STRATOVARIUS, GLORYHAMMER, DIVINE ASCENSION - Stuttgart

23.11.2015 | 19:47

10.11.2015, LKA Longhorn

Koalas, Karneval und die Schwermütigkeit des Älterwerdens.

STRATOVARIUS im Stuttgarter Longhorn. Das Haus restlos ausverkauft, 1500 Metalheads feiern frenetisch eine Band ab, die sich auf dem musikalischen und kommerziellen Höhepunkt ihres Schaffens befindet, während sich eine junge Nachwuchshoffnung namens SONATA ARCTICA anschickt, eine beinahe ebenso steile Karriere zu zünden. Zwischendrin gibt es mit (Ur-)RHAPSODY eine spektakuläre Vorband, die soundtechnisch zwar weit entfernt ist vom Bombast ihrer Studioproduktionen, mit ihren kinoreifen Fantasy-Hymnen aber dennoch jede Kehle des LKAs in Wangen erbeben lässt.

Stratovarius Drumset

Dieser spektakuläre Gig liegt nun schon eine ganze Weile zurück. Damals hatte die Menschheit gerade das Millennium überstanden, die kraftvoll-melodisch bis –kitschige Spielart des Power Metals feierte sogar in den Klassencharts meines Gymnasiums Erfolge, und mit meinen 16 Lenzen durfte ich erstmals in meinem Leben ein Metalkonzert besuchen. Es war besagtes Melodic-Metal-Trio unter der Führung der skandinavisch-deutschen Allianz namens STRATOVARIUS. Wir schrieben den 18. April 2000. Und auch wenn mir damals mangels Erfahrung Vergleichsmöglichkeiten fehlten, war doch offensichtlich: Viel mehr kann eine Metalband live nicht erreichen, euphorischere Reaktionen im Publikum kann man bei nicht-massenkompatibler Musik nicht erwarten. Entsprechend begeistert fiel damals auch der Konzertbericht unseres Gründers Georg Weihrauch aus.

STRATOVARIUS im Stuttgarter Longhorn, 15 Jahre später. Herbstwetter diesmal, und Herbst auch in Sachen europäischem Power Metal. Scheinbar. Der erste Inneneindruck des LKAs ist ernüchternd, geradezu deprimierend: Der gesamte hintere Bereich ist mit schwarzen Vorhängen abgesperrt, auf der freien Fläche vor der Bühne stehen verstreut ein- bis zweihundert Metalheads herum. Schien zur Jahrtausendwende Power Metal generationenübergreifend Zuspruch zu finden, ist von jener Hochzeit offenbar nur die alte Garde geblieben: Der Altersschnitt an diesem Abend dürfte bei etwa 45 Jahren liegen, die meisten Mitstreiter (inklusive meiner Wenigkeit) haben ihre Mähne längst beruflichen Konventionen oder dem unerbittlich voranschreitenden Haarausfall geopfert. Kämpften wir seinerzeit schon bei den Vorbands um Plätze in den ersten Reihen, spaziere ich heute gemütlich und ohne Anstrengung bis ans vordere Absperrgitter.

Doch genug der Melancholie. Musikalisch hat sich STRATOVARIUS trotz des vorübergehenden totalen Absturzes nicht nur gefangen, sondern auch erfreulich weiter entwickelt, und die Herrschaften an diesem Abend hier wiederzusehen, an quasi historischer Stätte, stimmt mich doch fröhlich. Weder auf der Website des LKAs noch beim Promoter war leider herauszufinden, wer als Vorband an diesem Abend auftreten sollte; am Merchstand klären sich solche Fragen traditionell am einfachsten. Und bereits um 19.45 Uhr startet dann auf den Brettern eine Band namens DIVINE ASCENSION. Klassisches Power-Metal-Lineup, mit einer aufgedrehten Frontfrau am Mikro. Ich habe noch nie von dieser Band gehört, und an den verhaltenen Reaktionen des Publikums ist erkennbar, dass es den meisten Anwesenden ähnlich geht. Frau Jennifer Borg animiert das apathische Häufchen vor der Bühne unermüdlich, allerdings leidlich erfolgreich. Musikalisch ist das, was die Australier hier abziehen, jedoch nicht zu beanstanden: Progressiv angehaucht, angesiedelt zwischen Kapellen wie WITHIN TEMPTATION und ANTHOLOGY. Der Bühnensound ist druckvoll und sehr differenziert. Das LKA ist bekanntlich ein lauter Club, bei dem sich die Mixer beweisen können beziehungsweise müssen, aber ich kann mich nicht erinnern, schon mal einen Opener mit einem so überzeugenden Klang gesehen respektive gehört zu haben. Trotzdem verlässt die Truppe aus Melbourne nach einer guten halben Stunde die Bühne wieder, ohne das Stuttgarter Publikum wachgerüttelt zu haben – was allerdings eher am Phlegma der Audienz denn am Auftritt von DIVINE ASCENSION gelegen haben sollte. Es bleibt in erster Linie die Erinnerung an einen bemitleidenswerten Stoff-Koala, den Keyboarder David Van Pelt mit Bier abfüllt.

Ganz anders sieht die Sache beim verrückten Quintett GLORYHAMMER aus: Die Zuschauerzahl hat sich wie aus dem Nichts verdoppelt bis verdreifacht, und als die fünf Herrschaften die Bühne betreten, fällt der Jubel ungleich euphorischer aus. Kostümiert mit einer Mischung aus Raumanzügen, Bademänteln und Karnevalsrittergewändern haut uns die internationale Formation ihren Intergalactic Space Metal um die Ohren, irgendwo angesiedelt zwischen früherer RHAPSODY-Epik und HAMMERFALL-Dynamik. Was auf der Bühne optisch geboten wird, ist Klamauk – aber die Musik kräftiger, "true" angehauchter Power Metal mit weniger Melodik und mehr Kraft als beim folgenden Headliner. Ich muss gestehen, dass ich auch von GLORYHAMMER bis zu diesem Abend noch nichts gehört hatte. Die Band besteht wohl erst seit wenigen Jahren, hat sich mit ihrem Space-Fantasy-Konzept, ihren knackigen Kompositionen und wohl auch der unübersehbaren Portion Humor schon eine ordentliche Fanbase erarbeitet. "We are GLORYHAMMER, and we play songs about hammers." Damit hat man das Publikum im Nu auf seiner Seite. Spätestens ab 'Hail To Crail' rastet die Audienz (gemessen an den Reaktionen bei DIVINE ASCENSION) förmlich aus. Dass jedes Bandmitglied ausgenommen des Drummers eine Ansprache halten darf, um den jeweils verkörperten Charakter vorzustellen – geschenkt. Die düsteren Ansagen von Keyboarder Bowes kommen vom Band? Na ja. Sänger Thomas Winkler bekommt von einer kostümierten Assistentin bei 'Legend Of The Astral Hammer' einen riesigen Plastikhammer überreicht, mit dem er dann ins Publikum wedelt – selten so gelacht. Aber all diese Kaspereien kann man der Band einfach nicht übel nehmen. Mir ist zwar bislang nicht klar, was es mit den "Hunz"-Rufen um Bassist James Cartwright auf sich hat, aber es interessiert mich eigentlich auch nicht weiter. Musikalisch gelingt es dieser Formation auch live ihr Potential abzurufen und tatsächlich scheinbar ein neues Kapitel in Sachen Power Metal aufzuschlagen. GLORYHAMMER ist in jedem Fall die Überraschung des Abends.

Dauerten früher die Umbauphasen zwischen Metalbands noch locker eine Dreiviertelstunde, laufen die Übergänge heutzutage deutlich reibungsloser ab. Das Drumset von Rolf Pilve wird abgedeckt, kurz einmal alle Instrumente angecheckt, und nach kaum einer halben Stunde gehen die Lichter aus, und ein düsteres Intro läutet den Auftritt von STRATOVARIUS ein. Vier-, maximal fünfhundert Besucher dürften sich mittlerweile im Longhorn eingefunden haben, und noch einmal beschleicht mich eine gewisse Bedrücktheit: Als die Truppe angeführt vom manisch-genialen Mastermind Timo Tolkki vor 15 Jahren die Treppe vom Backstagebereich zur Bühne herabstieg (übrigens ein wunderbarer, einmalig erhabener Gang auf die Bühne für eine Band), kochte die Stimmung im Publikum bereits vor den ersten Tönen über. 2015 klatschen ein paar Langzeitfans Beifall, ansonsten betrachten die meisten älteren Damen und Herren bloß neugierig, was sich vor ihnen abspielt. Als Opener wird 'My Eternal Dream', der erste Track des neuen Albums geboten, flott und druckvoll, allerdings ohne beim Publikum voll zu zünden. Timo Kotipelto hat dennoch sichtlich Spaß, genießt, wie er uns in diversen Interviews erklärt hat, einfach machen zu können, was ihm Freude bereitet, also mit seiner Musik live auftreten zu können. Kotipelto kam mir in früheren Jahren recht distanziert vor, was seine Interaktion mit dem Publikum angeht – heutzutage schüttelt er Hände, winkt einzelnen besonders eifrigen Mitsängerinnen und –sängern zu, lacht viel, blödelt mit seinen Mitmusikern herum. Auch Bassist Lauri Porra ist – verglichen mit seinem stoischen Vorgänger Jari Kainulainen - für die Stageperformance der Skandinavier ein echter Gewinn: quasi am Dauergrinsen, und fast immer an der Vorderkante der Bühne unterwegs.

Nach einer kurzen Begrüßung folgt mit 'Eagleheart' der wohl poppigste STRATOVARIUS-Song überhaupt, ehe das Longhorn mit 'Phoenix' vom "Infinite"-Album überrascht wird; seinerzeit ein ganz großer Livekracher, regelmäßig mit Pyroeffekten untermalt. Scheinbar erinnert sich aber kaum noch jemand unter den Anwesenden an diese Nummer, so verhalten wie die obligatorischen "Hey!"-Rufe in den Breaks vor dem Refrain ausfallen. Die Band scheint das nicht zu stören, ich habe sie jedenfalls von früheren Auftritten deutlich zurückhaltender in Erinnerung. Ihre Spielfreude ist – für finnisch-unterkühlte Verhältnisse – dermaßen ausufernd, dass beinahe jeder Song mit exzessiven Ritardandi in die Länge gezogen wird. Vielleicht ist dies auch das Markenzeichen des jüngsten Bandmitgliedes, Rolf Pilve am Schlagzeug? Na ja, allemal besser als beleidigte Frustaktionen eines Timo Tolkki, der aus Ärger über ausbleibende Euphorie im Publikum schon mal während eines Konzertes die Setliste zusammenstrich. Es folgt mit 'Lost Without A Trace' wieder eine Nummer vom aktuellen Album "Eternal", und zu meiner Überraschung funktionieren die weiteren neuen Songs live deutlich besser als der Opener. 'Lost Without A Trace' kommt mit einem verhaltenen Vers und einem echten Power-Refrain daher – live gefällt mir das Stück noch eine ganze Spur besser als auf Platte, und während ich bei 'My Eternal Dream' noch den Eindruck hatte, dass das Publikum nur auf die Klassiker der Band wartete, singen nun doch einige Zuschauer den Refrain von 'Lost Without A Trace' mit.

Nach dreißig Jahren Bandgeschichte hat STRATOVARIUS indes ein echtes Luxusproblem: Bei 15 veröffentlichten Alben, die fast alle jeweils mehrere Bandklassiker aufweisen, fällt die Auswahl für ein Set nicht leicht. Timo, Jens und Co. haben sich dieses Mal entschieden, jedes Album des früheren Lineups mit zumindest einem Song zu bedenken, den Fokus aber auf "Eternal" zu legen. "Elements Pt.2", das dunkle, selbstbetitelte letzte Album mit Tolkki, sowie die beiden ersten Alben seit dem Split, "Polaris" und "Elysium", kommen gar nicht zum Zuge. Letztlich entspricht man damit sicherlich auch dem Fanfeedback, denn die letzten beiden Alben mit Tolkki sowie die beiden ersten "neuen" Alben weisen im Gesamtvergleich einfach nicht die ganz großen Hits auf – wobei, 'Deep Unknown' und 'Winter Skies' von "Polaris"... Aber egal.

Es folgen weitere Klassiker wie mein persönlicher Allzeitliebling 'Against The Wind', 'S.O.S.' vom "Destiny"-Album oder die Killer-Ballade 'Forever', die zur Jahrtausendwende wohl jeder Melodic-Metal-Fan auswendig konnte (über die Publikumsbeteiligung an diesem Abend schweige ich mich besser aus). 'Unbreakable' von "Nemesis" kommt sehr gut an, doch der große Abräumer des Sets ist definitiv 'Paradise', das nach einem ziemlich coolen Bass-Solo von Lauri Porra aufgefahren wird. Ich hatte schon ganz vergessen wie dieses Teil live rockt! Und hier kommt wirklich echte Gänsehautstimmung auf, die Damen und Herren im Publikum legen ihre Zurückhaltung ab, und die Band nimmt die gute Stimmung direkt auf. Gewagt erscheint mir zunächst, den Longtrack 'Lost Saga' von "Eternal" zu spielen. So richtig warm geworden bin ich mit dem Song bislang nicht – live allerdings kann mich der Zehnminüter durchaus überzeugend. Eine gute Entscheidung! Nachdem der leicht ergraute Jens Johansson ein (an seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten gemessen) eher lustloses Keyboard-Solo hinlegt, folgt mit 'Black Diamond' der STRATOVARIUS-Klassiker schlechthin! Ich bin hin- und hergerissen zwischen freudiger Nostalgie und der Ernüchterung darüber, dass dieser neoklassisch-metallische Überhit nicht wie seinerzeit den ganzen Laden zum Beben bringt, entscheide mich dann aber doch dafür, mit einigen eifrigen Mitstreitern dieses großartige Lied aus vollem Halse mitzusingen.

Für zwei Zugaben lässt sich die Band nochmal auf die Bühne bitten, und hier folgt mit 'Shine In The Dark' noch ein Highlight und der in Sachen Livetauglichkeit beste Song des neuen Albums: Der feierliche Refrain wird eifrig mitgesungen, der rockige Midtempo-Groove freudig aufgenommen – das Teil hier sollte auch in Zukunft seinen Platz in den Livesets von STRATOVARIUS finden. Den Abschluss bietet erwartungsgemäß 'Hunting High And Low', und hier darf Alt und Jung (vor allem Alt...) im LKA noch einmal alles geben. Die Band feiert sich und ihre gealterte Anhängerschaft artig und schießt noch ein obligatorisches Selfie mit dem Publikum im Hintergrund, dann verabschiedet sie sich, und das nur mäßig gefüllte LKA leert sich in Minutenschnelle.


Setliste STRATOVARIUS: Eternal Dream, Eagleheart, Phoenix, Lost Without A Trace, S.O.S., (Bass Solo), Paradise, Against the Wind, The Lost Saga, (Keyboard Solo), Black Diamond, Unbreakable, Forever; Zugabe: Shine In The Dark, Hunting High And Low

Hand aufs Herz: Die ganz großen Zeiten des europäischen Power Metals sind vorbei. Andere Musiktrends, auch in Sachen Metal, sind seither gekommen (und teilweise auch schon wieder gegangen), sodass der große Ruhm der glorreichen 90er-Jahre-Bands nunmehr eindeutig in der Vergangenheit liegt. Dennoch: Die Konzerte mögen kleiner geworden sein – Veteranen wie STRATOVARIUS können weiterhin ausgedehnte Welttourneen unternehmen und vermögen den harten Kern ihrer Fanbase nach wie vor zu begeistern. Musikalisch sind auch die nordeuropäischen Veteranen nicht stehen geblieben, sind gereift, haben sich weiterentwickelt, und innerhalb der Metalszene mit ihren letzten Veröffentlichungen immer noch ein Wörtchen mitzureden. Und auch wenn der etwas albern wirkende Auftritt von GLORYHAMMER vielleicht nur schwerlich ernst zu nehmen schien: Am heutigen Abend im LKA hat eine junge Nachwuchsband bewiesen, dass Power Metal nicht allein der alten Garde überlassen werden muss. The story will continue. So oder so.

 

Redakteur:
Timon Krause

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