WACKEN 2023 - Wacken

22.08.2023 | 16:16

31.07.2023,

...oder Grenzerfahrungen für alle Beteiligten.

Mit dieser Titelzeile ist in meiner Betrachtung ein guter Satz gefunden, um das diesjährige Festival zusammengefasst auf ganz wenige Wörter herunterzubrechen.

Wacken hatte schon immer Erfahrungswerte zu bieten, die in den gesamten, ein Rock-/Metalfestival ausmachenden Bereichen wie vor allem das Wetter, aber auch Campingbedingungen und Gelände, Laufwege, Organisation, sanitäre Anlagen, zeitliche Abläufe, Sound, Verpflegungs- und Getränkepreise, anwesende Publikumsfraktionen etc., etc., etc. betreffend, von himmelhochjauchzenden bis hin zu nihilistisch vernichtenden emotionalen Meinungsäußerungen das gesamte Spektrum an Wahrnehmungen in der Medien- und Social-Media-Landschaft abbilden ließen.

Wacken wird eben "gehasst, verdammt, vergöttert", um es mit den Worten einer nicht ganz unbekannten Frankfurter Hartschlager-Kombo auszudrücken, deren Front-Stephan dieses Mal auf Solopfaden auch wieder auf dem Festival, allerdings auf einer Nebenbühne, musizieren durfte.

Doch bevor ich, beziehungsweise wir, ins musikalische Festivalgeschehen einsteigen, möchten wir noch einige allgemeine Worte zum "Drumherum", sowohl persönlich als auch das Festival betreffend, verlieren.

Mein (Timo) langer Weg in das unbeugsame Dorf in Schleswig-Holstein führt diesmal über Seebronn in Baden-Württemberg, wo ich am Wochenende vor der großen Metal-Sause im Norden Deutschlands zu Gast beim "Rock Of Ages"-Festival bin. Da das von mir so sehr geliebte "Bang Your Head"-Festival leider aus diversen Gründen "sterben" musste, darf man mit dem aktuellen BYH-Ticket zum ROA kommen, wovon ich Gebrauch mache, um irgendwie einen nicht ganz so abrupten persönlichen Abschied zum BYH zu finden. Das gelingt durch ein tolles Festival bei überwiegend gutem, und gar nicht so schlechtem Wetter, wie eigentlich angekündigt ist. Es sind drei entspannte Tage mit der ROA- und BYH-Familie sowie einem Freund und meinem Cousin, auf dem wunderschönen Campingplatz in der kleinen Waldschneise, bei teils großartigen Konzerten vom beispielsweise binnen 24 Stunden nach gesundheitsbedingter Absage von THE SWEET eingesprungenen ULI JON ROTH, von TYKETTO, TREAT oder SUZI QUATRO. Und so setze ich mich am Sonntagabend, dem 30. Juli, nach dem grandiosen Auftritt jener großen, dreiundsiebzigjährigen Dame der Rockmusik und der Schlussrede von Horst Franz, dem Veranstalter des ROA, mit dem guten und wärmenden Gefühl, dass es ein weiteres "Rock Of Ages"-Festival geben wird, um 21:30 Uhr hinter das Steuer meines Autos und cruise unter Einfuhr von zwei Energy-Drinks und einem Dosenkaffee gen Norden.

Dort, also in Wacken, komme ich nach u. a. vollständigem Genuss der SUZI QUATRO-Playlist des Streamingdienstes mit dem grünen Punkt, zwei Päuschen und ein-/zweimal abgewendetem Sekundenschlaf (always remember: Dosenkaffee is your friend!) um ziemlich genau 5:55 Uhr an.

"Un' nu?", wie das Nordlicht zu sagen pflegt. Tja, nach einigen Fragen zum Befahren der Wiesen an einen ahnungslosen Aufpasserich und einem kurzen Warte-Intermezzo auf dem Edeka-Parkplatz (Ich entdecke gerade noch rechtzeitig die Dixies, bevor ich zum Wildpinkler werde...), reihe ich mein Auto schließlich ziemlich weit vorne in die Warteschlange zum "Holy Land" ein.

Gegen 7:30 Uhr bewegen sich dann die Autos vor meinem und wir zuckeln im Regen langsam durch die landschaftlichen Gehöfte hinter das Dorf, wo ich sogleich auf den Camping-Abschnitt M gelotst werde, auf dem bereits eine Unmenge an Stewards und Stewardessen bereitsteht, die aufpassen müssen, dass sie sich nicht beim ziemlich übermotivierten Heranwinken der Fahrzeuge mit den Armen gegenseitig verletzten.

Auto in Reihe hinter einem bulgarischen Campingbus abgestellt, Wurfzelt hingetackert, Bier auf! "Ziemlich nass hier", ist einer meiner ersten Gedanken. Diese lapidare Feststellung soll sich für die gesamte Woche in Wacken bewahrheiten. Jedenfalls leiden die weltberühmten Wiesen hinter dem Dorf bereits seit Wochen unter nahezu täglichem Regen und sind dementsprechend schlecht oder gar nicht befahrbar, was die Veranstalter Jensen und Hübner mit ihrem Team zu einem folgenschweren, unbequemen, aber im Grunde richtigen Schritt veranlasst.

Ich verbringe den weiteren Montag nach Abholen meines Festival-Bändchens mit Erkundung der bereits geöffneten Geländebereiche, bissel Merch-Shopping und einem Spaziergang durch das Dorf mit Einkehr im LGH (Landgasthof). Dort konsumiere ich neben einer Kartoffelsuppe auch den Auftritt des aus der Gegend stammenden Death-Metal-Geschwaders SLOWLY ROTTEN, das bei sehr ordentlichem Sound, mit im Vordergrund stehendem rhythmischem Gegrunze des Frontmanns, den Veranstaltungsraum des LGHs ordentlich aufheizt und sicherlich einige neue Freunde gewinnen kann.

Der Dienstag vor dem Festival ist aus meiner Sicht eigentlich fast einen eigenen Artikel wert, kommt mir doch das Handy neben meinem Zelt "abhanden", was den weiteren Verlauf, vor allem dieses Tages, maßgeblich beeinflusst. Zunächst muss ich zumindest eine Nachricht an meine Frau absetzen, was mir mit schneller Hilfe von Andy, Sven und "Mütze" aus dem Oldenburger Land gelingt: Sven lässt mich per FB-Messenger (Ich kann nur meine eigene Telefonnummer auswendig...) einen kurzen Text verfassen und schickt ihn meiner Frau. Jetzt heißt es warten. Beim Wartebier schmiede ich mit meinen neuen Bekannten den Plan, zunächst den Verlust des Handys zu melden. Gesagt, getan: Da ich beim "Lost & Found" den Tipp erhalte, das Handy als gestohlen zu melden (auf teils spekulative, wenn auch ziemlich eindeutige Hintergründe möchte ich hier nicht näher eingehen), beginnt nun meine Odyssee auf der Suche nach der Polizei. Nach fehlgeschlagenem Gummistiefelkauf (Doch, ich habe gute Stiefel für das Infield dabei, aber zu diesem frühen Zeitpunkt bereits zwei Paar Turnschuhe versaut und bin mittlerweile barfuß wie bei einer Schlammkur mit den Schuhen in einer Hand unterwegs...), da die Biester nicht passen wollen, werde ich von der Infield-Security abgewiesen: Die Wackener Polizei hätte in einer Absprache beschlossen, sich dieses Jahr nicht bei Bullhead City niederzulassen; man solle sie anrufen (!) oder in Wacken aufsuchen. Der Security-Man beschreibt mir nun den Weg um das Infield herum nach Wacken, wo ich nach einigem Herumirren in den völlig verschlammten "Wastelands" nach ca. einstündiger Erkundungstour, inklusive Blick von hinten in die "Faster"- und "Harder"-Bühnen, ankomme.

An der Wackener Hauptstraße funkt ein recht fix arbeitender Security-Mann, der für den Fahrzeug-Einlass zum Infield verantwortlich ist, die Polizei an. Nach ca. 30 Minuten kommt ein Polizist mit vier blauen Sternchen auf der Schulter angefahren, und erklärt mir erst einmal, weshalb er jetzt nicht der Richtige für diese Meldung ist. Als er mir wortreich, aber behutsam verklickert, dass die für das Festival abgestellten Polizeibeamten eben doch dieses Jahr neben dem Eingang zum Infield stationiert sind, erreicht meine Geduld kurzzeitig fast ihr Ende. Nach Zur-Kenntnisnahme meiner Story zückt er schließlich doch Block und Stift, um sich Notizen zu machen. Kurz darauf wird er von zwei Polizistinnen unterbrochen, die ihn schelmisch darauf aufmerksam machen, dass er ihre Arbeit übernommen hätte, woraufhin er sein Zettelchen übergibt und sich eilig davonmacht, um wieder den Verkehr zu regeln.

Nach Aufnahme meiner Informationen, einigen Hinweisen an mich und einer Unterschrift meinerseits, gehen die zwei netten Polizistinnen und ich wieder unserer Wege und ich gönne mir erst einmal 2-Euro-Dosenbier und schwelge nach interessanten Gesprächen mit unglaublich netten Menschen am Bierstand und in der Warteschlange zum Wacken-Headquarter in Merchandise-Frustkäufen. Gegen Abend, zurück am Zelt, geht es Schlag auf Schlag: Zwei mir bis dahin noch unbekannte Zeltnachbarn sagen mir, dass meine Frau sich bei Sven von "da hinten" gemeldet hat, und ich über Svens Handy zurückrufen könne. Von "da hinten" kommen fast zeitgleich Sven und "Mütze" und binnen einer Minute spreche ich endlich mit meiner Frau! Nach Verstauen meiner Tüte und "Einatmen" einiger Müsli-Riegel mit Bier tapse ich nochmals in die Dunkelheit nach Wacken, um irgendwo ordentlich zu essen. Ich lande schließlich wieder im LGH, wo ich einen der leckersten Burger, die ich diesen Jahr bisher essen durfte, genieße. Ohne Übertreibung: Der ist mega-gut! Danach genieße ich weiterhin noch überteuertes Bier aus toll bedruckten Plastikbechern und bange zu den ganz nett aufspielenden REZET im Nebenzimmer. Deren Sound ist mir als nicht besonders gut in Erinnerung geblieben, was aber auch an meiner mittlerweile recht kurzen Konzentrationsspanne gelegen haben kann. Des nächtens strumpele ich dann im Nieselregen ziemlich angetüdelt durchs Dorf und patsche durch die nassen und mittlerweile an vielen Stellen verschlammten Wiesen zu meinem Zelt.

[Timo Reiser]

Im Gegensatz zu Kollege Timo plane ich, Erika, gemeinsam mit meinem Lebensgefährten Herrn K. aus M. wie jedes Jahr erst Mitte der Woche nach Wacken zu fahren. Am Mittwochmorgen schickt mir ein Kollege aus der POWERMETAL.de-Redaktion ein Nachrichtenvideo, in dem darüber berichtet wird, dass das "Wacken Open Air" (WOA) einen generellen Einlassstopp für alle Besucher erlassen hat. Nicht nur für Camper, sondern auch für Hotelschläfer wie uns, die nicht mit dem Auto anreisen. Für Herrn K. aus M., den ich sofort am Arbeitsplatz anrufe, ein Schock! Ich bin direkt entschlossen, trotzdem in den Norden zu fahren. Es ist alles bezahlt: Zugticket, Hotel für den Zwischenstopp in Hamburg und am Festivalort. Wir wollen es trotzdem versuchen. Wie wir bei Ankunft in Schleswig-Holstein am Mittag des Folgetages feststellen, sind auch alle anderen Fans da, die wir jedes Jahr in Wacken treffen.

Und alle haben – wir staunen und hoffen – schon ihr Bändchen. Also versuchen auch wir am Donnerstagnachmittag unser Glück und schielen dabei schon auf DARK TRANQUILLITY, die schwedischen Melodic-Death-Metaller, die für 15.30 Uhr auf dem Programm stehen.

Zu unserer Überraschung dauert es keine fünf Minuten bis wir am Eingang des Festivalgeländes an der Hauptstraße in Wacken unser Bändchen bekommen. Kein Fragen, kein Zögern. Von einem Einlassstopp ist nichts zu spüren. Dass das so schnell geht, liegt auch daran, dass die Veranstalter die kluge Entscheidung getroffen haben, die Bändchenausgabe wieder an der Hauptstraße am Ortseingang von Wacken einzurichten. Dort war sie jahrelang, bevor man dann entschied, die Festivalbesucher zunächst auf einen langen Marsch auf die Rückseite des Festivalgeländes zu schicken. Ich erinnere mich noch gut daran, wie sehr wir uns über diese unpraktikable Entscheidung geärgert haben. Nun hoffen wir, dass die Bändchenausgabe auch in den kommenden Jahren wieder an der Hauptstraße erfolgt, selbst wenn keine Unwetter wüten.

Obwohl wir uns beide sehr freuen, dass wir eingelassen wurden, bleibt doch ein winzig kleiner, fader Beigeschmack. Denn was ist mit all denen, die den Einlassstopp ernst genommen haben und zu Hause geblieben sind oder sich mit ihrem Camping-Wagen in Hamburg in Warteposition begeben haben? Müssen sie sich nicht hinters Licht geführt fühlen? Da bleiben sie artig zu Hause und müssen hinterher erfahren, dass Zehntausende trotzdem noch aufs Gelände gelassen wurden. Und diejenigen, die sich auf den Warteplatz in Hamburg begeben haben, statt entgegen der Aufforderung der Veranstalter nach Wacken zu kommen, sind am Ende die Dummen und dürfen nicht mehr rein. Herr K. aus M. empört sich, wenn ihm das widerfahren wäre, wäre er stinksauer. Verstehe ich. Und trotzdem verstehe ich auch den Veranstalter, der sich mit diesem Kniff wohl eine Überzahl Leute ferngehalten hat, gleichzeitig aber auch noch einen Weg gefunden hat, die Anzahl zu erstattender Tickets zu begrenzen.

Sicherlich stehen bei einer solchen Veranstaltungsgröße nicht nur der faire Umgang mit den Fans im Vordergrund, sondern auch Haftungs- und Versicherungsfragen sowie die Verantwortung dafür, wenn eine Katastrophe passiert. Wer will dann schon schuld sein? In einem Kommentar des NDR (https://www.ndr.de/nachrichten/schleswig-holstein/wacken_open_air/Kommentar-Wacken-Veranstalter-haben-viel-Vertrauen-verspielt,kommentar2668.html) lese ich später, die Veranstalter haben viel Vertrauen verspielt und die kommenden Tage und Wochen werden zeigen, ob und wie sie es zurückgewinnen können. Ich denke schon zu diesem Zeitpunkt, dass das wahrscheinlich kein Problem sein wird. Selbst wenn 20.000 Fans sich frustriert vom WOA abwenden, stehen schon die nächsten 20.000 in der Warteschleife, die auf ein Ticket lauern. Und so wird es ja dann später auch kommen. Das WOA 2024 wird am Sonntagabend erneut nach vier Stunden ausverkauft sein.

[Erika Becker]


Zum Mittwoch

Redakteur:
Timo Reiser

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