MELANIE MAU & MARTIN SCHNELLA - Invoke The Ghosts
Mehr über Melanie Mau & Martin Schnella
- Genre:
- Acoustic Metal / Progressive Rock
- ∅-Note:
- 8.00
- Label:
- Selbstvertrieb
- Release:
- 02.05.2022
- Nur Ein Spiel
- The Beast Is Lurking
- Soulmate
- Where's My Name
- Of Witches And The Pure Heart
- Calypso
- Red Beard
- Ein Stummer Schrei
- Das Goldene Königreich (The Virgin Queen)
- Wholeheartedly
Innovativ, kreativ und ambitioniert - das Beste was der Harz musikalisch zu bieten hat.
Da ist er nun endlich. Der Nachfolger zum hervorragenden Debüt "The Oblivion Tales" von 2017. Wobei Nachfolger und Debüt eigentlich auch nicht wirklich korrekt ist, da das Duo Martin Schnella und Melanie Mau schon seit 2015 in dieser Inkarnation unterwegs ist und es mittlerweile auf stolze sieben Veröffentlichungen (zweimal Live und fünfmal Studio) gebracht hat.
Die grundsätzliche DNA der beiden Harzer sind eigentlich Coverversionen von Songs aus allen erdenklichen Genres im akustischen Gewand. Wie ein kleiner Bub bei der Zusammenstellung seiner gemischten Tüte im Schwimmbadkiosk nehmen sich die beiden Rock- und/oder Popklassiker, Metal-Hits und, da wird es nun richtig interessant, Prog-Songs aus allen Jahrzenten vor. Kleiner Auszug und ein bisschen Namedropping gefällig: KANSAS, TRANSATLANTIC, GENESIS, YES, IN FLAMES, BLIND GUARDIAN, NIGHTWISH, METALLICA, KARUSSEL, MADONNA, ED SHEERAN und viele mehr. Dabei gelingt ihnen das Husarenstück, dass nicht nur alle Songs trotz dieser genreübergreifenden Herangehensweise wie aus einem Guss und unfassbar homogen klingen, sondern, dass jedes Lied so fantastisch umarrangiert, erweitert und mit soviel Herzblut umgesetzt wird, dass man einfach nur begeistert sein kann. Nie klangen Coverversionen und Neuinterpretationen relevanter und konnten mit breiter Brust neben den Originalen bestehen.
Doch bei so viel Kreativität juckte es irgendwann in den Fingern und es wurde Zeit für komplett eigenes Songmaterial. Wobei wir nun die Brücke zu "Invoke The Ghosts" und seinem konzeptionellen Vorgänger "The Oblivion Tales" schlagen können, denn genau auf diesen beiden Scheiben gibt es eigene Stücke, welche jedoch vom Klang und der musikalischen Herangehensweise Hand in Hand mit den Fremdkompositionen der anderen Platten gehen können. Es gibt somit weiterhin die wunderbare Mischung aus Folk- und Prog-Rock mit einer metallischen Grundnote, aber weiterhin nahezu stromfrei.
Wer jetzt aber denkt, dass alles bei beim Alten geblieben ist, dürfte im Rahmen der Erstkontakts mehrmals - und das meine ich positiv - irritiert sein. Doch eins nach dem anderen. Den Einstieg übernimmt das deutschsprachige 'Nur ein Spiel', welches vom Horror-Drama "Der Babadook" von 2014 handelt und gleich mal allen kommerziellen Intentionen den Stinkefinger zeigt. In Form von komplexen Vokalarrangements im Stil von GENTLE GIANT oder SPOCK'S BEARD wird man sofort in einen feinsten A-Cappella-Wahnsinn gezogen, bevor nach einer kurzen Pause die Gitarre das Kommando übernimmt. Und hier wird sofort die erste Hürde oder Aufgabenstellung für den Hörer ersichtlich. Wenn die Band (Melanie und Martin werden auf allen Songs immer wieder von diversen Mitmusikern verstärkt) auf Deutsch rockt, dann hat das wenig mit den Hörerfahrungen aus dem moderneren Deutsch-Pop oder Deutsch-Rock gemeinsam, sondern zieht seine Vibes eher aus dem Krautrockbereich oder von Künstlern, welche ihre Hochphase in der ehemaligen DDR gehabt haben (z.B. STERN-COMBO-MEISSEN). Gelungener Opener, welcher aber einige Hördurchläufe benötigt.
Da ist der nächste Song 'The Beast Is Lurking' deutlich straighter angelegt. Wobei straight sich eindeutig auf den MELANIE MAU & MARTIN SCHNELLA-Kosmos bezieht und immer noch verschachtelter herüberkommt, als ähnliche Songs. Aber was heißt ähnliche Songs? Vergleichsmöglichkeiten sind kaum vorhanden, denn die Mischung aus Modern-Metal und Akustikgitarren ist schon ziemlich speziell und ungewöhnlich. Aber der Song tritt nicht nur ordentlich in den Arsch und kann gegen Ende mit geschmackvollen Growls punkten, sondern hat auch einen Chorus, welcher sich nach einigen Runden im Player als echter Grower entpuppt. Mit der locker-flockigen Folkperle 'Soulmate' geht es dann in eine ganz andere Richtung. Während die Grundatmosphäre durchaus etwas von NEAL MORSE hat, steuert Jens Kommnick eine ganze Wagenladung an typisches, keltisches Instrumentarium bei und schafft es, mit seinen Melodien trotzdem frisch und unverbraucht zu klingen. Das ist weit weg vom typischen Irish-Folk-Gedudel.
Beim folgenden 'Where Is My Name' liegt der Fokus dann primär auf den Lyrics und die schwere Thematik, welche den Identitätsverlust von Frauen im mittleren Osten behandelt und dementsprechend reduziert und balladesk umgesetzt wurde. Und leider können mich die ersten knapp drei Minuten nicht wirklich überzeugen. Die Strophen und Hooks schaffen es nicht, mich tiefer in diese Materie zu ziehen und sind leider nicht stark genug, um einen nachhaltigen Eindruck zu vermitteln. Interessanterweise könnte das die Band ähnlich sehen, da ich mir sonst nicht erklären kann, dass der Song nach der Hälfte kippt, das arabische Setting nun musikalisch ins Zentrum rückt und die Nummer mit tollen 1001-Nacht-Vibes noch in den positiven Bereich drückt. Als ob ihnen nach den ersten Arrangements aufgefallen ist, dass noch etwas fehlt.
Kaum etwas fehlt dem quasi Titeltrack 'Of Witches And A Pure Heart', welcher in bester FLAMING ROW-Tradition (die andere Spielwiese der beiden Protagonisten) in fast zehn Minuten ein Folk-Prog-Feuerwerk abfeuert, welches alles hat, was man sich wünschen kann. Der Refrain sitzt, die Gitarre ist atemberaubend, der Fretless Bass von Lars Lehmann zaubert ein Grinsen unter dem Kopfhörer und der Walpurgis-Text hat so dermaßen Lokalkolorit, dass man als Harzer nur begeistert sein dürfte. So klingt die Band in der eigenen geschaffenen Wohlfühlzone. Definitiv ein Albumhighlight. Im Anschluss wird es wieder deutlich direkter. Die Abrissbirne 'Calypso' knallt regelrecht und drückt gewaltig nach vorne. Auch wenn es immer mal kleine Tempowechsel gibt, würde ich sagen, dass Perkussionist Simon Schröder hier einen starken Einfluss hinterlassen hat. Diesen Track könnte ich mir auch gut als PERSONA-Version vorstellen. Und ehrlicherweise würde er dort wahrscheinlich sogar noch etwas besser klingen.
Das nachfolgende 'Red Beard' ist, bis auf die RUNNING WILD-Gedächtnis-Lyrics, dann schon so etwas wie Dienst nach Vorschrift, und wäre der Song, den ich als stellvertretend für die Art der Musik, für welche MELANIE MAU & MARTIN SCHNELLA stehen, sehen würde. Schönes Lied, aber fällt bei der gutklassigen Konkurrenz aus dem eigenen Haus etwas ab. Genau eine solche Konkurrenz ist 'Ein stummer Schrei'. Die deutschsprachige Halbballade macht fast alles besser als 'Where Is My Name'. Als kleines Gimmick gibt es dann sogar ein feines elektrisches Gitarrensolo, welches aber nicht als Entschuldigung wirkt, sondern sich sehr homogen einfügt und das Lied noch kurz unter der Kitschgrenze episch veredelt.
Der zweite Longtrack mit über neun Minuten lautet auf den Titel 'Das goldene Königreich' und serviert dem Hörer eine deutschsprachige Wundertüte mit herausragenden Folk-Parts (so klingen folkige NIGHTWISH), toller Abwechselung und schönen Gesangsparts. Stellt euch einfach eine Mischung aus 'Nur ein Spiel' und 'Of Witches And The Pure Heart' vor. Was der Song dann ab Minute 6:20 abliefert, ist sicherlich der stärkste Teil des ganzen Albums und lässt ein paar ungelenke Teile beim Text mehr als vergessen.
Zum Schluss darf es nochmal eine Ballade sein. Und ich lege mich jetzt schon fest - das wird einer der besten Folk-Songs des Jahres. Diese reine A-Cappella-Nummer schlägt nicht nur kongenial den Bogen zum Albumbeginn, sondern ist so unfassbar fantastisch arrangiert, dass sie für mich trotz der geballten Prog-Power in den Longtracks das Albumhighlight darstellt. Zum Niederknien. Neben PURE REASON REVOLUTION gibt es aktuell kaum eine Band, die im Gesangsbereich konstant so herausragend abliefert. Erneut Chapeau nach Osterode.
Wer sich auch nur ansatzweise mit Folk, Prog und akustischer Gitarrenmusik auseinandersetzt, muss diese Truppe unbedingt mal auschecken. Bei YouTube gibt es einige Videos von den eigenen Songs und Legionen an Coverversionen. Die CDs wiederrum gibt es nicht im Streaming, sondern nur über die bandeigenen Homepage. Kaufempfehlung ist hiermit erteilt.
- Note:
- 8.00
- Redakteur:
- Stefan Rosenthal