Serj Tankian/Foo Fighters - New York

22.02.2008 | 12:01

19.02.2008, Madison Square Garden

Wenn es eine Konzert-Location gibt, die nahezu weltweit ein Begriff sein dürfte, dann ist es wohl der Madison Square Garden in New York. Wer hier auftritt, hat es geschafft, und wer hier mehre Tage in Folge "ausverkauft" an die Tür kleben darf (so wie die wiedervereinigten THE POLICE im letzten Jahr), hat für den Rest seines Lebens ausgesorgt.

Auch wenn ich im Grunde kein Fan von Massenveranstaltungen bin, so wollte ich doch wenigstens ein Mal in meiner New Yorker Zeit "The World's Most Famous Arena", wie sich die von Insidern nur kurz "The Garden" genannte Mehrzweckhalle stolz an die Brust heftet, besuchen. Und als ich lese, dass SERJ TANKIAN dort für die FOO FIGHTERS eröffnet, nehme ich diesen Vorsatz in Angriff. Allerdings waren die rund 20.000 Tickets zu diesem Zeitpunkt bereits vom Markt. Wer jedoch bereit ist, selbst für einen schlechten Platz ziemlich tief in die Tasche zu greifen, findet im Auktionshaus mit den bunten Buchstaben immer noch was.

Die Dimensionen des Madison Square Gardens erschlagen einen zunächst, doch zum Glück ist alles - typisch amerikanisch - bestens durchorganisiert. Es gibt noch nicht einmal eine Schlange vorm Einlass, denn die riesige Vorhalle mit ihren Nippes-Geschäften fängt die Massen ab. Jeder Block hat seinen eigenen Aufgang, und dort gibt es wiederum unzählige beschriftete Türen, die einen idiotensicher bis fast vor den eigenen Sitzplatz führen. Auf dem Weg dahin komme ich schon an mindestens einem Dutzend Fast-Food-Ständen - auch namhafter Ketten - vorbei. Im WC werden die Besucher zügig wie im Kreisverkehr abgefertigt: Eine Tür für rein und ein Halbrund weiter, an den Waschbecken vorbei, dann der Ausgang. Worüber ich allerdings nicht näher nachdenken möchte, ist die riesige Müll-Verschwendung, die hier allein an einem einzigen Abend vollzogen wird. Denn Plastikflaschen werden in Plastikbecher geleert, die man mit Deckel und Strohhalm versehen dann in die Hand gedrückt bekommt. Wer möchte, kann selbst sein Bier fest verschlossen per Strohhalm trinken.

Als ich mich kurz vor sieben auf meinem Platz im Block A, schräg rechts hinten von der Bühne, aber verdammt weit oben einfinde, ist es noch arg leer. Mir ist schon öfters aufgefallen, dass grad bei namhaften Acts wie den FOO FIGHTERS die Toleranz der Amerikaner für die Vorbands fast noch niedriger zu sein scheint als bei uns. Zumal sich meist ziemlich gut ausrechnen lässt, wie viel später man kommen muss, um genau pünktlich zum Headliner mit Bier und Popcorn bewaffnet den Klappstuhl nach unten zu drücken. Bei AGAINST ME! verpasst die fehlende Mehrheit - knapp 30 Prozent der Plätze dürften erst maximal besetzt sein - aber auch nicht wirklich viel. Ihr punkiger Rock mit zwei Sängern, die allerdings viel zu ähnlich klingen, langweilt mich schnell, und auch in dem von einem ellenlangen Laufsteg durchkreuzten ovalen Stehplatz-Bereich vor der Bühne (wie gerne wäre ich dort!) bewegt sich noch nichts. Der Band scheint es egal zu sein, denn selbst mit einem hiesigen Gig vor noch so lichten Reihen dürften sie mehr Menschen erreichen als mit einer zweiwöchigen Clubtour. Und das Fähnchen "Madison Square Garden" schmückt schließlich jede Karriere.

Schade, dass SERJ TANKIAN nicht einfach seine bisherigen Tour-Begleiter FAIR TO MIDLAND, die ich wenige Tage zuvor erst in der winzigen Knitting Factory bewundern durfte (was für ein Kontrastprogramm zu heute!) mitgebracht hat, dann wäre der Abend mit insgesamt drei großartigen Frontmännern perfekt gewesen. Denn so verschieden die drei Sänger - der introvertierte Darroh Sudert, der (wie sich später zeigen wird) witzige Dave Grohl und der sich seines Show-Talents sehr wohl bewusste Serj Tankian - auch sein mögen, so haben sie doch eines gemeinsam: Live sind sie erst richtig gut. Und da wo Darroh vermutlich einfach seinen inneren Stimmen folgt und sich ganz der Musik hingibt und Dave einfach spontan tut, was ihm Spaß macht, inszeniert Serj jede Bewegung. Allein schon das Outfit: Eine auch ohne Dauer-Spotlicht hell leuchtende weiße Jacke und ein weißer Zylinder stellt heraus, dass die ganz in schwarz gekleidete Begleitband nur Staffage ist. Aber trotzdem ist Serj kein leerer Blender, er hat Charisma - selbst über diese lange Entfernung bis zu meinem Platz irgendwo im Nirgendwo hinweg. Er ist exzentrisch, aber nie überkandidelt. Leider habe ich seine Stammformation SYSTEM OF A DOWN nie live gesehen, aber die vergleichsweise ruhigeren Solo-Stücke von "Elect The Dead" drehen hier richtig ab - er kann wohl nicht anders. Wo möglich, quiekt Serj höher oder schreit wilder, als es die Album-Version eigentlich zulässt. Und genau das macht Spaß, macht ihn trotz aller Selbstinszenierung sympathisch.

'The Unthinking Majority' liefert einen fulminanten Einstieg in das gut halbstündige Set. Aber ähnlich wie bei SOAD schreibt Serj das Wort "Abwechslung" groß und schiebt mit 'Empty Walls' sogleich ein sehr viel hymnischeres Stück nach. Bei 'Feed Us' marschiert er wie auf einer Varieté-Bühne, zu 'Lie, Lie, Lie' tanzt er Sirtaki (und lässt mich schmunzelnd an einen unvergesslichen Abend auf dem Bang Your Head!!!-Zeltplatz denken, wo wir genau das zu einem SOAD-Song taten). 'Saving Us' ist herrlich melancholisch, 'Baby' aufgrund seines cheesigen Refrains irgendwo herrlich kitschig. Und mit dem melodischen 'Sky Is Over' hat der gebürtige Armenier gute Radio-Airplay-Chancen. Aber genug gekuschelt, Zeit für ein bisschen Irrsinn in Form des explosiven 'Money' und des durchgeknallten 'Praise The Lord And Pass The Ammunition'. Lediglich das abschließende 'Beethoven's C***' erinnert mich daran, dass "Elect The Dead" auch ein paar nicht so starke Momente hat - ganz im Gegensatz zu seiner zuletzt rundherum herausragenden Hauptkapelle. Aber ich bin zufrieden und glücklich. Und ein wenig skeptisch, ob die FOO FIGHTERS bei mir persönlich dieses Niveau halten können.

Ich muss nämlich zugeben, dass ich quasi im Vorbeigehen zwar die vielen, vielen Hitsingles der NIRVANA-Nachfolger mitbekommen habe, aber mich an keinen einzigen Titel erinnern kann, geschweige denn jemals ein komplettes Album gehört habe. Setlistfetischisten mögen mir daher verzeihen, dass ich hierzu nichts sagen kann. Aber den jetzt fast ausnahmslos stehenden Menschen auf den inzwischen lückenlos gefüllten Plätzen um mich herum scheint es da nicht viel anders zu gehen. Kommt ein Hit, singen alle mit, kommt keiner, wird es ruhiger. Dave Grohl jedoch gewinnt sofort meine Sympathie, lässt er den Superstar, den er heutzutage darstellt, doch zu keiner Sekunde heraushängen. Gleich zu Anfang des Sets wird erst einmal über die Spielzeit verhandelt. "Wollt ihr eine Stunde und fünfzehn Minuten?" Lautes Buhen. Nach eineinhalb und eindreiviertel bekommt er schließlich bei runden zwei Stunden den erhofften Jubel. Und freut sich dann noch diebisch, nach dreizehn Jahren Bandgeschichten endlich im "fucking Madison Square Garden" angekommen zu sein. Der Laufsteg, den die Opener links liegen ließen, schließt er merklich ins Herz, und mit seinem fröhlich wippenden Gang schlurft er ein ums andere Mal hin und her, um im Vorbeigehen die Massen zu Jubelstürmen zu animieren. Gut, ein viel zu früh platziertes Gitarren- oder Schlagzeugsolo verleiht den versprochenen zwei Stunden Spielzeit unnötiges Füllmaterial, aber das gehört wohl zum Showbusiness. Doch gerade, als ich mich auf eine solide, ein klein wenig langatmige Rockshow einstelle und mir ein kurzes Sitzpäuschen bei einem der Nicht-Hits gönne, erschließt sich mir plötzlich dieser kreisrunde Fleck am Ende des Catwalks, der von hier oben ein bisschen was von einem stillgelegten Goldfischteich hat. Wie von Geisterhand (ich vermute, eine Hebebühne, habe wie gesagt gerade nicht hingeschaut) sind dort plötzlich zwei Schlagzeuge, etliche Mikrophonständer und weitere Musiker aufgetaucht, und die FOO FIGHTERS verlassen die riesige, seit ihrem Gig auch endlich von Leinwänden umrahmte Madison Square Garden-Bühne, um sich am anderen Ende des Stehbereichs auf dem kreisrunden Areal fast gegenseitig auf die Füße zu treten. "Und ihr hier hinten dachtet schon, ihr hättet die Scheiß-Plätze erwischt", feixt Grohl den glückseligen Fans am anderen Ende der Halle zu.

Was jetzt folgt, ist quasi ein Set im Set. Verstärkt um einen Perkussionisten, eine Geigerin und einen Klavierspieler präsentieren sich die FOO FIGHTERS eine halbe Stunde lang semi-akustisch. 'My Hero' (hey, doch ein Songtitel!) eignet sich natürlich bestens dafür. Auch ich bin plötzlich viel näher am Geschehen und genieße diese völlig unverhoffte Einlage. Es ist schon ein Zeichen von Größe, wenn eine Band nach so langer Zeit nicht ausschließlich auf der Hauptbühne einen auf dicke Hose macht, sondern viel mehr Spaß an diesem improvisierten Club-Gig zu haben scheint. Und natürlich gibt es wieder eine Kostprobe des großartigen Grohl'schen Humors. "In der Geschichte des Madison Square Gardens hat es schon viele Soli gegeben: Schlagzeugsoli, Gitarrensoli, was auch immer. Aber ich wette, es hat noch niemand ein Triangel-Solo zum Besten gegeben!" Spricht's und fordert den zweiten Schlagzeuger prompt dazu auf, mit seinem unscheinbaren, dafür aber erstaunlich wohlklingenden Metall-Dreieck hinter's Mikro zu treten. Grandios! "Was werden sich die Leute wohl gedacht haben, die nur kurz zum Pinkeln rausgegangen sind und plötzlich steht ein Typ mit der Triangel auf der Bühne?", grinst der Sänger.

Die nächste halbe Stunde gibt es wieder Rock 'n' Roll, und die Menge feiert. Bis auf die beiden Damen vor mir, die sich pünktlich zum ruhigen Teil der Show auf ihren Sitzen eingekuschelt haben und für den Rest des Abends ein Nickerchen halten. Ich wette, für den Preis ihrer Eintrittskarte hätten sie auch ein viel komfortableres Hotelzimmer buchen können. Sachen gibt's ...

Bis zur Zugabe sind rund 90 Minuten verstrichen. Wird Grohl sein Versprechen, die 120er-Marke zu knacken, einhalten? Auf den Monitoren sieht man auf einmal verwackelte Schwarz-Weiß-Aufnahmen. Irgendjemand hält die Setlist vor die Kamera, allerdings nur so weit, wie die FOO FIGHTERS bisher gekommen sind. Dann grinst der Band-Chef von vier Monitoren gleichzeitig und gestikuliert, ob ein weiteres Stück genügen würde? Zwei? Drei? Oder doch vier? Lauter Jubel, und tatsächlich, erst vier weitere Hits später ist Schicht im Schacht. Und es waren zwar - jetzt bin ich kleinlich - nicht ganz zwei Stunden, aber dafür eine tolle Show, die mich zu keiner Sekunden den Kauf des völlig überteuerten Tickets hat bereuen lassen.

Redakteur:
Elke Huber

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