Ragnarök Festival - Lichtenfels

18.05.2022 | 15:13

22.04.2022, Stadthalle

Nach zwei Jahren Entbehrung geben sich in Lichtenfels endlich wieder Pagan-Bands wie ENSIFERUM und Schwarzmetall-Urgesteine wie MAYHEM die Klinke in die Hand.

Das lange Warten ist vorbei! Endlich darf der Met wieder fließen in Oberfranken, dürfen die Trinkhörner in die Luft gereckt und Odin Tribut gezollt werden. Doch halt, ganz so klischeehaft wird es nicht in der Stadthalle. Denn das "Ragnarök Festival" wagt einen weiteren großen Schritt hin zu mehr Black Metal. Das zeigt sich nicht nur an der Anzahl der Düsterbands (je nach Auslegung mindestens ein Dutzend) auf den beiden abwechselnden Bühnen, sondern auch in dem Umstand, dass mit MAYHEM der Genrebegründer schlechthin verpflichtet wurde. Und so darf nicht nur der Honigwein reichlich fließen, sondern auch Absinth und süßer Schnaps. Letzterer vor allem passenderweise bei der vorabendlichen Warm-up-Party mit DJ Schnapsi, wo leicht bekleidete Stripperinnen das Zeug gleich flaschenweise und kostenlos in die Kehlen der vorderen Reihen schütten. Ehe sie sich vor dem düster gestalteten DJ-Pult nach und nach entblättern. Wir sind scharf, vor allem aber auf die Konzerte!

Nach der Eröffnung der Elchtod-Dänen LIVLØS am Freitag dürfen die Griechen LUCIFER’S CHILD Black Metal der ordentlichen Ballersorte servieren. Und dabei die erste größere Menge des Tages anfeuern. Der mit Nieten am Arm und Ketten an der Lederweste bewaffnete Sänger zeigt eine ordentliche Präsenz. Zu 'Fall Of The Rebel Angels' steigt er auf die Absperrung und fordert die Circle-Pit-Premiere des diesjährigen Ragnaröks. Düster-oldschooliges Geboller.

Düster geht’s auch weiter, mit etwas weniger Geboller, dafür deutlich mehr Atmosphäre: THE SPIRIT hatte bereits vor vier Jahren als noch relativ neue Band beim Party.San Open Air auf der Underground-Stage für Aufsehen gesorgt, inzwischen scheinen die Saarländer richtig durchzustarten. Mit neuen Songs wie 'Celestial Fire' oder 'Of Clarity And Galactic Structures' zeigt der Vierer, wie lässig er altes DISSECTION-Feeling aus dem Ärmel schütteln kann. Und da ein Teil meiner Familie Wurzeln in Saarbrücken aufweisen kann, hat eine Black-Metal-Band von dort ohnehin einen kleinen Stein bei mir im Brett. Nur der Sound kommt den Jungs nicht zugute und wird an diesem Wochenende insgesamt noch häufiger Gesprächsthema sein. Oder unsere Ohren sind nach zwei Jahren fast durchgängigem Konzert-Lockdown einfach keinen rumpligeren Live-Sound mehr gewohnt.

Ein richtiger Senkrechtstarter ist die nächste Combo aus der Nachbarschaft: Gerade erst 2020 gegründet, springt das Bamberger Kriegsgeschwader KANONENFIEBER für die ursprünglich angekündigten GROZA ein und reißt förmlich die Stadthalle ab. Optisch ist das live zum Fünfer aufgestockte Ein-Mann-Projekt der maskierten Black-Metal-Szene zuzuordnen, allerdings ergänzt um preußische Kriegstracht sowie Stacheldraht und Sandsäcken als Bühnendeko. Denn die Thematik Erster Weltkrieg ist hier mehr als Programm. Die Kriegserklärung von Kaiser Wilhelm II. schallt durchs Rund, dann geht die Truppe mit 'Die Feuertaufe' zum Angriff über. Frontmann und Bandgründer Noise ist unter seiner Pickelhaube voll in seinem Element, gestikuliert ekstatisch und feuert symbolisch ins Publikum. Perfekt unterlegt von den MG-Salven des Schlagzeugs. Zur 'Schlacht bei Tannenberg' gibt's dann auch eine minimalistische Choreografie-Einlage, zum Marschrhythmus stampft das Kommando synchron über die Bühnenbretter. Mit diesem Konzept könnte es der Angriffstrupp noch weit bringen, eine meiner persönlichen Neuentdeckungen dieses Festivals.

Um halb sechs wird es dann deutlich langsamer auf der linken Bühne: Doom Metal von KONVENT steht auf dem Plan.  Frauenpower inklusive, auch wenn man das inzwischen nicht mehr extra zu betonen brauchen sollte. Dennoch werden die Handys im Publikum zu Hauf gezückt und die vier Däninnen strahlen eine gute Präsenz aus: Die blonde Sängerin Rikke kombiniert zu den etwas schnelleren Parts Bangen mit Gestikulieren und Grunzen. Ansagen gibt es allerdings keine, stattdessen prostet sie den Fans wortlos zu. Das Publikum feuert die Doom-Truppe auch so an und bekommt dafür Songs wie das treibende 'Grains' serviert.

Dann weht ein Hauch von HARAKIRI FOR THE SKY durch die Halle. Klar, denn deren Sänger J.J. alias V. Wahntraum tritt hier mit seinem eigenen (und älteren) Soloprojekt KARG auf. Der Wahl-Wiener greift selbst zur Gitarre und erzeugt mit seinen drei Mitstreitern von der Saitenfraktion einen ziemlichen breiten Sound. Obwohl auch hier die Snare wiedermal leicht übersteuert. Egal, erstmals wird es so richtig voll vor der Bühne. Um dem Post Black Metal zwischen ruhigen Arrangements und heiserem Schreien zu lauschen, während die Strobos zu den ordentlich treibenden Parts flackern. Eines zieht J.J. allerdings wie bei seiner bekannteren Band durch: Es gibt keinerlei Ansagen zwischen den Songs, dafür lässt er als Blickfang lässig ein schwarzes Tuch aus der Gesäßtasche baumeln. Ohnehin stehen die überlangen Musikstücke hier wie bei HARAKIRI für sich. Nur eben überwiegend in Pongauer Mundart.

Eigentlich verwunderlich, dass die Pagan-Fans auf dem Ragnarök erst in den frühen Abendstunden zumindest ansatzweise auf ihre Kosten kommen. Mystische Klänge schallen über die blau angestrahlte Bühne, der Schlagzeuger feuert schon mal die Menge an – woraufhin lautstarke "Hey!"-Rufe bereits die Runde machen, als SAOR gerade mal die Bühne betritt. Sänger und Bandgründer Andy Marshall verbeugt sich artig, bevor überhaupt die ersten Gitarrenakkorde erklungen sind. Dann brettern die Schotten mit 'Aura' vorwärts. Folk Black Metal mit tatkräftiger Violinen-Unterstützung. Da darf auch mal der Violinist im Mittelpunkt stehen, während die Saitenfraktion schon beim ersten Song ihre Instrumente in die Luft reißt. Ein ziemlich ordentliches Sound-Gewitter, dass die fünf Kelten da raushauen.

Anschließend wird es wieder richtig düster: Ein verstörendes Intro direkt aus der Hölle, dann rast das deutsche Schwarzmetall-Urgestein DARK FORTRESS amtlich drauf los. Erstmals auf deutschem Boden mit dem aktuellen 'Pulling At Threads', denn der letzte Gig hierzulande liegt bereits über drei Jahre zurück. Der klar gesungene Refrain ist vielleicht nicht jedermanns Sache, dafür knallen die Gitarren umso mehr. Darauf kommt's schließlich an, zumal kurze Zeit später durch eine riesige Nebelfontäne erstmal nichts mehr von der Bühne zu sehen ist. Als die Sicht auf den weiß geschminkten Sänger Florian alias Morean und seinen langen Dreifach-Teufelsbart wieder gegeben ist, zollt der den Fans Tribut: "Danke, dass ihr gekommen seid, das bedeutet uns sehr viel!" Auch 'Isa' spielen die sechs Bayern erstmals live in ihrem Heimat-Bundesland und verbreiten eine richtig finstere Stimmung. Bevor es auf der Bühne nebenan mit Melo-Death etwas heiterer wird.

Streng genommen steht ein Headliner-Kandidat wie DARK TRANQUILLITY mit kurz vor Neun viel zu früh auf der Running Order, die Fans empfangen die Schweden aber enthusiastisch. Zunächst beginnt es bei blau angestrahlter Kulisse mit Keyboardklängen etwas ruhiger, dann stürmt Mikael Stanne zu 'Phantom Days' auf die Bühne. Der Sänger ist wie immer bestens aufgelegt, gestikuliert mit breitem Dauergrinsen und feuert die Menge an. Der Melo-Sechser nutzt die Corona-Lockerungen und tourt gerade tagtäglich durch ganz Europa. Dennoch sind alle Bandmitglieder fit und gut drauf. Nur der Sound hakt anfangs mal wieder etwas, die Snare-Lautstärke scheint bei jedem Schlag zu variieren. Spätestens bei 'Encircled' wird’s aber besser und der Song drückt ordentlich vorwärts. "Thanks for being here with us", ruft der sympathische Mikael und widmet 'Lost To Apathy' den Fans. Die singen zum Dank jede Gitarrenmelodie lautstark mit. Nur zum finalen 'Misery's Crown' lässt der Sound doch nochmal stark nach, die Keyboardmelodie ist anfangs überhaupt nicht rauszuhören. Sei's drum: Mikael klettert aufs Grabengitter und schmettert die Lyrics gemeinsam mit den ersten Reihen. Normalerweise ist das sein Moment, um zum Crowdsurfing in die Menge zu springen – aber diese obligatorische Einlage bleibt zu Pandemie-Zeiten dann doch aus. Trotz kleinen Abstrichen dennoch insgesamt mein ganz persönliches Highlight des diesjährigen Ragnaröks!

Dann gibt's oldschooligen Black Metal. Die Norweger VREID legen mit dem Titelsong ihres letzten Albums "Wild North West" los, und auch Sänger Sture Dingsøyr möchte gleich mal vom Publikum angefeuert werden. Mit 'Paint It Black' kommt schon recht früh ein Coversong in der Setlist, bekanntermaßen von den ROLLING STONES, was natürlich entsprechend abgefeiert wird. Mit 'The Spiritlord' steht auch ein WINDIR-Cover auf der Setlist, aber natürlich hat das Quartett auch genug eigenes Düstermaterial wie etwa 'Shadows Of Aurora' zu bieten. Moshpit, Gitarrensolo, Nebel – und sensenartige Gebilde als Bühnendekoration? Das abgehenden Publikum hat jedenfalls seinen Spaß.

Nicht nur vor der linken Bühne, auch auf der Tribüne wird es komplett voll. Der obligatorische Höhepunkt eines gefühlt jeden Ragnaröks – zumindest, wenn man auf Pagan steht. Nach einem majestätischen Intro stürmen die Finnen ENSIFERUM in schwarzen Röcken und mit dem aktuellen 'Rum, Women, Victory' auf die Bretter. Klingt bereits jetzt wie ein typischer Klassiker der Band. Basser Sami kriegt sich gar nicht mehr ein, flitzt unentwegt über die Bühne und will aus allen Richtungen was von den Fans hören. "Guten Abend!", raunzt Frontman Petri, ehe der Finnland-Fünfer 'Andromeda' nachlegt. Gitarrengepose auf der Bühne, Freudentänze und rhythmische Klatsch-Orgien davor. Wikingerhörner gehen in die Luft, nicht nur die zum Trinken, sondern auch die historisch falschen am Plastikhelm. Apropos Wikinger: Die traditionellen Nordmannen, die in Lichtenfels stets direkt vor der Halle zelten, mit ihren Schwertern und Schilden eine kleine Schlachteinlage zum Besten geben und am letzten Abend zum großen Umtrunk laden, sind dieses Jahr erstmals nicht erschienen. Gerüchten zufolge sollen Diskussionen um Spritgeld der Hintergrund sein. Sei's drum, mein Soll an Pagan-Mucke ist jedenfalls erstmal zur Genüge erfüllt.

Mein drittes Festival seit Pandemiebeginn und zum dritten Mal steht GOD DETHRONED am späten Abend auf der Bühne. Und zum dritten Mal kommt 'Sigma Enigma' als Opener. Trotz Mitgröl-Charakter ist das Publikum schlagartig weniger geworden, ist ja schließlich schon nach Mitternacht. Und trotz leichten Abnutzungserscheinungen muss man den vier Niederländern attestieren, alles zu geben. Die gute Beleuchtung tut ihr Übriges. "This is Illuminati", raunzt Frontmann Henri Sattler in seinem obligatorischen Sweater mit Leder-Schulterriemen, hält sich ansonsten mit Ansagen aber zurück. Die Songs werden erstmal nahezu am Stück durchgezogen. "You wanna hear some old shit?", nähert sich Henri dann doch mal wieder dem Mikro an. "New shit? Old shit?" Mit 'Soul Sweeper' fällt die Wahl auf inzwischen fast 20 Jahre altes Material. Kurzes Gitarrenposen, auch mal zu dritt, während nebenan schon die Bühne leergeräumt wird. Zum Abschluss gibt's das teils drückende, teils melodische 'Nihilism' – diesen Klassiker kann man sich tatsächlich immer geben. Würdiger Schlusspunkt des ersten Abends. Ab auf den Schotterparkplatz zu den Festivalgenossen und am Auto noch ein Feierabendbier in geselliger Runde zischen. Prost!

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Redakteur:
Carsten Praeg

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