Zillo-Festival - St. Goarshausen

23.07.2004 | 06:46

16.07.2004, Loreley Freilichtbühne

Hörst du schon die Englein singen? Der Festival-Sonntag beginnt mit einer holländischen GÖTTERDÄMMERUNG. Die jungen Gothic-Noise-Rocker haben ein schweres Los gezogen. So sehen sie sich rund zweihundert verschlafenen Grufties gegenüber, die sich größtenteils sitzend die erste Band des Tages anschauen. Der Rest ist entweder noch mit Schminken beschäftigt oder verstreut sich über den leerer gewordenen Zeltplatz, wo noch schnell alle Vorräte vergrillt und verschenkt werden. Die brennend heiße Sonne zieht den Kreislauf noch zusätzlich zum Boden. Da wirken die kleinen Nieselschauer zwischendurch als echte Erfrischung. Immerhin, ein paar Ausdauertänzer lassen sich von der Hitze nicht abhalten. Schade für den, der sich diesen exklusiven Auftritt entgehen läst. Denn außer beim Zillo werden GÖTTERDÄMMERUNG dieses Jahr sonst nirgends live zu erleben sein. Nach zahlreichen Brüchen stehen sie jetzt wieder im Original-Line-up von 1991 auf der Bühne und spielen vor allem Songs vom letzten Album "Morphia". Ihre Begeisterung für die SISTERS OF MERCY merkt man ihnen an. Ganz kann ihr Sänger Andrew Eldritch von den "Sisters" aber nicht das Wasser reichen. Auch sonst sind sie den 80ies ganz und gar verpflichtet: seidig schwarze Haare buschig hochtupiert, enge zerfetzte Jeans und Hemden. So "postpunken" sich GÖTTERDÄMMERUNG durch den Mittag. Zwischen den Songs werden feierlich-düstere Chorale eingespielt. Der helle Mädchengesang schmerzt fast im Ohr. Ansonsten verzichten sie auf große Show-Einlagen und lassen die Musik sprechen. Der Fan kann sich freuen, dass sich die drei Musiker überhaupt mal aus ihrer Batcave herausgetraut haben. Als sie die Bühne schon lange verlassen haben, schwebt noch immer das apokalyptische Outro durch die schwüle Luft.

Götterdämmerung? Götter dämmern... es dämmert den Göttern... Wagner... Nibelungen... Rheintöchter... "Ein Weib weiß ich, das herrlichste der Welt: auf Felsen hoch ihr Sitz." Gut, das war nicht die Loreley, sondern Siegfrieds Brunhilde. "Ein Feuer umbrennt ihren Saal". Nichts mit Feuer, es regnet schon wieder. Dasselbe Spiel wie gestern: Regenguss, flüchtende Festival-Besucher, Schutzsuchende am Bierstand. Unterm Blätterdach der Bäume auf dem Gelände ist es auch ganz gemütlich; Abwarten. Nach zwanzig Minuten ist alles vorbei. Die Sonne lacht wieder und die nächste Band steht in den Startlöchern.

AFTER FOREVER machen eigentlich dasselbe wie WITHIN TEMPTATION, die dasselbe machen wie NIGHTWHISH, die... Und ewig wehrt der Streit, wer denn nun zuerst da gewesen ist und auch ansonsten unterscheidet man sich natürlich laut eigener Aussage ganz gewaltig von den anderen. Sülze! Wer braucht denn diese quengelnden Frauenstimmen mit elendig simpel gestrickten Gitarren?! Das einzige Highlight ist ihre Cover-Version von IRON MAIDENs 'The Evil That Men Do'. Hier beweist Sängerin Floor Jansen, dass in ihr ne echte Metalbraut steckt. Die Frau hat ja wirklich Stimme, vor allem in tiefen Tonlagen klingt ihr Organ voluminös und kraftvoll. Vielleicht sollten sich die Holländer mal mehr gehen lassen und endlich das "gemäßigte Metal-Band mit Opernstimme verkauft sich gut"-Konzept ad acta legen. Dann könnte was draus werden. Moshen kann Frau Jansen jedenfalls!
(Wiebke Rost)

KISS-Alarm! Die schwedischen DEATHSTARS haben schon etwas von den seligen "Kriegern In Satans Sold", vor allem viel schwarz-weiße Schminke im Gesicht. Die Songs klingen allesamt rockig-gotisch, laute Gitarren krachen durch den Nachmittagshimmel. Am Sänger flattert dazu ein lackiges Röckchen, der Oberkörper bleibt unverhüllt. Der Gitarrist bangt sogar. Da bleibt nur eine Frage: Parodie oder Ernst? Hoffentlich ist es Parodie, sollte diese Musik ernst gemeint sein, ist sie megapeinlich. Doch zum fröhlichen Grinsen reichen die Schweden an diesem Nachmittag allemal...
(Henri Kramer)

Noch ein Grund mehr zum Lachen: NOCTULUS ist auch da! Die heidnische Einmann-Black-Metal-Combo mit Hund aus Chemnitz ist die fünfhundert Kilometer bis hier her gereist und bereitet ihren Auftritt vor. Bis ins Konzertgelände hat man ihn nicht vorgelassen. Sein Lager schlägt er nun am Zeltplatzrand auf, in der Hoffnung, am Ende des Tages ein paar Münzen in seinem Blechhelm zu finden. Zu schade, dass die zwei Powermetal-Maulwürfe seine Performance nicht mehr miterleben dürfen. Aber die Zeit drängt und der Rückweg ist lang. Schnell noch den Ausblick vom offiziellen Loreley-Felsen erspäht: Früher reichte der Rhein sicher bis an das schroffe Gestein heran. Heute kann man sich nicht mehr todeswütig wie die verliebte Loreley in die Fluten stürzen, denn die B274 schlängelt sich am gemauerten Flussufer entlang. Über Selbstmörder beim Zillo ist nichts bekannt. Zu gut sind die Fans versorgt: mit sauberen Toiletten, wo nie das Klopapier ausgeht, angenehm zurückhaltenden Securities und Massen von Verkaufsständen, wo es die absurdesten Accessoires, wie z. B. Fledermaus-Rucksäcke aus Gummi, zu erwerben gibt.

Als Erholungsurlaub zwischen dem Obscene Extreme und Wacken Open-Air ist das Zillo auch dem Metaller zu empfehlen. Da kann man mal der Freundin einen Gefallen tun, sie neu einkleiden, sich kultiviert geben, zeigen, dass der eigene Wortschatz über obligatorische "Slayyyer"-Rufe hinausreicht... Nur Proviant sollte man vorher bunkern. Das Essen kostet durchschnittlich 4 Euro, der Wein 3 Euro. Dabei heißt es doch so schön: Wein und Rhein, das muss sein! Rhein-Rauschen, Wein-Rauschen, Tanz-Rausch, Met-Rausch... poetische Gegend hier. Ein besseren Standort hätte sich das Zillo nicht suchen können. Großes Kino!
(Wiebke Rost)

Redakteur:
Wiebke Rost

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