Nicotina
- Regie:
- Hugo Rodríguez
- Jahr:
- 2003
- Genre:
- Komödie
- Land:
- Mexiko / Argentinien / Spanien
- Originaltitel:
- Nicotina
2 Review(s)
20.02.2008 | 16:33Daten:
Regisseur: Hugo Rodríguez
Drehbuchautor: Martín Salinas
Originalmusik: Fernando Corona
Kamera: Marcelo Iaccarino
Buch: Martín Salinas
Darsteller:
Diego Luna als Lolo
Lucas Crespi als Nene
Norman Sotolongo als Svóboda
Jesús Ochoa als Tomson
Martha Tenorio als Eulogia
Rafael Inclán als Goyo
Rosa María Bianchi als Carmen
José María Yazpik als Joaquín
Marta Belaustegui als Andrea
Eugenio Montessoro als Carlos
Carmen Madrid als Clara
Daniel Giménez Cacho als Beto
Alexis Sánchez als Andrei
Jorge Zárate als Sánchez
Enoc Leaño als Memo
Einführung:
Es gibt DVDs, die fallen einfach wegen ihres Aussehens auf. Trotzdem konnte ich bislang widerstehen mir "Nicotina" zu kaufen. Irgendwie hatte es sich nicht ergeben, obwohl ich die durchwegs guten Kritiken natürlich schon zur Kenntnis genommen habe.
Mich hatten auch die Aufschriften auf der Hülle etwas abgeschreckt. Vergleiche zu Genregrößen wie "Pulp Fiction" oder "Snatch" wurden zu Werbezwecken missbraucht – für mich ist so eine Marketingmasche aber eher abschreckend, denn meistens wird mit großen Namen der Käufer nur geködert um zweitklassige Werke besser zu verkaufen. Hier bei "Nicotina" war das aber nicht so.
Handlung:
Lolo (Diego Luna) ist ein ständig rauchender Computerfreak, der mit seinem Computerwissen für die russische Mafia Kontozugangscodes einer Schweizer Bank "besorgt". Diese Daten will er den beiden Gaunern Tomson (Jésus Ochoa) und Nene (Lucas Crespi) übergeben, welche anschließend zum russischen Boss Svoboda (Norman Sotolongo) ins Hotel fahren um dafür als Entlohnung 20 Diamanten zu bekommen.
Dummerweise hat aber Lolo gerade einen größeren Streit mit seiner schönen Nachbarin Andrea (Marta Belaustegui) vom Zaun gebrochen, in dessen Verlauf er die Datendiskette mit den heimlich gefilmten Aufnahmen dieser Nachbarin vertauscht.
Doch auch andere Personen werden zufällig mit in den Strudel der Ereignisse gerissen und die große Jagt nach den Juwelen kann beginnen.
Der örtliche Friseur, eine Apothekerin und ein paar Polizisten kommen, wie die Gauner selbst, nicht ganz ungeschoren aus der Sache heraus...
Kritik:
Süd- bzw. mittelamerikanische Filme haben es nicht gerade leicht, in unserem Hollywood-geprägten Markt Fuß zu fassen, doch auch mit den unglücklich gewählten Vergleichen zu "Pulp Fiction" oder "Snatch" haben sich die Marketingexperten keinen großen Gefallen getan. Denn "Nicotina" ist schon etwas anders, er braucht sich aber dennoch nicht hinter diesen erfolgreichen Werken Hollywoods verstecken. "Nicotina" kann als reine Actionkomödie sehr gut überzeugen und ich fand den Film manchmal sogar besser bzw. sympathischer inszeniert, als so mancher hoch gelobter Blockbuster.
Als erster Pluspunkt fällt dem Zuschauer die ungewöhnliche Optik ins Auge. Splitscreen-Aufnahmen, rasante Kamerafahrten, Zooms und bemerkenswert innovative Einstellungen bringen einen unverwechselbaren Drive in den Film, der auch über die gesamte Laufzeit aufrecht erhalten wird. Mir ist die Optik fast comicartig verfremdet vorgekommen.
Dazu ist die Geschichte natürlich auch bis ins letzte Detail konstruiert, sie bietet allerdings auch keine Neuerungen im Genre. Aus einem fehlgeschlagenen Coup ergeben sich unbeabsichtigte Folgen, in die immer mehr Personen verwickelt werden. Trotz des altbekannten Prinzips wurde diese Geschichte bei "Nicotina" sehr gut und mit viel Schwung umgesetzt und Langeweile bleibt über die mit 85 Minuten recht kurze Laufzeit ein Fremdwort.
Dazu ergänzend gibt es pechschwarzen (sozusagen teerschwarzen) Humor, der mit messerscharfen Dialogen vermittelt wird und als "Running-Gag" das Thema Rauchen bzw. die Folgen, welche sich daraus ergeben – fast jeder Charakter raucht in diesem Film, daher ja auch der Name "Nicotina".
Bei der Wahl der Schauspieler hat man viel Fingerspitzengefühl walten lassen. Alle Darsteller sind unterschiedlicher Natur und spielen ihre oft bewusst überzogen dargestellten Charakter (typischer Computerfreak etc.) mit viel Hingabe. Die Musik stimmt dann passend schwungvoll in die schnell geschnittenen Bilder ein.
Wer einmal eine außergewöhnliche Action-Komödie sehen möchte, der kann bei "Nicotina" ohne Bedenken zugreifen. Viel nachzudenken gibt es dabei nicht, Langeweile aber eben aus den oben genannten Gründen auch nicht. Der Film ist "nur" filmisches Fastfood – lecker, schnell konsumiert, aber es stellt sich ganz schnell Hunger auf mehr ein.
Die DVD:
Die DVD von Sunfilm konnte mich von ihrem äußeren Erscheinungsbild ja schon völlig überzeugen. Die gelbe Zigarettenpackung macht wirklich neugierig, was wohl hinter dieser auffälligen Verpackung stecken mag (bis auf die dümmlichen Sprüche, die den Film mit "Pulp Fiction" vergleichen – das schreckt eher ab).
Die Bildqualität ist aber, zumindest was die Bildschärfe betrifft, nicht besonders aufregend. Das wundert mich besonders, weil ich denke, dass der Film digital aufgenommen wurde (im Abspann steht so etwas geschrieben). Ansonsten wurden im Film Farbfilter (warme Farben) verwendet, sodass man über die weiteren Qualitäten nicht viel kritisieren kann. Störende Bildfehler konnte ich jedenfalls keine erkennen.
Den Ton gibt es in wirklich sehr guter Qualität in Deutsch (Dolby Digital 5.1, DTS 5.1) und Spanisch (Dolby Digital 5.1) auf die Ohren. Im Abspann konnte ich ein THX-Logo erkennen, was ja schon mal für die ausgezeichnete Qualität des Ausgangsmaterials spricht. So sind auch viele sehr dynamische und räumliche Effekte vorhanden, welche auch den Subwoofer nicht außer acht lassen.
Bei den Extras wurde leider gespart - allerdings hätte mich auch nur noch interessiert, wie der Film zu seiner außergewöhnlichen Optik gekommen ist und ob er digital oder mit normalem Filmmaterial aufgenommen wurde.
Die Extras:
- 8 Trailer
- Bio- und Filmografien
Fazit:
Ein kurzweiliger und spannender Film, der mit seiner außergewöhnlich hippen Optik und der schwungvoll inszenierten Geschichte sehr gut zu unterhalten weiß. Die Handlung ist mit viel schwarzem Humor und scharfen Dialogen gewürzt, sodass sich der Film keineswegs hinter gleichartigen Genrevertretern zu verstecken braucht.
Allerdings bietet der Film auch nicht viel mehr als diese Unterhaltung – aus diesem Grund ist "Nicotina" wohl eher als "filmisches Fastfood" zu konsumieren. Übermäßige Gehirntätigkeit erfordert dieses Werk jedenfalls nicht.
Für mich der ideale Film für einen typischen Abend an einem Wochentag: schnell, einfach und sehr unterhaltsam.
- Redakteur:
- Detlev Ross
Mit "Amores Perros" (2000) hat Regisseur Alejandro González Iñárritu den mexikanischen Film in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Und seit er im Jahr 2001 den Sprung in die USA gewagt hat und dort mit dem Kurzfilm "The Hire – Powder Keg" Aufmerksamkeit erregen konnte, ist er endgültig zum Vorbild für viele seiner filmenden Landsleute aufgestiegen. "21 Grams" und "Babel" später kann sich der 43-Jährige im Pool der amerikanischen Schauspieler uneingeschränkt bedienen und sich die Leute herausgreifen, die seine Visionen perfekt umsetzen können. Eine Absage werden ihm die wenigsten erteilen. Er genießt Respekt, war inzwischen für den Oscar nominiert und ja, Iñárritu ist chic. Er ist einer der Typen, mit denen man drehen muss, wenn man gesehen werden will.
Ob Hugo Rodríguez die Bilderbuchkarriere seines Kollegen wiederholen kann, weiß niemand. Nimmt man "Nicotina" als Maßstab, dürfen diesbezüglich allerdings leise Zweifel angemeldet werden. Seine Thrillerkomödie ist nicht unbedingt spannend, und sie ist nicht unbedingt witzig. Sie ist aber auch nicht völlig langweilig und unlustig. Sie ist Durchschnitt, zäh, nicht ganz durch. Sie hat das Ziel vor Augen, trifft es aber nur selten. Und Regisseure, die derartige Filme drehen, stapeln sich entlang des Hollywood Boulevards und gehen fast als zusätzliche Sehenswürdigkeit durch, weshalb man darauf verzichten kann, weitere zu importieren, die in die gleiche Kerbe schlagen – auch wenn sie aus Mexiko stammen.
Die Marketingmaschine spuckt Namen wie "Pulp Fiction" und Guy Ritchies "Snatch" in die Runde, um "Nicotina" an den Mann zu bringen. Und es ist richtig, dass in etwa die gleiche Klientel bedient wird, allein die Qualität der genannten Streifen ist nicht auszumachen. Gangster mit Macken, trottelige Loser, gründlich in die Hose gehende Diamantencoups, einige Leichen auf der einen Seite, Split-Screen-Einstellungen und skurrile Situationen auf der anderen – das kennt man, das läuft immer, manchmal allerdings auch ins Leere. Man merkt deutlich, dass Rodríguez hauptsächlich Produzent ist (für "Nicotina" ließ er sich erst zum zweiten Mal nach 1994 im Regiestuhl nieder). Er ist sich der Zugkraft der genannten Zutaten beim angepeilten Publikum absolut bewusst und ging deshalb betriebswirtschaftlich und unterkühlt an sein Projekt heran. Dass immer noch eine Portion Inspiration nötig ist, um Klasse zu erreichen, wurde streckenweise vergessen.
Bisweilen stellt sich der Mexikaner zu sehr unter Quentin Tarantino, in der Hoffnung, dass dessen Glanz ihn gut ausleuchtet. Dies kann man u. a. an einer Szene festmachen, in der die beiden Kleinganoven Nene und Tomson im Auto über das Rauchen philosophieren. "Pulp Fiction" lässt gewaltig grüßen. Lediglich das Thema des Dialogs wurde von "Quarterpounder mit Käse" auf "Zigaretten" umgestellt. So gewinnt man die Zuschauer nicht für sich, zumal auch die gesetzten Pointen keine sind.
"Nicotina" hat trotz allem ein paar gute Momente, die ihn letztlich vor dem Absturz bewahren. Einerseits nimmt das Leitmotiv des Rauchens mitunter direkten Einfluss auf den weiteren Verlauf des Plots, was unterhaltsame Akzente setzt. Andererseits gefallen einige der Figuren, wie die raffgierige Frisörsgattin Carmen, die im Angesicht des großen Geldes zu drastischen Maßnahmen greift. Zu behaupten, die Charaktere hätten Tiefe und Konturen, wäre dennoch übertrieben. Es schwingt immer Klischeehaftigkeit mit. Auf die Spitze getrieben wird diese bei Lolo, einem Hornbrille tragenden, schüchternen Computer-Nerd, der auf seine Nachbarin scharf ist und in deren Wohnung Überwachungskameras installiert hat. Würde er nicht Sympathie ausstrahlen, wäre die zur Schau gestellte Eindimensionalität übermächtig abschreckend und der Film um einen Negativaspekt reicher.
Alejandro González Iñárritus "Amores Perros" oder Alfonso Cuaróns "Y Tu Mamá También" (2001), die beide Einfluss auf das junge mexikanische Kino hatten und haben, kann Hugo Rodríguez letztlich überhaupt nichts entgegensetzen bzw. Neues hinzufügen. Zu viele Reste werden aufgewärmt. Außerdem haben die Referenzwerke aus Hollywood, die von ihm oftmals zu offensichtlich kopiert werden, klar die Nase vorn und drängen "Nicotina" in Richtung Unwichtigkeit.
- Redakteur:
- Oliver Schneider