Loverboy - Liebe, Wahnsinn, Tod
- Regie:
- Kevin Bacon
- Jahr:
- 2005
- Genre:
- Drama
- Land:
- USA
1 Review(s)
24.08.2007 | 05:26Das Gluckensyndrom der Samenjägerin
Emily Stoll ist intelligent, schön und wohlhabend, sie hat alles bis auf eine Sache, die ihr Glück perfekt machen würde: ein Kind. Um diesen Traum zu verwirklichen, stürzt sie sich mit voller Leidenschaft in die Männerwelt, bis sie eines Tages schwanger wird und einen Sohn bekommt. Von nun an zählt nur eins in ihrem Leben: Sohn Paul! Die Liebe zu ihm ist unerbittlich und allmählich entwickelt sich aus der einst so liebevollen Mutter eine paranoide und von Liebeswahn verfolgte Mutter, die mit ihrem Sohn in ihrer ganz eigenen Welt lebt ...
Filminfos
O-Titel: Loverboy (USA 2005)
Dt. Vertrieb: e-m-s (21.06.2007)
FSK: ab 12
Länge: ca. 83 Min.
Regisseur: Kevin Bacon
Drehbuch: Hannah Shakespeare, nach dem Roman "Loverboy" von Victoria Redel
Musik: Michael Bacon
Darsteller: Kyra Sedgwick (Emily Stoll), Marisa Tomei (Sybil Stoll), Dominic Scott Kay (Paul Stoll), Kevin Bacon (Marty Stoll), Matt Dillon (Mark), Sandra Bullock (Mrs. Harker), Sosie Bacon (Emily Stoll mit 10), Campbell Scott (Paul aus Des Moines) u. a.
Handlung
Emily Stoll (Sedgwick) hat es nicht nötig, Geld verdienen zu müssen. Das ist das Wichtigste, was man über sie wissen muss: keine Arbeit, unabhängig und frei. Aber auch einsam. Als ihre Eltern, die selbstverliebten Neureichen Marty (Kevin Bacon) und Sybil (Marisa Tomei) sich 1977 das Leben nahmen, ließen sie eine unglückliche Emily einsam zurück. Nur eine schöne Erinnerung hat Jung-Emily (Sosie Bacon) an jene Zeit zurückbehalten: als Mrs. Harker (Sandra Bullock), eine überraschenderweise alleinerziehende Frau, sie mittenmang auf den Mund geküsst hatte ... um dann von einem auf den nächsten Tag wegzuziehen. Kann man es verstehen, dass Emily eine gewisse Bindungsangst verspürt? Man kann.
Emily jagt die Männer, als sie langsam Torschlusspanik bekommt - schon 35 und noch immer ohne Kinder! Emily, nicht blöd, lacht sich keinen Kerl an, sondern lässt sich entsprechende Samenspenden schicken (wozu hat man Kleingeld?). Als auch diese Injektionen nichts fruchten, muss der naturbelassene Spender herhalten, natürlich nur in seiner virilsten Variante. Doch erst nach einer wunderbaren Liebesnacht mit dem Vertreter Paul aus Des Moines erzielt Emily ihre Sechs im Baby-Lotto: Klein-Paul ist in der Pipeline.
Endlich allein zu zweien, Emily und ihr Baby. Doch dann der Schreck, als Klein-Paulie fremdgeht - an der Brust einer anderen Frau. So etwas darf nie wieder vorkommen, und fortan hält Emily ihren Sohn fern von störenden Einflüssen der Außenwelt. Bis er schließlich sechs Jahre alt wird und sich die Kinder in der Nachbarschaft wundern, warum er nicht wie sie in die Schule geht.
Emily vertritt Maria Montessoris Auffassung gegenüber den herkömmlichen Schulen, dass diese nämlich Kinder nicht gemäß deren Individualität behandeln, sondern nur als kategorisierte Typen. Folglich stellt Emily keinen Antrag auf Einschulung und unterrichtet Paul (Dominic Kay) selbst. Eine der häppchenweise eingestreuten Szenen zeigt Emily, wie sie dem sechsjährigen Paul das Autofahren beibringt. Dabei geht sie sogar so weit, die Türverriegelung zu schließen, wenn er aussteigen will. Emily kann recht unerbittlich sein. Aber Paul liebt sie.
Aber es gibt ein kleines Problem: "Wo ist mein Daddy?" will er wissen, und als sie wieder mal eine ihrer fantasiereichen Geschichten erfindet, wischt er das vom Tisch, denn er hat sie durchschaut. Wieder einmal greift Emily zu ihrem Patentrezept für die Lösung einer solchen Krise: einen Ausflug. Am Meer lernen die beiden Stolls den Geologen Mark (Matt Dillon) kennen, der zufällig auch Hummer fischen kann. Nach einer netten Strandparty mit der Vermieterin Rawley lädt Mark, Rawleys Neffe, Paul zu einer kleinen Angelpartie auf dem Meer ein. Emily beäugt ihren Augapfel mit wachsamen Mutteraugen. Genau wie in der Schule oder auf dem Spielplatz.
Aber als Emily um Pauls willen andeutet, dass Mark doch zu ihnen ziehen könnte, um seine Doktorarbeit zu schreiben, streikt Paul. Auch er will nicht teilen, wenn es um seine Mutter geht. In der Schule wird Emily einer psychologischen Beratung unterzogen, denn ihr übermäßiges Beschützen Pauls verursacht jede Menge Probleme. Sie erklärt kategorisch, dass sie ihren Sohn nicht mehr in die Obhut dieser Schule zu geben gedenkt. Die Konsequenz, die sie zieht, ist ihr bereits vom Beispiel ihrer Eltern gut bekannt ...
Mein Eindruck
Das Gluckensyndrom ist ja nichts Neues, deshalb kommt es darauf, die Story so interessant und einzigartig wie möglich zu gestalten, um dem Zuschauer unterhalten zu können. Das glückliche Zusammenleben zwischen Mutter und Sohn dürfte in seinen außergewöhnlichen Aspekten allerdings nur Familien und andere Mütter unterhalten; ich fand es lediglich kurios.
Sicherlich ist es ungewöhnlich, einem Schaf seine Träume ins Ohr zu flüstern, damit diese so ihren Weg zu den Göttern finden. Wäre ich ein kleiner Junge, fände ich es wahrscheinlich auch geil, meine Mutter zu dirigieren, wenn sie Luftquerflöte spielt, während karaokemäßig ein Flötenquartett erklingt. Es brächte vermutlich auch eine Menge Spaß, meine Schlafzimmerwände mit lila Farbe so zu dekorieren, wie es mir gefällt.
Aber ich fände es wie Paul wahrscheinlich ziemlich uncool, wenn mich meine Mutter ständig "Loverboy" nennen würde, und das auch noch vor anderen Leuten - megapeinlich! Von mir aus könnte sie sich tausendmal "Miss Darling" nennen und von einem niemals endenden Zusammensein träumenden.
~ Biografie als Erklärung ~
Da die Handlung nonlinear erzählt ist, um das Verhalten Emilys aus ihrer Biografie zu erklären, werfen wir einen Blick auf eine der schrägsten Epochen des 20. Jahrhunderts: die siebziger Jahre. Man bekommt schon Augenkrebs von den grellen Farben, den blumigen Klamotten, der Riesenbrillen, aber dann auch noch Marty und Sybil Stoll als selbstverliebtes Elternpärchen im Schaumbad - das ist auch für Klein-Emily zu viel.
Kein Wunder, dass sie als Kontrastprogramm eine viel bessere Mutter sein will als ihre nymphomanische Sexspielzeug-Mutter. (Die von Marisa Tomei mal überkandidelt, dann aber wieder voll "betroffen" gespielt wird.) Emilys Vater ist zwar furchtbar stolz auf sie, aber als er Lungenkrebs bekommt, kann er ihr nur wenig helfen. Regisseur Kevon Bacon mimt den Koteletten tragenden Musikfreak halbwegs glaubhaft, aber allein schon die Vorstellung, die Hippie-Abkömmlinge könnten ihr Kind in einer Neureichenvilla aufziehen, verletzt einige liebgewonnene Klischees.
~ Soundtrack ~
Wann immer die Stolls auftreten, erklingt das Disco-Stück "Love is in the air". Im Zusammenhang mit Klein Paul erklingt jedoch ein altes schottisches Wiegenlied: der "Skye Boat Song". Es ist wunderschön, wenn man, wie ich, Folkmusic mag. (Geschrieben und gesungen haben es Michael Bacon und seine Schwägerin Kyra Sedgwick.) Eines der bemerkenswertesten Stücke des Soundtracks ist jedoch ein Jimi-Hendrix-Song aus seiner Londoner Zeit. Es klingt ein wenig wie "Little Wing". Leider ist wie bei "Love is in the air" der Vokalpart ausgeblendet. Das Stück erklingt zuerst, als Jung-Emily Mrs. Harker, ihren Marienersatz, kennenlernt und bezeichnet die bittersüße Erinnerung an eine Liebe, die nicht sein durfte - weil sie nämlich lesbisch war.
~ Life on Mars? ~
Eine der stärksten und komischsten Szenen ist für mich Jung-Emilys Auftritt beim Vortragswettbewerb an ihrer Schule. Nach einer Schülerin, die ein Shakespeare-Sonett rezitiert hat, folgt Emily - und singt David Bowies Stück "Life on Mars", eine schneidende Verdammung von Spießern und anderen "Höhlenmenschen". Emily (Sosie Bacon) schmettert den Refrain aus voller Brust. Yeah. Baby! Ihre Eltern beziehen die Verse des britischen Dandys und Proto-Punks auf sich und ergreifen peinlich berührt die Flucht. Die einstigen Rebellen gegen die Spießer der fünfziger und sechziger sind inzwischen selbst schuldbewusste Spießer geworden und zu Selbstkritik völlig unfähig.
~ Schwächen ~
Der Film hat also seine Momente, doch in Ermangelung eines klassischen Konflikts reiht sich ein Kuriosum an das nächste, ohne dass eine verhängnisvolle Entwicklung deutlich erkennbare würde. Vielleicht ist das eine Schwäche, die schon im Buch angelegt war, aber von Drehbuchautorin Hannah Shakespeare nicht sauber ausgeglichen wurde, indem sie den wachsenden Konflikt Emilys mit der Außenwelt nicht dramatischer herausgearbeitet hat.
Die DVD
Technische Infos
Bildformate: 1,85:1 (anamorph)
Tonformate: D in DD 5.1, Englisch in DD 5.1
Sprachen: D, Englisch
Untertitel: D
Extras:
- Originaltrailer englisch und deutsch
- Making Of (16:00 Min.)
- Bio- und Filmografien
- Fotogalerie
- Trailershow
Mein Eindruck: die DVD
Man merkt es der Ton- und Bildqualität nicht an, dass der Film nur mit wenig Geld gemacht wurde. Aber beim Soundtrack offenbart sich die Beschränkung: Immer wieder werden die gleichen hymnenhaften Motive verwendet, so etwa das Jimi-Hendix-Stück und der Disco-Hit "Love is in the air" - alles ohne Gesang. Sogar der "Skye Boat Song" wird wiederholt: am Anfang singt Sedgwick zu Akustikgitarre, am Schluss Michael Bacon, der Komponist.
~ EXTRAS ~
Neben der Fotogalerie (inklusive Fotos von den Dreharbeiten), den zwei Originaltrailern in Englisch und Deutsch sowie den Bio- und Filmografien zu Matt Dillon, Kyra Sedgwick, Sandra Bullock und Kevin Bacon bietet die DVD auch ein Making-of. In knapp 16 Minuten stellen sich Kevin Bacon, seine Frau Kyra Sedgwick, Dominic Kay (Paul mit sechs Jahren) sowie Produzent Daniel Bigel vor.
Kyra bekam das Buch von einer begeisterten Bekannten in die Hand gedrückt: "Sie MÜSSEN das lesen!" Kennt man ja. Nach drei Vierteln des Buches merkte sie dann, was Emilys Problem war - genau wie ich bei diesem Film. Kyras Mann Kevin wollte einen Film daraus machen - mit ihm als debütierendem Regisseur. Immerhin wollte die Castingmanagerin von "Mystic River" das Casting übernehmen. Die Bacons spannten so viele von ihrer Sippe ein, wie sie konnten. Das dürfte die Personalkosten beträchtlich gedrückt haben.
Es geht um die falsche Exklusivität der Liebe: Bei Emilys Eltern selbstbezogen, bei Emily auf ihren Sohn bezogen. Als Emily merkt, dass sie die Kontrolle verliert, weil die Außenwelt stärker ist als ihre Macht über ihr Kind, zieht sie die Notbremse. Dass Paul, wie sie glaubt, ein außergewöhnliches Kind ist, glauben wir gerne, wenn wir sehen, wie Dominic Kay intensiv den Paul spielt. Kay erklärt uns auch die Sache mit dem Durchstoßen der Türscheibe. (Das war cool!)
Leider fällt kein Wort über die Musik oder die Kameraarbeit. Man dachte wohl, dass dies das Publikum dieses Films nicht so interessiert. Der Film ist völlig fernsehtauglich, wenn auch hier und da eine entblößte Frauenbrust hervorspitzt, und hat eine pädagogisch wertvolle Botschaft zu vermitteln. Alle Mütter - vielleicht sogar Väter - kommen folglich als Publikum in Frage. Die Kritiken waren entsprechend wohlwollend. Schließlich hat Bacon in einem OSCAR-gekrönten Film mitgespielt: Clint Eastwoods "Mystic River".
Unterm Strich
Aus einem im Ansatz vorhandenen Sittengemälde der siebziger und neunziger Jahre ergibt sich ein Mutter-Kind-Drama, so dass der Film etwas unentschlossen scheint, was er denn nun eigentlich sein will. Kyra Sedgwick trägt den Film, keine Frage, doch als Frau des Regisseurs kann sie sich etliche Freiheiten herausnehmen. Zunehmend erscheint uns ihre Emily als zunehmend paranoid und unfähig zu teilen und sich zu binden. Ich war mir nie sicher, ob ich diese Emily-Darstellung ernst nehmen kann oder sie nur eine Karikatur ist (was sie wohl nicht sein sollte). Das schadet der ernst zu nehmenden Botschaft des Films - siehe oben.
Der Film hat seine gelungenen Momente, doch der Empfehlung des Produzenten, ihn noch einmal anzusehen, möchte ich nicht ohne weiteres folgen. Angeblich gebe es dabei noch einiges an Zusammenhängen zu erkennen. Ich kann den Tipp nur weitergeben.
Das Bonusmaterial wertet die durch den Film nur mittelmäßige DVD einigermaßen auf und ich bin bereit, insgesamt eine Empfehlung auszusprechen. Der Film ist sicherlich einen Blick wert, wenn man der oben angesprochenen Zielgruppe angehört.
- Redakteur:
- Michael Matzer