NEBELKRäHE - Ephemer
Auch im Soundcheck: Soundcheck 12/23
Mehr über Nebelkrähe
- Genre:
- Black Metal / Progressive Metal
- ∅-Note:
- 9.00
- Label:
- The Crawling Chaos Records
- Release:
- 27.10.2023
- Tumult auf dem Claim Abendland
- Nielandsmann
- Ephemer
- Dornbusch (Im Norden kein Westen)
- Über Menschen unter Tage
- Kranichträume
- Die Strandbar von Scheria
Eines der fraglos spannendsten Werke des Jahres im progressiven Black-Metal-Bereich.
Lange, ja, viel zu lange ist es her, das letzte Lebenszeichen der Münchner Schwarzmetaller, die Kollege Julian kürzlich aus diesem Anlass interviewt hat. Gut zehn Jahre sind ins Land gestrichen, seit anno 2013 "Lebensweisen" erschienen ist und bestimmt hat der eine andere schon gar nicht mehr damit gerechnet, dass uns von NEBELKRÄHE noch ein weiteres Studioalbum serviert werden würde. Doch Unverhofftes hat nicht selten die Angewohnheit, den Überraschungseffekt zu nutzen, um auf eine besondere Weise zu berühren und zu begeistern. Genau dies gelingt "Ephemer", dem Drittlingswerk des Quintetts aus Bayerns Landeshauptstadt, denn auch wenn sich wesentliche stilistische Eigenheiten aus früheren Zeiten erhalten haben, so entsteht doch der Eindruck, als habe die Band die längere Veröffentlichungsflaute massiv dafür genutzt, sowohl an ihren Kompositionen zu feilen als auch diese sehr sorgfältig und mit viel Liebe zum Detail umzusetzen.
Im Ergebnis führt das dazu, dass NEBELKÄHE attestiert werden kann, sich in gewisser Weise neu erfunden zu haben, denn "Ephemer" ist durch und durch ein verdammt progressives Werk geworden, mit vielschichtigen Songs und so vielen kompositorischen wie instrumentalen, gesanglichen und lyrischen Facetten, dass sich mit der Rezeption Bücher füllen ließen. Bevor wir uns daher etwas ausführlicher den einzelnen Songs widmen, lasst uns erst einmal den stilistischen Rahmen abstecken und auf einige musikalische Alleinstellungsmerkmale eingehen:
Zunächst ist festzuhalten, dass die Band sich auf "Ephemer" im Wesentlichen trotz aller spannender und kreativer Schlenker in progressive Dimensionen und genrefremde Elemente sehr tief im Black Metal befindet, und fraglos auch bei genau dieser Zielgruppe den stärksten Widerhall erfahren dürfte. Das liegt einerseits an Stilelementen wie dem zumeist sehr gut verständlichen, aber doch im gekeiften Bereich beheimateten Gesang von Frontmann Umbra, andererseits an vielen Elementen des Gitarrenspiels von Morg und Miserere, die eben das für den Stilbereich so typische und von den Black-Metal-Fans heißkalt geliebte flirrende Strumming dann perfekt auf den Punkt bringen, wenn es gebraucht wird. Zuletzt ist es die Stimmung, das Ambiente, der Ausdruck, die immer wieder Wahn, Verzweiflung, Skepsis, Nihilismus und Eskapismus atmen, wie man es fast nur in der Welt der schwarzen und weißen Tünche erlebt.
Doch, und das ist nun das Wesentliche, nachdem die Flut an schwarzmetallischer Generik Fans und schreibende Zunft gleichermaßen in neuen Veröffentlichungen ersaufen lässt: "Ephemer" kann mitnichten darauf reduziert werden, lediglich eine weitere Schwarzstahlplatte von der Stange zu sein, und vermutlich, mit Verlaub, weiß man bei den Jungs von NEBELKRÄHE noch nicht einmal, wie man Generik überhaupt schreibt. Jedenfalls klingt nichts an diesem neuen Album vorhersehbar oder gewöhnlich, und die Kreativität betrifft schlicht alle denkbaren Ebenen, was schon beim großartigen Opener 'Tumult auf Clain Abendland' seinen Anfang nimmt, der im Hintergrund mit Klängen arbeitet, die an Westerngitarren erinnern und so eine gewisse Morricone-Stimmung erzeugt. Ferner begegnen uns - wie einst bei WALDWIND oder stets bei SEAR BLISS bei 'Nielandsmann', einer bitteren Moritat über das Wesen des Krieges - Blechbläser, doch derer gleich eine ganze Armada mit Tuba, Posaune und Trompete, sowie im Holzblasbereich auch ein Saxophon. Bei 'Dornbusch' gibt es stattdessen ein Schifferklavier, und dazu auch mal klaren, etwas krude phrasierten, aber gerade dadurch sehr markanten und fesselnden Gesang, der durchaus gewisse NDW- und 1970er-Prog-Vibes transportiert, für die sG von SECRETS OF THE MOON und CRONE verantwortlich zeichnet. Ebenfalls toll umgesetzt sind die klaren und die garstigen Vocals im packenden, und im Drumbereich sehr dramatischen, Titelstück.
Celloklänge, Sprachsamples und eindringlicher, melancholischer Klargesang, der zum Ende hin elegisches Pianospiel begleitet, machen 'Über Menschen unter Tage' zu einem packenden Stück über die Ausbeutung der Kohlearbeiter, dessen schwarzmetallische Coda die musikalischen Motive der vorherigen, so melancholischen wie beklemmenden Anmut, in ein Fanal wahnhafter Raserei umkehrt. Doch auch verträumte Epik ist der Band nicht fremd. So sind die 'Kranichträume' schwelgerisch - durchaus hier und da, etwa durch hintergründige Synthklänge, mal an das Siebzigerwerk von URIAH HEEP oder durch die Akustikgitarre, das von Markus Stock gespielte Hackbrett und den mehrstimmigen Klargesang gar an OUGENWEIDE erinnernd - bevor dann doch wieder ein hackender, schwarzstählerner Part kommt, der den Weg für ein flammendes Solo freischaufelt. Schließlich endet die Rückkehr der NEBELKRÄHE mit 'Die Strandbar von Scheria', einem stattlichen Neunminüter, eingeleitet von Nys finsterem Bassspiel, zu dem erst wunderbare Percussionselemente von Latrodectus treten, bevor Umbra die garstige Stimme zu einem gen Himmel strebenden Gitarrensolo erhebt, und das Stück langsam aber unaufhaltsam in einen postrockigen, atmosphärisch dichten Maelstrom der undurchdringlichen Klangwand anschwillt, bevor plötzlich ein rockiges, metallisches Riff das Ruder übernimmt. Auch die Mundharmonika spielt eine markante Rolle, ihr seht also: Eine ziemliche Achterbahnfahrt, aber mit so vielen tollen Hooks versehen, dass sie gleichwohl nie den roten Faden vermissen lässt. Das Outro mit den trippigen Elektronika lässt sich darob wohl verschmerzen.
Nun, ihr seht, der Rezensent ist begeistert, weil "Ephemer" ein rundum schlüssiges, dabei aber so vielseitiges und inspiriertes Gesamtwerk geworden ist, dass keine Wünsche offen bleiben. Dazu kommt, dass die Scheibe auch wunderbar transparent und vielschichtig produziert ist, so dass die zahlreichen ungewöhlichen Instrumente und Gastmusiker eben auch hörbar präsent sind und ihre Beteiligung mithin sinnvoll. Wer Black Metal stilistisch offen, progressiv bis avantgardistisch denken kann, und dazu viel Freude an ansprechender, hintergründiger Lyrik und einer zwar eigenwilligen, aber perfekt inszenierten Ästhetik mitbringt, der liegt hier goldrichtig. So bleibt "Ephemer" eines der fraglos spannendsten Werke des Jahres im progressiven Black-Metal-Bereich und eine unbedingte Empfehlung für jeden, der sich in diesem Bereich zu Hause fühlt.
- Note:
- 9.00
- Redakteur:
- Rüdiger Stehle