With Full Force XV - Roitzschjora

25.07.2008 | 13:40

04.07.2008, Festivalgelände

SAMSTAG

Der Kopf drückt, die Leber auch. Nach zwei Stunden Schlaf heißt es zurück auf die Hinterbeine. Schlafen kannste, wenn du Tod bist. Also weiter im Text.

Wer sich Samstagnachmittag die Vollspaten von A.O.K. reinzieht, weiß im Normalfall, was ihn erwartet. Wen wundern da noch Kameraden in Kuhkostümen, Hasenoutfit oder auch mal völlig ohne Klamotten, geschweige denn ein aufblasbarer Riesenpenis? Eben, niemanden, und so geht es in gewohnt bescheuerter A.O.K.-Manier dilettantisch und stimmungsvoll ans Werk. Genug abgefülltes Volk für spaßige Mosh-Pits ist bereits anwesend, Peter und Jochen in Nullzeit nackt und viele "zufällig" Anwesende ob dieses Anblicks etwas ratlos. Das obligatorische Baguette-Feuerwerk darf natürlich genauso wenig fehlen wie der RAMMSTEIN'sche Kopfsalat. Für 'Stromausfall' bedankt die Meute sich mit dem ersten lautlosen Mosh-Pit der Force-Geschichte, und mit zufriedenen Mienen verlassen die Südhessen die Bühne. Herrlich bekloppt!

Eine kleine Überraschung ist der nun folgende Auftritt der Psychodänen von ILLDISPOSED. Hatten die "eierlosen Nutten" mich auf den letzten drei Shows maßlos enttäuscht, machen sie mit ihrem WFF-Beitrag alles wieder gut. Bo und Co. sind ob der frühen Spielzeit einigermaßen nüchtern, dementsprechend spielsicher und erstaunlich gut gelaunt. Der Set besteht zu großen Teilen aus Stücken der letzten zwei Alben; das großartige "1-800 Vindication" ist lediglich mit 'Dark' vertreten. Aber auch ein, zwei Songs früherer Tage finden den Weg aufs Force. Der menschliche Subwoofer Bo Summers erfreut die Menge zwischendrin immer wieder mit seinem ursympathisch gebrochenen Deutschkenntnissen, lästert ein wenig über die dänische Bandkonkurrenz und streut etwas Salz in die Wunde des EM-Aus gegen Spanien. Nimmt ihm aber keiner übel, und so geht die Menge bei 'Verloren in Berlin' so richtig schön steil. Das lautstark geforderte 'Illdispunk'd' bleibt leider aus, was man den Jungs bei der kurzen Spielzeit aber kaum verübeln kann. Die Dänen haben sich rehabilitiert und ihren Status wieder gefestigt.
[Dennis Hirth]

Weniger witzig geht es bei den Amis von JOB FOR A COWBOY zu. Hier wird gedroschen, was das Zeug hält. Nur leider mit sehr wenig System, so dass der Brei auch schon besser geschmeckt hat. Mit ihrem Debütalbum "Genesis" konnten sie vor allem in den USA mächtig punkten. Platz 54 der Billboard Charts ist mehr als nur ein Ausrufezeichen. Doch dieses können sie heute Nachmittag nicht setzen. Zu selten entfalten sich die death-metallischen, progressiven Strukturen. Vielleicht sind auch die Köpfe der Anwesenden schon nach dem ersten Tag nicht mehr aufnahmefähig.

Darunter haben auch ENTOMBED etwas zu leiden. So richtig kann mit den alten Helden keiner was anfangen. Auch wenn sich Sänger Lars Göran Petrov die Seele aus dem Hals schreit. Ihre Wandlung vom reinen Death Metal zu einem Mix aus Death 'n' Roll, Punk und Crustcore klingt zwar verlockend, doch sie lockt keinen aus dem Dixie-Klo.
[Enrico Ahlig]

Eine auf Festivals bisher eher rar gesäte Combo sind die Chaoscoreler von CONVERGE. Auf Platte eine Garantie für angenehmen Hirnmatsch - "No Heroes" ist definitiv Pflichtmaterial - bringen die Amis das auch live - leider ohne die durchschlagende Wirkung. Soundgebeutelt und als Opfer ihrer eigenen Komplexität verschwindet das Filigrane der Songs in einem Meer aus Druck und Lautstärke. Speziell die Vocals sind nichts als Brei, aus dem sich nichts heraushören lässt. Dementsprechend geht jeglicher Wille zum Mitmachen Song für Song genüsslich flöten, und am Ende stehen CONVERGE zwar von den Fans bejubelt dar, ohne aber wirklich überzeugt zu haben. Ärgerlich ist einfach, dass sich anspruchsvolles Material nicht genießen lässt, wenn's scheiße klingt. Und so ziehen CONVERGE im Vergleich zu ihren Berliner Kollegen vom Vortag klar den Kürzeren.

2006 hatten DEVILDRIVER den eh schon trockenen WFF-Acker niedergebrannt. Und Dez Fafara hatte sich ein ähnliches Vorhaben auch dieses Jahr merklich auf die Fahnen geschrieben. Vor der Bühne ist kaum noch Platz zum Atmen, und zu Abrissbirnen wie 'Clouds Over California', 'These Fighting Words' oder 'End Of The Line' schlägt sich die Crowd ordentlich den Schädel ein. Die Intensität der Amis ist purer Wahnsinn, und das obwohl der Motivationsschub, alles kurz und klein zu schlagen, nicht mehr so präsent ist wie noch vor zwei Jahren. In Sachen Ansagen hält Fafara sich zurück - die Band weiß um die knappe Zeit und prügelt lieber noch einen Song mehr durch die Leute, als mit langen Ansagen zu nerven. Dies erweist sich als goldrichtige Entscheidung, genau wie den Schwerpunkt des Auftritts auf Stücke der "The Last Kind Words"-Platte zu legen. Der Großteil der Masse ist hier absolut firm und hellauf begeistert. Und so wird der Platz in Reihe drei zum absoluten Überlebenskampf, der nach diversen Tritten, Schlägen und auf dem Nacken gelandeten Crowdsurfern leider frühzeitig endet. Egal, Leid gehört zum Spiel. DEVILDRIVER lassen keine Wünsche offen, setzen sich selbst mal wieder ein Denkmal und sollten die Teilnahme in 2010 schon im Sack haben.
[Dennis Hirth]

Dann schnell mal geschaut, was die Buben von HEAVEN SHALL BURN anstellen: mächtig Krach, mächtig Rhythmus und mächtig viele Leute. Mit diesen kann man ja so einiges anstellen. Zum Beispiel einen Circle Pit um den Wellenbrecher. Gesagt, getan – auch wenn es eher wie eine große Polonaise aussieht. Die obligatorische Wall Of Death erfolgt auch – gähn! Irgendwann wirkt dieser Akt einfach nur noch langweilig. Was soll's? Ab auf den Zeltplatz – der Magen knurrt.

Zurück auf dem geheiligten Acker zocken SIX FEET UNDER gerade ihren letzten Song: 'TNT'! Das Publikum ist fett dabei. Was sehe ich denn da? Einen Gipsarm? Anständig von den Ärzten, dass sie zumindest den kleinen Finger und den Zeigefinger rausschauen lassen. So muss eine tapfere Pommesgabel aussehen.

What time is it? My time! MINISTRY geben sich zum letzten Mal auf dem With Full Force die Ehre. Mit dem Ende der Tour endet auch die Geschichte der Wegbereiter des Industrial Metal. Zunächst als reine Synthie-Projekt Anfang der Achtziger gestartet, nahmen im Laufe der Zeit die Gitarren einen größeren Einfluss und schufen den unverwechselbaren MINISTRY-Sound, der unzählige großartige Bands maßgeblich beeinflusst hat. Doch zu meinem Erstaunen ist der Vorplatz für eine Band solcher Größenordnung erstaunlich leer. Wissen die Kiddies nicht mehr, was wirklich gut ist? Muss denn wirklich jede Band wie die andere klingen? Die Bühne erweist sich da schon als voller. Etliche Absperrgitter verwehren den direkten Blick auf Al, Tommy Victor und Co. Ob dies Resultat der Wurffreude des deutschen Publikums ist oder einfach nur zur Show gehört, ist fraglich. Ich gönne mir einen Platz im potentiellen Mosh-Pit. Dieser wächst beim Opener 'Let's Go' jedoch gewaltig, und so verdrücke ich mich. Zu investigativ muss es ja auch nicht sein.

Al hat wieder sein Rotweinglas am Start, na dann Prost und ab dafür! Die alten Körper fliegen umher, junges Gemüse kann man vor der Bühne kaum erspähen. Schade, denn hier wird ihnen eine Lehrstunde erteilt. Mit Songs des aktuellen Albums "Last Sucker" geht es weiter, bevor mit 'No W' der erste alte Klassiker aufgefahren wird. Untermalt wird der Gig von der typischen MINISTRY-Videoshow, in der sich wie immer die berühmt-berüchtigten Personen der Zeitgeschichte tummeln. Als 'Rio Grand Blood' ertönt, gibt es kein Halten mehr. Zumindest bei mir. Man muss einfach zappeln, anders hält man dieses Mörderteil nicht aus. 'Senior Peligro' hinterher – was gibt es Besseres? Höchstens ein besseres Publikum. Denn die Kids werfen lieber Becher gegen die Bühnendeko, als hier mal für Crowd-Action zu sorgen. Mit 'Lies', 'NWO' und 'Just One Fix' wird der Set mit einem Dauerfeuer aus Genre-Klassikern beendet. Ein toller Auftritt, der musikalisch ohne jeden Zweifel bleibt, jedoch unter dem unterkühlt wirkenden Publikum leidet.

Ob IN FLAMES die Meute wieder zum Leben erwecken können? Gleich vorweg: ja! Mit einer extrem schicken Licht- und Pyroshow können sie den Acker in Stimmung bringen. Als die ersten Töne von 'Cloud Connected' ertönen, brandet ohrenbetäubender Jubel im weiten Rund auf. Anders, Jesper und der Rest der Musikantentruppe betreten die Bühne und geben sofort Vollgas. Alte und neue Hits werden präsentiert. Von "Colony" bis "A Sense Of Purpose" wird keine Schaffensperiode ausgelassen. Gerade die neuen Songs überraschen. Konnte mich das Album nicht vom Hocker reißen, so erwecken die Jungs 'Disconnected' und 'Alias' live zu neuem Leben – Feuershow inklusive!

Anders ist prima aufgelegt und scherzt mit der Meute über verlorene Liebe, Schuhe, die auf die Bühne fliegen, sowie über den Kampf mit dem Reißverschluss seiner Hose – dank Videoleinwand in Großaufnahme. Als 'The Quiet Place' erschallt, sind wir am Höhepunkt angekommen. Ich liebe diesen Song, und er strahlt live so eine unglaubliche Kraft aus, dass ich mir jedes Mal wünsche, dass das Stück endlich mal ein Upgrade um mehrere Minuten erhält. Mit der Halbballade 'Come Clarity' gibt es auch ein Highlight für die Feuerzeug-Fraktion, während bei den typischen Rausschmeißern 'Take This Life' und 'My Sweet Shadow' zum letzten Mal für heute die Erde wackelt. Vor allem 'My Sweet Shadow' setzt einen neuen Maßstab für das With Full Force. Während sonst erst nach dem Headliner am Samstag das große Feuerwerk beginnt, knallen die Raketen schon während des Songs. Zusammen mit der Feuershow auf der Bühne ein Spektakel sondergleichen. Gänsehaut pur! Geile Show, geile Band, geiles Publikum. Überragend!
[Enrico Ahlig]

Redakteur:
Enrico Ahlig

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