The Dark Storm-Festival - Chemnitz

04.01.2006 | 21:05

25.12.2005, Stadthalle

Blutbeschmierte Ekelhaftigkeiten versus Vorzeige-Schönlinge mit Schlager-Sexappeal versus Industrial-Keifer versus von Schizophrenie geplagte Textableser - die stilistische Vielfalt am Abend des neunten Dark Storm-Festivals ist enorm. Das inzwischen so traditionsreiche Treffen der schwarzen Musikelite - in der allweihnachtlichen Reihe spielten schon UMBRA ET IMAGO, PROJECT PITCHFORK, CREMATORY, COVENANT und viele andere - ist zum zweiten Mal in der Chemnitzer Stadthalle zu Gast. Und: Das Konzept des Festivals entpuppt sich auch in dieses Mal als ein voller Erfolg, wie sich nach rund sieben Stunden Musik beim Auftritt von VNV NATION zeigt: Ausgelassen feiernde Fans, eine deshalb sichtlich glückliche Band - sowie nicht allzu leere Geldbörsen, der recht fairen Getränke- und Eintrittspreisen wegen. Die besondere Empfehlung für den besseren Blick: Met alias Honigwein.

Mit solch einem Becher voll süßem Wein in der Hand ist zum Beispiel der Anblick der ersten Band des Abends relativ erheiternd. LIMBOGOTT tun in etwa so, als seien sie die deutsche Antwort auf SLIPKNOT, MARILYN MANSON und Konsorten - nur das die heimische Nu-Metal-Variante lang nicht so variantenreich zu agieren vermag. Optisch sind sie aber durchaus der internationalen Konkurrenz gewachsen, sehen doch die blutbeschmierten Shirts der beiden umherspringenden Sänger recht beeindruckend aus - zumindest für 16-Jährige. Trotzdem, ganz mies klingen LIMBOGOTT nicht. Außerdem hat die noch recht neue Band aus Norddeutschland gerade ihr viel gelobtes Debüt "One Minute Violence" veröffentlicht - und sich dafür wohl im Drogenrausch die neue Stilrichtung Post-Industrial-Violence-Metal ausgedacht. Der Gig kann mit solchen krassen Bezeichnungen allerdings nicht ganz mithalten - und dennoch brettern die Gitarren schön saftig drauflos und geben einem eigentlich eher auf Gothic- und Dark-Wave-Fans zugeschnittenen Festival einen brachial-würdigen Einstieg.

Ein wenig gewöhnungsbedürftiger für Metal-Heads ist da schon der Auftritt von LETZTE INSTANZ. Gestartet als fröhliche Mittelalter-Metal-Truppe, sind die Jungs inzwischen deutlich und klar in die schwarze Szene abgedriftet, hier begeistern sie die Massen. So johlt das Chemnitzer Publikum laut los, als der neue Sänger Holly und der alte Co-Schreier Holly D. mitsamt ihren Kollegen die Bühne betreten - nach einem coolen 30er-Jahre-Bar-Varieté-Song-Intro im Frank Sinatra-Stil. Der Unterschied zu diesem ruhigen Stück könnte nicht größer sein: LETZTE INSTANZ rocken sofort los, Gitarre, Kontrabass und Geige verschmelzen, die beide Stimmen treiben in dunkel-klarer Tonlage die Fans an - frei nach dem Motto: "Tanz, Tanz, letzte Instanz..." Doch für den vollen Hörgenuss reicht es nicht, besonders bei den neueren Stücken verzichten die Jungs auf die Geradlinigkeit alter Tage und töten mit allzu viel ruhigen Passagen ihren eigentlich recht dynamischen Sound gnadenlos ab. Dennoch, die Fans freut es, dass ihre Idole überhaupt noch auf der Bühne stehen - waren LETZTE INSTANZ nach drei Musikerausstiegen im Frühjahr 2004 doch schon fast am Ende. Das neue Album "Ins Licht" kommt Anfang Februar, doch in Chemnitz werden vornehmlich die alten Hits der Sorte 'Rapunzel' abgefeiert. Mit all diesen Attributen scheinen LETZTE INSTANZ live in die Schublade jener Bands zu fallen, die auf ihren Alben mehr und mehr auf Mainstream setzen, um neue Hörer zu gewinnen - aber bei den Konzerten feststellen, dass die ersten Klassiker doch besser auf der Bühne funktionieren.

Auf dem Weg zu einem größeren Publikum befinden sich auch SILENT PAIN, die in ihrer Heimatstadt als erste Band im kleinen Saal der Stadthalle spielen dürfen - parallel zur Umbaupause auf der Hauptbühne. SILENT PAIN nutzen ihre Zeit redlich; sie toben über die Bühne und bekommen dafür von einem Teil des heimischen Publikums kräftigen Applaus gespendet. Doch viele verlassen den Ort des Geschehens auch wieder: An der Tür zum Saal ist ein ständiges Kommen und Gehen. Warum die vier Musiker mit ihrem Sound nicht durchweg fesseln können? SILENT PAIN mischen poppige Industrial-Metal-Riffs mit ein wenig Zusatzelektronik, schwanken zwischen Ruhe und Energie - und erinnern dann doch zu stark an ZEROMANCER und all die anderen Band im elektrischen Schwarz-Pop-Genre. Zu inspirationslos, zu austauschbar, so klingen sie - ein ernüchterndes Fazit für den stillen Schmerz nach rund einer halben Stunde Spielzeit. Da hilft nur Honigwein, um nicht vollends einzuschlafen. Und die Hoffnung bleibt, dass diese Gruppe noch jung genug ist, ihrer Musik zu mehr Eigenständigkeit zu verhelfen - denn in Ansätzen klingen sie gar nicht so schlecht, außerdem beherrschen die fünf Musiker bis auf den etwas reglosen Keyboarder schon die Körpersprache geborener Livemusiker. Im Endeffekt sind SILENT PAIN also live längst nicht so krass-mies wie ZERAPHINE im Anschluss...

...denn ZERAPHINE lässt sich mit der nötigen Portion metgetränktem Zynismus als eine Band beschreiben, die den Schlager in die Gothic-Rock-Szene holt - nur der Ersatzdrummer ist cool und hat so wenig anspruchsvolle Rhythmen zu spielen, dass er unentwegt Zigaretten rauchen kann. Die Texte - ein Graus in deutsch: Titel wie "Die Macht in dir" sprechen eine deutliche Sprache. Vielleicht steht ja schon bald auf einer ZERAPHINE-Single das verheißungsvolle Prädikat "feat. Stefanie Hertel"...
[Henri Kramer]

...doch bis dato wird geschmust zu weiteren ZERAPHINE-Schlagern wie 'Kalte Sonne', 'No Tears', 'Die Wirklichkeit' oder 'Be My Rain'. Zum Aushalten ist das wahrlich nicht und so müssen ab dem zweiten Song der Band schon Mädels rausgetragen werden. Standhaftigkeit ist unter Goth-Prinzesschen nun mal nicht so verbreitet wie unter gestandenen Metallern - diese dürften jedoch den energiegeladenen und zugleich gefühlvollen Gesang des frauenumschwärmten Sängers nicht lang aushalten. Doch wer eher auf ruhige Balladen steht, findet seine Freude bei ZERAPHINE und so wird die Band auch umjubelt von ihren Fans; sehr zur Freude von Sängers Sven Friedrich.

Mit sanftem Goth-Rock geht es auch auf der Nebenbühne weiter: STAUBKIND ziehen ähnlich viel Publikum an wie ZERAPHINE im großen Saal zuvor. Das ist kein Wunder, denn auch hier findet sich weder eine atemberaubende Show noch musikalisch eine enorme Veränderung: Die Songs sind zwar rockiger, jedoch setzen STAUBKIND ebenso auf eher melancholischere Stücke wie 'Keine Träume'. Dabei wirkt die noch recht neue Band sehr professionell mit ihren ernsten Mienen - kein Wunder, ist doch Sänger Louis Manke auch bei den schon wesentlich erfolgreicheren TERMINAL CHOICE mit dabei. Einen bedeutend lockereren Eindruck machen trotzdem HOCICO auf der Hauptbühne.
[Franziska Böhl]

HOCICO sind laut - aber müssten eigentlich noch lauter sein, am Besten so laut, dass der Met im Becher vibriert. Denn die beiden Mexikaner sind die bis dato ersehnteste Band des Abends; kalter Industrial-Elektro, tanzbar, energetisch, voller Kraft und Stärke. Die beiden Protagonisten der 1993 gegründeten elektronischen Schwarztanz-Offenbarung könnten dabei unterschiedlicher nicht sein: Sänger Erk Aicrag rennt agil mit seinen Springerstiefeln, seiner halbkurzen Hose und seinem schulterfreien schwarzen Shirt über die Bühne, um seine muskulösen Arme ist schwarzes Klebeband gewickelt, sein halblanger Iro vervollständigt das Bild von einem Wilden. Giftig schreit er auf seinen langen Laufstrecken ins Mikro, kaum einmal klingt seine Stimme normal, geschweige denn freundlich. Des Sängers Gegenpart: Sein Cousin Racso Agroyam am Keyboard, sehr schnieke gekleidet mit einer Art Anzugrock, einem weißen Schlips und schicker Undercut-Frisur. An seinem Instrument scheint er festgewachsen, mit ruhiger Miene blickt er auf die Tasten vor sich, taxiert mit seinen Augen aber auch immer wieder den HOCICO-Sänger - der die Massen im Saal zum Ausrasten bringt. Im Laufe des Gigs fallen die Klebesteifen an Erks Armen einer nach dem anderen auf den Boden, so sehr tobt und schwitzt der Mittelamerikaner. Die Fans danken ihm, er dankt zurück - mit einem wunderbaren Elektro-Feeling, das sogar Choräle in seiner Vielseitigkeit kennt.

Gegen so viel Kreativität und Einsatz sind GARDEN OF DELIGHT (feat. LUTHERION) chancenlos - im kleinen Saal der Stadthalle spielen sie folgerichtig vor viel weniger Zuschauern als noch SILENT PAIN oder STAUBKIND vorher. Sie lassen sich vom mangelnden Interesse allerdings nicht beirren und ziehen mit der üblichen Grabesmiene ihre Bühnenshow durch: Sänger Artaud Seth am Anfang mit Band-Banner, dazu die im Gesicht anscheinend festgenagelte Sonnenbrille. Blickfang neben seiner Erscheinung ist natürlich die schicke Bassistin, die die Songs anscheinend alle auswendig kann und den Text eben einfach ohne Mikro ins Publikum ruft - denn für den dunklen Gesang á la FIELDS OF THE NEPHILIMs Carl McCoy ist einzig und allein Artaud Seth zuständig, der sich auch voller Theatralik am Mikrofon austobt. Doch trotz der immensen eigenen Motivation - die Fans werden von den DELIGHT-Gärtnern kaum erreicht. Nur ein paar Zuschauer in den ersten Reihen brüllen begeistert, der Rest wiegt sich in Langeweile ob der stilistischen Einfalt zwischen hartem Gitarren-Gothic-Rock und ein wenig Keyboardgedöns - Carl McCoy hat solche Klänge schon vor zehn Jahren besser, aufregender und abwechslungsreicher komponiert. GARDEN OF DELIGHT sind dagegen stilistisch zu eindimensional, zu eingeschränkt in ihren wenigen Ideen, ihren Songs fehlt die Überraschung - da hilft auch das fotogene Outfit kaum weiter.
[Henri Kramer]

Dann doch lieber auf in Richtung Hauptbühne. Inzwischen herrscht hier deutliches Gedränge und auch Kameras haben sich vorn positioniert, die den Auftritt von GOETHES ERBEN aufnehmen. Front-Psycho Oswald Henke trägt passend zum Bandnamen ein grau-weißliches, langes, weites Hemd und dazu eine schlichte dunkle Hose. Der Herr braucht eben Beinfreiheit und bei diverser Akrobatik ist das auch nötig. Denn mitten auf der Bühne steht ein Tischlein - natürlich mit schwarzem Samt bedeckt. Und auf dieses setzt er sich am Anfang gern einmal. Seltsamerweise befinden sich darauf Zettel: Womöglich die Titelliste für den heutigen Abend oder gar die Texte? Doch das bleibt fraglich und die Zuschauer interessiert es eh nicht. Die von Mr. Henke präsentierte Show ist da viel interessanter: All seine Gestik und Mimik, die so oft wechselt, dass der Eindruck entsteht, er könne schizophren sein, scheint das Publikum in einen Bann zu versetzten. Abwechslungsreich auch die musikalische Seite: Es werden Hits wie 'Prolog zu einem Märchen', 'Der Eissturm', 'Vermisster Traum' oder 'Glasgarten' gespielt. Allesamt den Zuhörern bekannt und umjubelt. Auch Henke selbst scheint sehr ausgelassen auf der Bühne, als er - wieder einmal mit anderer Jacke - sich fröhlich im Kreis dreht. Doch er kann auch anders: Henke gibt es an dem Abend auch kriechend auf der Bühne. Die sehr eindringliche Show des Sängers kommt gut an und so erlaubt er sich zwischen zwei Songs seine Worte an die erste Reihe, dem "zeterndem, tuschelndem Pack da unten", zu richten, damit diese doch gefälligst ihre Klappen halten und den lyrischen Ergüssen von GOETHES ERBEN auch bis ins Letzte zu Ende verfolgen. Ein gelungener Auftritt mit genug bösen Blicken des Sängers und ebenso vielen altbekannten Titeln, die die Fans schon mitsingen können.
[Franziska Böhl]

Bei so viel bedeutungsschwangerer Lyrik von GOETHES ERBEN bleibt nur der Griff in den Kalauersack: Der erste Dichter, noch vor Oswald Henke, hieß Nebel. Denn auch schon in der Bibel stand: Dichter Nebel lag auf der Erde...
Fazit: GOETHES ERBEN sind eben eine Erscheinung, die man entweder liebt - oder verarschen muss. So ähnlich ist es wohl auch bei NOCTULUS, der sonst immer mit seinem Mini-Hund Festivals wie das Wave-Gotik-Treffen unsicher macht. Dieses Mal hat es ihn in die Stadthalle verschlagen, mit Schminke, einer Mundharmonika und seiner gräulichen Stimme belagert er eine unschuldige Wand. Wenigstens gibt es aber auch hier wie bei den Erben von Goethe etwas zu lachen - bevor es wirklich wieder hochkarätig wird.

Denn die Band mit der professionellsten Show des Abends heißt VNV NATION - und steht zurecht als Headliner auf der Bühne, samt Riesenausstattung und einem nur auf den ersten Blick nicht so recht fotogen wirkenden Sänger Ronan Harris. Doch trotz seiner Fülle, der Kerl ist VNV NATION. Mit atemberaubender Schnelligkeit rennt er über die Bühne und lässt dabei seine raue Stimme durchs Mikro aus den Boxen heraus brechen. Das elektronische Inferno wird von zwei Keyboardern und einem stehenden Typen an den Drums unterstützt, zusammen kreieren sie eine extrem tanzbare Mischung - die zeigt, warum VNV NATION mit zu den beliebtesten Live-Bands im Gothic-Dark-Wave-Bereich zählen. Denn in ihren dynamischen Kompositionen sind auch eingängige Melodien zu Hause. Außerdem hatten die Briten immerhin zehn Jahre Zeit ein paar erstklassige Hits zu schreiben, besonders das Material von "Futureperfect" besitzt live durchgängige Abräumgarantie. Als ob dies noch nicht genug wäre, sorgen drei Videoleinwände und extrem abwechslungsreiches Bühnenlicht für die passende Atmosphäre im VNV NATION-Tanzpalast der Stadthalle. So recken die Fans bei dieser letzten Band des Dark Storm-Festivals ihre Fäuste in Richtung Saaldecke, per Video wird ein endloses Meer samt Sonnenuntergang gezeigt, später dann Feuer und Lichtblitze in Slow Motion - sieht so ein Tanz in die Apokalypse aus? Wenn ja, dann sollen VNV NATION dazu die Musik beisteuern...
[Henri Kramer]

Redakteur:
Henri Kramer

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