TEA CLUB, THE - Quickly Quickly Quickly
Mehr über Tea Club, The
- Genre:
- Crossover Prog / Artrock
- ∅-Note:
- 7.50
- Label:
- JFK
- Release:
- 28.12.2012
- Firebears
- The Eternal German Infant
- Mister Freeze
- I Shall Consume Everything
Traumdeutung ist keine Trivialwissenschaft
Traumbilder und Traumhandlungen im vermeintlichen Wachzustand der Realität wiederzugeben, ob in Form von Literatur, Musik oder Film, stellt seit Anbeginn aller Kultur eine Herausforderung für Künstler jeglicher Couleur dar. Und es liegt in der Natur der Sache, dass gerade bildhafte und schriftliche Beschreibungen ihr Ziel, Traumwelten so authentisch wie möglich wiederzugeben, oft meilenweit verfehlen. In meinen Augen ist es gerade die Musik, der es meist besser gelingt, die unterschwelligen, tiefschürfenden Emotionen, wie man sie in dieser Intensität nur in Träumen erleben kann, auch einem wachen Geist greifbar zu machen – oder ist es doch umgekehrt, wird der vorgeblich wache Geist durch Musik nicht doch in einen Traumzustand versetzt? Die Prog-Rocker von THE TEA CLUB aus New Jersey haben sich auf ihrem neuen Werk "Quickly Quickly Quickly" offenbar beides zum Ziel gesetzt.
Bereits das fantasievoll anmutende Artwork, auf dem sich Salvador Dali inspiriert von einem Picknick mit SYSTEM OF A DOWN ausgetobt zu haben scheint, weist in Richtung Kaninchenbau. Angeblich besteht auch zwischen dem von Gitarrist und Sänger Pat McGowan erdachten Albumtitel "Quickly Quickly Quickly" eine rätselhafte Verbindung zu einem Traum seines Bruders Dan, der, ohne von der Idee Pats zu wissen, von einer mysteriösen Kreatur träumte, über deren Kopf die Buchstaben "qqq" schwebten. All dies hat mit der Musik von THE TEA CLUB nicht das Geringste zu tun, macht den Ausblick auf ihr neues Werk aber umso spannender. Und tatsächlich scheint der 4-Tracker mit LP-Laufzeit vornehmlich Traumbilder aufzugreifen, sie auszubauen und weiterzuspinnen, und zwar auf musikalisch höchst anspruchsvolle Weise.
Das fast 20minütige 'Firebears' beginnt verspielt, mit verträumter Unbeschwertheit, komplexem, fast Jazz-artigem Drumming und immer wieder eingeworfenen Triolen. In den Interludes wird scheinbar frei improvisiert, der in dieses schwer zu fassende musikalische Gemälde eingeflochtene Gesang fügt sich mit heiterer Leichtigkeit in seine scheinbar untergeordnete Rolle. Ein schlichtes, dreitöniges Motiv durchzieht diesen Eintritt ins Reich der Fantasie. "Someone left the door unlocked. Now all the wolves are getting in." So beginnt eine Reise ins Wunderland der Träume, auf der seltsame Kreaturen unseren Weg kreuzen, und subversive, in der Realität schwer greifbare Gedanken als kristallklare Wahrheit wie reife Äpfel darauf warten, gepflückt zu werden: "We have found you to be obsolete." Als die flächigen Keyboard-Klänge und Hammond-Orgeln verklingen, bleiben nur die besänftigend säuselnde Gitarre und der flüsternde Gesang von Pat McGowan zurück. Der Traumreisende holt Luft, ehe flirrende Töne und wilde Rhythmen zum abermaligen Aufbruch drängen. Diese wilde Hast endet in einem neuen, noch friedlicheren Motiv als zu Beginn; Engelschöre und eine harmonische Gesangslinie kündigen den Beginn eines neuen Tages an. Als 'Firebears' endet, bleibt offen, ob der Protagonist schon wieder erwacht ist, oder noch in seligem Halbschlaf vor sich hin dämmert.
Das wesentlich kürzere 'The Eternal German Infant' (welch grandioser Titel!) scheint hingegen ein Kinderlied für Erwachsene zu sein: Entlang des Alphabets werden rätselhafte Fantasiebegriffe abgearbeitet; dabei bildet die musikalische Begleitung ein teilweise Jazz-artiges Korsett, offenbar ohne festen Ablauf. Immer wieder werden instrumentale Ruhephasen einflochten, bis eine Burton'sche Märchenbeschreibung den ungestümen Höhepunkt einläutet. Doch auch hier wird es nie unheimlich; der Protagonist ist beschützt und beschirmt, wie in einer nebulösen Traumwelt, die im weichen Schleier scheinbarer Unantastbarkeit durchschritten wird. 'Mister Freeze' bildet anschließend den Ruhepol des Albums, verhalten beginnend, dezent dissonant, mit rauschenden Keyboard-Klängen und einer Stahlsaitenfraktion, die entfernt an A PERFECT CIRCLE erinnert, durch ihre introvertierten Gitarren und dominanten Bass-Einwürfe. Das Schlagzeug hat fast vollständig Sendepause. Schließt man zu 'Mister Freeze' die Augen, verschwimmt die Realität augenblicklich mit der sich entfaltenden Traumlandschaft. Dieses mysteriöse Album findet sein Ende im 9minütigen 'I Shall Consume Everything', ein Track der offenbar versucht, all das zusammenzufassen, was zuvor auf den ahnungslosen Hörer losgelassen wurde, mit einem verhaltenen Beginn, etwas eintönigem Gesang, und sich gegenseitig verspielt umschwirrenden Instrumenten. Doch die Intensität nimmt wieder zu, zwischenzeitig wird sogar so etwas wie latente Aggression spürbar, ein Albtraumszenario bleibt jedoch erneut aus. Ruhige Halftime-Grooves, plingende Saiten, das unumgängliche Erwachen, während sich die eben noch greifbaren und bestechend real wirkenden Traumbilder in einsetzende Verwirrung auflösen.
Ein derart komplexes Album in Worten zu beschreiben ist quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Nach zahlreichen Durchläufen kristallisiert sich aber doch eine Linie, eine Grundthematik heraus. Auf mich wirkt "Quickly Quickly Quickly" tatsächlich wie die musikalische Ausgestaltung geträumter Erlebnisse, und besonders der Opener 'Firebears' bündelt all die interessanten Aspekte dieser progressiven musikalischen Traumdeutung. Dass dies der Band mühelos gelingt, ist aller Ehren wert. Gerade deswegen überrascht mich, dass der Grundton dieser an sich höchst interessanten Veröffentlichung ausschließlich zwischen erstaunter, kindlicher Faszination und beflügelter Leichtigkeit pendelt – ich vermisse die düsteren Aspekte, die Albtraumwelten, die einem jeden Menschen vertraut sind, oder auch nur den melancholischen Einschlag vergleichbarer Werke. Zudem kann ich dem Gesang der McGowans auf Dauer einfach nicht viel abgewinnen. Der Vergleich mag ungerechtfertigt sein, aber im Bereich progressiver Musik lande ich eben immer wieder bei Maynard James Keenan, und der vermag allein durch das gewaltig intensive Spektrum seiner Stimme ein ganzes Universum an Emotionen und (Alb)Traumpanoramen zu erschaffen.
Fans der Band sei das neue THE TEA CLUB-Album aber bedenkenlos zu empfehlen; auch dürften Prog-Anhänger aus allen Lagern selig in den fantasievollen Welten von "Quickly Quickly Quickly" schwelgen, wenn sie vorübergehend genug von der düsteren PORCUPINE TREE'schen Schwere haben. Und wer grundsätzlich Interesse an wirklich anspruchsvoller Musik hat, die völlig auf Lärm und Aggressivität als dominierende Stilmittel verzichtet, sollte THE TEA CLUB auch ein Ohr leihen.
- Note:
- 7.50
- Redakteur:
- Timon Krause