LIMP BIZKIT - The Unquestionable Truth (Part 1)
Mehr über Limp Bizkit
- Genre:
- Crossover Metal
- Label:
- Interscop / Universal
- Release:
- 02.05.2005
- The Propaganda
- The Truth
- The Priest
- The Key
- The Channel
- The Story
- The Surrender
Wenn man LIMP BIZKIT eine Sache nicht absprechen kann, dann ist es, dass sie es immer wieder geschafft haben, alle zu überzeugen. Ob es nun die Kritiker oder die Fans waren, sie polarisierten die Meinungen. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Dafür ändert sich aber alles andere! Na ja, fast alles, denn Fred ist und bleibt unausstehlich! Jüngstes Beispiel dafür ist der Rauswurf von Mike Smith, der nun augenscheinlich wohl doch nur ein Lückenfüller war, für den abtrünnigen Wes Borland. Es ist nur gerechtfertigt zu mutmaßen, dass der Gute es allein einfach nicht gebacken kriegt und letztlich doch das Rampenlicht und den von KORN einst in die Wiege gelegten Ruhm vermisste.
Absolute Scheißaktion, wenn man bedenkt, dass Borland musikalisch absolut ersetzbar war und ist.
Smith war aber nicht der Einzige, der vorm Release von "The Unquestionable Truth (Part 1)" die Segel streichen durfte. Auch John Otto wurde von irgendjemandem ersetzt (ich denke, wir sind uns alle einig, dass es ohnehin egal ist, wer da hinter den unzähligen Becken sitzt). Man orakelt, dass es sich beim Rauswurfgrund um Drogenprobleme handelte. Tja, war unkontrollierter Genuss von illegalen Rauschmitteln früher noch Aufnahmebedingung bei Rockbands, wird man dafür heute gegangen. Was soll's, viel interessanter ist das Material, was uns auf dieser Halb-EP erwartet. Und da produziert schon die Entstehungsgeschichte massenhaft verdutzte Blicke! Kein großes Trara, keineaufwendige Werbetrommel, ein unauffälliges, untypisches Cover und nicht zuletzt ein pünktlicher und eingehaltener Releasetermin.
Beim ersten Durchlauf fällt einem dann gänzlich die Kinnlade auf Kniehöhe! Das sollen LIMP BIZKIT sein? Das sind RAGE AGAINST THE MACHINE in disguise! 'The Propaganda' und 'The Truth' klingen so stark nach der Musik, die einst Zack de la Rocha und Tom Morello erfanden, das es schon wehtut! Hätte noch vor zwei Monaten jemand gesagt, LIMP BIZKIT würden einmal wie RATM klingen, hätte man diesem die Jacke gleich hinten zugemacht. Heute ist es Realität.
Schlecht ist der Sound deswegen allerdings nicht. Instrumental schleudert man sich in "3 Dollar Bill Yalls"-Zeiten zurück, und macht damit sicherlich bei eingefleischten Metalheads Raum gut, die den Sound dieser Ära noch als versöhnlich empfanden.
Dem gemeinen LIMP BIZKIT-Fan hingegen geht einiges ab: der Gitarrensound, der spätestens seit der "Results May Vary" ein Trademark der Band war, und der Gesang, überhaupt die ganze Stimmlage von Fred Durst. All diese Elemente mussten dem neuen, rauen, unverschönten Sound weichen. An ihrer statt wüten nun eine verzerrte, schreddernde Gitarre und Sprechgesang à la Rocha bis zum Abwinken. Das gilt nicht nur akustisch, sondern bedingt auch inhaltlich! Noch nie waren die Texte von Durst so düster, so resignierend, so wütend und so wenig selbstbeweihräuchernd! Kindesmisshandlung, das Dimebag-Shooting, die Gesellschaft – zu allem hat er etwas zu sagen, was bei weitem nicht mehr so peinlich klingt wie noch vor zwei Alben.
Erstmaliges Lösen von uneigenen Sound gelingt mit 'The Priest'. Würde sich Freds Stimme noch so überschlagen wie früher, dann würde die Metamorphose back to the roots fast vollständig mit diesem Lied vollzogen werden. So aber bleibt es eine Kombination aus dem alten Sound und neuen Vocals. Was bis dato wirklich allen Liedern fehlt, ist ein Aha-Effekt in Form der typischen hyperansteckenden Refrains, die traditionell selbst dem Dümmsten die oberflächliche Intention des Liedes wie einen Schwall Wasser in die Fresse klatschten. Auf die Fresse gibt es zwar immer noch, nun aber bei weitem nicht mehr so leicht zu durchschauen.
Und es gibt noch einen entscheidenden Unterschied zur "Three Dollar Bill Yall": Offensichtlich wurde DJ Lethal für die Zeit der Aufnahmen nicht extra geweckt. Bis auf den wie eine schwache Interlude anmutenden Track 'The Key' hört man vom Schaffen des ehemaligen HOUSE OF PAIN-Mitglieds praktisch gar nichts. Eben jener kurze Rap-Schauer ist leider auch die Schwachstelle des Albums. Bei EP-Länge, oder nennen wir es mal Hardcore-Langlaufzeit, macht es sich nicht gut, einen 100-Sekunden-Track einzuschieben, noch dazu gefüllt mit überflüssigen Soundspielereien.
Dafür bleiben zumindest alle weiteren Stücke außerordentlich strukturdicht und gleichzeitig ausgedehnt.
Auch 'The Channel' und 'The Story' reihen sich in die neue Soundmachart von LIMP BIZKIT ein. Immerhin kommen gute alte Erinnerungen auf, wenn zumindest in 'The Story' hin und wieder ein glasklar gesungenes "Just live and let die" auftaucht. Insgesamt kommt das Lied auch ungefähr an die Hasstirade 'Just Drop Dead' heran, die einst die Zeit vor der "Results May Vary" versüßte.
Ganz unversöhnlich möchte man dann aber auch nicht abtreten. 'The Surrender' wandelt zumindest stimmlich auf den Spuren der Ballade 'Build A Brigde' des Vorgängeralbums, mit resignierenden Texten und begleitet mit der Mundharmonika.
Dass LIMP BIZKIT immer noch eine Institution sind, um die man auch viel Trara abseits der Musik machen kann, wird auf dem Bonus-Material (wenn man sich denn die Digipak-Version erworben hat) deutlich. Das Making-of, das man sich auf dem PC anschauen kann, hat herzlich wenig mit der Musik des Albums zu tun. Genau genommen zeigt es lediglich sporadisch einige Etappen zur Produktion, die sich vornehmlich mit dem Thema "John Otto" auseinandersetzen. Dabei benimmt sich Wes Borland schon wieder so, als wäre er nie weg gewesen. Letztlich findet sich darauf allerdings nur Gossip.
"The Unquestionable Truth (Part 1)" kann man nur als ein Experiment, so fragwürdig wie mutig, ansehen. Dass der Blitz jemals so sehr im Lager der einstigen Pop-Nu-Metaller einschlagen würde, hätte selbst der abgedrehteste Musikexperte nicht für möglich gehalten. Von den einstigen Markenzeichen ist kaum noch ein Staubkorn übrig. Die Musik von LIMP BIZKIT war noch nicht mal auf dem Debüt so vertrackt und unzugänglich, auch wenn alles noch etwas unbeholfen klingt auf dem völlig neuen Terrain und mit zu viel Déjà-vus an die guten alten RATM gespickt ist. Trotz sehr gereifter Texte und qualitativer Musik lassen LIMP BIZKIT mit diesem neuen Output massenweise Fans über die Klinge springen. "The Unquestionable Truth (Part 1)" ist eine Bombe, die langsam zündet oder bei vielen auch gar nicht. Gegen diese Stücke wirken die härtesten Reißer der "Results May Vary" wie Weichspülsoftrock.
Sicherlich geht niemand davon aus, dass LIMP BIZKIT mit einem Schlag verlernt haben, populäre Musik zu machen, sie hatten nur einfach keinen Bock. Dass alles, was das ungläubige Ohr auf diesem Album hört, nicht von ungefähr kommt, und dass die Band sehr wohl weiß, was die Stunde geschlagen hat, beweist eine Textstelle aus 'The Story': "Let's talk about […] the limpsters that can't limp anymore". Nichts könnte die Situation besser beschreiben! Die neuen, die rauen LIMP BIZKIT sind da, rocken wie die Seuche und werden ihren Weg gehen. Sie sollten diesen allerdings nicht zu lange einschlagen, sonst wird der krasse musikalische Imagewechsel tiefer einschneiden als beabsichtigt. 'The Story' ist der geniale Mittelweg, der Härte und Raffinesse kombiniert.
LIMP BIZKIT tun so, als hätte es die letzten drei Alben nie gegeben und spalten die Lager über die eigenen Fanreihen hinaus.
Anspieltipp: The Channel, The Story
- Redakteur:
- Michael Langlotz