinnenwald zu finden sein muss. Beide begeben sich dorthin, doch für Min endet dieser Ausflug auf völlig unerwartete Weise.
Mein Eindruck
~ VORSICHT: SPOILER! ~
Der Schlüsselsatz lautet: "Hier verweilen die vergessenen Seelen in der Gestalt von Spinnen. Nur durch die Erinnerung anderer können sie aus ihrem Zustand erlöst werden." Diese Aussage wird bis zur letzten Konsequenz durchgespielt und dies bedeutet, dass möglicherweise der ganze Film die Erinnerung eines toten Jungen namens Min Kang abbildet. Aber warum nicht? Denn schließlich geht nicht darum, ob nun eine Ebene "realer" ist als die andere, sondern darum, sich überhaupt zu erinnern. Der ganze Film ist Erinnerungsarbeit, um im Sinne obigen Satzes zu Erlösung zu gelangen und anderen Erlösung zu bringen.
Zunächst erinnert sich Min Kang an seine drei Frauen: Eunah, Suyong Huan und schließlich Su-in Min. Su-in ist identisch mit jenem Mädchen, das in den Himmel entschwebte und den Jungen zurückließ. So viel ergeben Mins Recherchen und der logische Schluss daraus. Sie entwickelt sich, als seine erste Liebe, zur Heilerin (sie bereitet ein Heilmittel aus Spinnweben!) und Seelenführerin. Denn die Reise Min Kangs ist erst dann zu Ende gebracht, wenn er sich selbst begegnet. Diese Selbstbegegnung offenbart ihm, wer seine Freundin Suyong Huan getötet hat und in welchem Existenzzustand er sich befindet. Mehr soll nicht verraten werden.
~ ENDE SPOILER ~
Der "Wald der verlorenen Seelen" symbolisiert die Wirklichkeit, wenn sie entwertet worden ist, weil die Erinnerungen gestorben sind. Immer wieder erleidet die Hauptfigur einen Tod, der mal größer (Herzstillstand), mal kleiner (Bewusstlosigkeit, Schlaf) ist. Alle solche Leerstellen sind Gateways zu Erinnerungen, die verschüttet sind. Diese verschütteten Erinnerungen entsprechen den "verlorenen Seelen", die Min Kang vergessen hat: Eunah ebenso wie Su-in.
Doch Suyong Huan ist ein anderer Fall, da sie Mins Gegenwart der Ebene 2 angehört. Allerdings gibt es zu ihrem Ende widersprüchliche Informationen - wer hat sie auf dem Gewissen? Diese Wahrheit zu finden, ist eine von Mins Aufgaben. Darin ähnelt er der Hauptfigur in Hitchcocks "Vertigo". Dass sich Min sich selbst begegnet und beobachtet, ist ein Widerspruch, der sich nur durch die Vorgabe auflösen lässt, dass alles Gezeigte Erinnerung ist. Da der Träumer hier Gott ist, kann er sich auch mehrfach inkarnieren.
~ Zeitschleifen ~
Der Klappentext gibt bereits den richtigen Hinweis auf David Lynchs "Lost Highway". Doch während dort nur eine Zeitschleife aus der Parallelwelt in die "Ausgangswelt" zurückführt, sind es in "Spider Forest" gleich mehrere Schleifen, die geschlossen werden - siehe oben. Aber die Verletzung der Kausalität ist in einem Traum aus Erinnerungen nicht relevant. Wichtig sind die erinnerten Seelen und Szenen. Diese sind oft von erlesener Schönheit und mit schöner, elegischer Musik unterlegt.
~ Sex und Gewalt ~
Was nicht so recht in diese Stimmung passen will, sind die expliziten Sexszenen (keine Angst, man sieht keine Geschlechtsteile) und die äußerst brutale Gewaltszene. Diese erklärt, wie die beiden Leichen des Anfangs zu Tode gekommen sind. Ich jedenfalls möchte nie wieder einen Mord, der mit einer Sichel begangen wird, sehen. Der erste Schlag trifft zwar die Schulter, lässt aber eine Blutfontäne spritzen, die einer Aorta würdig wäre, und die sitzt bekanntlich im Hals statt in der Schulter. Hier stimmt etwas nicht. Der letzte Schlag spaltet den Schädel des Opfers - in Großaufnahme. Gesegnet, wer über einen stabilen Magen verfügt. Relativiert wird diese Szene nur durch den Umstand, dass alles hier Erinnerung oder Phantasie ist, mithin auch diese Bluttat. Dennoch hätte sich der Regisseur in ihrer expliziten Darstellung zurückhalten können.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1,85:1 (anamorph)
Tonformate: D in DD 5.1, Koreanisch in DD 5.1
Sprachen: D, Koreanisch
Untertitel: D
Extras:
- Behind the Scenes (18:40)
- 2 Trailer & 1 Teaser
- 2 Musikvideos (je 4-5 Min.)
- Trailershow
Mein Eindruck: die DVD
Die Qualität von Bild und Sound genügt aktuellen Maßstäben, auch wenn hier weder HD noch DTS vorliegen. Die Anlage des Zuschauers sollte auf jeden Fall die ultratiefen Frequenzen wiedergeben können, die bei allen unheimlichen Szenen zum Einsatz kommen. Sie erzeugen im Zuschauer unwillkürlich ein Gefühl der Gefahr und waren sehr deutlich zu vernehmen.
~ Bonusmaterial ~
Neben der sechsteiligen Trailershow zeigt die DVD einen Teaser (1:11 Min.) und zwei völlig unterschiedlich geschnittene Trailer, je einen in Koreanisch und in Deutsch. Die unterlegte Musik ist jedoch das gleiche Stück melancholische Kuschel-Pops, das wie Michael Jackson klingt, aber mit koreanischem Text. Befremdlich sind allerdings die 20 Sekunden langen Pausen im Stück. Der kurze Trailer dauert 4:23 Min., der lange 4:59 Minuten. Der Eindruck, den sie vermitteln, ist der eines verwirrenden Horrorschockers mit Mysteryanteil. Der Film selbst hat nur eine Horrorszene, sondern setzt voll auf subtile Mystery-Stimmung, wie man sie in Lynchs "Lost Highway" findet.
Das Filetstück des Bonusmaterials besteht in einem "Behind the Scenes" genannten, 18:40 Minuten langen Beitrag, der dokumentieren soll, wie die Dreharbeiten abliefen. Da es keinen Off-Kommentar gibt, sondern nur O-Ton, handelt es sich schwerlich um die "Making-Highlights", wie der Beitrag von sich selbst behauptet. "Behind the Scenes" ist die B-Roll von nicht weniger neun oder zehn Szenen des Films. Am interessantesten ist gleich am Anfang die Darstellung von Eunah und Min Kang in den Flitterwochen. Diese Aufnahmen tauchen nämlich nur auf den Fotos auf, die Min Kang findet oder selbst entwickelt. Die anderen Szenen sind alle im Film zu finden. Nur einmal wird so etwas wie ein Interview mit einem weiblichen Mitglied der Crew geführt, doch die Frau hat nicht viel mehr zu sagen, als wie gut es hier gefällt.
Neben der Werbung bekommt man also nur einen unkommentierten Eindruck von den Dreharbeiten. Das ist eine ziemlich magere Ausbeute für so viele Minuten Bonusmaterial.
Unterm Strich
Nach Analyse der beiden Hauptkomponenten des Streifen, nämlich der "Lost-Highway"-artigen Erinnerungsschleifen und der expliziten Sex- und Gewaltszenen, bleibt - wen wundert's - ein zwiespältiger Eindruck. Und ich frage mich, wen dieser Streifen interessieren könnte. Vielleicht Leute, die von "Lost Highway" zwar fasziniert, aber auf die Dauer angeödet waren, weil weder Sex noch Gewalt in ausreichendem Maße vorkamen.
Oder es sind Kinofans, die sich für ihren cineastischen Trip in den mystischen asiatischen Wald eine möglichst verzwickte Handlung wünschen, aber dabei Sex und Gewalt durchaus in Kauf nehmen. Zu Letzteren gehöre ich wohl, aber mit den genannten Einschränkungen. Auf jeden Fall ist "Spider Forest" ein viel versprechender Ansatz zu Höhenflügen von mystischer Komplexität. Nur mit gewissen Zutaten kann ich mich nicht anfreunden.
- Redakteur:
- Michael Matzer